Kommentar | Almeran ging zunächst etwas hin und her, setzte sich aber bald in die warme Sonne und begann aufzuschreiben, was ihm sogleich an Zusammenhängen auffiel, um sich ein deutliches Bild seiner Vermutungen anzufertigen, aus dem er weitere Schlüsse würde ziehen können. Zuerst dachte er über die Bezeichnung „Ort der Erneuerung unseres Volkes am heiligen Wasser“ für das heutige Grauenfels nach, oder besser, die an dieser Stelle entstandene Wehrburg gleichen Namens, wozu ihm auch gleich etwas einfiel. Das alte Blutelfenvolk – wenn es eines war, denn einen Beweis für diese Bezeichnung oder gar eine Vorstellung, was hinter diesem Begriff stecken mochte, hatte der Druide noch immer nicht - musste sich also hier „erneuert“ haben, was immer damit auch gemeint war. Da es schon damals, erst Recht heute, nur noch Ruinen waren, musste dieses Volk der Tel’Runyara diesen Ort Nen’Harum schon vor langer Zeit verlassen haben. Oder wurden sie dazu gezwungen? Vielleicht waren sie auch ganz einfach ausgestorben, wie die ehemaligen Bewohner der Burg Grauenfels. Fest stand für Almeran, dass diese alten Elfen, denen er noch gedient hatte, mit Sicherheit Nachfahren dieses Volkes namens Tel’Runyara waren, allerdings auf Almeran einen fast normalen Eindruck machten, wenn man davon absieht, dass die Bewohner der Burg diese damals nie um den Vollmond herum verließen und sich in diesem meist grauen, so oft nebligen Tal sehr wohl fühlten. Seltsam war daran aber wiederum, dass die Werwölfe diese Nachkommen nicht angegriffen hatten, obwohl sie doch auch deren Feinde sein mussten. Und hier fand er einen Denkfehler. Die Werwölfe hätten diese Elfen bestimmt auch angegriffen, wenn sie auch eine Gefahr für die Werwölfe dargestellt hätten. Diese „Erneuerung“ musste daher bedeuten, dass in Grauenfels Elfen lebten, die eben keine Blutelfen mehr waren, sich also vom Bluttrinken vor langer Zeit befreit und damit „erneuert“ hatten. Dennoch hatten sie die Angst vor den Werwölfen nie verloren und hatten wohl auch noch Probleme mit dem hellen Sonnenlicht, weshalb ihnen die Wetterlage im Nebelgrund sehr entgegen kam. Vielleicht war mit „heiligen Wassern“ gar der Schleierbach gemeint, der diesen beständigen Nebel hervor brachte. Dann musste auch die Todfeindschaft zwischen den richtigen Blutelfen und den Werwölfen wahr sein. Allerdings wollten diese Untiere schon seit Almerans Anwesenheit jeden Knaben töten, der sich in Richtung der Rotfell-Spitzen zum Vollmond aufmachte, also diesen „Pfad der Opfer“ beschreiten wollte und das in einer Art geistiger Abwesenheit. Diese Knaben mussten folglich gefährlich für die Werwölfe sein, ebenso wie Telmy. Bei ihm gab es Anzeichen für einen in ihm steckenden Blutelfen, aber, was wollten die Werwölfe von Knaben, Kindern von Menschen? Dies blieb im Moment offen. Almeran ahnte nun, dass Telmy, das Findelkind, von Wesen abstammte, die wiederum selber von Blutelfen abstammten oder gar welche waren, da manche Eigenschaften bei der Vererbung ganze Generationen übersprangen.
Der Blick des Druiden fiel nun auf diesen „Pfad der Opfer“. „Höhlen der Wächter“ konnte nichts anderes heißen, als dass hier jemand auf etwas aufgepasst, dieses be- oder überwacht hatte. Da diese Höhlen direkt neben dem „Pfad der Opfer“ lagen, musste es eine Bewachung des Pfades, besser des damaligen Hauptweges zwischen Nen’Harum und dem „Ort der Erneuerung“, wie die Karte zeigte, gewesen sein. Wahrscheinlich war es ursprünglich tatsächlich nur eine Art Pfad, der beide Orte miteinander verband. Aber, nachdem der zuerst vorhandene Weg von Osten her über die Schattenebene – die „Brutstätten des Feindes“ – aufgegeben werden musste, nach einer nicht näher benannten Schlacht, die verloren ging, wurde der Pfad ganz bestimmt ausgebaut und verbreitert. Jetzt wurde dem Druiden auch klar, warum hinter der Burg der Pflasterweg in voller Breite weiter am Berghang in Richtung Norden führte, um am nahen Waldrand zu einem Steig zu werden – der Weg war nur zugewachsen, unter Laub und Erde verschwunden, weil er nicht mehr voll umfänglich gebraucht worden war. Seit den Zuständen, die auf dieser kleinen Karte abzulesen waren, musste sehr viel Zeit vergangen sein. Und noch weiter zurück lag die Nutzung dieses alten, irgendwann aufgegebenen Ostweges. Anscheinend gab es dort zuerst keine Werwölfe auf der Schattenebene, wie diese „Brutstätte des Feindes“ heute genannt wurde und dieses Blutelfenvolk konnte den einstigen Weg ungehindert passieren. Aus irgendeinem Grund musste es später aber dann ein massiertes Auftreten von Werwölfen in dieser Hochebene gegeben haben, die den Weg letztlich blockierten, vielleicht durch immer mehr Überfälle. Kein Wunder, wenn da eine Todfeindschaft im Spiel war. Das könnte dann zu einem Kampf, einer Schlacht, geführt haben, welche das Volk der Tel’Runyara verlor. Almeran hatte schon oft von den Berggipfeln des Hochgebirgskammes zwischen dem Nebelgrund und der Schattenebene auf diese hinabgeblickt und in der ganzen Ebene einen undurchdringlichen, üblen, niedrigwüchsigen Urwald festgestellt. Sollte diese Art des Bewuchses, der sicherlich von entsprechenden Boden- und Witterungsverhältnissen, vor allem wenig Regen, herrührte, dort schon immer vorhanden gewesen sein, war es für ihn nicht weiter verwunderlich, dass dort selbst eine ganze Armee keine Gewinnaussicht gegenüber einem entschlossenen, hinterhältig schleichenden und so fürchterlichen Gegner wie Werwölfe haben konnte, selbst wenn diese in einer Unterzahl waren. Durch den Verlust der Kontrolle über die Schattenebene musste das Blutelfenvolk gezwungen gewesen sein, einen neuen Weg nach Osten zu finden, der sicherlich weiter östlich wieder auf den alten Weg stieß, was man heute aber bestimmt nur noch feststellen konnte, wenn man diese Tatsache kannte und den alten Weg suchte. |
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