In ZEIT-Online entdeckte ich unter der Überschrift "Um 13 Uhr ist normalerweise Feierabend"ein Interview, das mir gut gefallen hat. Wie beurteilen es andere?
Feierabend haben, wenn die meisten erst aus der Mittagpause zurückkommen – und trotzdem dasselbe verdienen. Eine Utopie?
"Um 13 Uhr ist normalerweise Feierabend" –Vor zwei Jahren startete Lasse Rheingans ein Experiment: Er zahlte den Angestellten seiner Bielefelder IT-Agentur ein volles Gehalt – auch wenn sie nur 25 statt 40 Stunden pro Woche arbeiteten. Das lief so gut, dass seine 15 Mitarbeitenden den Fünf-Stunden-Tag beibehielten. Aber kann das auch in anderen Unternehmen klappen? Rheingans, 38, ist überzeugt: Es geht. Vergangene Woche erschien sein Buch "Die 5-Stunden-Revolution".
ZEIT ONLINE: Wie sieht ein Arbeitstag in Ihrer Firma aus?
Rheingans: Um 8 Uhr fangen wir an, um 13 Uhr ist normalerweise Feierabend. Damit es klappt, geht bei uns die Arbeit um Punkt acht richtig los. Richtig heißt: konzentriert und leise. Früher lief im Büro meistens noch irgendeine Spotify-Playlist. Das gibt es heute nicht mehr. Auch Meetings haben wir von einer Stunde auf eine Viertelstunde gekürzt – das reicht meistens aus, wenn man den Smalltalk weglässt und eine klare Agenda hat. Wir haben uns außerdem darauf geeinigt, E-Mails nur zweimal am Tag zu checken. Wir wollen jede unnötige Ablenkung in Form von Benachrichtigungen oder Pop-up-Nachrichten vermeiden.
ZEIT ONLINE: Auch Kaffeeklatsch und zu viele Raucherpausen sind bei Ihnen auf der Arbeit nicht so gern gesehen. Das klingt so, als gäbe es den Fünf-Stunden-Tag nur zum Preis von strikten Regeln.
Rheingans: Natürlich haben wir Regeln und schreiben die auch immer wieder gemeinsam um. Unser effizienter Arbeitsablauf funktioniert nur, wenn wirklich alle im Team dahinterstehen. Noch wichtiger als Regeln sind allerdings Eigenverantwortung und Selbstdisziplin …
ZEIT ONLINE: Das Modell "weniger arbeiten bei gleichem Lohn" war 2017 zunächst als Experiment geplant. Warum haben Sie weitergemacht?
Rheingans: Ich habe den Fünf-Stunden-Tag vor allem deshalb als Experiment bezeichnet, weil ich Angst hatte, dass mir das Projekt um die Ohren fliegt. Ich wollte mir einen Ausweg offenhalten, falls es nicht klappt. Doch wir haben weiterhin Aufträge und sind profitabel. Noch dazu hat das Projekt medial derart Wellen geschlagen, dass ich das Gefühl hatte: Wir haben etwas geschaffen, das Arbeitnehmer und Arbeitgeber spannend finden – und es tut uns nicht weh, es weiter zu verfolgen.
ZEIT ONLINE: War die Umstellung wirklich ganz schmerzfrei?
Rheingans: In der Experimentierphase hatte ich nicht auf dem Zettel, dass die Teamkultur darunter leiden könnte, wenn wir möglichst kurz und effizient arbeiten. Ein Team entwickelt sich nicht nur durch gemeinsame Arbeit, sondern auch durch persönlichen Austausch. Für uns hat sich schnell herausgestellt, dass wir Teamevents brauchen, wenn das Modell funktionieren soll. Jeden Freitag gibt es jetzt nach Feierabend einen Kochclub und gelegentlich gemeinsame Events, um sich auch über Themen austauschen zu können, die nicht arbeitsrelevant sind.
ZEIT ONLINE: Sind Ihre Mitarbeiter heute tatsächlich produktiver?
Rheingans: Das lässt sich bei Kreativprozessen schlecht messen – und es liegt mir fern, jeden Mitarbeiter jeden Tag zu kontrollieren. Stephan Aarstol, der das Modell erstmalig bei seiner Paddleboard-Firma in den USA eingeführt hatte, berichtete über eine Produktivitätssteigerung von vierzig Prozent. Für uns ist relevant, dass die Mitarbeiter dasselbe schaffen, was sie vorher in acht Stunden geschafft haben. Trotz unserer kürzeren Arbeitszeit können wir mit Agenturen mithalten, in denen zwölf Stunden gearbeitet wird und schaffen das, was unsere Kunden erwarten. Und am Ende des Tages haben Angestellte trotzdem mehr Zeit für Ausgleich, Privates, Selbstfindung und Entspannung.
ZEIT ONLINE: In Ihrem Buch schreiben Sie, dass Sie anderen Führungskräften Mut machen wollen, Ihrem Beispiel zu folgen. Für den Leiter eines Krankenhauses dürfte es schwierig werden, die Türen um 13 Uhr zu schließen.
Rheingans: Ich höre oft, dass das Modell branchenübergreifend nicht funktioniert. Um auf das Beispiel mit dem Krankenhaus zurückzukommen: Ich habe mich letztens mit einem Bekannten unterhalten, der in einem Krankenhaus arbeitet. Er hat mir erzählt, dass dort Menschen eingeteilt werden, um Medikamente zu sortieren. Das ist nur eine von vielen Aufgaben, die Maschinen viel schneller und besser können als wir. Wir sollten uns fragen: Wo können wir überall Zeit sparen? Es geht im Großen und Ganzen um einen Wandel der Arbeitskultur. Auch in anderen Berufen, bei denen man erst denkt: Da kann es doch gar nicht klappen.
ZEIT ONLINE: Und trotzdem: Längst nicht in allen Berufsfeldern kann die Digitalisierung mehrere Arbeitsstunden täglich einsparen.
Rheingans: Ein Umdenken wäre trotzdem in allen Branchen wichtig. Momentan haben wir in Deutschland einen Fachkräftemangel. Mit kürzeren Arbeitszeiten und zielgerichteten Tätigkeiten könnte zum Beispiel die Arbeit in der Pflege wieder attraktiver werden. Und auch die Anzahl von Menschen mit Burn-out zeigen, dass ein Wandel nötig ist.
ZEIT ONLINE: In Ihrem Buch zitieren Sie eine Statistik der AOK, die zeigt, wie die Burn-out-Rate kurz nach der Jahrtausendwende nach oben schnellte und bis heute hoch geblieben ist. Im Jahr 2004 kamen auf 1.000 Kassenmitglieder weniger als zehn Krankheitstage aufgrund des Burn-out-Syndroms, 2016 waren es 75. Gehen in Ihrem Betrieb wirklich alle Mitarbeiter um 13 Uhr entspannt und zufrieden nach Hause?
Rheingans: In stressigen Zeiten oder personellen Engpässen kommt es schon mal vor, dass auch wir sechs, sieben oder sogar acht Stunden im Büro sitzen. Mir geht es auch nicht darum, den Fünf-Stunden-Tag möglichst penibel einzuhalten. Hauptsache, man arbeitet zielgerichtet und hochkonzentriert – und findet am Nachmittag genug Zeit für Erholung, Familie oder Hobbies. Ich wollte mit dem Experiment und dem Buch zeigen: Gute Arbeit ist auch, oder gerade dann möglich, wenn nicht jeder auf seinem Hintern sitzen bleibt, bis die 40 Stunden voll sind …
https://www.zeit.de/arbeit/2019-08/arbeitszei...