Die mit dem Ernst von Siemens Musikpreis, gleichsam dem Nobelpreis für Musik, bedachte Bratschistin Tabea Zimmermann äußerte sich in einem Gespräch mit der ZEIT wie folgt über die Bratsche:
ZEIT ONLINE: Ist die Bratsche dank ihrer mittleren Lage – manche schwärmen von ihrem Rotwein-Timbre – ein besonders sinnliches Instrument?
Zimmermann: Insofern als man beim Spielen immer die Verbindung zum eigenen Körper sucht: ja. Alles sollte schwingen. Wir Streicher müssen uns die Natürlichkeit, die uns die Instrumente nehmen, ja erst wieder antrainieren. Auf der Bratsche ist das besonders unbequem. Viele wollen den dunklen, großen Ton – und greifen zu Instrumenten, die viel zu groß sind. Dann gibt es Probleme mit der Schulter, der Ellenbogen wird überstreckt, das Handgelenk wird fest, die Finger sind nicht so beweglich. Das zu korrigieren ist schwer, wenn die Leute mit 19 oder 20 Jahren zu mir an die Hochschule kommen. Letztlich geht es nicht um die richtige "Haltung", sondern darum, die Kräfte mit dem ganzen Körper auszubalancieren.
ZEIT ONLINE: Muss man sich als Bratschistin irgendwann entscheiden zwischen Melancholie und Virtuosität, Klang und Beweglichkeit?
Zimmermann: Man legt sich schon fest. Ist meine Bratsche 39 oder 43 Zentimeter lang, in welchem Verhältnis stehen Korpusgröße und Saitenlänge zueinander, mit welchem Saitenwiderstand komme ich gut zurecht? Solche Fragen. Ich habe 35 Jahre lang auf einem modernen Instrument gespielt, einer Vatelot-Bratsche, die ist so mittelgroß. Jetzt, im Älterwerden, habe ich mir eine andere machen lassen, gleiche Korpusgröße, kürzere Saiten, bei einem fulminanten französischen Geigenbauer. Die ist für mich wunderbar leicht spielbar. Und sie klingt!
ZEIT ONLINE: Der typische "Tabea-Klang" gilt als farbenreich, beweglich und hochdynamisch. Das ist das absolute Gegenteil vom landläufigen Klischee, das behauptet, Bratscher spielten am liebsten langsam und seien von Haus aus etwas träge.
Zimmermann: Ich finde, es gibt kaum etwas Schöneres als tiefe, ruhige, sanft schwingende Töne. Die kann ich auf der Violine so nicht spielen. In der Musik aber geht es um Vielfalt, um das Spezifische einer Partitur. Ich spiele nicht Bratsche, um mich selbst auszudrücken oder weil ich tiefe, ruhige Töne mag. Unser Handwerk als Interpreten besteht darin, dass wir uns in den Dienst der Musik stellen. Ich kann das, was ich in den Noten lese, übersetzen. Ich bin Übersetzerin. Dafür brauche ich ein breites Repertoire an Ausdrucksmöglichkeiten, an denen ich permanent schleife und feile.
https://www.zeit.de/kultur/musik/2020-05/tabe...
Der mit 250.000 Euro dotierte Ernst von Siemens Musikpreis impliziert auch die Nobilitierung der Bratsche oder Viola. Tabea Zimmermann will mit dem Preisgeld eine Stiftung zur Förderung junger Musiker ins Leben rufen.