@31: Raudona, es ist eine der vornehmsten Aufgaben der Philosophie, den gestickten Sprüchen über Omas Sofa nachzusinnen. Andererseits wird in Stickereien seit jeher eifrig
philosophiert. (-;
@ 15:
wieso wird die Zeit monopolisiert? (Was bedeutet das in dem Zusammenhang?) Ich hätte eher gesagt, dass die öffentlichen Uhren - die nicht zuletzt darum am Kirchturm angebracht wurden, weil der üblicherweise von den meisten Orten aus gut zu sehen ist - die öffentliche Zeit synchronisiert haben.Unbestritten hat es auch praktische Gründe, Uhren auf oder in Kirchtürmen zu installieren. Allerdings dürfte in der mittelalterlichen Stadt die Sichtverbindung zu Zifferblatt und Zeigern für die meisten Menschen aus baulichen Gründen ziemlich eingeschränkt gewesen sein. Da waren die akustischen Signale sicher wesentlich weitreichender und wirksamer. Ob durch Geläut oder Muezzinrufe, Religionsgemeinschaften und deren Funktionäre haben schon weit vor Erfindung der mechanischen Uhr lautstark versucht, den Tagesablauf der Menschen zu strukturieren. Natürlich haben auch die Türme selbst neben der symbolischen immer auch eine ganz praktische Rolle gespielt, z.B. als Ausguck für Verteidigungs- und Brandschutzzwecke.
Und so hat auch die 'Synchronisierung', im Sinne einer einheitlichen Ortszeit für möglichst alle Menschen in einem Kirchspiel, einem städtischen Weichbild oder einem Wirtschaftsraum, durchaus praktische Aspekte. Es wird als nützlich erachtet, wenn für alle in einem Gemeinwesen lebenden Menschen dieselbe (Uhr-)Zeit als verbindlicher Standard gilt. Doch selbst da, wo einhellig Konsens besteht, gibt es Institutionen, die über die Einhaltung des Standards wachen, ihn vielleicht auch weiterentwickeln. Das tun sie mit herrschaftlichen Mitteln; sie üben Macht aus. Eine Legitimation dafür findet sich immer. Obendrein neigen Institutionen dazu, ihre Machtbereiche dauerhaft zu manifestieren, symbolisch abzusichern und möglichst auch auszudehnen. Da ist es gut, wenn man über die dafür notwendigen materiellen Ressourcen verfügt. Dann wird aus dem bimmelnd zum Begräbnis rufenden Glöckchen bald auch die prachtvolle Turmuhr mit allen möglichen Nebenfunktionen.
Natürlich hatten Kirche, Rathaus und Fabrik nie ein absolutes Monopol aufs 'Zeitmanagement'. Zeitweise muss man wohl eher von einem Oligopol sprechen. Was ich vor allem ausdrücken wollte: neben aller alltagspraktischen Nützlichkeit hat die Standardisierung der Zeit und der Zeitanzeige auch eine Bedeutung als Herrschaftssymbol. Die noch größere, noch genauere, noch funktionsreichere, noch prächtigere Uhr zeigt eben nicht nur, wie spät es ist, sondern auch, dass ihr Erbauer/Erhalter/Verwalter über die Ressourcen zum Bauen/Erhalten/Verwalten verfügt. Und so ganz nebenbei ist der Verwalter eben auch der, der die Uhr stellt und bestimmt, wann sie schlägt. Dass ihm Wissenschaftler dabei zur Hand gehen, tut seiner Herrlichkeit keinen Abbruch; im Gegenteil zeigt es: er kann sich auch Wissenschaftler leisten.
Soweit dazu. Den vielen interessanten Aspekten der Diskussion möchte ich noch einen hinzufügen und darauf aufmerksam machen, dass es Menschen gibt, die sowohl Gott als auch die Zeit wesentlich für Hervorbringungen des menschlichen Geistes halten. – Wenn ich mich diesem Gedanken anschließe, lässt sich der Spruch
"Gott schuf die Zeit. Von Eile hat er nichts gesagt." möglicherweise paraphrasieren als
"Erst hab' ich Gott, und dann die Zeit konstruiert. Warum zum Teufel soll ich mich jetzt noch beeilen?" (-;
Ja, ich weiß, ich bin ein Fremder außerhalb des Bundes der Verheißung; aber ich habe dennoch Hoffnung. Valete!