| Kommentar | I have to apologize: it's another case of "diarrhea of the keyboard." I tried to keep it short, but it just kept growing - so sorry.
Professor Wurm war der Ohnmacht nahe. Seit Tagen schon hatte er das Gefühl, in einer Sauna zu leben, und stundenlang war ihm schon so scheußlich zumute, dass er sich dachte, seine Erlösung könne nur noch durch einen raschen Tod kommen. Sein Hosenbein blieb an der hölzernen Sitzbank kleben, als er versuchte, aufzustehen und seinen Kopf aus dem halbwegs herabgelassenen Fenster des Waggons zu stecken, um vielleicht auch nur den Hauch einer kühlen Brise zu spüren. “Da soll einer versuchen, sich seine Eleganz zu erhalten,” brummelte er vor sich hin und blickte sich um. Er war nicht der einzige, der im Laufe des Tages geschmolzen war, und jetzt, am frühen Nachmittag, schien es ihm am ärgsten zu sein. Von links und rechts, vorne und hinten schwebten ihm ranzige Gerüche in die Nase, wie er sie schon lange nicht mehr genossen hatte. Wohin er auch sah, überall triefte und träufelte der Schweiß auf Haut, stömte aus Poren. Seine Nase kräuselte sich, als er endlich stehen und den Kopf aus dem Fenster stecken konnte. Doch im Freien war es nur noch heißer, wie in einem Backofen kam es ihm vor, und Professor Wurm zog seinen Kopf nach nur wenigen Sekunden wieder rasch ins schattige Innere. So heiß hatte ihm die Sonne auf den kahlen Kopf gebrannt, dass er schon einen Sonnenbrand oder Schlimmeres vermutete. “Einen Hut muß ich mir in Tucson unbedingt kaufen,” dachte er sich, als er sich wieder setzte und weiter schwitzte. “So einen schönen Sombrero, mit der breiten Krempe.” “Deming, New Mexico!” rief der Schaffner, der gerade ins Abteil gekommen war. “We’ll be in Deming in just a few minutes.” Professor Wurm bekam nur wenig von den Gesprächen mit, die plötzlich um ihn aufzuflammen schienen. Von “Bäz” schien hier die Rede zu sein, und von Spelunken und Tavernen. Doch “Bät”, daran konnte sich Professor Wurm noch erinnern, das heißt doch Fledermaus. Hier gab es Spelunken und Tavernen mit Fledermäusen? “Have you ever been to the Carlsbad Caverns?” fragte ihn plötzlich die korpulente Dame, die ihm gegenüber saß, als hätte sie seine Gedanken gelesen. Professor Wurm sah zu, wie ihr der Schweiß in Rinnsälen in die Kluft ihres dicken Busens entfloß. Immer wieder hatte sie versucht, ihn in ein Gespräch zu verwickeln, schon seit sie am Vorabend in San Antonio zugestiegen war, und immer wieder war er ihr geschickt ausgewichen. Doch nun, hier im Speisewagen, schien sie ihn endlich in die Enge getrieben zu haben. “Karlsbad, yes,” antwortete Professor Wurm brav. “I was there.” Die Dame lächelte ihn nur kurz an, bevor ein Wortschwall aus ihrem Munde über ihn hereinbrach. Professor Wurm konnte sich keinen Reim darauf machen, was sie ihm da erzählte. Und so lächelte er nur und dachte sich, dass diese dicke, amerikanische Dame, die da platschnass vor ihm saß, wohl kaum einmal in Böhmen gewesen sein könnte. Sonst wäre sie doch wohl nie wieder in diese Hölle zurückgekehrt. Der Zug ruckelte langsam vor sich hin. Nach Professor Wurms Berechnung konnte es nicht mehr sehr weit es bis Tucson sein. Der Schaffner stand plötzlich vor ihm, als wollte er sein Billet sehen. Doch dann besann er sich, zweifellos, weil er sich an Professor Wurm erinnerte und wußte, dass er nicht erst in El Paso, dem letzten Bahnhof, zugestiegen war. Professor Wurm nutzte die Gelegenheit. “Hau weit to Tucson,” fragte er den Schaffner. “How wide?” wiederholt der die Frage und kratzte sich am Kopf. “You mean, how far?” “Yes, yes,” rief Professor Wurm. “How far?” “Seven more hours,” antwortete der Schaffner. Ein Grinsen zog sich über sein Gesicht. “To Too-son,” sagte er langsam. “Not Tuck-son. Too-son!” Rings um Professor Wurm hallte müdes Gelächter auf und schwebte in der heißen, schwülen Luft des Waggoninneren wie in einem Sumpf, bevor es darin langsam versank. Der Schaffner grinste noch einmal und zog auch schon weiter, raus aus diesem und in den nächsten Wagen. Ach, wie sehr Professoer Wurm sich nach seinem geliebten Salzburg sehnte, wo es zur Zeit sicher kaum mehr als 20 Grad hatte. Vielleicht regnete es sogar, diesen ewigen Salzburger Schnürlregen, der ihm sonst immer so auf den Wecker ging und den er jetzt so gerne auf seiner Haut spüren würde. Wie sehr er diese Reise hasste, dieses ewig weite Land, diese unendlich aneinander gereihten Schienen, die ihn, das wußte er, Kilometer um Kilometer langsam seinem Verderben näher brachten. Ein schicksalshafter Telefonanruf war es gewesen, der ihn, einen Monat ist es jetzt schon her, zu dieser Reise veranlaßt hatte. Die Geburt seiner kleinen Tochter, das unerwartete Auftauchen von Noah Fiatal zu jener präkären Stunde, der Albtraum seiner geliebten Frau, dies alles, das war ihm bewußt, hatte sich gegen ihn verschworen und ihn praktisch dazu gezwungen, hierher in diese Hölle, diese amerikanische Wüste, dieses unbarmherzige Niemandsland zu kommen. Doch warum mußte das so sein? Wem oder was war er eigentlich auf der Spur? Das wußte er nicht, und genau dieses Rätsel plagte ihn jetzt so furchtbar. “Are you from Germany? Kommen Sie etwa von Deutschland?” unterbrach ganz unerwartet die dicke Dame mit dem schwitzenden Busen im feinsten bairischen Dialekt seine weit fortschweifenden Gedanken. Professor Wurm konnte sein Staunen nicht verbergen. “Äh, ja doch,” antwortete er nur. ‘So ein Pech,’ dachte er, ‘jetzt spricht die Frau auch noch Deutsch.’ “Österreich,” antwortete er nur. “Salzburg, um genau zu sein.” Er blickte sie neugierig an. “Und Sie?” fiel es ihm plötzlich ein. “Aus Rosenheim ursprünglich,” lachte sie ihn an. “Aber ich wohne schon seit Jahren hier auf einem Indianerreservat.” “Auf einem Indianerreservat?” fragte Professor Wurm ungläubig. “Auf einem Indianerreservat?” “Ja ja,” sprach die Dame, offensichtlich amüsiert. “Ich bin dort mit einem Apatschenhäuptling verheiratet.” Professor Wurm war sprachlos. Trotz der Hitze lief es ihm plötzlich eiskalt über den Rücken. ‘Das kann doch nicht sein!’ dachte er. ‘Das gibt’s doch nicht!’ Die dicke Dame blickte in argwöhnisch an. “Ja was hab’n Sie denn? Ist Ihnen nicht gut?” fragte sie ihn. “Nein, nein!” rief Professor Wurm. “Es ist schon alles in Ordnung, doch ich muß Sie etwas fragen, gnädige Frau.” Professor Wurm blickte aus dem Fenster. Er hatte gar nicht bemerkt, dass der Zug schon in Deming eingelaufen war und dort kurz angehalten hatte. Wie in einem Traum hörte er das Bimmeln einer kleinen Glocke, und schon war der Zug auch schon wieder zuckelnd unterwegs. Der nächste Bahnhof, das wußte Professor Wurm, war Lordsburg, und danach kam Benson, Arizona, bevor er endlich in Tucson ankommen würde. “Too-son,” wiederholte er im Geiste die Worte des Schaffners. “Too-son.” Professor Wurm räusperte sich. “Kennen Sie zufällig einen gewissen Doktor Pugh Sillanimity?” fragte er die dicke Dame vorsichtig. Mit plötzlich einsetzender Angst bemerkte Professor Wurm, wie die Gesichtsfarbe der dicken Dame von heiß-rötlich auf schneeweiß wechselte und danach ganz dunkelrot wurde. ‘Das kommt mir bekannt vor,’ dachte Professor Wurm nervös. ‘Das ist die reine Wut, die ich da in ihr hochsteigen sehe.’
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