Das ist eine Antwort auf eine Frage von T_E in #12 hier:
Siehe auch: Intensivkurse - #12Die Diskussion dort beschäftigt sich mit Sprachkursen allgemein und ich denke das Thema der Zeichen verdient seinen eigenen Bereich. Falls es etwas "herausgerissen" klingt, das Folgende hab ich vor einiger Zeit schonmal einem Freund auf dieselbe Frage geschrieben und nur noch das letzte Beispiel angefügt:
Was die Sprache selbst angeht, gibt's auch Unterschiede. Der wichtigste liegt sicher in der Schrift. Taiwan benutzt (wie auch HK) traditionelle Zeichen, China vereinfachte. Im Rahmen der Kulturrevolution hat man damals in China viele Zeichen "beschnitten", andere ganz wegrationalisiert. Man wollte damit das Analphabetentum bekämpfen, eigenartigerweise ist das aber in % in China immer noch höher als in Taiwan und HK. Naja, vielleicht lags ja doch nicht an der Schrift...
In Taiwan werden sie Dir erzählen, daß traditionelle Zeichen die einzig wahre Chinesische Schrift ist. In Peking werden sie Dir erzählen, daß sich vereinfachte Zeichen viel leichter lernen lassen. Klingt ja auch irgendwie einleuchtend, ist aber meiner Meinung nach nicht unbedingt der Fall. Die Vereinfachungen bauen stark auf der Aussprache auf - auf Kosten des Sinngehalts der Zeichen. Für Chinesen, die als Kind zuerst Sprechen lernen, mag das funktionieren. Als lernender Ausländer versucht man aber doch eher, Sinn aus den Zeichen zu machen, und das ist bei den vereinfachten oft schwieriger. z.B. ist Nudeln und Gesicht vereinfacht dasselbe Zeichen (面), da die Aussprache gleich ist. Traditionell sind das aber zwei verschiedene. Die traditionelle Nudel (麵) gibt mir einen Hinweis, daß die Ausprache ähnlich dem "Gesicht" ist (面 rechts) aber die ganze Sache etwas mit Weizen (麥 als Radikal links) zu tun haben muß (麥+面=麵). Für mich macht das mehr Sinn.
Traditionelle Zeichern haben mehr Striche und das kann ein Vor- und Nachteil sein. Vorteil, da Du beim Lesen mehr Anhaltspunkte hast, die Zeichen auseinanderzuhalten, siehe Nudel-Beispiel. Einige vereinfachte unterscheiden sich manchmal nur durch einen Punkt untereinander, was beim Lernen und Lesen zu Verwechslungen führen kann, z.B.方万 oder 实买. Der Nachteil liegt im Handschreiben, da mußt Du natürlich auch jeden Strich richtig zu Papier bringen. Aber wer schreibt heutzutage schon noch lange Texte per Hand? Beim Tippen schreibt der Computer alle Striche auf den Schirm, Du mußt nur erkennen, ob es das richtige Zeichen ist.
Außerdem verringert die geringere Strichzahl einzelner vereinfachter Zeichen nicht das Lernpensum für die gesamte Sprache. Um nochmal auf die Nudel zurückzukommen: Du lernst also 面 vereinfacht und traditionell als Zeichen für Gesicht. Im vereinfachten hast Du damit auch das Zeichen für Nudel gelernt und Dir den ganzen Kram auf der linken Seite des trad Zeichens gespart, ja? ... Wirklich? Sobald Du das erste mal zu McDonalds gehst, wirst Du auch mài in deren chinesischem Namen Mài-dāng-láo lesen. Das ist "Weizen" wie schon oben beschrieben und damit hast Du nun den linken Teil der Nudel doch lernen müssen. :-) Und die beiden Teile dann zusammenzuziehen dürfte wohl ein Klacks sein.
Das trifft auch auf Vereinfachungen innerhalb von Zeichen zu, z.B. trad: 說, vereinf: 说 Der einzige Unterschied ist die einfachere Schreibweise des linken Teils, wo 言 aussieht wie ein i. Nun wird aber 言 als Einzelzeichen genauso in der vereinfachten Form verwendet und auch z.B. in t:信 = v:信. Lernen mußt Du also diese Striche sowieso, aber in den traditionellen Zeichen hilft es Dir, den Zusammenhang zwischen 說 und 言 ("sprechen" und "Sprache, gesprochenes Wort") sofort zu erkennen.
Noch ein letztes Bsp. Ich hab in meinem Beitrag oben erwähnt, wie ich "Osten" gelernt habe. Sonne (日) lernst Du relativ früh und auch Holz (木). Am Morgen, nachdem die Sonne gerade über den Horizont gestiegen ist, sieht man sie noch hinter den Bäumen: 東. Die Sonne geht im Osten auf, 東=Osten. Nun versuch die Geschichte mal mit dem vereinfachten Zeichen 东!
Einigkeit herrscht idR darin, daß es leichter ist von traditionellen auf vereinfachte Zeichen umzusteigen, als umgekehrt.