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  • Betrifft

    Seelenleid und Seelenfreud

    Kommentar
    Die Karte zur Orientierung in der Umgebung, in der diese Geschichte spielt, findet sich hier:

    Übersicht
    VerfasserJean-Louis13 Jan. 09, 14:05
    Kommentar
    Die kräftigen Pferde zogen gleichmäßig den Planwagen auf dem etwas staubigen, aber ebenen Weg nach Eleanor. Ein alter Mann, dem das Leben ins Gesicht geschrieben stand, hielt die Zügel in den Händen. Ihn fröstelte trotz der dicken Decke, die er sich umgelegt hatte, war es doch schon merklich kühl, vor allem am frühen Morgen im Spätherbst. Auch die junge, schöne Elfenfrau, die sich liebevoll an seine Seite schmiegte, konnte ihm nicht genügend Wärme schenken, weil auch sie in dicke Decken gehüllt fror. Beide konnten sie nun in einiger Entfernung die Mauern der Stadt sehen, zu der sie wollten, als der Weg den Wald verließ und er daran dachte, dass sie erst vor kurzem dort gewesen waren.

    Zusammen mit seiner Frau war Arwin damals von Hohenerzberg nach Schwarzberg gereist, eine schöne Stadt, die von einer Freundin für erfolgreiche Handelsgeschäfte empfohlen worden war. In Eleanor hatten sie eine Zwischenstation eingelegt und auf der Rückreise, diesmal nach Aronas, abermals kurz in Eleanor verweilt. Der Weg führte sie dann nach Hallingen, woher sie nun mit nur einer Unterbrechung wieder zurückkehrten. Schon seltsam, wie sich in der kurzen Zeit alles verändert hat, dachte er sich und dann daran, dass er damals noch jünger und kräftiger war. Auch über seine ganze Vergangenheit grübelte er nach, wie sein Leben so verlaufen war, während die braven Pferde einen Schritt nach dem anderen machten. Ihm fielen manche Begebenheiten ein, vor allem jene, die nun schon zum Teil weit mehr als 25 Jahre zurück lagen, darunter auch das schreckliche Ereignis, welches ihn letztlich als Jüngling nach Hohenerzberg geführt hatte. Seine Geschichte begann nämlich zu derjenigen Stunde in seiner Kindheit, als für alle anderen aus seiner Familie das Leben endete.

    Es war ein Tag wie so viele andere vorher auch und er war hinuntergegangen zum See, um Fische zu fangen. Diesmal hatte er Glück und schon zwei große Karpfen aus dem trüben Wasser am Schilfgürtel gezogen, als ein Rauschen ihn zum Himmel aufschauen lies. Ein feuriges, glühendes Ungetüm zog eine brennende und rauchige Bahn durch die Luft, direkt in Richtung des Hauses seiner Familie. Ehe er begreifen konnte, was das sein könnte, war es schon über ihn hinweg geflogen. Er sprang auf und wollte zurück zum Haus laufen, da gab es einen gewaltigen Knall, eine Feuer- und Rauchsäule stieg hinter dem Wald mit ohrenbetäubendem Lärm auf und eine ungeheuere Sturmwelle riss ihn von den Füßen. Nach einiger Zeit kam er wieder zu sich, knapp vor dem Ufer des Sees liegend. Außer ein paar Prellungen und einer Beule war er unversehrt, so dass er aufstand und so schnell wie es möglich war zum Haus rannte. Im Wald fand er große Verwüstungen vor, überall geborstenes Holz, Glutnester schwelten und an manchen Stellen brannte es lichterloh. Hinter dem Wald war alles schwarz und zu Asche verbrannt. Dort, wo das Haus einmal stand, befand sich ein großes, rauchendes Loch. Alle waren sie tot, seine ganze Familie ausgelöscht innerhalb eines Atemzuges. Nichts, aber auch gar nichts, blieb übrig von ihnen. Nur Asche, verbrannte Erde und diese Hitze aus dem Loch waren allgegenwärtig. Er stolperte mit wirren Gedanken davon, bis er außerhalb der Zerstörungen ankam und dort in einer kleinen Höhle übernachtete. Am nächsten Morgen ging er zurück, weil er dachte, alles sei ein Traum, nur ein böser, nicht wahr sein könnender Traum, gewesen. Doch das Loch, die Verwüstungen und auch die Hitze blieben Wirklichkeit - und der Tod aller, die er geliebt hatte, die ihn geliebt hatten, war so deutlich zu spüren, wie noch nie vorher ein anderes Entsetzen. Er taumelte umher, suchte nach irgendetwas, fand lange nichts - doch dann ein Amulett. Das, welches seine kleine Schwester Alivia als Glücksbringer um den Hals getragen hatte. Kein Glück, kein schönes, langes Leben an der Seite des Mannes, den sie hätte lieben können, sollte ihr vergönnt sein. Er lebte, ja er lebte - aber um welchen Preis. Er wünschte damals, das Himmelsfeuer hätte ihn verbrannt und alle anderen würden noch leben.
    #1VerfasserJean-Louis13 Jan. 09, 14:13
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    Sehr bald verließ er diesen Ort seines persönlichen Grauens, noch halb Kind, schon halb Mann. Von elenden Menschenschindern während des Umherirrens in den nächsten Tagen eingefangen und danach gnadenlos ausgebeutet, manchmal wie ein Tier lebend, wuchs er heran und wurde stärker und stärker. Nach etlichen Jahren, als er die ständigen Erniedrigungen und den Spott wegen seiner verlorenen Herkunft nicht mehr ertragen konnte, sprengte er seine Fesseln, brach aus, erschlug seine Peiniger und verbarg sich viele Monde weitab jeder Menschenseele aus Angst vor den Häschern, die bestimmt hinter ihm her waren. In dieser Zeit lernte er, mit und von der Natur zu leben und zu überleben. Eines Tages hatte er es dann geschafft - er kam nach einem langen Weg durch die Wildnis wieder dort an, wo einst sein Zuhause gewesen war. Die schlimmen Narben im Wald, in den Wiesen und den Feldern seiner Familie waren geheilt. Das in seiner Erinnerung heiße und rauchende Loch war zu einem schönen, kleinen See geworden. Auch hoffte er, nun sei sein Seelen- und Herzensleid erloschen, denn das damals an diesem ehemals wundervollen Ort so grauenhaft Erlebte war längst zur blassen Erinnerung geworden. Doch - er täuschte sich. Am Rande des Sees sah er eine blutrote Wildrose wachsen und ging nahe an sie heran, um seine aufkommende Wehmut mit ihrem Duft zu betäuben. Gleich bemerkte er eine goldene Kette um eine besonders große Blüte, die einzige, welche weiß und mit roten Sprenkeln gezeichnet war. Die Kette erkannte er als zum Amulett seiner kleinen Schwester gehörend, nahm sie vorsichtig ab, fädelte sie in das über all die schlimme Zeit gerettete Amulett ein und hing es sich um den Hals. Ihm war, als ob in diesem Augenblick die roten Sprenkel auf der einzigen weißen Blüte der Wildrose die Form von Tränen annahmen und er hörte ein kleines Mädchen hinter sich weinen, ganz leise. Er drehte sich zögernd um, trat an das Ufer, kniete sich hin und sah in den spiegelglatten See, aber an Stelle seines Spiegelbildes das flehende, angstvolle Gesicht von Alivia. Er erschrak fast zu Tode, sprang auf und rannte und rannte, bis er nicht mehr konnte. Seit dem war er nie wieder dort gewesen.

    Die aufgeflammte, furchtbare Erinnerung trieb Arwin nun durch das Land - verzweifelt und ohne jeden Sinn. Schließlich führte ihn das plan- und ziellose Umherziehen dann doch auf einer breiten Handelsstraße zu einer sehr großen Stadt. Vor dem Tor angekommen, bemerkte er gleich die misstrauischen Blicke der Wachen und gesellte sich daher rasch zu einem Ochsenkarren, den er fleißig mit anschob - in der Hoffnung, er könne so mit in die Stadt gelangen. Die Stadtwachen waren zwar groß und kräftig, machten auch einen Respekt einflößenden Eindruck in ihren glänzenden Rüstungen mit den langen Hellebarden – aber sie waren ebenso einfältig, weshalb die kleine List gelang. Der alte Bauer, der dem Ochsenkarren voranging, war zu Arwins Glück nicht nur den Wachen wohlbekannt, sondern auch noch schwerhörig. Als ihn eine der Wachen grüßte und fragte, ob er denn einen neuen Knecht hätte, antwortete der Alte nur mit „Ja, ja“, woraufhin ihn der Wächter durchwinkte und Arwin mit in die vor Bewohnern nur so wimmelnde Stadt gelangte. Bei einem flüchtigen Blick zurück stellte er fest, dass sich die Wächter bereits wieder über wichtigere Dinge zu unterhalten schienen, als über den vermeintlich neuen Knecht des alten Bauern. Arwin fühlte sich erleichtert und bedrückt zugleich. Einerseits war er endlich, nach so langer Zeit, wieder unter Menschen, mit einer Zuversicht, dass nun alles besser werden würde – andererseits aber besaß er nichts und wusste nicht, was ihn erwarten würde. Nur seine Willensstärke und die körperliche Kraft würden ihm helfen, sich in dieser Stadt behaupten zu können. Noch nie vorher hatte er derartige Bauwerke gesehen und auch nicht so manches Wesen der verschiedenen Rassen, die es hier gab.
    #2VerfasserJean-Louis14 Jan. 09, 09:40
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    Allein auf sich gestellt durchschritt er die Gassen und begegnete Gestalten, die noch zerlumpter umherliefen als er selbst. Trotzdem fühlte er sich nicht wohl und verdiente sich in den nächsten Tagen mit einigen Gelegenheitsarbeiten soviele Goldstücke, dass er davon mehr schlecht als recht leben und eine billige Herberge bezahlen konnte. Und, es reichte etwas später sogar dafür aus, um am Zeughaus nahe am großen Marktplatz der Hauptstadt Hohenerzberg - wie er inzwischen erfahren hatte - für würdig genug befunden zu werden, damit man ihm eine einfache Rüstung und Schwerter verkaufte. Die ersten Duelle, die er mit anderen Anfängern auf dem Übungsplatz bestand, gewann er vollkommen überraschend – natürlich nur mit stumpfen Holzwaffen, doch dann verlor er nur noch. Ein natürliches Geschick im Schwertkampf allein reichte nicht aus, um sich gegen Gegner durchsetzen zu können, die schon mehr Erfahrung hatten. Etwas enttäuscht und des Staubes auf dem Übungsplatz überdrüssig, schloss er sich dann verschiedenen Gruppen zum Jagen in den angrenzenden Wäldern an, verkaufte die erlegte Beute gut und konnte mit dem Erlös eine bessere Ausrüstung erwerben. Er wurde immer geübter und erbeutete bei Kämpfen gegen Orks ein sehr gutes Schwert. Von da an konnte er auch auf dem Übungsplatz öfter wieder den Sieg genießen, so dass er nun ab und zu dort doch mal vorbeischaute und sich mit verschiedenen Gegnern maß. Auch bei den Jagden war er mit der besseren Waffe erfolgreicher. Dazu konnte er sich in der königlichen Akademie erste magische Kenntnisse aneignen - für einen Menschen zwar ungewöhnlich, doch die Feuermagie interessierte ihn schon seit Kindesbeinen an. Nach und nach lernte er verschiedene Personen kennen, die langsam zu seinen Freunden wurden. Irgendwann traf er zufällig eine junge Elfe namens Halica in der Nähe des Übungsplatzes. Zwar verlor er die ersten Wettkämpfe gegen sie, doch etwas in ihm sagte, dass dies gut so sei. Immer wieder traf er auf sie. Je öfter er ihr begegnete, desto lieblicher und anziehender empfand er sie und schon bald konnte er von weitem ihren Duft wahrnehmen und wusste: Ja, sie ist da!

    Von nun an eilte er jedes Mal mit Schmetterlingen im Bauch in die Stadt, wenn er von einer Jagd zurück kam und schaute gleich an ihrer kleinen Bognerwerkstatt vorbei, ob ihre zarten Hände wieder fleißig waren. Fand er Halica dort nicht, rannte er geschwind zum Übungsplatz, da sie vielleicht dort ihre Fähigkeiten erweiterte. Es trieb ihn hin und her, da er nicht wusste, wie er ihr sagen sollte, dass er sie sehr mag. Nachdem sie ihm mühsam die Grundkenntnisse im Bogenschießen beigebracht hatte und er doch eine gewisse Begabung dafür zu haben schien, wollte er sich als Bogner versuchen, nur, um ihr nahe sein zu können. Doch schon die erste Unterrichtsstunde in der Theorie verlief anders, als erwartet. Er hatte nur Augen für seine Lehrerin, starrte sie an und bekam überhaupt nicht mit, was sie da erklärte - so konnte er das Bognerhandwerk nicht erlernen, was ihn etwas entmutigte. Deshalb ging er dann lieber in den Wald, um Holz zu schlagen und danach im Sägewerk aus den Stämmen noch Bretter zu schneiden, die er jedes Mal mit großer Freude in ihre Bognerwerkstatt trug, damit sie genug Material für Pfeile und Bögen hatte. So fand er eine Arbeit, die besser zu seinen groben Händen passte und konnte bei den doch eher einfachen Tätigkeiten von ihr träumen, seinem kleinen Elflein. Für das Bogenschießen an ihrer Seite gab er gern die nur zäh zu erlernende Feuermagie auf, denn in ihren Augen strahlte schon länger eine besondere Glut, der er sich nicht mehr entziehen konnte. Schließlich sagte er ihr, wie sehr er sie liebt und war überglücklich, dass sie genauso empfand.

    Fortan verbrachten sie die Tage so oft wie nur irgend möglich zusammen, auf dem Übungsplatz natürlich nur gegeneinander kämpfend – oder besser gesagt, eher rumalbernd, oder bei vielen Jagden, zunächst mit anderen zusammen, doch mehr und mehr allein, weil sie sich immer mehr ineinander verliebten. Sie waren beide sehr fleißig. Er arbeitete nach wie vor im Wald und im Sägewerk, damit sie auch weiterhin genügend Holz für das Herstellen von Pfeilen und den Bogenbau hatte, womit sie sich ihren Lebensunterhalt sicherten, da die hochwertigen Bögen gern gekauft wurden. Immer größer wurde der Personenkreis der Kunden und Arwin begann zusätzlich, Handel mit verschiedenen anderen Waren zu treiben. Schließlich gingen beide auf Reisen durch das Land und sahen sich die schönen anderen Städte an. Dadurch konnte der Handel erweitert werden und wurde noch erfolgreicher, was den beiden einen ansehnlichen Wohlstand bescherte. Etwas später beschlossen sie, sich dort niederzulassen, wo es ihnen am Besten gefallen würde. Die Entscheidung hierzu drängte nicht, wurde aber von Tag zu Tag wichtiger. Sie sagte ihm damals nur ein Wort: „ausgeblieben!“
    Zunächst begriff er gar nicht, was sie da sagte, doch dann wurde ihm ums Herz warm wie nie zuvor in seinem Leben und sie schenkte ihm damit den bis dahin glücklichsten Moment seines Lebens.
    #3VerfasserJean-Louis14 Jan. 09, 11:44
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    In der Stadt Eleanor

    Die Gedanken des alten Mannes kehrten in die Gegenwart zurück und über das faltige Gesicht zog sich ein schmunzelndes Lächeln, besonders deshalb, weil er sich freute, alles noch so gut im Gedächtnis verwahrt zu wissen. Die List gegenüber den Stadtwachen von Hohenerzberg konnte ihn noch immer zum Lachen bringen. Seine nach wie vor hervorragende geistige Regsamkeit verwunderte ihn nicht, auch nicht seine geliebte Frau, wussten sie doch beide seit einigen Tagen, was ihn so schnell altern ließ. Nur der Körper war von dieser schrecklichen Krankheit befallen, nicht der Geist – der war gesund und die Sinne wie eh und je hoch empfindsam für alles, was um ihn herum geschah.

    Der Halt am Stadttor von Eleanor riss ihn aus seiner Gedankenwelt, doch er musste nichts weiter tun, weil seine wunderschöne Elfe neben ihm das Notwendige mit dem Wächter besprach. So konnten beide gleich weiterfahren, in die Stadt hinein. Sie hörten das Gespräch der Stadtwachen nicht.

    „Was für ein ungleiches Paar. So ein alter Mann mit einer derart schönen Elfe, wie man sie selten sieht.“
    „Ja, schon merkwürdig. Wenn ich da an meine Alte daheim denke. Wie bin ich bloß an so einen menschlichen Drachen geraten? Wie würde mein Leben schöner verlaufen, mit einer hübschen Elfe an meiner Seite…“
    „Ach, du alter Depp. Was schimpfst du wieder über deine Frau? So versoffen wie du bist, du warst doch schon vorher so – sei froh, dass sie dich überhaupt genommen hat. Ich habe es nicht so gut, bin allein, niemand kümmert sich, keiner macht mir spät in der Nacht noch was zu essen!“
    „So? Wer bekommt denn in der Nacht noch was Gutes für den Magen?“
    „Na du! Wer denn sonst? Hast du nicht erst erzählt, immer wenn du mitten in der Nacht nach Hause kommst, kocht deine Frau vor Wut?“

    Der Alte lenkte sein Gespann nun zu einem bestimmten Platz in der Stadt, dort wo die Taverne „Felsenkeller“ zu finden war. In einer nahen Remise stellte er den Wagen und im angebauten Stall die Pferde unter. Er bezahlte für einige Zeit im Voraus. Dann trugen er und seine Elfe ihre Bündel hinüber zur Taverne, wo er für beide ein Zimmer nahm. Es fiel ihm sichtlich schwer, die Treppe mit der Last hinaufzusteigen, ohne sich am Handlauf festzuhalten. Schweigend ging sie voraus – auf der langen Fahrt und nach dem Besuch der Hexe Auinaya hatten sie alles besprochen. Seinem Körper war nicht mehr zu helfen, zu schnell schritt der Verfall voran. Im Zimmer angekommen richtete Halica sich rasch ein, damit sie die nächsten Tage dort verbringen konnte. Sie wusste, dass er nicht noch einmal zurückkommen würde, wenn er zum letzten Mal die Tür hinter sich schloss. Sie dachte zurück, an die Zeit des Anfangs, an das Kennen lernen im Jahre 532 nach dem Bürgerkrieg - wie schwierig es war, die kleine Bognerwerkstatt aufzubauen in Hohenerzberg, wo es doch schon einige davon gab und dafür zu sorgen, dass ihr Handwerk unter einem guten Namen bekannt wurde.
    #4VerfasserJean-Louis14 Jan. 09, 13:36
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    Sie hatten etwas später geheiratet und im vierten Jahr eine Tochter bekommen – Maya. Aus ihr wurde eine ebenso schöne wie mutige Kämpferin, die vor einem Jahr in ein anderes Land ging. Nachdem das Haus leer geworden war, beschlossen beide, wieder gemeinsam zu jagen und auch mehr zu reisen, weil der inzwischen noch gewachsene Wohlstand es ihnen erlaubte, nicht mehr arbeiten oder Handel treiben zu müssen. Sie waren um jeden gemeinsamen Tag dankbar und froh, den sie zusammen noch verbringen durften, doch nun war es an der Zeit, Abschied zu nehmen. Ihre ganze Hoffnung lag in dem Bannspruch, den Auinaya ihm mitgegeben hatte. Halica sollte warten, ob schon bald ein anderer Mann nach Eleanor kommen würde, um sie zu finden. Mit einem Grauen stellte sie sich vor, wie sie Tag für Tag aus dem Fenster starren würde, um da zu sein, damit sie die Seele ihres Mannes in einem neuen Körper erkennen und wieder in die Arme schließen dürfte.

    Er war soweit. All seinen Besitz, den er nicht mehr gebrauchen konnte, hatte Arwin bereits verkauft oder zum Kauf angeboten. Was niemand wollte, würde sie für ihn verschenken. Sollte die letzte Möglichkeit, dem Schicksal wenigstens ohne Körper zu entkommen, versagen, würde seine Elfe zumindest für die Zukunft abgesichert sein. Beide saßen nun auf dem Bett ganz still nebeneinander und hielten sich gegenseitig die Hände – seine groß, fleckig, runzelig, alt, ihre dagegen fein, glatt und mit seidiger Haut, wie ihr ganzer Körper. Er sah in ihre wunderschönen grünen Augen, in denen er sich schon tausendmal verloren hatte, hinein gesunken war und nicht wieder daraus auftauchen wollte. Dann strich er ihr über ihre langen, blonden und lockigen Haare und bewunderte noch einmal die makellose Schönheit ihres Gesichtes. Doch gerade diese Eindrücke schmerzten jetzt umso mehr und so riss er seinen Blick los und erhob sich. Er sprach nur einen Satz: „Wir sehen uns wieder!“

    Dann drehte er sich rasch um, damit sie seine Tränen nicht sehen konnte, ging hinaus und das Schnappen des Türschlosses war für sie wie ein Schlag ins Gesicht. Der beginnende Strom ihrer Tränen schien endlos werden zu wollen und leise schluchzend ging sie zum Fenster, um solange zu warten, bis sie ihn noch einmal würde weggehen sehen, wenn er aus dem Schankraum des Felsenkellers hinaus ins Nichts gehen würde, um alsbald sein Ende und hoffentlich sogleich den neuen Anfang für sie beide zu finden.

    Mühselig waren seine Schritte die Treppe hinunter, Stiege für Stiege, nach jeder fünften kurz verschnaufend. Der Weg bis zum Schankraum schien sehr lange für den alten Mann, der nur noch auf einen Stock gestützt gehen konnte. Sein Haar war kurz wie eh und je, aber fast weiß mit einem silbrigen Stich. Sicherlich würde ihn niemand mehr erkennen, nicht einmal, wenn er noch vor einigen Monden ein persönliches Gespräch mit ihm geführt hätte. Endlich war ein Tisch erreicht und der Alte setzte sich auf die Bank an der Wand. Jetzt würde er sich ein dunkles Bier bestellen, gleich eine ganze Maß – und dann vielleicht noch eine. Nur so würde er den letzten Schritt ertragen können – mit leicht benebelten Sinnen.
    #5VerfasserJean-Louis14 Jan. 09, 16:01
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    Er sah sich um, während eine Schankmagd die Bestellung aufnahm und rasch den vollen Krug brachte. Mit langen Zügen genoss er den edlen Gerstensaft. Es war viel Volk in der Taverne, doch ein bekanntes Gesicht konnte er nicht ausmachen, weshalb er wieder in Gedanken versank. Der Tischnachbar mochte gedacht haben, den Alten habe der Schlaf übermannt, aber dieser saß nur mit fast geschlossenen Augen nachdenkend da und beobachtete dabei mit klaren Augen das Treiben im Schankraum, lärmende Geräusche dabei so weit wie möglich ausblendend.

    Seine Gedanken gingen zurück zu einer längeren Jagd, auf der er allein war und sich verlaufen hatte, zum ersten und einzigen Male, übrigens. Irgendwo auf der Stecke von Hohenerzberg nach Eleanor irrte er sich im finsteren Laubwald südlich des Weges in der Richtung und kam nach vielen Stunden an den Rand eines gefährlich scheinenden Sumpfes. An diesem noch ein Stück entlanggehend stieß er auf ein kleines, leicht windschiefes aber doch in gutem Zustand sich befindendes Häuschen, wohl nur halb so groß, wie es Menschen bauen würden. Davor befand sich ein blühender kleiner Garten hinter einem für ihn nur kniehohen Holzzaun aus rohen, dünnen Holzstangen mit vielen Beeten, in denen hauptsächlich allerlei verschiedene Kräuter wuchsen. Vor einem dieser Beete kniete eine kleine Frau in einfacher, aber bunter Leinenkleidung in einem schmalen Weg, die vor sich hin summend Unkraut hackte. Er blieb am kleinen Gartentor stehen, um die Frau nicht zu erschrecken und rief sie freundlich an, sich sogleich mit seinem Namen vorstellend und sagend, dass er sich verlaufen hätte.

    Die Hexe Auinaya

    „Kommt nur herein, in meinen Garten, Fremder. Ich weiß schon geraume Zeit, dass ihr kommen werdet“, erwiderte die Frau, ohne sich umzudrehen und erhob sich. Arwin wunderte sich zwar über die Bemerkung, dass sie ihn erwartet hätte, stieg aber kurzerhand über das Gartentürchen hinweg und ging die paar Schritte vorsichtig den Weg durch die Beete. Als sie sich gegenüber standen und die Hände gaben, erkannte er, dass diese Frau sehr alt sein musste und nicht der menschlichen Rasse angehörte – wahrscheinlich dem Volk der Zwerge zugehörig. Doch das war nur eine Vermutung.
    „Ich würde euch gern einen Platz anbieten, aber, ihr seht ja selbst, dass sich meine Stühle nicht für euch eignen.“
    „Oh, wertes Mütterlein, seht, der Hackstock dort scheint wie für mich gemacht“, antwortete er und ging noch die paar Schritte bis zu ihrem Holzplatz - gleich neben einer Treppe gelegen, die hinunter in den Keller des Hauses führte. Dort setzte er sich hin, weil er das Gefühl hatte, die alte Frau würde ihn nicht ohne ein längeres Gespräch wieder gehen lassen und er wollte auch noch nach dem richtigen Weg zurück fragen. Er hatte richtig vermutet, ging sie doch rasch mit wackligen Schritten ins Haus und kam nur einige Atemzüge später wieder mit einem Tablett voller Geschirr und wohl selbstgebackenem Kuchen wieder heraus. Sie baute alles auf einem Tisch auf, der nur zwei Schritte vom Hackstock entfernt gleich an der Hausecke stand und setzte sich auf einen Stuhl in die Sonne. Sie legte ihre Hände in den Schoß und lächelte ihn an.

    „Greift zu, lieber Besucher, nehmt nur ruhig gleich den ganzen Kuchen in die Hand, da spare ich mir wenigstens das Aufschneiden“, meinte sie mit einem Kichern und blitzenden Augen. Er ging die zwei Schritte zum Tisch, nahm den kleinen Kuchen und eine sehr große Tasse mit einem Kräutertrunk, wie sie bemerkte, trat zurück und setzte sich wieder. Die Tasse erschien nur auf dem kleinen Tisch so groß, in seiner Hand doch eher klein.
    #6VerfasserJean-Louis15 Jan. 09, 09:24
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    „Mein Name ist Auinaya. Ich bin Kräutersammlerin, Seherin, Heilkundige und beherrsche noch dies und das.“ Etwas leiser sagte sie dann mit schelmischem Grinsen: „Manche glauben, ich sei eine Hexe. Dabei kann ich doch gar nicht viel und erwischt hat mich auch noch niemals jemand, obwohl sie mich immer wieder suchen. Ihr wurdet mir angekündigt – vor langer Zeit. Deshalb bin ich hier, ansonsten wäre ich gar nicht da.“ Mit dem letzten Wort und einem gerade noch hörbaren Fingerschnippen verschwand alles – das Häuschen, der Garten, die alte Frau. Nur der Hackstock und was er in Händen hielt, war noch da. Doch ehe er sich fragen konnte, wie das möglich sei und was das zu bedeuten hätte, erschien alles wieder so, wie er es gesehen hatte und die alte Frau ließ ihn gar nicht erst eine Frage dazu stellen.

    „Ja, ja, eine Hexe soll ich sein, mit dem Bisschen an magischen Künsten“. Kopfschüttelnd schenkte sie ihm neuen Tee ein, hatte er doch vor lauter Verwunderung schon die Hälfte des kleinen Kuchens aufgegessen und die Tasse leer getrunken. Er sagte ihr nun, dass er sich gar nicht vorstellen könnte, dass man nach ihr suchen würde, wo sie doch so eine nette Gesellschaft darstelle. Ihre Augen – mal waren sie schwarz, mal blitzten sie blau – nahmen eine gütige Ausstrahlung an und sie lächelte noch mehr. Offenbar hörte sie nicht oft freundliche Worte. Sie plauderten dann angeregt über die Veränderungen im Lande und er erzählte einfach so von seinem großen Glück, seiner Familie, seiner lieben Frau und besonders seiner Tochter Maya. Irgendwie hatte er gar keinen Argwohn, nein, die Worte kamen wie von allein aus seinem Munde. Dennoch überkam in das Gefühl, er würde ihr nichts Neues sagen, so, als ob sie all das schon wusste. Das war aber bestimmt nur eine Sinnestäuschung – dachte er sich damals. Nach einer Weile wollte er wieder gehen, da sie ihm auf das Genaueste den kürzesten Weg zurück nach Hohenerzberg beschrieben hatte und der Kuchen ganz verspeist war. Am Gartentor hielt sie ihn dann aber am Ärmel fest und sagte mit ernster Miene und fester Stimme:
    „Mein Lieber, merkt euch den Weg zu mir gut. Ihr seid nicht zufällig hier gewesen, sondern weil es sein musste. Bald schon, eher als euch lieb sein wird, werdet ihr wieder meinen Garten betreten.“ Das war im Juli 550 nach dem Bürgerkrieg, also vor gerade einmal 7 Jahren. Vergessen hatte Arwin diese Begegnung nie, sie war ihm im Nachhinein nämlich unheimlich geworden, weswegen er davon zuhause seiner geliebten Elfe zunächst auch nichts sagte.

    Nun hob er wieder den Kopf, sah mit etwas entrücktem Blick in die heitere Runde um seinen Tisch im Felsenkeller und nahm erneut einen großen Zug aus seinem Bierkrug, den er nur mit zwei Händen halten konnte. Es schien weder jemand hinzugekommen noch gegangen zu sein. So begann er darüber nachzudenken, was sich auf der langen Fahrt hierher ereignet hatte.
    #7VerfasserJean-Louis15 Jan. 09, 11:29
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    Von Hallingen aus ging es zügig nach Hohenerzberg, damit die notwendigen Handels- und Bankgeschäfte erledigt werden konnten, die sich inzwischen ergeben hatten. Sie hielten sich nicht lange in ihrem Haus auf, in dessen Erdgeschoß Halicas Bognerwerkstatt eingerichtet war. Nur das Nötigste wurde eingepackt, denn die sogleich folgende Reise sollte nicht weit gehen. Arwin hatte einen inneren Drang schon auf der Rückfahrt von Schwarzberg her verspürt, als sie durch den Wald fuhren, in dessen südlichem Teil der Sumpf und Auinayas Häuschen zu finden waren. Er hielt es nicht länger aus und erzählte Halica auf der Fahrt zwischen Aronas und Hallingen von seinem Erlebnis damals mit der alten Frau. Seine Elfe spürte sofort, dass diese Frau, die vielleicht gar eine Hexe war, etwas mit seiner „Krankheit“ zu tun haben musste. Daher verließen sie Hohenerzberg sehr schnell wieder und schlugen den Weg nach Eleanor ein, um in dem Waldstück, welches ihm von der misslungenen Jagd und der sonderbaren Begegnung mit der alten Frau bestens in Erinnerung war, zu rasten. Er versuchte auf dem Gang durch den Wald Halica und sich selber Mut zu machen, was ihre bereits traurigen Augen aber auch nicht aufhellen konnte. Sie gingen geradewegs bis an den Rand des Sumpfes und fanden auch das Häuschen nach kurzer Zeit. Die alte Frau war nicht zu sehen, der Garten bereits abgeerntet und winterfest gemacht. Arwin rief nach der Besitzerin, während beide durch den Garten bis vor die niedrige Haustür gingen.

    Die Tür öffnete sich. „Ja doch, ja doch. Ich musste mir etwas Warmes überziehen, weil ich euch doch nicht herein bitten kann“, sagte die Frau und trat hinaus, um sich auf den Stuhl am Tisch zu setzen, der an derselben Stelle stand wie bei der ersten Begegnung. „Ich wusste auch diesmal, dass ihr kommen werdet und ich ahne, warum. Man braucht euch nur anzusehen. Ihr selbst stellt eure Fragen dar!“

    Eine geteilte Seele

    Dann ergriff Halica das Wort und fragte ohne zu zögern, warum eine alte Frau im Wald wissen kann, was mit ihrem Mann nicht stimme, warum er so plötzlich und schnell altere. Auinaya überlegte etwas.
    „Einmal in 1000 Jahren geschieht etwas, dass sich im Grunde gar nicht verstehen lässt. Ein Kind entsteht – gleich welcher Rasse zugehörig – und im selben Augenblick ein weiteres. Normalerweise hat jedes Kind seine eigene Seele und es entsteht ein ganz normales Wesen, ob später gut oder böse, sei dahingestellt. Doch manchmal kommt es vor, dass es für gleichzeitig entstehende Kinder nicht genügend Seelen gibt, dann muss sich in dieser Notlage eine teilen und beseelt beide Kinder – sie werden zu Seelenverwandten ersten Grades. Seelen, die sich ähnlich sind, weil sie aus demselben Ursprung entstammen, kommen öfter vor. Das sind dann Seelenverwandte zweiten Grades. Bei eurem Mann aber geschah nun etwas, das so selten vorkommt, dass es allen - sagen wir „von Höherem wissenden Wesen“, zu denen ich mich zählen darf, mitgeteilt wurde. Bei der Entstehung von ihm musste sich eine Seele dritteln – er hat zwei Seelenverwandte ersten Grades bekommen.“

    Arwin saß bereits wie schon einmal auf dem Hackstock und hielt seine Elfe fest im Arm, weil sie weiche Knie bekam. Die Erklärung klang einfach nur unglaublich und beide bekamen Angst vor dem, was da noch kommen sollte. Sie hörten mit Bangen, was die Hexe Auinaya weiter von sich gab.
    "Für normal Sterbliche, und dazu zählt auch das Volk der Elfen – auch für sie kommt einmal die Zeit des Abschieds von dieser Welt, ist es schwer zu verstehen, dass es Dinge gibt, die nicht an die Zeit gebunden sind. Dazu zählen auch die Seelen, die ewig bestehen und sich immer wieder neu formen. Meistens verliert eine Seele alles, was an dem Wesen hing, in dem sie zu dessen Lebzeiten gebunden war – manchmal aber auch nicht, dann erinnert sich das mit dieser Seele beseelte nachfolgende Wesen an Sachen aus einem vorherigen Leben. Das ist aber etwas anderes, als das, was sich mit eurem Mann ereignet hat. Die Dreiteilung der Seele, von der er ein Drittel erhielt, geschah zwar im selben Augenblick, doch beseelte jedes Teilstück zu einer anderen Zeit an einem anderen Ort ein eben enstehendes Kind. Nein, ich muss sagen, aus Sicht der Seele auch gleichzeitig. Soweit ich weiß, gab es damals noch einen Menschen, der einen Teil erhielt und einen Elfen, der den dritten Teil in sich trug. Der Mensch ist aus heutiger Sicht noch gar nicht geboren, wenn man mit den Maßstäben der Vergänglichkeit rechnet und der Elfe bereits gestorben. Jetzt wird es etwas schwierig!“
    #8VerfasserJean-Louis15 Jan. 09, 13:52
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    Halica sah mit großen Augen ihren Mann an, der nur leicht mit dem Kopf schüttelte – jetzt erst sollte es schwierig werden? Sie verstanden schon kaum das bereits Gesprochene und hatten von so etwas noch nie gehört, ja – sie wollten es eigentlich nicht glauben. Eine Seele, die drei Kinder auf ein Mal beseelte, im gleichen Moment, aber doch zu völlig unterschiedlichen Zeitpunkten und an verschiedenen Orten – konnte man das überhaupt glauben? Dann sprach die alte Frau weiter.
    „Der Mensch, der den zweiten Teil der Seele bekam, wird in einer Zeit leben, in der man anfängt zu verstehen, wie man durch Zeit und Raum reist. Auf so einer Reise war er vor vielen Jahren hier – ohne es zu ahnen auf der Suche nach einem anderen Drittel seiner Seele, obwohl er erst in vielen tausend Jahren geboren wird – immer auf das Vergehen der Zeit bezogen, was aber für eine Seele keine Bedeutung hat. Dann verschwand er auf dieselbe Weise, wie er gekommen war. Höchstwahrscheinlich starb er dann sogleich in einer Zukunft, die nur für uns Sterbliche gilt, nein, ganz sicher sogar, weil etwas ausgelöst wurde, unter dem euer Mann ab diesem Moment leidet – er altert für drei!“
    Das war es also. Der Alterungsvorgang hatte sich in der Ablaufgeschwindigkeit verdreifacht. Obwohl nur ein Jahr verging, wurde er um drei Jahre älter. Beide wurden von dieser Erkenntnis wie von einem Schock getroffen. Er fragte völlig fassungslos: „Aber warum? Warum ist das so? Ich kann doch nichts dafür!“

    „Nun, Genaues weiß man nicht. Es wird vermutet, dass eine geteilte Seele einen starken Drang in sich trägt, sich wieder zu vereinen, weil sie sehr unter der Teilung leidet. Dies muss auch der Grund sein, warum Seelenverwandte – besonders solche ersten Grades – ständig unbewusst nach ihrem anderen Teil suchen und in wunderbarer Harmonie miteinander leben können, sei es nun als Mann und Frau oder in Freundschaft, wenn sie sich gefunden haben, ohne aber von der Seelenteilung zu wissen. Solche Wesen sterben dann auch kurz hintereinander oder gar zur selben Zeit, weil sie ohne den anderen Teil nicht mehr leben wollen, wenn sie ihn erst einmal gefunden haben. Bei der Dreiteilung, die bei euch vorliegt, muss es durch räumliche und zeitliche Trennung der beseelten Kinder unmöglich gewesen sein, dass sie sich zu Lebzeiten finden, denn nur dann gilt diese Trennung. In so einem Fall sucht der zuerst frei gewordene Teil der ganzen Seele sein fehlendes Stück und möchte sich wieder vereinen. In den Körper des anderen Teils kann er nicht hinein, dieser andere kann aber heraus, wenn das zugehörige Wesen stirbt. Die anderen Teile aus den verstorbenen Besitzern - dem Elfen und dem Menschen - sind frei und haben sich inzwischen gefunden. Lieber Mann, die anderen beiden Drittel euerer geteilten Seele rufen nach dem dritten Teil in euch und dieser will schnellstmöglich aus euch heraus und sich vereinen. Deswegen altert ihr nun so schnell.“

    Halica hatte sich an ihn geklammert und zu weinen begonnen, während seine Gedanken arbeiteten wie in einem Fieberwahn. Er mochte dieses Schicksal nicht annehmen. „Kann man dagegen irgendetwas tun?“ Obwohl er die Antwort schon wusste, stellte er diese Frage.
    „Nein, der Verfall des Körpers ist unaufhaltsam und sein Ende nah! In eurem Falle würde ich das als starkes Seelenleid bezeichnen, es wie eine Verwünschung betrachten, gegen die man nichts tun kann. Euch bleiben nicht mehr viele Tage.“ Die Hexe sprach dies in einem Tonfall, der keine Zweifel offen ließ. Er schloss seine Augen und war der Verzweiflung nahe, hörte die folgenden Worte nur gedämpft. „Es gibt allerdings eine ungewisse Möglichkeit, die Erinnerungen und alles, was die Seele in eurem Leben aufgenommen hat, zu erhalten und die Seele nach der Vereinigung mit den beiden anderen Teilen zu zwingen, in diesem Zustand unmittelbar nach eurem Tod in ein neu entstehendes Leben zu schlüpfen.“
    #9VerfasserJean-Louis15 Jan. 09, 14:54
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    Seine Elfe hörte auf zu weinen und blickte ihn fragend an. Arwin konnte nichts sagen, worauf sich Halica zu Auinaya umdrehte und mit einem flehendlichen Bitten in den Augen fragte: „Soll das heißen, ich würde nur die sterbliche Hülle verlieren, nicht aber das alles, was ich so sehr an ihm liebe und mit ihm teile?“
    „Vielleicht“, erwiderte die alte Frau, um mit dem Gespräch fortzufahren. „Seelen kann man bannen, auf vielfältige Arten. Wäre es eine einfache, also ungeteilte Seele, könnte man den Erfolg einer Bannung, welche das Vergessen verhindert, voraussehen. Hier ist es schwieriger. Da die anderen beiden Teile aber schon einige Jahre nach ihrem dritten Teil rufen, wie ich weiß und auch an der fortgeschrittenen vorzeitigen Alterung erkennen kann, können wir davon ausgehen, dass sie an die Wesen, in denen sie einst waren, keine Erinnerung mehr haben. Wenn es ihm gelingt, den Bannspruch im Moment seines Todes noch auszusprechen, wird verhindert, dass sich die wiedervereinte Seele zunächst irgendwohin begibt, wo sie auf einen erneuten Abruf wartet und alles von ihm vergisst. Sie muss aber innerhalb eines Tages ein neu entstehendes Wesen finden, welches der Erinnerung im äußeren Erscheinungsbild allerdings ähnlich ist. Bei ihm kann dies nur ein Mensch, Elfe oder Halbelfe sein. Gelingt es der Seele dennoch nicht, in diesem kurzen Zeitraum etwas Passendes zu finden, verliert die Bannung ihre Wirkung und die Seele geht ihren Weg, womit alles für immer verloren ist.“

    Die beiden sahen sich wieder an und in ihren Gesichtern keimte die Zuversicht auf. „Also nur ein kurzer Abschied, um sich dann wieder zusammen zu finden?“, sagte Arwin, stand auf und ging hin und her. „Wie soll das gehen? Ein neu entstehendes Wesen, das muss doch nach der Geburt erst wachsen. Und dann? Hat es bis dahin nicht alles vergessen? Mein Elflein, du alterst in dieser Zeit so gut wie gar nicht. Ich könnte dich wieder so antreffen, wie ich dich verlassen muss. Aber für mich wird es eine lange Zeit der verborgenen Sehnsucht.“ Er blieb vor der alten Frau stehen und sein Gesichtsausdruck zeigte eine tiefe Sorge. Da ergriff die Hexe seine Hand und tätschelte sie. Vertrauensvoll erklärte sie weiter:
    „Ihr habt noch nicht verstanden, dass eine Seele nicht an die Zeit gebunden ist. Im Bannspruch werden wir ihr auferlegen, dass sie entsprechend weit aus unserer heutigen Sicht zurückgehen muss, damit bereits am Tage nach eurem Weggehen ihr in neuem Körper auf dieser Welt in angemessenem Alter wandeln könnt. Es klingt tatsächlich mehr als verrückt, aber eigentlich seid ihr schon da. Eure vereinte Seele befindet sich in einem anderen Körper, den wir nicht kennen und der erst Geschichte schreibt, wenn ihr sterbt. Dieser andere ist aber schon da für diejenigen, die ihn kennen, nur für uns nicht als ihr selbst. Das muss man auch nicht verstehen, es ist eben so – glaubt es einfach, ohne darüber nachzugrübeln, sonst kommt ihr nur dem Wahnsinn nahe!“

    Staunend und wortlos hörten die beiden Auinaya zu. „So, damit wäre fast alles gesagt. Ihr kommt vielleicht – ich betone das noch einmal: vielleicht – wieder zurück, als Mensch, Halbelfe oder Elfe. Da die Erinnerung erhalten bleibt und die Prägung männlich ist, werdet ihr natürlich ein Mann sein. Alles was ich für den Bannspruch brauche, habe ich in meinem Haus. Nur eines muss ich wissen – wie weit soll die Seele zurückgehen, wie alt wollt ihr sein, wenn ihr zurückkommt, um nach eurer Frau zu suchen? Das kann ich mit Bestimmtheit beeinflussen.“
    „Was meinst du, Liebes. Wollen wir noch einmal ganz von vorne anfangen und möglichst lange miteinander Leben?“, fragte er, während er sie umarmte und zu sich zog.
    „Oh ja, und werde bitte kein Mensch, sonst verliere ich dich doch auch wieder eher, als mir lieb ist. Ich will mit dir alt werden und für immer mit dir zusammen bleiben!“, sagte sie mit bestimmendem Ton und Tränen in den Augen. Wie Recht sie doch hatte, dachte er sich. Selbst ohne diese verdammte Verwünschung hätte er sie bald verloren, ist doch ein Menschenleben so kurz im Vergleich mit dem Leben einer Elfe. Er schwor sich, mit seiner letzten Kraft nur an eines zu denken – ja nicht wieder als Mensch in diesen Landen zu wandeln.
    #10VerfasserJean-Louis15 Jan. 09, 19:53
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    „So ist es richtig, denkt nur fest an das, was ihr euch wünscht. Eure Seele wird das umso stärker in Erinnerung behalten, je tiefer ihr euren Wunsch in die Gedanken einprägt. Die Kraft der aufbewahrten Gedanken hat schon mancher Seele Flügel verliehen, sagt man – wer weiß…“ Etwas verschmitzt sprach Auinaya diese Worte. Sie wusste sicherlich viel mehr, als sie auszusprechen bereit war. So, wie sie alles vorhergesehen hatte, war sie über den Ablauf der Dinge, die da kommen würden, vollständig im Bilde. Sie kannte bereits ein mögliches Wesen, das sich eignen würde, doch waren einige Unwegsamkeiten letztlich auch für sie nicht vorhersehbar, weshalb sie nur eine vorsichtige Hoffnung säte, aber vor allem aus eigensüchtigen Gründen dennoch alles in ihrer Macht stehende tat, damit das Vorhaben gelingen sollte.

    Halica sah nun die Hexe mit gefasstem Blick an und meinte, egal welches der drei Wesen zu ihr zurückkommen würde, es möge ein Alter haben entsprechend dem von 25 Menschenjahren. Das sei zwar recht jung, aber dennoch alt genug, um auf festen Beinen im Leben zu stehen.
    „Gut, so sei es!“ Die alte Frau erhob sich und ging mit kleinen Schritten in ihr Haus. Den beiden schien die Zeit stillzustehen. Auinaya kam und kam nicht wieder heraus. Es gab keine Ablenkung von der nagenden Ungeduld. Endlich, eine Ewigkeit schien vergangen, trat sie wieder durch die niedrige Tür ins Freie. Sie hatte nur eine kleine Pergamentrolle in der Hand, aber ihr Gesicht zeigte fröhliche Züge wie zuvor kein einziges mal. Sie streckte ihre kleine Hand aus und drückte die Rolle dem alten Mann regelrecht in dessen Hand, wobei ihre Augen blau blitzten. Er wollte sich bedanken und Auinaya viel Glück für die Zukunft wünschen, doch von einem Augenblick auf den anderen war alles verschwunden. Die beiden standen allein auf einer Wiese, wo eben noch der Garten und das Häuschen sich befanden, schauten sich an und verstanden nicht, was mit ihnen geschah. Verstört und dem eigenen Verstande nicht mehr trauend gingen beide zum Lagerplatz zurück, den sie bei Sonnenuntergang erreichten. Dort entrollte dann Halica das Pergament, weil Arwin sich nicht dazu in der Lage fühlte. Es stand geschrieben:

    Lieber Fremder, der du mir gar nicht so fremd bist. Dein Schicksal steht fest, bis zu dem Moment, wo dich die Kraft des Lebens verlassen wird. Das Schicksal deiner Seele jedoch wird einen Verlauf nehmen, den du im besprochenen Rahmen bestimmen kannst.
    Mit deinem letzten Atem musst du den Bannspruch aussprechen, so wie er geschrieben steht, Buchstabe für Buchstabe, Wort für Wort, Zeile für Zeile. Nur dann gelingt, was an sich unmöglich scheint. Die Götter haben es so gewollt. Lerne den Spruch auswendig, bis du ihn nicht mehr aus den Gedanken bekommst, dann wird es gelingen.

    Viel Glück
    Die „Hexe“ Auinaya

    boda-luth in fae

    Die Freiheit meiner Seele sei gewandelt.
    Das alte mit dem neuen Leben gehandelt.
    Erinnerung wird nicht vergehen.
    Meine wahre Liebe bleibt bestehen.
    Einem neuen Körper gilt die Suche.
    Aufgehoben der drei Seelen Fluche.
    Zurück zu gehen in vergangene Zeit.
    Entsprechend 25 Menschenjahre weit.
    Zu finden das werdende Kinde so klein.
    Beseelt mit meinen Gedanken so rein.

    no an uireb
    #11VerfasserJean-Louis16 Jan. 09, 08:49
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    Als er den Bannspruch laut lesen wollte, konnte er die merkwürdigen Wörter am Anfang und Ende nicht aussprechen. Seine Elfe kannte diese Worte, hatte aber auch schon lange nicht mehr in dieser Sprache gesprochen und war sich über die Aussprache deswegen sehr unsicher. Mit zitternder, ängstlicher Stimme versuchte es Halica mehrmals, konnte sich aber an die einwandfreie Sprechweise nicht erinnern, was beide sehr betrübte. Inzwischen war es dunkel geworden und Arwin richtete eine Feuerstelle her, in der er dann ein wärmendes Feuer anbrannte, während Halica im Planwagen das Nachlager bereitete. Dann setzten sich beide an das Feuer und versuchten wieder, die Worte aus dem Pergament zu sprechen. In ihrer Not erschien im Rauch des brennenden Lagerfeuers das Gesicht von Auinaya. Sie lächelte und beide hörten die Worte des Spruches dreimal hintereinander, dann verschwand die Erscheinung wieder. Den Rest des Abends verbrachte das Paar damit, immer wieder diese für die Zukunft so außerordentlich wichtigen Zeilen aufzusagen, bis es schließlich finstere Nacht geworden war. Nun verkrochen sich beide in den Planwagen, wo sie sich auszogen und in das mit etlichen dicken Decken vorbereitete Nachtlager schlüpften.

    Schlafen konnten sie beide nicht. Stattdessen erzählten sie sich gegenseitig von früher, von den ersten Jahren, dem damals noch recht schäbigen Übungsplatz in Hohenerzberg, auf dem es zeitweise von Zuwanderern nur so wimmelte. Es sei ein kleines Wunder gewesen, dass sie sich unter den vielen verschiedenen Wesen fanden, meinte sie. Er sagte, es sei eher seine Nase gewesen, die ihm die Spur zu ihr gewiesen hatte, war sie doch schon immer auffällig wohlriechend unter all den mehr oder weniger stinkenden Besuchern des Übungsplatzes. Damals kannte man noch keine regelmäßige Reinlichkeit – nur sie sei anders gewesen, zu seinem großen Glück. Sie kamen sich in dieser Nacht unter den wärmenden Decken noch einmal so nahe wie schon länger nicht mehr. Auch in seinen Lenden hatte sich das rasch fortschreitende Alter eingenistet und die Leistungsfähigkeit war nicht mehr dieselbe, wie noch vor einem Jahr. Dennoch war es wie ein Fest, nicht lautstark und gewaltig wie früher, aber immer noch mit vollem Genuss und sehr schön. Am nächsten Morgen fuhren sie zurück in die Hauptstadt und verbrachten einige Tage damit, die letzte gemeinsame Reise vorzubereiten. Diese Reise hatte sie nun nach Eleanor geführt, weil Arwin in sich spürte, dass nur von dort aus dieser im Grunde wahnwitzige Plan gelingen konnte und auch wusste, dass seine letzten Tage bereits fast um waren.

    Sein letzter Weg

    Zwischen den vielen Gedanken, die ihm durch den Kopf gingen, hatte er sich das zweite dunkle Bier bestellt und es inzwischen auch schon leer getrunken. Er rief nach der Schankmagd und bezahlte seinen Trank. Die anderen Gäste würdigte er nur eines kurzen Blickes, dann erhob er sich ächzend, waren doch die Beine etwas steif geworden. Er nahm den Gehstock, ging bis zum Treppenaufgang zu den oberen Räumen, schloss die Kleidung bis unter das Kinn und band den Umhang fest zu, wobei er überlegte, was Halica jetzt wohl im Zimmer oben machen würde. Beinahe wäre er die Treppe hoch gestiegen. Er zwang sich aber, bei jedem Schritt sich auf den Stock stützend, zur Tür zu gehen und hinaus zu treten in den frühen Nachmittag. Die Richtung wusste er schon – nach Nordosten, dorthin, wo es um diese Jahreszeit bereits Winter war, so weit wie ihn seine Füße noch tragen würden. Entschlossen schritt er aus, so wie ihm das mit dem Gehstock möglich war.
    #12VerfasserJean-Louis16 Jan. 09, 10:36
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    Seine Frau hatte aufgehört zu weinen, weil sie keine Tränen mehr hatte. Immer wieder war sie rasch zur Waschschüssel gegangen, um sich schnell etwas Wasser in die geröteten Augen zu spritzen, die schon eine ganze Weile brannten. Doch kaum am Waschtisch angelangt, huschte sie schnellen Schrittes wieder zum Fenster, um ihn ja nicht zu verpassen, wenn er den Felsenkeller verlassen würde. Insgeheim hoffte sie, er möge doch nicht gehen, obwohl sie sich bewusst war, dass es dadurch nur noch schlimmer werden würde. Nein, sterben wollte sie ihn nicht sehen, wenigstens nicht mit einem Fluch belastet und elend dahin siechend. Andererseits zerriss es ihr das Herz, ihn gerade in seiner schwersten Stunde allein zu lassen, war er doch immer an ihrer Seite gewesen, wenn es ihr einmal nicht gut ging. Dann hatte er sich um alles gekümmert und war ein derart fürsorglicher Ehemann, wie man ihn sich nicht besser hätte wünschen können. Und das, obwohl ihre Erkrankungen ein Nichts waren, gegenüber dem, was ihm nun bevor stand. Ihre Tränen flossen wieder von selbst.

    Nur einmal war sie kurzzeitig allein, hatte er sie allein lassen müssen, als das gemeinsame Kind Maya geboren wurde. Es ließ sich nicht vermeiden, dass er bei der Geburt helfen musste. Aber kaum war das Töchterlein zur Welt gekommen, fiel er in Ohnmacht. Auch hatte er noch andere Schwächen, ihr starker Held, aber gerade deswegen liebte sie ihn so sehr. Nie hatte er sich überheblich verhalten oder gar eingebildet im Bezug auf Unzulänglichkeiten bei sich, ihr oder anderen, die andere stets herunterzuspielen versuchten oder gar verdammten, wie es eine weit verbreitete Unsitte unter Männern war, gleich welcher Rasse. Auch die Trunksucht und wildes Umherziehen mit Freunden waren ihm fremd gewesen. Er war einfach immer für die Familie da gewesen.

    Diese Nacht würde die erste sein, welche beide außerhalb der Arbeit nicht zusammen verbringen würden, seit er in ihre kleine Bognerwerkstatt eingezogen war. Das ganze Haus hatten sie erst später kaufen können. So lange war das schon her und doch erschien es ihr, als wäre nur eine Woche vergangen, seit damals. Eine Träne stahl sich wieder aus ihrem Auge und sie tupfte diese ab. Beinahe hätte sie ihn übersehen, doch dann blieb ihr fast das Herz stehen. Er war es, der da in östliche Richtung mit erstaunlich festem Schritt die Straße entlang ging. Sie wollte das Fenster öffnen und hinausschreien, er möge doch bleiben, aber sie war zu schwach, die Angst lähmte sie und das Fenster war alt und festgeklemmt. Da sah sie, dass er sich noch einmal umdrehte und zu ihr winkte. Sie begann zu zittern und erreichte gerade noch das Bett, wo sie sich einfach fallen ließ, das Gesicht tief in die Kissen gedrückt und immer wieder schluchzend nach Luft rang.

    Nach dem letzten Gruß hinauf zu dem Fenster, hinter dem er seine geliebte Elfe erkannte, verdrängte Arwin alle traurigen Gedanken aus seinem Kopf, indem er immer und immer wieder den Bannspruch leise vor sich hinsagte. Manch einer, der ihm entgegen kam, mochte denken, der Alte sei geistig umnachtet, doch ihn störte das nicht mehr. Nach kurzer Zeit erreichte er ein Stadttor und nahm den Weg dorthin, wo man am Horizont schmutzig-weiß eingefärbte Berge sah. Die Beine wurden überraschenderweise nicht müde und er konnte sogar beim Abstützen immer weniger Gewicht auf den Stock verlagern. Die frische Luft tat ihm gut und Meile für Meile entfernte er sich von Eleanor.
    #13VerfasserJean-Louis16 Jan. 09, 11:34
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    Zwischen abgeernteten Feldern hindurch schlängelte sich der Weg auf einen Wald zu. Aufgrund der Ebenheit der Landschaft in diesem Wegabschnitt konnte man etwas weiter als gewöhnlich nach links und rechts blicken. Dort war ein Bauer dabei, das Feld zu pflügen, während da bereits wieder gesät wurde. Manchmal sah man noch ein kleineres Rübenfeld, dessen Früchte längst in einem Keller liegen sollten. Auch unter der Landbevölkerung gab es eben Einwohner, denen der Fleiß erst im letzten Moment einfiel und das letzte Stück Acker schon von feinem Schnee bedeckt war, ehe der Besitzer oder Pächter sich aufraffte und seine Ernte einfuhr. Der Nachmittag war vergangen, ehe der alte Mann, nun schon etwas langsamer geworden, eine Wegekreuzung am Waldrand erreichte. Zeit, um eine kleine Pause einzulegen, dachte er sich. Auf einem Baumstumpf sitzend sah er in die Richtung, aus der er gekommen war. Die Stadt Eleanor war gerade soeben noch zu erkennen. Er würde noch weitergehen, bis ihn die Kräfte verlassen, egal wo das sein sollte. Einen kurzen Moment lang schweiften seine Gedanken zurück in die Taverne und zu Halica. Beinahe wäre er sich unsicher geworden, ob sein Vorhaben wirklich richtig war, fasste aber dann gleich neuen Mut. Es war der einzige Weg, der ihm blieb, egal, wie lange er darüber noch nachdenken mochte. Es musste gelingen – es musste einfach gelingen!

    Dann erhob er sich und war unschlüssig, welchen der drei Wege er nehmen sollte. Er sah sich um, konnte aber nur an einem endlos sich ausdehnenden Waldrand entlang blicken. Welcher Weg würde in die bereits schneebedeckte Gegend mit dem danach folgenden östlichen Gebirgszug führen? Da trat ein Mütterlein wenige Schritte entfernt aus dem Wald. Den Huckelkorb hatte sie mit Tannen- und Fichtenzapfen und weiteren Kuseln bis oben gefüllt und trug nun mit gebeugtem Rücken schwer an der Last.
    „Ich grüße euch, wertes Mütterlein. Vielleicht haben wir ja ein Stück gemeinsamen Weges vor uns, dann lasst mich den schweren Korb tragen. Auch wenn ich schon einen Stock zu Hilfe nehmen muss, kann ich eure Last leichter auf dem Rücken tragen als ihr selbst. Doch vorher eine Frage: Wisst ihr, welcher Weg zum schneebedeckten Gebirge im Nordosten führt?“

    Mit wachen Augen musterte die alte Frau den Fremden. Beinahe hätte sie aus den Augen kleine blaue Blitze herausgelassen. Doch dann sprach sie rasch: „Kommt nur hier lang, zu der Biegung gleich ein paar Meilen südlich von hier. Dort müsst ihr dann in den Wald nach Osten und wieder in nördliche Richtung gehen. Dieser Weg wird euch sicher an euer Ziel bringen und ich muss ihn auch ein Stück weit gehen, bis zu einem Abzweig, von dem aus der eurige dann in den Wald führt.“ Sie nahm den Huckelkorb ab und gab ihn Arwin, der ihn auf seinen Rücken setzte. Dann gingen beide nebeneinander her. Die Unterhaltung drehte sich um das Wetter, ob die Ernte vielleicht dieses Jahr besser war als letztes und wie wohl der Winter werden wird. Die Abenddämmerung kroch im Osten über den Horizont, als die Abzweigung in den Wald hinein erreicht war. Der Korb wurde wieder gewechselt und man verabschiedete sich. Er dachte noch etwas darüber nach, warum die alte Frau kein Wort darüber verlor, wo er allein in der kommenden Nacht hin wollte und warum er überhaupt auf Wanderschaft war. Er sah nicht, wie die Fußabdrücke der alten Frau nach der Abzweigung in dem weichen Boden des anderen Weges plötzlich aufhörten, als ob sie die Alte einfach in Luft aufgelöst hätte.
    #14VerfasserJean-Louis16 Jan. 09, 21:30
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    Im Wald wurde es schnell dunkel und er musste vorsichtig gehen. Auch wenn es sein letzter Weg war, so wollte er doch keinen Sturz und eventuellen Knochenbruch riskieren. Nein, am Ende seiner Kräfte zu sterben ist etwas anderes, als sich verletzt noch tagelang zu quälen, bevor der erlösende Tod dem Schmerz ein Ende bereiten würde. Er wurde langsam müde und die Kälte machte sich bemerkbar. Die Verlockung, sich ein Nachtlager aus Reisig und Ästen sowie dickem Moos zu richten war groß, aber er wollte sich nicht bis zum nächsten Morgen erholen, sondern lieber schneller seine verbliebenen Kräfte ausschöpfen, um dann seiner Seele eine neue Aufgabe zu befehlen. Er sagte sich wieder den Bannspruch auf und kam in eine ruhige, zuversichtliche Stimmung, nachdem er ein Fläschchen "Klaren" geleert hatte. Der Getreideschnaps nach altem Rezept tat seine Wirkung. Die Kälte war nicht mehr so schlimm und das Gemüt wurde erheitert. Stunde um Stunde verging. Der Wald war voller Geräusche, von denen der Alte viele von seinen Jagdausflügen her kannte. Manchmal waren auch unbekannte dabei, doch Furcht war jetzt nicht der Begleiter seiner Wanderung. Sollte ein wildes Tier ihn anfallen, würde noch Zeit für den Spruch bleiben. Um so eher wäre seine Seele auf der Reise, zurück zu seinem geliebten Elflein, hoffentlich nicht wieder als Mensch, um dann sehr lange mit ihr leben zu können.

    Das Mondlicht zeigte sich zwischen den Wolken oft genug, damit es nicht gar so finster werden konnte. Inzwischen ging es beständig bergauf und der Wald - zuerst ein Laub-, dann ein Misch- und nun nur noch ein Nadelwald – wurde lichter. Nachdem er einen Waldrand erreicht hatte, konnte er im fahlen Mondschein eine Senke vor sich erkennen, an deren nordöstlichem Rand ein Weg zu sehen war, der direkt in die dahinter liegenden Berge führte, auf denen es bläulich-weiß funkelte. Dort war sein Ziel - die Berge in denen es bereits Winter war. Nun schon ziemlich müde setzte er einen Fuß vor den anderen, wobei das Gewicht, welches er auf den Stock verlagern musste, wieder zunahm. In der Senke unten angekommen, füllte er den kleinen, fast leer getrunkenen Wasserschlauch an einem Bächlein und trank das zweite Fläschchen "Klaren" aus. Jetzt musste er sich zwingen, weiter zu gehen, so schmerzten die Gelenke und auch der Schnaps half nicht mehr, um die zunehmende Kälte zu vertreiben. Der Weg wurde noch viel beschwerlicher, nachdem er Stunden später in den Schnee gekommen war.

    Nur eine verwehte Fußspur verriet ihm, dass er sich noch immer auf einem Weg befand. Als er – nun schon weit im Osten den neuen Tag erahnend – einen kleinen Pass überquert hatte, war jeder Baum und Strauch verschwunden. Der Schnee wurde tiefer und tiefer, die Spur vor ihm war schon seit längerer Zeit nicht mehr vorhanden. Die Füße spürte er nicht mehr, die Finger und Hände kribbelten dagegen so sehr, als würden sie fortwährend mit kleinen Nadeln gepiekt. Unter der Nase hatte sein dampfender Atem eine Eisschicht auf der Oberlippe gebildet und auch die Augenbrauen waren angefroren. Die aufgehende Sonne blendete ihn stellenweise, so dass er nur noch mit gesenktem Blick vorwärts stapfen konnte. Manchmal blieb er stehen, um im hellen Licht die atemberaubend schöne Schnee- und Eislandschaft zu bewundern. Früher war er nie in eine solche Gegend gekommen. In dem Maße, wie das Gefühl aus seinen Gliedern wich, änderten sich seine Gedanken, bis er schließlich nur noch abwechselnd den Bannspruch vor sich hin murmelte oder zu sich selber sagte, dass es kein Mensch sein solle, den die gebannte Seele finden dürfe.
    #15VerfasserJean-Louis17 Jan. 09, 08:44
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    Es war bereits wieder später Nachmittag, vielleicht schon gegen Abend, als ein Schneesturm einsetzte. Seine Schritte hatten nur noch eine Spanne von einer Fußlänge und manchmal, dann immer öfter, brach er in den Knien ein. Der schneidende, eisige Wind beschleunigte die Auskühlung seines Körpers, bis er schließlich eine steil aufragende Felswand erreichte. Nur mehr kriechend fand er etwas Schutz hinter einer schroffen Ecke, die den Wind abhielt. Dort brach er zusammen und konnte sich gerade noch auf den Rücken drehen. Er sah die wild tanzenden Schneeflocken im Windschatten der Ecke nicht mehr. Auch die Kälte spürte er nicht mehr. Er sah sich, wie er noch ein Junge war, sein kleines Schwesterchen Alivia fröhlich im Elternhaus umher tollen. Er meinte dann, den ersten Kuss seiner Elfe auf den Lippen zu spüren und hörte den ersten Schrei seines Kindes. Viele Bilder zogen an ihm vorüber – immer waren es die schönen Eindrücke, die er noch mal im Gedächtnis abrufen konnte.

    Dann sah Arwin nur noch ein Bild – seine Elfe Halica hinter dem Fenster der Taverne Felsenkeller in Eleanor, wie sie ihm zum Abschied gewunken hatte. Er hauchte mit glasigen Augen voller Tränen den Bannspruch in die tobenden Winde hinaus:

    boda-luth in fae

    Die Freiheit meiner Seele sei gewandelt.
    Das alte mit dem neuen Leben gehandelt.
    Erinnerung wird nicht vergehen.
    Meine wahre Liebe bleibt bestehen.
    Einem neuen Körper gilt die Suche.
    Aufgehoben der drei Seelen Fluche.
    Zurück zu gehen in vergangene Zeit.
    Entsprechend 25 Menschenjahre weit.
    Zu finden das werdende Kinde so klein.
    Beseelt mit meinen Gedanken so rein.

    no an uireb


    Jetzt hatte er aufgehört zu atmen. Die trüb gewordenen Augen blickten in eine unendliche Ferne und die Schneeflocken tanzten weiter, einige setzten sich auf den toten Körper.
    #16VerfasserJean-Louis17 Jan. 09, 09:52
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    Eine vereinte Seele auf der Suche

    In dem dämmrigen Licht, noch verdunkelt durch den tobenden Schneesturm, begann auf der Brust des gestorbenen Mannes ein schwaches Leuchten, das sich zu einem goldenen Schein verstärkte. Es schien so, als ob sich das Leuchten, welches inzwischen eine rundliche Form, aber doch immer wieder auseinander fließend, angenommen hatte, vom Körper trennen wollte, aber nicht konnte. Es pulsierte von ihm weg, fiel aber immer wieder zurück. Nur eine ganz kurze Zeitspanne bot sich dieses Schauspiel dar, von keinem Augenpaar wahrgenommen. Dann kam durch das dichte Schneegestöber ein zweites Leuchten und bewegte sich schnell zu dem Sterbeplatz des alten Mannes. Dieses hatte die Form einer unrunden Kugel in Faustgröße, welche schlingerte und taumelte auf ihrer Bahn, dabei nur matt etwas gelblich schimmernd. Sie schob sich nahe an das wabernde Flimmern auf der nun schon eiskalten Brust des Toten heran. Ein Beobachter hätte den Eindruck bekommen, beide Leuchtgebilde wollten sich jeweils gegenseitig aufnehmen. Nach einigem hin und her wurde die unfertige Kugel von dem Leuchten über dem Körper aufgenommen und nahm sogleich eine perfekte Form an. Langsam stieg die Kugel etwas in die Höhe und verschwand ruhig fliegend entlang der Felswand in südwestlicher Richtung im undurchsichtigen Sturm.

    Der tote Körper wurde in kürzester Zeit vom Schnee eingehüllt und schließlich vollständig bedeckt. Nachdem sich der Sturm später gelegt hatte, gab es keinen Hinweis mehr auf das stattgefundene Sterben an diesem Ort. Auch alle Spuren waren verwischt. Arwin hatte sein Grab in den hohen Bergen gefunden.

    Die golden leuchtende Kugel raste nun in niedriger Höhe durch das Gebirge und über das darauf folgende Waldgebiet hinweg, bis sie schließlich in westliche Richtung einen großen Sumpf überquerte und den Weg zu einem Häuschen fand. Vor einem verschlossenem Fenster verharrte sie, bis es geöffnet wurde. Die Hexe Auinaya hatte schon gewartet auf die Ankunft der vereinten Seele des alten Mannes und öffnete rasch das Fenster, trat beiseite und sah mit blau blitzenden Augen, was sich tat. Die Kugel schwebte in das Zimmer hinein zu einem Regal, um über einer quadratischen, schwarzen Fläche still zu stehen. In dem Regal befanden sich von der rechten Seite aus aneinandergereiht genau elf weitere solche schwarze, daumendicke Platten. Während über der linken, zwölften sich nun der Neuankömmling befand, strahlten über den anderen elf Platten Pyramiden, deren Kanten aus bläulichen Lichtstrahlen gebildet wurden, die aus den Ecken der quadratischen Platten kamen und sich oben in der Mitte vereinigten. Wie Gitterstäbe sorgten diese Strahlen dafür, dass keines der darin eingeschlossenen kugelförmigen Gebilde entweichen konnte. Entgegen der goldenen Farbe der neu hinzugekommenen hatten diese anderen aber alle eine dunkle, wenn überhaupt nur schwach grau leuchtende Umhüllung. Auch schlossen sich um die goldene Kugel keine bläulichen, pyramidenförmigen Strahlen, weil diese freiwillig über ihrer schwarzen Platte zu schweben schien, während die anderen offensichtlich festgehalten werden mussten.
    #17VerfasserJean-Louis19 Jan. 09, 13:09
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    Auinaya summte und sang – sie war sichtlich fröhlich und gut gelaunt, ja regelrecht heiter und ausgelassen. „Ach bin ich froh, dass die Bannung erfolgreich war. Endlich, endlich ist es wieder gelungen. Es wurde auch höchste Zeit. Wenn ich mich das nächste Mal auch doppelt anstrengen muss, jetzt habe ich nicht nur meinen Lohn und kann mein eigen Fleisch und Blut dadurch beschützen, sondern tue damit auch noch ein gutes Werk für seine Zukunft und die der schönen Elfe. Ja, ja, auch eine Hexe muss nicht immer nur böse sein.“ Sie schaute sich ihr gefülltes Regal noch eine Weile mit strahlenden Augen an, wobei ihre Laune sich bis zur Verzückung noch steigerte, wusste sie doch, dass diese eine Kugel nur deshalb golden schimmerte, weil in ihr reine, brennende Liebe vorhanden war - kein einziger böser Gedanke. Dann ging sie zu der letzten Lichtpyramide am rechten Ende des Regalbrettes und streckte die Hände zu der nur leicht glimmenden, dunklen Kugel hin aus. Bei der Berührung der bläulichen Strahlen blitzten ihre Augen wieder ebenso blau, diesmal sehr heftig. Die gefangene, böse Seele wollte entfliehen, doch Auinaya hatte sie schnell gegriffen und drückte sie in ihren Händen zusammen, von denen sie regelrecht aufgesogen wurde.

    Nachdem die kleine, alte Frau einen kurzen Moment in einem dunklen Nebel eingehüllt dastand, der anschließend in ihren Körper floss, streckte sich ihre Figur und sie bekam den Körperbau einer jungen Frau. So sah sie jetzt auch aus – blühend schön, ohne jede Falte im Gesicht, mit perfekten Rundungen und verführerisch aussehend wie die Sünde selbst. Sie warf die aufgeplatzte und zerrissene Kleidung von sich und trat zu der goldenen Kugel. Diese stupste sie aber nur mit einem Finger an, so dass sie sich aus dem schwarzen Quadrat heraus bewegte. Sofort flog sie aus dem noch immer offenen Fenster und entschwand in nördliche Richtung, dorthin wo viele Tagesreisen entfernt ein geheimnisumwittertes Gebirge lag.

    „Flieg und such es, das Kind, dessen Seele und Erinnerung du bist, das zu seiner Zeit gerade eben entsteht und doch in wenigen Tagen die Welt als erwachsener Mann erobern wird, um seinerseits die Elfe zu suchen, deren Liebe auf ihn wartet.“ Mit diesen Worten schritt sie hinaus aus ihrem Häuschen, welches nicht mehr windschief war, sondern aussah, als sei es eben erst neu erbaut worden. Auch der abgeerntete Kräutergarten war verschwunden und durch Beete mit blühenden Herbstblumen ersetzt. Nackt tanzte die Hexe die restliche Nacht im Garten vor lauter Freude umher. Nach dem Sonnenaufgang trat sie vor einen großen Spiegel in ihrer Schlafstube und konnte sich an ihrer wieder gewonnenen Jugend und Schönheit kaum satt sehen. Im Schrank fand sie feinste Seidenunterwäsche, ebensolche Strümpfe und derart verführerische Kleider, wie sie einer jeden jungen Frau den Hauch der Verruchtheit eingebracht hätten. Sie zog sich in ihrer Lieblingsfarbe an, blau natürlich, schnürte ein kleines Bündel, warf sich einen Umhang um und ging barfuss aus dem Haus, durch den Wald in Richtung des Weges von Hohenerzberg nach Eleanor.
    #18VerfasserJean-Louis19 Jan. 09, 15:08
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    Am Wegesrand angekommen blieb sie stehen und sprach vor sich hin: „Na ja, diese gute Tat werde ich bestimmt nicht bereuen, hilft sie doch doppelt. Habe ich halt nur 500 Jahre Zeit, um die erste dunkle Seele zu fangen. Dann noch mal so lange für die zweite, damit ich mir wieder eine von denen, die ich jetzt schon habe, einverleiben kann, um dann auch wieder jung zu sein. Ich könnte es auch in kürzerer Zeit schaffen, einen Mann zu bezirzen, damit er eine Nacht mit mir verbringt und mit seiner Seele dafür bezahlen muss. Aber ich lass mir jetzt erstmal 300 Jahre zum Genießen.“

    Dann lächelte sie und überlegte, wie lange wohl der Empfänger der suchenden Seele brauchen würde, um in diese Gegend zu kommen. Es blieb ihr mehr Zeit, wenn sie nach Eleanor anstatt nach Hohenerzberg gehen würde, von wo aus sie dem Seelenempfänger dann ohnehin nach Eleanor folgen müsste, denn von dort aus würde die Suche der wiedervereinten Seele im neuen Körper beginnen. Um ihr Häuschen musste sie sich während dieser Zeit keine Sorgen machen, denn dies blieb unsichtbar verborgen. So ging sie in östliche Richtung mit folgenden Worten:
    „So schlecht bin ich nun auch nicht. Es gibt halt doch noch gute Hexen.“ Das dann weit in den Wald hinein schallende, irrsinnig klingende Gelächter mochte so manches Tier für die nächsten Tage vollkommen verschreckt haben, Auinaya störte das allerdings nicht im Geringsten.

    Nur vier Tage später...

    „Verdammt, verdammt, verdammt noch mal…“, schrie Auinaya in den Wald hinein und schmiss ihr Bündel aus Wut in eine Ansammlung kleiner Fichten. Dann kniete sie sich nieder und rutschte zweimal auf Händen und Knien quer über den Weg von Hohenerzberg nach Eleanor, die Nase laut schnüffelnd einen Fingerbreit über den Boden führend.
    „Er war schon hier – er kam schon vorbei und ist schon in Richtung Eleanor weiter gegangen“, murmelte sie bei ihrem Wittern der Spuren, die in der leicht feuchten Oberfläche des Weges zu sehen waren. Anschließend richtete sie sich wieder auf und sah so aus, als sei sie eben frisch frisiert, gewaschen und angekleidet aus dem Haus gegangen. Auf einen Schutzzauber gegen Verschmutzungen jeder Art hat sie sich schon in ihrer frühesten Jugend verstanden.

    Nachdem sie nach dem Verlassen ihres Häuschens eigentlich gleich nach Eleanor gehen wollte, waren ihr kurz vor dem Ende des Waldes zwei Jäger begegnet. Es war früher Morgen und sie wurde von der Sonne beschienen. Rasch hatte sie den Umhang in ihr Bündel gestopft und trat den Männern nun in Wegesmitte entgegen, so dass diese durch ihr feines Seidenkleid fast hindurch sehen konnten, weil sich ihr Körperbau sehr deutlich unter dem hautengen Stoff abzeichnete. Das sehr schmale Brusttuch und das hauchzarte Höschen verbargen ohnehin fast nichts. Sie konnte die Gier in den Augen der Männer gleich erkennen und fühlte auch ein schon lange nicht mehr verspürtes Verlangen nach den Berührungen von hitzigen, rauen Männerhänden. Schnell entschlossen änderte sie die Richtung und ging nach links in den Wald hinein, dabei einen leichten Duftzauber wirkend, der die Männer nicht nur betören, sondern sie zwingen sollte, ihr zu folgen, was diese daraufhin auch bereitwillig taten.
    #19VerfasserJean-Louis19 Jan. 09, 19:56
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    Auf einer Waldlichtung entkleidete sie sich dann und legte sich in ein dunkelgrünes Moospolster, nicht ohne einen wirksamen Wärmeschutz auszusprechen. Den Jägern fielen fast die Augen aus dem Kopf und der Geifer verhinderte, dass sie richtig sprechen konnten, als sie eine so schöne Frau um diese Jahreszeit nackt im Wald liegen sahen. Es war ein Leichtes für die Hexe, den benommenen Verstand der beiden zu lenken und sich die nächsten Tage Stunde um Stunde mit einem der kräftigen, ausdauernden Kerle oder gar beiden auf ein Mal zu vergnügen. Besonderen Spaß hatte sie daran, davon zu laufen und sich fangen zu lassen. Wer sie als erster fand, wurde mit allen Sinnlichkeiten belohnt, die ein junger Frauenkörper zu bieten hat.

    Normalerweise hätte sie versucht, wenigstens einen der lüsternen Kerle in den Tod zu locken. Sie spielte bereits mit dem Gedanken, den etwas jüngeren und nicht ganz so zähen Jäger zu einem Bade in dem nahen, kleinen Teich zu verführen. Zuerst hätte sie seinen Körper aufgeheizt mit anstößigen Handlungen und dann, selbst durch den Wärmezauber geschützt, das Liebesspiel im Wasser ausführlich fortgesetzt. Bis zur Erschöpfung von ihr getrieben, wäre sein Ende durch die schleichende Unterkühlung rasch über ihn gekommen. Doch damit wollte sie sich nun 300 Jahre Zeit lassen – die Männer hatten mehr Glück als Verstand.

    Als sie sich vorhin aus dem primitiven Lager davongeschlichen hatte, lagen die zwei Kerle in einem Schlaf der totalen Erschöpfung. Abverlangt hatte sie ihnen alles, so viel musste sein. Nun holte sie ihr Bündel aus den Büschen heraus und ging weiter, barfuss, in Richtung Eleanor. Sie überlegte, wie sie sich äußerlich geben sollte. Leider konnte sie weder ihre Größe, ihr Geschlecht und auch nicht ihr Alter beeinflussen – dazu waren ihre magischen Kenntnisse doch zu gering. Aber immerhin konnte sie ihr Aussehen soweit ändern, dass sie mit dieser Magie selbst den alten Mann täuschen konnte, als sie ihm an der Wegekreuzung auflauerte, um ihm den richtigen Weg in den Tod zu weisen. Hätte sie jemand jetzt beobachtet, würde er daher auch an seinem eigenen Verstand gezweifelt haben, da diese Frau alle paar Schritte die Haarfarbe und -länge sowie die Frisur änderte.

    Auinaya schritt weit und schnell aus. Nachdem sie sich für lange, schwarze Haare, die in einem seidigen Glanz einfach glatt über ihre Schultern fielen, entschieden hatte, dazu blaugraue Augen und einen bronzenen Farbton für die Haut, kramte sie beim Gehen in ihrem Bündel. Bevor sie in Sichtweite der Stadtwachen kommen würde, musste ihre Tarnung vollkommen sein. Barfuss wäre sie sofort aufgefallen, vor allem auch deswegen, weil sie keine schmutzigen Füße bekam. Auch das Verschwinden ihrer Fußspuren nur zwanzig Schritte hinter ihr war verräterisch. So steuerte sie auf einen Baumstumpf am Wegesrand zu und zog sich dort feste Schlupfschuhe über die Füße, die sie ganz unten in ihrem Bündel gefunden hatte. Der graubraune Umhang, fast knöchellang und aus einem derben Stoff verhüllte ihr edles Kleid, gehalten von einer seltsamen Spange, die einer grünen Spinne glich. Sie drückte diese Spange an den Stoff, murmelte etwas und die acht Spinnenbeine zogen die losen Hälften fest zusammen. Zuletzt legte sie sich ein dunkel kariertes Kopftuch über die Haare und ging dann weiter Richtung Eleanor, diesmal deutlich sichtbare und bleibende Abdrücke hinterlassend.
    #20VerfasserJean-Louis19 Jan. 09, 22:26
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    Es begann bereits zu dämmern, als sie das Stadttor erreichte. Die Wächter hielten gerade ein Schwätzchen. Ein kleiner, etwas dicklicher Wachmann mit freundlichem Gesicht senkte seine Hellebarde, erhob sie aber gleich wieder, als er eine nur harmlos erscheinende Frau langsam herankommen sah.
    „Wer seid ihr, was wollt ihr und wo kommt ihr her?“
    „Mein Name ist Auinaya Grei, lieber Wächter. Ich bin eine schwache Frau und suche Schutz auf meiner Wanderschaft vor den Gefahren der Dunkelheit auf meinem Wege von Hohenerzberg nach Eleanor. Sagt, ist denn dies endlich das Ziel meiner Reise? Wenn ja, so hoffe ich nämlich, meinen Vetter zu finden, der ebenfalls auf der Reise hierher sein müsste, vielleicht sogar schon in der Stadt weilt.“ Die Hexe stand mit gekrümmtem Rücken vor dem Mann und sah ihm, unter dem Kopftuch hervorlugend, von unten ins Gesicht.
    „Soso, euren Vetter gedenkt ihr hier zu treffen, fremde Frau Grei. Nun, dann folgt der gepflasterten Hauptstraße bis zum großen Marktplatz. Haltet euch dort links bis zum Rathaus und biegt in die erste Gasse ebenfalls nach links hinter dem Rathaus ein. Dort findet ihr unsere berühmte Taverne „Felsenkeller“. Das beste Gemäuer weit und breit für gute Speisen, vorzügliche Getränke und Übernachtungsmöglichkeiten für jeden Betrag. Sollte euer Vetter tatsächlich hier sein, wird er sich dort ebenfalls aufhalten. Die Taverne ist für Fremde der erste Anlaufpunkt in der Stadt.“

    Auinaya bedankte sich ganz artig mit einem angedeuteten Knicks, wünschte den Wachleuten noch eine angenehme Schicht und ging so, wie es ihr erklärt worden war. Allerdings hätte sie die gesuchte Person auch allein gefunden, ohne jede Wegbeschreibung. Ihr Geruch, der auf dem Weg im Walde kaum noch vorhanden war, hätte sie der Hexe sowieso verraten, wenn sie in ihre Nähe gekommen wäre. Vor der Taverne schlug ihr nun ein Luftstoß mit dem üblichen Wirtshausdunst entgegen, als ein Gast das Haus verließ und sofort hatte sie den aufgenommenen Geruch in der Nase. Habe ich dich schnell gefunden, Kleiner, dachte sie und freute sich, dass bis jetzt ihr Zauber so wirkte, wie sie es wollte und wie es auch sein musste. Leise schlüpfte sie durch die Türe ins Innere der Taverne und ging zielstrebig, ohne sich irgendwohin umzuschauen, in die Ecke am großen Kachelofen, wo sie sich mit leicht gesenktem Kopfe setzte und dann in aller Ruhe das Kopftuch abnahm. Rasch hatten ihre flinken Augen die so ungleiche Gruppe an dem Tisch in der Mitte der langen Wand erfasst. Ein einäugiger Krieger, wie seine Rüstung verriet – Auinaya kannte solche Rüstungen und auch solche Männer, konnte daher einen Krieger erkennen - dann eine sehr gut aussehende Elfe - wohl eine geübte Jägerin, nach ihrem Äußeren und Verhalten zu urteilen. Das passte der Hexe zwar gar nicht, aber sie beruhigte sich sofort wieder, als sie den blonden, blassen Halbelfen musterte, der bei den beiden anderen saß. Mit einem Gefühl des Stolzes wanderten ihre Augen über den Körper des Jünglings.

    Eleanor – Gespräche in der Taverne Felsenkeller

    Während Telmy seinen Blick über die anderen Gäste schweifen ließ, deren Zahl sich langsam erhöhte, fiel ihm auf, dass er diese Taverne geradewegs gefunden hatte, nachdem er die Stadt Eleanor betrat, ohne ein einziges mal nach dem Weg zu fragen, weil er sich gar nicht fremd fühlte. Dieses Gefühl „das kommt mir bekannt vor“ hatte ihm schon ein paar mal den Kopf gefüllt, seitdem er in Hohenerzberg angekommen war und dort wie hier, in Eleanor, sah er im Geiste immer wieder Orte, Plätze und Häuser, die ihm vertraut vorkamen. Merkwürdig daran war, dass in seinen Gedanken auch noch Bilder von früheren, älteren Zuständen dieser Orte, Plätze und Häuser auftauchten, die er sich gar nicht erklären konnte. Als eine rundum bestens ausgestattete Schankmagd zu ihm trat und seine Bestellung – einen Krug Milch – mit glühenden Augen aufnahm und ihn „Süßer“ nannte, wurde ihm etwas unwohl. Doch die Hitze stieg noch an bei ihrer Rückkehr mit dem Getränk. Sie bückte sich vor ihm so tief, dass er befürchtete, aus dem weiten Ausschnitt des Kleides würde etwas herausfallen, sah ihm honigsüß in die Augen und hauchte ihm zu, dass sie bald Feierabend hätte. Ehe sie wegging, sah sie ihn noch einmal schmachtend an und fuhr sich mit der Zungenspitze über ihre vollen Lippen.
    #21VerfasserJean-Louis20 Jan. 09, 10:03
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    Darüber nachdenkend bemerkte er nicht, wie ein Mann an den Tisch trat. Erst dessen Worte unterbrachen seine Überlegungen und er wandte seine Aufmerksamkeit der freundlichen Begrüßung zu. Als er aufsah, während er sich rasch erhob, zuckte er leicht zusammen. Da stand ein Kämpfer, vielleicht sogar ein Krieger, mit einer Augenklappe im Gesicht – und wieder beschlich ihn das unheimliche Gefühl, von diesem Mann, den er jetzt das erste Mal sah, schon gehört zu haben. Während Telmys Hand von allein eine einladende Bewegung machte, hallten die Worte des Fremden in seinen Gedanken wider: „Ich grüße euch Fremder! Gestattet ihr, dass ich mich zu euch setze um mich von einer langen Reise auszuruhen und meinen Krug an eurem Tisch zu leeren?“

    Ohne es zu merken, war der letzte Rest Farbe aus Telmys Gesicht gewichen, was aber nur einem sehr aufmerksamen Beobachter auffallen sollte, da die Haut des Halbelfen, der als solcher gar nicht zu erkennen war, da die Ohren nur ganz wenig von einer üblichen menschlichen Form abwichen, ohnehin sehr hell war – als wäre er ein Geschöpf der Dunkelheit, das gelernt hatte, im Licht des Tages zu leben. Beinahe vergaß er, etwas zu sagen.
    „Mit einem Dank erwidere ich euren Gruß. Bitte sehr, so setzt euch. Ich hoffe, dass ich nicht euren Stammplatz belegt habe.“ Im selben Moment fiel ihm die Milch im Krug ein und etwas verschämt schob er schnell diesen zur Seite, damit der Krieger nicht sehen konnte, welcher Inhalt darin war. Auch den leeren Becher stellte er zum Krug. Höflich wartete er, bis sich der Mann hingesetzt hatte und etwas sagte.

    „Ich danke euch! Meine durchgefrorenen und geschundenen Knochen können diese Pause wahrlich gut gebrauchen!“ Mit diesen Worten zog der Einäugige sich einen Stuhl heran und hockte sich zu dem jungen Burschen an den Tisch.
    „Nein, keineswegs habt ihr mir oder sonst jemandem einen Platz weggenommen. Der Felsenkeller und all seine Plätze stehen jedem freundlich Gesinnten offen.“ Er nippte kurz an seinem Krug und blickte dann seine Gegenüber an.
    „Mein Name ist Baldur! Ich bin hier in Eleanor zuhause, doch euch habe ich hier noch nie zu Gesicht bekommen. Woher kommt ihr?“

    Bevor Telmy antworten konnte, betrat ein Zwerg die Taverne und schrie einen Namen in den Schankraum. Danach setzte er sich auf einen freien Platz, bestellte dunkles Bier und grummelte vor sich hin. Eine hoch gewachsene Elfe in einem Jagdanzug betrat unmittelbar hinter dem Zwerg den Felsenkeller und wandte sich sogleich einem Gnom zu, den sie daraufhin schmunzelnd in Richtung des grummelnden Zwerges schickte. Telmy hatte sich inzwischen vorgestellt.
    „Ich heiße Eventhin, Telmy Eventhin, werter Baldur. Verzeiht mein Verhalten, ich war etwas überrascht und in Gedanken, als ihr mich anspracht.“ Nun setzte sich Telmy wieder und schob seinen Krug und den Becher noch etwas weiter nach links.
    „Ich bin heute das erste Mal in dieser Stadt, die man Eleanor nennt. Gestern war ich noch in Hohenerzberg. Nach wahrscheinlich zu vielen Begegnungen mit allerlei Volk brauchte ich Erholung von dem Trubel und den Unmengen an verschiedensten Wesen, die man dort antrifft. So verließ ich die Stadt aufs Geradewohl und nahm den erstbesten Weg, der sich anbot. Den Rest erledigten meine Füße von allein. Sie führten mich direkt in den Felsenkeller.“

    Der Mann schien nur neugierig zu sein, ohne weitere Hintergedanken. Da Telmy eine Frage auf der Zunge brannte, musste er sie gleich stellen, auch auf die Gefahr hin, dass er wegen seiner vertrauensseligen Art wieder einmal in ein Fettnäpfchen trat.
    „Sagt, werter Baldur, ist es hier der Brauch, dass man von einer jungen Frau gleich ein… ein… dass man mit „Süßer“ angesprochen wird und einladende Blicke bekommt?“ Mit geröteten Wangen sprach er hastig weiter: „Ist das hier am Ende ein verruchter Ort, an dem man vor allem Nachts nicht bleiben sollte, wenn man den ehrbaren Absichten gegenüber den Frauen nicht abschwören will?“ Mit Sorgenfalten auf der Stirn und ernstem Blick schaute er nun diesem Baldur in die Augen.
    #22VerfasserJean-Louis20 Jan. 09, 11:39
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    Im selben Moment bemerkte er eine herantretende Person. Die Jägerin war zu dem Tisch, an dem Baldur und ein für sie Fremder saßen, geschlendert und fragte freundlich: „Darf ich?“
    Telmy sah zu ihr hin und erkannte, dass es eine Elfe war. Da schoss es ihm schmerzlich durch den Kopf: Bei den Göttern, wenn sie meine Frage gehört hat und ich falsch liege, muss sie sich beleidigt fühlen – was mache ich dann bloß? Doch bevor er weiter überlegen konnte, sah er für Bruchteile eines Augenblickes Bilder – so, als stünde er in pechschwarzer Nacht im Freien und im grellen Schein eines Blitzes würde er ein Gesicht sehen – ihr Gesicht? – zwei, drei mal hintereinander.

    Telmy ließ den Blick sinken und fasste sich an die Stirn, damit diese aufflammenden Bilder aufhörten. Dann stotterte er nur verlegen, während er aufsprang: „Aber bitte… wenn ihr euch setzen wollt… verzeiht meine Rede“, und machte sich darauf gefasst, einen vernichtenden Blick von der Dame zu ernten. Es war einen Moment lang in der Taverne etwas lauter geworden und so wartete Baldur kurz, der ebenfalls aufgestanden war, ehe er das Wort erhob, um zunächst die Jägerin zu begrüßen.
    „Ich grüße euch, werte Daria. Schön, dass ihr wieder einmal den Weg aus eurem Dorf in unsere Stadt gefunden habt und uns Gesellschaft leisten wollt.“ Während der junge Bursche wartete, bis die Elfe bei ihnen Platz genommen hatte, flüsterte Baldur ihm leise ins Ohr:
    „Nein, nein, keine Angst, werter Telmy Eventhin. Unsere gute Josephine führt nichts Böses im Schilde, sie erfreut sich lediglich an jungen, hübschen Männern. Mir hat sie leider schon seit Jahren keinen solchen - äh…, ich meine, Blick nachgeworfen. Ihr müsst Euch jedenfalls keine Sorgen um euer Seelenheil machen. Ansonsten bedient hier ja auch noch der alte Bertram, der euch mit Sicherheit keine derartigen Angebote machen wird.“

    Baldur deutete hinüber auf den vernarbten Gesellen, der trotz seines offenkundig hohen Alters geschickt ein voll beladenes Tablett durch die inzwischen recht ansehnliche Schar der Gäste beförderte. Dabei hob der Einäugige seine Stimme wieder auf normale Lautstärke und fuhr fort:
    „Nun aber, um auf eure Reise zu sprechen zu kommen, fühlt ihr euch nicht ein wenig wie vom Regen in die Traufe versetzt? Ihr habt Hohenerzberg verlassen um dem Trubel zu entkommen und habt euch als neues Ziel tatsächlich ausgerechnet für Eleanor entschieden? Natürlich gibt es hier auch ruhige und stille Fleckchen, die Stadt ist schließlich groß genug, um für jeden den passenden Ort zu finden, aber Trubel und Angehörige verschiedener Volksarten sind selbstverständlich auch hier zu finden.“

    Daria nickte Baldur kurz zu. Natürlich hatte sie Telmys Frage an Baldur gehört, doch diese überhörte sie taktvoll, da sie sich vorstellen konnte, wie schwer sie über die Lippen des jungen Mannes gekommen war. Und trotzdem - sein Blick war nicht nur verlegen, sondern regelrecht verstört. Als ob...? Nein, sie war seit Ewigkeiten nicht mehr in der Hauptstadt gewesen und er sah nun wirklich nicht nach einem großen Abenteurer aus - eher wie das eines Barden war sein Gebaren. Inzwischen brachte Bertram zwei Krüge, einen mit Johannisbeersaft und einen sehr großen Krug mit dunklem Bier. Alle drei setzten sich nun hin und sie fragte:
    „Ihr sagt, ihr kommt direkt aus Hohenerzberg? Und wo wart ihr vorher? Entschuldigt, aber ich kann mir nicht vorstellen, länger als ein paar Stunden in dieser einfach zu großen Stadt zu verweilen.“ Telmy antwortete sogleich.
    #23VerfasserJean-Louis20 Jan. 09, 14:54
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    „Entschuldigt noch mal bitte, werte Dame Daria, werter Herr Baldur. Der heutige Tag war vielleicht zu viel. Ich war sicherlich übermütig, als ich vor ein paar Tagen in aller Frühe in Hohenerzberg als Begleiter auf einem Fuhrwerk ankam. Man setzte mich einfach am Wachhaus ab und ehe ich mich versah, steckte ich in dieser leichten Rüstung und hatte zwei Schwerter in der Hand. Was sollte ich tun? Also begab ich mich in die Garnison und übte den Schwertkampf, tat mich aber recht hart damit, weshalb ich gestern Abend wieder aus dem Militärdienst entlassen wurde, die einfache Ausrüstung aber behalten durfte. Zum Glück hatte ich noch zu essen, nur das Nachtlager war mehr als unbequem. Aber schlimmer war der Gestank in dem Raum. Meine Nase wird sich nie an Gerüche gewöhnen, die tagelang ungewaschene Wesen, gleich welcher Rasse, von sich geben. So nahm ich Reißaus und rannte nach dem Bezahlen der mehr als einfachen Herberge schnell nach dem Frühstück davon, weil es in den dortigen Gasträumen noch schlimmer dünstete, als auf dem Schlafboden. Dann kam es so, wie ich schon sagte, meine Füße trugen mich einfach hier her.“

    Vom Reden einen trockenen Mund bekommend, schenkte sich Telmy etwas Milch in seinen Becher und trank einige Schlucke. Er hatte längst vergessen, dass es ihm gerade eben noch unangenehm war, wenn man bemerken würde, dass er Milch trank. Als Josephine mit einem Augenzwinkern hinter Daria vorüberging, bekam Telmy wieder etwas Wärme und Farbe ins Gesicht und flüsterte:
    „Ich kann gar nicht ausdrücken, wie froh ich bin, nicht allein hier zu sitzen. Mag sein, dass die Dame Josephine keine schlimme Frau ist, aber ich wüsste doch gar nicht, wie ich mich auf so ein… so ein „Angebot“ hin verhalten sollte.“ Immer wieder Daria kurz in die Augen blickend, aber sofort wieder wegsehend, sprach er weiter. „Ich denke nicht, dass Eleanor diesem Hohenerzberg sehr ähnlich ist. Hier herrscht ein viel mehr geordnetes Treiben als dort und es weht nicht so ein muffiger, teilweise übler „Duft“ durch die Gassen, soweit ich das bisher feststellen konnte. Allein hier im Felsenkeller findet man schon nicht solch barbarischen Umgangston.“

    Nun fasste sein Blick Darias Gesicht fest und ohne dass er es selber merkte, änderte sich seine Augenfarbe langsam von dem milden Bernsteinton in ein immer stärker strahlendes Blau und seine Gesichtszüge verhärteten sich. Er sprach nun und schien dabei durch Darias Augen hindurch zu sehen – in eine weite Ferne. „Woher ich komme? Ziemlich weit aus dem Norden, dort wo es sechs bis sieben Monde lang tiefer Winter ist, aus einem kleinen Dorf in einer einsam gelegenen Wildnis. Zum Ende des Winters bekommen wir dort fast immer Besuch – es sind die hungrigen Wölfe, die ihre natürliche Scheu vor den Menschen verlieren, wenn ihnen die Nahrung ausgeht. Ja, immer wenn der Wolfsziegel heult, im Dach des Hauses meines Großvaters, dann wenn der Wind vom Osten kommt, bringt er diese Untiere mit und wir müssen gegen sie kämpfen. Selbst wenn wir das ganze Rudel töten, im nächsten Winter sind neue da.“

    Mit den letzten Worten verschwand die blaue Augenfarbe und der honiggoldene Schimmer in seinen Augen glättete Telmys Gesicht zusätzlich. Er schaute etwas verwundert, so als ob er gerade zugehört hätte, wie jemand anderes etwas erzählte – nicht er selbst. Als er merkte, dass sein Blick sich mit Darias noch immer kreuzte, schlug er sofort wieder die Augen nieder und legte seine Hände vor sich auf die Tischkante.
    #24VerfasserJean-Louis20 Jan. 09, 16:27
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    Während der Fremde - Telmy - von seiner Ankunft und seinen Erlebnissen in Hohenerzberg erzählte, schaute Daria ihn aufmerksam an. Wieso hatte sie das Gefühl, ihn zu kennen? Sie wechselte einen nervösen Blick mit Baldur, aber bei ihm erkannte sie keine solche Regung. Plötzlich sprach er sie direkt an. Aber war das wirklich der Fremde? Auf einmal schien Telmy verändert, sein Gesicht wirkte starr und seine Augen blickten sie erst an, dann durch sie hindurch. Seine Augen...waren sie nicht eben bernsteinfarben? Was war das? Ihre Gedanken arbeiteten fieberhaft und verzweifelt versuchte sie zu ergründen, was hier passierte. Dann war es schon wieder vorbei. Telmy wurde wieder der unerfahrene, junge Mann, der er vorher gewesen war. Der junge Mann, der mit seinen hellen Augen wieder verlegen zur Seite blickte, als hätte er etwas falsch gemacht. Hastig leerte die Elfe ihren Krug. Daria musste sich anstrengen, um ihre Stimme hörbar zu machen und auch jetzt klangen ihre Worte nur heiser.
    „Weshalb habt ihr euer Heim verlassen? Es ist doch sicher ein Verlust, wenn ein junger Mann eine solch gefährliche Gegend verlässt. Auch wenn es sicher nichts Ungewöhnliches ist.“

    Telmy versuchte mehrfach, einen Anfang zu der Antwort zu finden, welche die Dame Daria ihm abverlangte. Im Hintergrund sagte er zu sich selbst, dass er schon jetzt viel zu viel erzählt hätte – aber was sollte er sonst tun? Wie könnte er Anschluss irgendwo finden, wenn er sich verschließen würde? Ihm wurde warm, sehr warm und er begann an der Stirn sichtlich zu schwitzen. Unruhig erhob er wieder die Stimme, aber etwas leiser als vorher.
    „Doch, es ist ungewöhnlich, dass ich mein Dorf verlassen habe, weil das seit langer Zeit niemand getan hat. Im Gegenteil, der Dorfrat ist mehr als bemüht, besonders junge Männer – nein, überhaupt Männer - in meine Heimat zu holen. So seltsam es klingt, aber auf fast jedes männliche Kind, das dort geboren wird, kommen zwei weibliche Neugeborene, ehe wieder ein Knabe das Licht der Welt erblickt. Niemand weiß warum! Meist sind es Jäger und Fallensteller, die einfach im Tal bleiben und eine Familie gründen, weil sie – wie wohl nirgends sonst – sich eine Frau nach ihrem Geschmack aus den Jungfern und Witwen aussuchen können. Selbst Gaunern und Strolchen wird Unterschlupf gewährt, wenn sie nur bleiben und die Zahl der Männer erhöhen wollen.“

    Wieder schenkte der nun fast kalkweiß gewordene junge Mann den Becher voll Milch und schüttete diese in einem Zug in die Kehle. Es war inzwischen draußen dunkel geworden. In der Schankstube des Felsenkellers wurden Kerzen und Öllampen angezündet, trotzdem hatte die Helligkeit im Raum deutlich abgenommen. Als Telmy erneut den Blickkontakt mit dem Krieger und der Frau suchte, waren seine Augen dunkel. Das warme Bernsteinbraun war einem Schwarzbraun gewichen, welches ihm einen scheinbar finsteren Blick verlieh. Dann murmelte er kaum hörbar:
    „Ich weiß nicht, ob ich noch mehr erzählen soll. Meine Herkunft ist wirr, zum Teil verborgen. Das meiste darüber weiß ich selber nur von anderen oder vom heimlichen Lauschen, wenn man sich wieder einmal beriet, wie es mit mir, dem „unheilvollen Halbling“ weiter gehen solle. Manch einer hätte mich lieber tot als lebend gesehen. Im Grunde bin ich froh, dieser ständigen Verfolgung und Beschimpfung in meinem Dorf endlich entkommen zu sein. Ohne meinen Großvater, dem Druiden in dieser Gegend, würde ich bestimmt nicht hier sitzen.“
    #25VerfasserJean-Louis20 Jan. 09, 21:08
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    Aufmerksam hatte Baldur zunächst den Worten des jungen Telmy gelauscht. Nun hielten seine Hände den Krug fest umschlungen und hell traten die Knöchel seiner Finger dabei hervor. Sein Blick suchte und fand den jungen Burschen und mit leiser Stimme fing Baldur an zu erzählen.
    „Nun, wisset ihr werter Freund, da draußen in der Wildnis mag es gewiss schlimm gewesen sein, doch warne ich euch eindringlich vor der so genannten Zivilisation. Die Bestien da draußen greifen euch offen mit Zähnen und Klauen an, während unsereins unentwegt verletzende Stiche und Hiebe in den Rücken hinnehmen muss. Heimtücke und Verschlagenheit sind ein Übel der Zivilisation, welches keiner Bestie zueigen ist, so wild und grausam sie auch sein mag. Diese gefährliche Krankheit bleibt den Denkenden vorbehalten und sie führt nicht selten zu einem schleichenden Tod. Bedenkt, es gibt kaum eine Möglichkeit sich dieser unablässigen Spitzen, dieser Angriffe zu erwehren. Ist der heimtückische Keim erst einmal gesät, dann fällt es selbst dem Gesündesten schwer, gegen die Folgen zu bestehen. Ein mit Bedacht gewähltes Wort vermag in dieser Welt viel schwerer zu verletzen als selbst der treffsicherste Hieb. So rate ich euch, nicht nur stets auf eure Feinde zu achten sondern werft auch immer einen Blick auf vorgebliche Freunde. Es könnte sonst der Tag kommen, an welchem man euch bewusst in eine Ecke drängt. Eine Ecke die ihr nicht gewählt habt und die ihr nie für möglich gehalten hättet.“

    Was der Einäugige nach wie vor unentwegt aus fernen Gefilden vernehmen musste, weckte eine tiefe Trauer in ihm und machte ihm schmerzlich bewusst, dass es stets zweier Seiten bedarf, um Ruhe und Harmonie einziehen zu lassen ins Land. War eine Seite jedoch darauf erpicht, die Glut weiter zu schüren und fortlaufend damit beschäftigt, aufzustacheln, so waren aufkeimende Ruhe und Harmonie wohl zum Scheitern verurteilt. Wie lange sollte das noch so weiter gehen? Die Zeiten waren unsicherer geworden und er fragte sich, wie lange man noch in Frieden würde leben können. Er wusste es nicht…

    Beim Zuhören musterte Telmy die schöne Elfe namens Daria aus dem Augenwinkel. Er traute sich nicht, sie offen anzusehen. Auch schien sie etwas nervös. Er hatte den Worten des Kriegers Baldur mit voller Konzentration gelauscht.
    „Werter Baldur, eure Worte sind um einen weisen Kern herum gesprochen, wie ich meine. Solch Mahnungen vor dem, was aus einem denkenden Kopfe herauskommen kann, hörte ich bisher nur von den Ältesten in meinem Dorf und von meinem Großvater, dem Druiden. Dieser ist aber so alt, dass er nicht mehr weiß, wann er geboren wurde. Ihr seid um ein vielfaches jünger. Woher habt ihr diese Erfahrungen und wie komme ich dazu, diese Gunst zu erhalten? Außerdem habe ich keine Freunde hier.“

    Daria legte ihre Hand auf den Arm des Einäugigen, schaute aber den Fremden an.
    „Es ist wahr, nur knapp konnten wir verhindern, dass ein aufkeimender Konflikt mit Waffengewalt ausgetragen wurde. Und auch wenn ich fürchte, dass die Worte, die Baldur beschreibt, irgendwann zu einer Zuspitzung und vielleicht einem Blutbad führen, so sind es nicht die Worte, die töten. Sie sind nur der Samen. Aber ich denke nicht, dass wir diesen trüben Gedanken nachhängen sollten, das führt zu nichts. In einem muss ich Baldur nämlich widersprechen: Dort, wo ihr herkommt, Telmy, wird täglich ums pure Überleben gekämpft. Ständig muss darauf geachtet werden, dass genug Korn in den Speichern ist und die Raubtiere das Vieh nicht zerfleischen. Die Schmerzen, die uns durch den Verstand zugefügt werden, verletzen nur unsere Seele, unseren Geist. Aber tödlich? Nein, tödlich sind sie nicht. Das sind nur die Schwerter und die Äxte, die zu Worte kommen, wenn man den anderen Kampf verliert. Aber bis dahin... können wir das Leben in der Zivilisation auch genießen, denn es ist bei weitem nicht so hart wie in den Nordregionen.“ Daria lächelte Baldur an, der mit sich zu hadern schien, und drückte leicht seinen Arm.
    „Sagt, Telmy, wusste euer Großvater nicht, was die Ursache für das Ungleichgewicht bei den Neugeborenen sein könnte? Und war er auch ein Halbelfe wie ihr? Das wäre ungewöhnlich für einen seiner Art. Zumal Druiden gemeinhin geachtet werden, was bei Euch nicht der Fall zu sein scheint.“ Ihre Neugier hatte sie gepackt. Hier war ein Rätsel, ein mögliches Abenteuer. Fast vergessen war das Gefühl, welches sie bei Telmy hatte. Aber nur fast.
    #26VerfasserJean-Louis21 Jan. 09, 09:13
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    Darias Fragen trafen Telmy wie Peitschenhiebe. Noch nie konnte er mit jemandem außerhalb seines Dorfes über die dunklen Geschehnisse um seine Herkunft und Kindheit sprechen. Er rang mit sich. Als seine Augen wieder die der Jägerin trafen, durchzuckten seinen Geist erneut Blitze und für Bruchteile eines Augenblickes erschien diesmal diese Elfe darin mit ganzer Gestalt. Er fasste sich an den gesenkten Kopf und musste sich kurz mit geschlossenen Augen konzentrieren, damit es aufhörte. Wieder verhärteten sich seine Gesichtszüge und er wollte zu Daria aufsehen, doch ein heftiger Kopfschmerz ließ ihn zusammenzucken und sein Gesicht war wieder weich wie das eines Kindes. Dann brach es aus ihm heraus.

    „Der alte Druide ist nicht wirklich mein Großvater. Er fand in einem sehr strengen Winter, als er mit Holzfällern im Walde war um zu bestimmen, welche Bäume geeignet sind für neue Dachbalken des Schulhauses, am Fuße einer Felswand unter einem Schneehaufen ein Bündel, in dem ein neugeborenes Kind verborgen war. Nur das leichte Bewegen des Schnees aufgrund des Atmens des Kindes ließ seinen Blick dort verharren und ihn nachsehen. Das Kind war lebensfähig und wurde mit dem Pferdeschlitten schnellstmöglich ins Dorf gebracht. Da es keinen richtigen Priester in dieser Gegend gab, sollte die Dorfgemeinschaft entscheiden, was mit dem Kind geschehe. Die alten Frauen sprachen sofort von einem unheilvollen Zeichen. Aus dem Dorf konnte es nicht stammen – keine Frau war zu dieser Zeit gebärend, nicht einmal eine Schwangere gab es. Auch konnte keine Frau aus weit entfernten Dörfern das Kind dorthin gebracht haben, so schlecht war wochenlang vorher ununterbrochen das Wetter gewesen. Selbst der schnellste Pferdeschlitten hätte in der Nacht vom nächstgelegenen Dorf her nicht einmal ein Viertel der Wegstrecke überwinden und diese Stelle erreichen können. Man flüsterte schon von einem Dämonen- oder wenigstens Wolfskind. Dagegen sprachen aber die blaue Augenfarbe und die helle Haut, sowie die blonden Haare. Nur an den Ohren konnte man ganz schwach eine elfische Verwandtschaft feststellen, alles andere schien menschlich. Der Druide hatte das Kind gerettet, deswegen verbot es sich, dass er es töten würde. Die Dorfgemeinschaft zögerte – schließlich ist das Rufen nach dem Tode etwas anderes, als selbst Hand anlegen zu müssen.

    In diesem Moment stürzte eine Frau in den Gemeindesaal, in dem fast alle erwachsenen Bewohner des Dorfes zu Rate saßen. Diese Frau hatte nur wenige Tage vorher ihren zwei Monate alten Säugling durch die grauenhafte Kälte, die herrschte, verloren und war in eine schwere Geistesstörung gefallen. Sie weigerte sich anzuerkennen, dass ihr Kind gestorben sei und suchte jeden Tag nach ihm, was auch ihrem Mann schon fast den Verstand kostete. Sie rannte laut schreiend in den Saal und riss das Kind an sich. Sie lachte und tanzte dann damit an den verwunderten Dorfbewohnern vorbei, sang sogleich ein Beruhigungslied, weil das Kind zu schreien anfing und kam in diesem Augenblick wieder zu Verstande. Ihrem Manne rief sie entgegen, es sei nun alles wieder gut, ihr Sohn sei wieder da. Niemand wollte nun noch die Tötung verlangen. Im Gegenteil, man begann zu murmeln, dass ein herber Verlust ausgeglichen sei und doch alle froh sein sollen, ein männliches Kind erhalten zu haben. Der Druide sprach daraufhin diesem Paar das Kind zu und sie zogen es zunächst auf. Ich war das gefundene Kind!“ Während er erzählte, schweifte sein Blick zwischen Baldur und Daria hin und her, ohne einen festen Punkt zu finden.
    #27VerfasserJean-Louis21 Jan. 09, 13:08
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    Als die Jägerin die Veränderung, den Schmerz, in den Augen des Fremden sah, wollte sie schon fast aufspringen, sich entschuldigen und ihm helfen. Und alles passierte, wenn er mit ihr sprach, wenn er sie ansah. Telmy schien sich wieder zu fangen und erzählte seine Geschichte. Daria hörte aufmerksam zu, versuchte das Ereignis zeitlich einzuordnen und suchte Zusammenhänge, wo keine sein konnten. Einerseits klang alles wie eine normale Dorflegende, mit der das Unglück erklärt werden sollte, andererseits - wenn sie ihm hier so gegenüber saß... Unschlüssig schüttelte sie den Kopf und hielt Telmys Blick mit den Augen fest, als er geendet hatte.
    „Fremder... welcher Schmerz befällt euch, wenn ihr mich seht? Wieso weicht ihr meinen Blicken aus? Und wieso kommt ihr mir vertraut vor?“

    Dieses Mal blickte er Daria an, ohne eine Veränderung zu zeigen. „Ich... ich sehe manchmal... Bilder - Bilder, die ich nicht verstehe. Als ich im Alter von etwa 12 Menschenjahren war, begannen Albträume mir die Nächte zu verfinstern und am Tage sah ich dann manchmal solche Bilder. Bisher dachte ich selber, es seien halt nur Traumbilder. Doch zum ersten Mal erkannte ich in Hohenerzberg, dass ich Abbilder der Wirklichkeit sehe - allerdings meist irgendwie lange zurück liegend. Entschuldigt mein Verhalten, aber ich sah eben euch, werte Daria - in... in... in einem Kleid.“ Schnell schlug Telmy die Augen nieder und senkte den Kopf.

    „Mich?“, stieß Daria mehr als verwundert aus. Sie wusste nicht, ob sie lachen oder davonlaufen sollte. War sie jetzt Teil dieser mysteriösen Geschichte? Und dann in einem Kleid? Das war eine andere Zeit, damals - in ihrer Heimat.
    „Telmy, seid ihr sicher? Habt ihr tatsächlich mein Gesicht erkannt? Oder ist es nur so ein Gefühl? Verzeiht...“ Jetzt fehlten ihr tatsächlich die Worte. Hastig trank Daria einen Schluck und fühlte sich, als ob sie sehr blass geworden wäre. Auch Telmy wirkte hilflos, als er nach Worten suchte.

    „Seht ihr, so geht es mir seit vielen Jahren. Niemand glaubt mir, dass ich manchmal Bilder sehe, von anderen Orten, anderen Lebewesen. Es ist verrückt, das weiß ich selber. Warum es passiert – ich weiß es nicht. Einmal ist lange Zeit nichts, dann wieder oft hintereinander. Wenn ich den werten Baldur ansehe, geschieht nichts. Doch ihr habt nun schon zweimal Bilder in mir hervorgerufen, ohne dass ich euch doch kenne. Trotzdem sah ich euch, so wie ich auf meinem Weg – seit ich in Hohenerzberg angekommen bin – immer wieder Bilder aus dieser Gegend gesehen habe. Manchmal war es ein Haus, das ich kurz darauf wirklich fand, fast so wie in meinem Bild aussehend, dann wieder ein Platz, der sich aber verändert hatte, so als wäre mein Bild von ihm aus der Vergangenheit. Ich meine fast, diese Bilder würden mir einen Weg zeigen, dem ich folgen soll. Bis hierher bin ich gekommen und nun sah ich die Bilder von euch, habe aber keine Erklärung dazu.“ Der Halbelfe fühlte sich mehr als schlecht. In ihm war etwas aufgebrochen, das er so noch nicht gefühlt hatte. „Verzeiht, werte Dame Daria und werter Herr Baldur. Ich fühle mich nicht gut – der lange Tag, diese Kopfschmerzen, und es ist auch schon spät. Ich würde mich gerne zurückziehen und hier ein Zimmer für die Nacht nehmen. Wir werden das Gespräch sicherlich zu einem besseren Zeitpunkt fortsetzen können. Wenn ich mich verabschieden und euch eine gute Nacht wünschen darf?“

    „Telmy, ich habe nicht gesagt, dass ich euch nicht glaube. Aber, einerseits erscheint mir das alles so unfassbar. Andererseits kann ich nicht leugnen, dass auch ich in eurer Gegenwart ein gewisses Gefühl der Vertrautheit spüre. Wahrscheinlich habt ihr jedoch Recht, euch zur Ruhe begeben zu wollen. Wer weiß, vielleicht geschieht etwas, wenn euer Geist Ruhe findet. Und mein Geist ebenso. Und morgen sollten wir uns vielleicht in der Umgebung umschauen. Wenn die Bilder euch wirklich einen Weg weisen sollen, finden wir unter Umständen so eine Lösung.“ Daria überlegte kurz, aber etwas Besseres fiel ihr jetzt nicht ein. Sie selbst war müde und vor allem nachdenklich. Sie musste das alles auf sich wirken lassen, in Ruhe, in ihrer Stube, daheim.
    #28VerfasserJean-Louis21 Jan. 09, 15:25
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    Telmy erhob sich, während Baldur zu überlegen schien - jedenfalls reagierte er nicht.
    „Verzeiht, werte Dame Daria, selbstverständlich hattet ihr das nicht gesagt. Es ist nur so, dass es mir schon so oft nicht geglaubt wurde, dass ich dies beinahe für eine normale Reaktion meines Gegenübers halte.“ Anschließend legte er zwei Münzen für den Krug Milch auf den Tisch, nahm die zwei Schwerter und verabschiedete sich in aller Form von Daria und Baldur. Auf dem kurzen Weg zum Tresen wurde ihm klar, dass seine ersten Bekanntschaften bemerkenswerte Persönlichkeiten in dieser Stadt sein mussten. Das nun folgende Geschäft über ein zu mietendes Zimmer war mit dem Wirt schnell abgeschlossen und so ging der Halbelfe direkt zur Treppe und sofort nach oben. In seinen Gedanken tat sich ein großes schwarzes Loch auf und bei den letzten Stufen überkam ihn sehr die Müdigkeit. So schlurfte er zu seinem Zimmer, bemerkte aber noch beim Hineingehen jemanden aus dem Nachbarzimmer herauskommen und riegelte hinter sich ab.

    Daria dagegen blickte Telmy lange hinterher. Auch als er schon längst die Treppe hinauf gegangen war, schaute sie in diese Richtung. Langsam schien sie aus einem Traum zu erwachen und sah sich um. Seltsam - sie hatte ihre Umgebung völlig außer Acht gelassen. Der Felsenkeller hatte sich inzwischen mit Gästen gefüllt. Daria stockte kurz, als sie eine junge, außergewöhnlich schöne Frau anschaute, schließlich fast anstarrte. Auf einmal schien wieder alles unwirklich zu werden und sie lenkte ihren Blick rasch zu dem Krieger an ihrer Seite.
    „Baldur, was ist hier gerade passiert? Gibt es in Eleanor einen Gelehrten, der uns darüber Aufschluss geben könnte?“

    Auch Baldur schien erst jetzt wieder von einem weit entfernten Ort in den Felsenkeller zurückzukehren. Es brauchte eine ganz Weile, ehe sein Auge sich wieder auf die Lichtverhältnisse im Schankraum eingestellt hatte, bevor er Daria anblickte und antwortete:
    „Nun, einen Gelehrten im eigentlichen Sinne haben wir leider nicht anzubieten. Aber ich würde euch Bertram ans Herz legen. Ein alter, weiser Krieger der weit mehr gesehen zu haben scheint, als ein sterbliches Auge dies wohl in der Regel vermag. Schon oft hat er uns mit klugen Ratschlägen zur Seite gestanden und schon so manches Rätsel konnten wir mit seiner Hilfe lösen. Wenn ihr wollt, stelle ich euch gerne vor.“

    Suchend schaute sich Daria in der Taverne um. Es wurde immer voller und Josephine hetzte mit ihrem vollen Tablett zwischen den Tischen hindurch, nicht ohne sich ab und zu einer aufdringlichen Männerhand erwehren zu müssen, was ihr aber so unangenehm gar nicht zu sein schien. Auf der anderen Seite der Taverne war Bertram tätig. Er hielt gerade mehrere Teller in der Hand und auf dem Unterarm. Unmöglich, jetzt und hier mit ihm ein ruhiges Gespräch führen zu können. Außerdem musste die Elfe erstmal ihre Gedanken ordnen, sie wüsste gar nicht, wonach sie suchen sollte in den unermesslichen Erfahrungen von Bertram.
    „Baldur, ich glaube nicht, dass der alte Kämpe im Moment einen Gedanken für meine Nöte übrig hat. Und ich selbst benötige dringend Ruhe. Der Tag war anstrengend und ich bezweifle, dass ich nach den Geschehnissen hier zum Schlafen kommen werde. Es wird Zeit, dass ich mich für heute Abend verabschiede, die Gassen sind langsam dunkel genug für mich und mein Weg ist doch nicht der kürzeste.“
    #29VerfasserJean-Louis21 Jan. 09, 19:32
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    Halica hatte sich die letzten Tage, seitdem Arwin fort gegangen war, die meiste Zeit über in dem Zimmer eingesperrt, welches ihr Liebster für sie gemietet hatte. Wie lange das nun schon so ging, konnte sie selbst nicht mehr sagen, das Zeitgefühl war ihr abhanden gekommen. Zu groß war noch immer der Schmerz. Wie konnte das Schicksal so grausam zu ihr sein? Es hatte ihr alles genommen, denn er war alles für sie, alles was sie brauchte und alles was sie wollte. Auch jetzt hätte sie sich am Liebsten nur in dem Zimmer verkriechen wollen, aber der Hunger trieb sie wie jeden Abend hinunter in die Schankstube. So öffnete sie ihre Zimmertür und sah gerade noch, wie ein junger Mann in dem Zimmer neben ihr verschwand. Er wirkte müde und traurig. Genau wie ich, dachte sie und lächelte dabei leicht. Auf einmal fühlte sie sich nicht mehr ganz so allein. Wer weiß, vielleicht hadert er mit einem viel schlimmeren Schicksal als ich. Mit diesem Gedanken stieg sie die Treppe hinab...

    Daria lächelte bei ihren Worten leicht, als hätte sie sich gerade selbst verspottet. Ihr Blick blieb noch einmal kurz an der schönen, schwarzhaarigen Frau haften, die in der Ecke am Kachelofen saß und folgt nun dem ihren, als diese zur Treppe schaute, die zu den Gästezimmern in das obere Stockwerk führte. Eine junge Elfe war auf dem Weg nach unten. Sie war offensichtlich keine Kämpferin, doch ihr Gesicht zeigte Leid, ihr Schritt war vorsichtig. Einen kurzen Augenblick schaute Daria versonnen in Richtung Treppe, sah die junge Frau doch ihr selbst in diesem Alter ähnlich. Dann stand sie auf und legte Baldur die Hand auf die Schulter.
    „Wir werden morgen weitersehen, vielleicht kann uns Telmy dann mit zusätzlichen Auskünften helfen. Bis dahin...genießt den Abend.“ Sie schob sich an den nächststehenden Tischen vorbei, um zu einem breiteren Gang zu kommen, und wandte sich der Tür zu. Sie hatte es plötzlich eilig, wollte sie doch schnellstmöglich nach Hause in ihr Dorf, um bereits am nächsten Morgen zurück und bereit zu sein, den abenteuerlichen Dingen, die sie vermutete, auf den Grund zu gehen.

    Der Plan in Gefahr

    Auinaya sah die ganze Zeit über wie erstarrt auf die drei Personen an dem Tisch, bis sich der Jüngling erhob, welcher ihr so sehr gefiel, bezahlte und nach einer Verabschiedung über die Treppe in die oberen Räume ging. Ihr Blick haftete nun fest an der vermeintlichen Jägerin. Das Bild, welches die Hexe in der goldenen Seele des alten Mannes gefunden hatte, war dieser Elfe sehr ähnlich, gefährlich ähnlich – sie musste diejenige Person sein, mit welcher der Alte manchen Handel in dieser Stadt hier abgeschlossen und die ihm nach seiner Frau anscheinend sehr gefallen hatte. Die Hexe lächelte zunächst, weil ihr der Zufall geholfen hatte, gerade eine Bekannte des Alten mit dem Halbelfen zusammentreffen zu lassen, hoffte sie doch, dass dieser daher schneller zu seiner Erinnerung finden würde. Er musste in sich aber das Bild derjenigen Frau entdecken, die den Alten ein Leben lang begleitet hatte. Je schneller dies geschehen würde, im Hinblick auf das Drängen in seiner Brust, sich eine Gefährtin zu suchen, desto ungefährdeter konnte sich Auinayas Plan weiter entwickeln. Dazu musste der Jüngling aber diese Halica finden, nicht eine andere Elfe, die ihr sehr ähnlich sah, so wie diese Jägerin. Deswegen verfinsterte sich der Blick der Hexe rasch, fühlte sie doch, wie sich die Jägerin - unbewusst – aber dennoch schon viel zu deutlich - in die Gedanken des jungen Mannes eingenistet hatte. Das war gar nicht gut. Sie half damit zwar seinen Erinnerungen auf die Sprünge, aber in einer völlig falschen Richtung. Es wurde Zeit, einzugreifen.

    Nun erhob sich diese Elfe und schickte sich an, die Taverne zu verlassen. Von den Augen der Hexe verfolgt, ging die Jägerin zum Ausgang. Da streifte der Blick den Treppenabgang, den gerade eine andere junge Elfe langsam herab schritt. Im diesem Moment, in dem Auinaya die Gefährtin und Frau des Alten in dieser Person erkannte, zuckten blaue Blitze aus ihren Augen – die Freude, dass sich diese Frau, die für das Gelingens des Planes so wichtig war und die Gedanken des Jünglings wieder in die richtige Bahn lenken konnte, noch immer in Eleanor und ausgerechnet auch in der Taverne Felsenkeller aufhielt, ließ sie für einen Augenblick ihre Vorsicht vergessen. Sie schlug sofort die Augen nieder und senkte den Kopf, um in den Augenwinkeln ihre Umgebung zu beobachten, aber es schien niemand etwas bemerkt zu haben. Sie hob den Kopf und blickte unverdächtig wie zufällig wieder in Richtung der beiden Frauen.
    #30VerfasserJean-Louis22 Jan. 09, 10:09
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    Baldur saß nun alleine am Tisch, hielt seinen leeren Krug in den Händen und blickte der Jägerin hinterher, während sie die Taverne verließ. Irgendwie konnte er sich des plötzlich auftauchenden Gefühls von Trauer und Verlust nicht verwehren. Wie aus dem Nichts sprang ihn dieses bohrende Gefühl förmlich an, verbiss sich und schien nicht gewillt, ihn loszulassen. Nicht nur, weil er seinem Krug eine Füllung angedeihen lassen wollte, erhob er sich schließlich und begab sich hinüber an die Theke, er mochte jetzt auch nicht alleine sein. Jedenfalls nicht, solange dieses merkwürdige Gefühl in ihm nagte. Sein Blick fiel dabei kurz auf die Treppe, auf welcher eine hübsche, junge Elfe die Stufen herab kam. Zu jedem anderen Moment hätte er der Frau weit mehr Aufmerksamkeit geschenkt, doch dieses bohrende Gefühl nahm ihm nun jegliche Gelegenheit dazu. So wandte er seinen Blick von der Treppe weg und hin zu dem Wirt.
    „Schenk mir doch bitte noch mal nach. Ich habe urplötzlich Geschmack im Mund, der unbedingt weggespült werden muss!“ Während er darauf wartete, dass der Wirt ihm einen gefüllten Krug reichte, ließ er seinen Blick auf der Suche nach Bertram durch den Schankraum schweifen. Wenn ihm jemand dieses seltsame Gefühl erklären konnte, dann niemand anders als der alte Recke.

    Die Taverne war derweil mit einem Stimmengewirr gefüllt, das sich nur um ein einziges Thema drehte: In den östlichen Gebieten rotteten sich feindlich gesinnte, primitive Wesen vom Stamme der Orks zusammen, die nichts anderes vorzuhaben schienen, als das Land in einen Krieg zu stürzen. Manch einer, der eben erst dazu gekommen war und eine Reise aus dem Osten hinter sich hatte, bestätigte die Befürchtungen. Sie berichteten von der schlechten Kunde, die ihnen zugetragen wurde. So hatte es bereits Kämpfe hinter dem Ostgebirge gegeben. Es schien so, als ob die östlichen Gebiete alsbald an mehreren Stellen verteidigt werden müssten. An manchem Tisch beriet man, ob man Späher und Kämpfer in den Osten entsenden sollte. Man meinte, der alte Feind oder Schlimmeres verfüge über neue Kräfte.

    Auinaya war noch unschlüssig, was sie jetzt tun sollte und sah, wie die Jägerin den Felsenkeller verließ und die andere Elfe am Ende der Treppe stehen blieb, um sich vorsichtig umzusehen. In diesem Augenblick überkam sie plötzlich eine Vision. Sie entstammte zwar einem alten, fast untergegangenen Elfengeschlecht, durfte sich aber nur aufgrund eines besonderen Umstandes zum Kreis der „Wissenden“ zählen. Diese „Wissenden“ gab es in einer Zeit, die so lange zurück lag, dass kaum mehr etwas darüber berichtet werden konnte. Damals gab es eine Harmonie zwischen allen Wesen dieser Welt, weil alle eine Abstammung hatten. Gut und Böse kannte man auch nicht. So hatten bestimmte „Familien“ auf geistigem Niveau einen regen Austausch, um die Geschicke und den Fortbestand der Welt zu gewährleisten. Trotz der dann folgenden Entwicklungen zum Schlechten hin blieben Reste dieser „Wissensbrücken“ erhalten - selbst zwischen Gut und Böse - bis in die heutigen Tage. Auinaya war in der glücklichen Lage, aus diesen Resten Nutzen zu ziehen.

    Die Hexe erkannte deshalb in ihrer Eingebung, dass der Weg dieser schönen Jägerin nicht noch einmal den des Jünglings kreuzen durfte, weil sonst der ganze Plan, den sie vor langer Zeit so geschickt eingefädelt hatte, scheitern konnte. Die Jägerin durfte auf gar keinen Fall nach dem Verlassen der Taverne zu ihrer Heimstatt eilen und am nächsten Morgen wieder auftauchen, sondern musste weit fort – am Besten ins Nichts. Sogar der Name wurde Auinaya in der Vision mitgeteilt - Daria. Daria war gefährlich und Auinaya hatte selbst zu diesem Umstand beigetragen, weil sie zu spät erkannte, dass sie der Alte gekannt und auch gemocht hatte. Es gab daher nur eine Lösung – die Jägerin musste ausgelöscht werden. Den restlichen Teil ihres bis hierher schon zur Hälfte so gut gelungenen Plan um den jungen Halbelfen hätte diese eine Frau zunichte machen können. Sie war eine zu große Gefahr, nachdem er sie bereits in Gedanken gesehen hatte.
    #31VerfasserJean-Louis22 Jan. 09, 12:40
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    Auinaya sprang daher auf und drängte sich zwischen den Tischen hindurch, stieß die im Wege stehende Schankmagd beiseite, dass die Bierkrüge nur so davonflogen und rannte wie irr geworden hinter Daria her. Diese hatte aber bereits ihr Pferd aus dem Stall neben der Taverne Felsenkeller geholt und ritt im Galopp eben aus dem Hof der Taverne in Richtung östliches Stadttor. Auinaya tat es ihr gleich. Einen Sattel oder Zaumzeug brauchte sie nicht – sie öffnete die Tore des Stalles und ihre Magie nahm Besitz von dem Geist des nächst besten Pferdes. Dann sprang sie auf den Pferderücken und lenkte das Tier mit ihren Gedanken.

    Die Wachen am Osttor staunten nicht schlecht und hasteten zur Seite, als die erste Reiterin im vollen Galopp aus der Stadt preschte. Der dickliche Wachmann trat in die Wegesmitte, um vielleicht noch erkennen zu können, wer das war, da näherten sich bereits die nächsten Hufschläge sehr schnell. Um ein Haar wurde der Wächter nieder geritten – nur ein Sprung in den Staub und Dreck des Weges bewahrte ihn davor. Das Ereignis wurde noch Tage zum Gespräch der Stadtwachen, sprach sich doch herum, wer die erste Reiterin gewesen war. Die Geschichte, welche der Wächter dann erzählte, nämlich, dass die zweite Reiterin ohne Sattel und Zaumzeug aufrecht auf dem Pferd saß, ohne sich erkennbar festzuhalten – was nur er gesehen haben will, schrieb man dann seinem Sturz auf den Kopf zu.

    In der Taverne waren Baldur die Gedanken an Bertram schnell verflogen, als diese merkwürdige Frau quer durch den Raum stürmte und somit für einiges Aufsehen sorgte. Einige Gäste folgten ihr hinaus auf die Straße und berichten später von zwei davoneilenden Reiterinnen. Als kurze Zeit darauf die Hinausgestürmten wieder zurückgekehrt waren und Josephine die Scherben der Krüge sowie die Bierlachen entfernt hatte, kehrte langsam wieder Ruhe ein in den Felsenkeller und Baldur konnte sich wieder auf die Suche nach…
    Nein! Nicht mehr nötig. Bertram stand plötzlich unmittelbar neben dem Einäugigen, reichte ihm einen gefüllten Krug, nickte in Richtung der Tür und flüsterte dabei nur für Baldur verständlich:
    „Magie! Uralte Magie! Derartige magische Strömungen habe ich seit Ewigkeiten nicht mehr verspürt.“ Der Alte legte eine kurze Pause ein und seine Rechte fuhr nachdenklich über die lange Narbe an seinem Unterarm.
    „Hier ist gerade etwas äußerst Seltsames geschehen. Ich bin jedoch nicht sicher, ob wir gerade dem Ende oder dem Beginn einer denkwürdigen Geschichte beiwohnen durften.“

    Baldur nickte zustimmend, obgleich er den Sinn der Worte des Alten noch nicht ganz erfasst hatte. Er vertraute einfach darauf, dass Bertram auch hier und jetzt wieder die richtige Erklärung gefunden hatte. So nippte er an seinem Krug und wandte sich dann an den alten Freund, um ihm von seinem merkwürdigen Gefühl eines schmerzhaften Abschiedes zu berichten. Während er redete und die zurückliegenden Momente beschrieb, sah man den Alten ein paar Mal verständnisvoll nicken.

    Halica war noch immer am Fuß der Treppe gestanden und sah sich suchend um, ob sie hier vielleicht ein bekanntes Gesicht entdecken würde. Aber eigentlich war es egal, sie wollte keine Gesellschaft, nur etwas zu essen aufs Zimmer bestellen und dann schnell wieder nach oben. So in Gedanken versunken bemerkte sie gar nicht, was vor sich ging. Gerade als sie zum Wirt wollte, rannte eine Frau an ihr vorbei, die ihr seltsam bekannt vorkam. Halica blieb wie vom Donner gerührt stehen – ein Gedankenblitz traf sie mit voller Wucht.

    „Die Hexe!“

    Sie sah zwar anders aus, aber eine feinsinnige Elfe ließ sich nicht von Äußerlichkeiten täuschen, selbst dann nicht, wenn sie doch stark verändert waren – sie spürte es einfach und wusste es sogleich. Was wollte sie hier? Bevor Halica sie fragen konnte, war sie längst zur Tür hinaus. Verwundert und unschlüssig blieb sie noch stehen. Sollte sie ihr nach? Sie entschied sich dagegen, wandte sich dem Wirt zu und bestellte ihr Mahl. Als es fertig war, nahm sie es immer noch nachdenklich an sich, ging zur Treppe und auf den ersten Stufen vernahm sie noch eine laute Stimme aus dem Schankraum, die da rief:
    „Mir deucht, es kommen unsichere Zeiten auf uns zu.“
    #32VerfasserJean-Louis22 Jan. 09, 14:02
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    Welche Zukunft bei dieser Vergangenheit?

    Das Feuer brannte mit niedriger, gelblicher Flamme und knisterte heftig. Die Zapfen und Kuseln enthielten viel ausgasendes Harz, das immer wieder knallende Geräusche erzeugte, was die Flammen zusätzlich vollkommen unregelmäßig brennen ließ. Auinaya saß im Schneidersitz auf einer Lage Fichtenstreu und wiegte ihren Oberkörper mit beschwörenden Worten hin und her. Immer wieder warf sie ein paar Körnchen eines rötlichen Salzes, aus einem Beutelchen entnommen, in die Flammen, worauf kleine rosa Wolken aus dem Feuer stoben. Begierig sog sie den aufsteigenden Rauch ein.

    Nach den Ereignissen in der Taverne war sie der davon reitenden Jägerin Daria auf dem Pferd gefolgt, musste aber schon einige Meilen außerhalb von Eleanor enttäuscht feststellen, dass sie ein etwas langsameres Pferd erwischt hatte. Da half nur noch die Magie und die ausgezeichnete Dunkelsicht, welche Auinaya schon in die Wiege gelegt bekam. Ihr Ärger wäre nur umso größer geworden, je länger sie in der hereinbrechenden Nacht sehen konnte, wie der Abstand zu der nach Hause eilenden Elfe immer größer wurde, wenn sie sich nicht mit magischer Kraft hätte helfen können, denn die Jägerin durfte nicht entkommen. Schließlich wirkte die Hexe eine lockende Kraft, in welcher sich eine unschuldig daherfliegende Fledermaus verfing, wodurch diese direkt in die offene Hand von Auinaya gezogen wurde. Rasch schloss sie die Finger um das verängstigte Tier und murmelte sofort einige Beschwörungen, während ihr Pferd noch immer durch die aufkommende Dämmerung raste. Auf den ersten Blick völlig unverändert flog die Fledermaus aus der sich öffnenden Hand wieder davon.

    Kein Menschenauge hätte aber diesen irrsinnig schnellen Flug verfolgen können, durch den das Tier in kürzester Zeit die Jägerin auf ihrem schnelleren Pferd eingeholt hatte. Auinaya gab sogleich die rasante Verfolgung auf, war doch ihr Pferd schon ins Straucheln gekommen, nachdem es in einen weichen Untergrund galoppiert war. Das Tier konnte schließlich nicht in der Dunkelheit sehen. Sie konnte es sich ja nun leisten, langsamer zu reiten, denn Darias Pferd war inzwischen gestürzt, weil es im Galopp auf einen faustgroßen, losen Stein getreten war. Dieser Stein war einen Wimpernschlag vorher noch jene Fledermaus, welche durch den Zauber dazu verdammt wurde, genau im Tritt des dahin jagenden Pferdes der Jägerin zu einem Stein zu werden. Als die Hexe den Ort des Unglückes erreichte, hatte sich das gestürzte Pferd schon wieder soweit erholt, dass es friedlich am Rande des Weges nur ein kleines Stück weit entfernt stand, dessen Reiterin allerdings lag am Boden. Die Hexe stieg ab und untersuchte die Elfe, die nicht nur leblos da lag, sondern bereits tot war – Genickbruch. Auinaya lächelte – das Leben dieser Frau war ihr ohnehin egal, aber dass sich ihr Problem sozusagen von alleine lösen würde, hätte sie nicht gedacht. Sie holte das Pferd der Jägerin heran, band einen Zügel um ein Bein der toten Frau und führte beide Pferde in den nahen Wald. Die Schleifspur des Elfenkörpers verschwand keine zehn Schritte hinter ihm. Inmitten eines großen Gebüsches verscharrte die Hexe die Leiche und auch alles, was das Pferd mit sich trug, dem sie dann die Freiheit schenkte, unter altem Laub und Geäst.
    #33VerfasserJean-Louis22 Jan. 09, 20:05
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    Anschließend ritt sie den Weg etwas zurück und dann querfeldein zu einem Wäldchen aus Birken und Fichten. Auf einem Hügel innerhalb des Baumbestandes mit schroff abfallenden Hängen richtete sie sich ihr Nachtlager ein. Das Pferd stand zwischen sehr eng aneinander gewachsenen Birken, während sie ihre gesammelte Reisiglage auf einem flachen, mannshohen Stein ausgebreitet hatte. Die Nacht würde zwar kühl werden, aber trocken bleiben und der Wärmeschutzzauber sollte seine Wirkung tun. Nur gegen größere, wilde Tiere, die sie im Schlaf überraschen würden, konnte sie keinen Zauber wirken. Da musste sie sich auf ihre über Jahrtausende geschärften Sinne verlassen.

    Doch an Schlaf war noch lange nicht zu denken. Auinaya begab sich in eine tiefe Trance, unterstützt durch die Dämpfe in den rosa Rauchwolken, um mit anderen „Wissenden“ zu sprechen, soweit dies möglich sein sollte. Wieso hatte sich diese Jägerin mit ihrem Bildnis in die Gedanken des Jünglings geschlichen? Die Hexe hatte die Bilder in den Gedanken ihres Sohnes während der Vision sehen können. War es ein Anschlag auf ihr Vorhaben, den Blutelfenteil in ihm mit Hilfe der goldenen Seele zu besiegen, indem der dunkle Teil der Seele des Jünglings absichtlich das Bild der Jägerin über diejenigen der Gefährtin des Alten gelegt hatte, die Telmy eigentlich sehen und finden sollte? Wollte seine finstere Abstammung verhindern, dass sie im Laufe der Zeit von der guten Seele des alten Mannes aufgesogen wird? Zunächst erhielt sie eine eher beruhigende Nachricht:

    „…du bist vergessen… dein Sohn wird nicht mehr gesucht… die Jäger sind zu wenige geworden… sie bedrohen euch nicht mehr…“

    Danach war einige Zeit Stille. Auinaya lauschte angestrengt und warf Körnchen um Körnchen in die Flammen, bis ein kleiner blauer Blitz im rosa Dunst plötzlich emporschoss. Dann hörte sie wieder etwas:

    „…aber die Macht des schwarzen Blutes ist stark… so sehr stark… es liegt nicht mehr an dir… du hast alles getan… die gute Seele muss allein kämpfen… sie muss siegen… damit der Blutrausch für immer ein Ende nimmt…“

    Aber, auch dies war ihr noch zuwenig. Sie nahm mit geschlossenen Augen einen weiteren kleinen Beutel aus ihrem offen neben ihr liegenden Bündel und öffnete ihn. Summend griff sie mit zwei Fingern hinein, stob eine Prise des sich darin befindenden Pulvers ins Feuer und legte den Beutel wieder weg. Die Flammen blieben daraufhin in ihren Bewegungen stehen, es wurde nahezu totenstill – nur wenige dumpfe, lang gezogene, unheimliche Geräusche gab es noch – die Zeit stand fast still.

    „…ein Zeichen… gib ihm ein Zeichen… lass das falsche Bild sprechen…“

    Damit verstummte die Stimme endgültig. In den feststehenden, unbeweglichen Flammenzungen erschien nun ein Bild - ein Zimmer, darin ein Bett, in dem Bett der Jüngling Telmy Eventhin – ihr Sohn – der Sohn von Auinaya Grei. Die Hexe wob mit erhobenen Händen einen Zauber und die Flammen schlugen wieder in die Dunkelheit, die Geräusche der Nacht fanden wieder ihr Ohr und das Bild tanzte im Feuerschein hin und her. Aus ihren Fingern strömten wabernde, sehr heißem Gas ähnelnde Gebilde, die in dem Bild verschwanden. Über eine Stunde saß sie so da und wob und sendete diese letzte Botschaft zum Schutze ihres erwachsenen Kindes. Dann verging das Bild und Auinaya kippte nach hinten, vollkommen erschöpft und ausgelaugt von der enormen geistigen Anstrengung der Beschwörung. Sie streckte sich aus, nahm die Arme unter den Kopf und sah in den klaren Sternenhimmel.
    #34VerfasserJean-Louis23 Jan. 09, 08:41
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    Ihre Gedanken fanden keine Ruhe – wie auch? Die Stimmen der „Wissenden“ hatten leider Recht, auch wenn ihr das noch so sehr missfiel. Sie konnte nichts mehr für Telmy tun. Der zwölfte Vollmond kündigte sich unübersehbar am Nachthimmel an. Dann waren wieder 1000 Jahre um und sie musste sich nun zuerst um ihren neuen Lebensabschnitt kümmern. Sie lächelte, hatte sie es doch geschafft, sich und ihren Sohn bis zum heutigen Tage zu beschützen vor den Jägern des eigenen Volkes oder den natürlichen Todfeinden aller, die Blutelfenanteile in sich trugen. Noch dazu, so war sie sich sicher, war es auch nur verdammt viel Glück, rechtzeitig eine gute, eine goldene Seele gefunden zu haben, damit ihr Sohn nicht doch noch mit dem verfluchten Blutdurst in sich leben musste. Er durfte vielleicht ohne den dunklen Schatten seiner Vorfahren leben, nein, ganz bestimmt, denn sie vertraute auf die Kraft der Seele des alten Mannes, den sie als starken, furchtlosen, klugen und geschickten Menschen kennen gelernt hatte, der sogar mutig seinem eigenen Tod gegenüber trat. Nun schmunzelte sie. Natürlich hatte sie nachgeholfen und die der Alterung Vorschub leistenden Kräuter und magischen Pulver in den Kuchen mit hinein gebacken, den sie damals dem Mann namens Arwin zu essen gegeben hatte. Trotzdem war es eng geworden, sehr eng, da dieser Mann zäher und widerstandfähiger war, als gedacht. Diese Stärke würde aber nun Telmy direkt zum Vorteil gereichen und darüber war Auinaya sehr froh – nein, geradezu glücklich war sie.

    Ihre Augen blickten nun in der Erschöpfung weit zurück - zurück in die so lange schon verblasste Vergangenheit. Tausende von Jahren für normal Sterbliche, ein Nichts aber für Wesen, welche von der Zeit „wissen“. Auinaya selbst war nur eine halbe Blutelfe. Ihre Mutter kam aus dem Kreis der Abtrünnigen, die sich vom uralten Blutkult abwandten, um einen Ausweg von der sich schon lange beständig verschlechternden Lage der alten Kulturen zu finden. Niemand vermag zu berichten, wie es damals war, welche Rassen oder Völker wirklich auf dieser vorzeitlichen Welt lebten. Nur eines muss es mit Sicherheit sehr lange schon gegeben haben – Blutopfer. Vielleicht zuerst nur aus den eigenen Reihen entstanden, vielleicht schon immer durch eine göttliche Bestimmung herbeigeführt – niemand wusste es. Irgendwann opferte man immer mehr Wesen, irgendwann begannen Kriege zur Beschaffung von Opfern – welch ein Irrsinn. Immer suchte man nach möglichst „reinen Wesen“ – Kindern oder Jungfrauen. Merkwürdig war aber zu allen Zeiten, dass gefangene Männer nie ohne die Gnadennacht, in der sie stets die obersten, manchmal schon alten Priesterinnen beglücken durften oder mussten, auf den Opferstein gebracht wurden.

    Nur die schnelle Vermehrung einer neuen Rasse, der Menschen, die sich nicht ohne Gegenwehr dem Ausbluten hingaben, wie die alten Elfenvölker, veränderte letzten Endes alles entscheidend. Auch viele Elfen wandten sich mit ab – ermutigt durch die immer erfolgreichere Gegenwehr der Menschen und so zerfiel die lange bestehende Ordnung. Aber, es gab leider bereits Elfenrassen, die den unersättlichen Blutrausch schon so lange betrieben, dass sie nicht mehr davon lassen wollten oder konnten. Sie bildeten Familien, woraus Sippen wurden und verbargen sich fortan im Untergrund, gingen in die immerwährende Finsternis ohne jeden Sonnenstrahl. Ihr Aussehen änderte sich dadurch mit der Zeit, sie bekamen eine immer hellere Haut, entwickelten ein außergewöhnlich gutes Sehvermögen in der Dunkelheit und beherrschten die magischen Zeremonien zur Verbesserung ihrer körperlichen Fähigkeiten. Die Grundlagen dazu gewannen sie aus dem Blut der geopferten Wesen in solcher Perfektion, dass die magischen Ströme ihre Seelen veränderten und den Körpern ungeahnte Kräfte verliehen.
    #35VerfasserJean-Louis23 Jan. 09, 09:32
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    Doch auch die „Verräter“, wie die große Gruppe Abtrünniger aus den Sippen, die sich ganz und gar dem Blutopfer verschrieben hatten, von den Priesterinnen des Blutkultes genannt wurde, mussten sich größtenteils tagsüber verbergen, weil das helle Licht der Sonne ihnen große körperliche Qualen bereiten konnte – auch sie waren nur an das Leben im Dunkeln gewöhnt. Nahezu geblendet, weil sich ihre Pupillen nur mehr wenig verengen konnten, die unbedeckte Haut im Sonnenlicht juckend und brennend, in kurzer Zeit gerötet und dann mit Blasen übersäht und schließlich an einem Schock sterbend - so sah das Schicksal der leichtsinnigen Blutelfen zu dieser Zeit aus, die nicht rechtzeitig Schutz in der Dunkelheit fanden. Dennoch wagten sich die Mutigsten der Abtrünnigen am Tage aus den Höhlen, in denen sie Zuflucht gefunden hatten. Viele kamen nicht mehr zurück. Aber, es gab eine Hoffnung, die das Flüchten und Verstecken für die „Verräter“ erträglicher machte, mochten sie auch Qualen leiden und ständig in Furcht vor den Häschern der Priesterinnen leben.

    Einige Sippenmitglieder waren nämlich bereits halbe Menschen. Die stärksten Frauen unter den geflohenen Blutelfen wagten es und waren dann diejenigen, welche solche Kinder hatten, wie Auinaya eines war. Diese sehr willensstarken Blutelfenfrauen widerstanden dem Drang, ihre Liebhaber aus den Reihen der Menschen, die sie nachts zu einsamen Orten gelockt hatten, nur als Quelle des lebenswichtigen Blutes zu sehen und ließen es geschehen, dass diese Männer den Liebesakt mit ihnen zu Ende bringen und sie schwängern konnten. Manchmal starb der Unglückliche dann doch noch, aber je mehr sich die Sehnsucht der abgespaltenen Sippe nach einem normalen Leben am Tage und ohne den Fluch des Bluttrinkens auszukommen durchsetzte, umso weniger Männer wurden getötet. Jahrhunderte vergingen, in denen sich die Sippe so einem neuen Leben anpassen konnte, bis ein schreckliches Gemetzel fast alle Angehörigen dahin raffte.

    Die Hexe wälzte sich jetzt unruhig auf ihrem Lager hin und her. Langsam in den Halbschlaf gefunden, schreckte sie die Erinnerung an die Erzählungen ihrer Mutter über das Grauen des großen Abschlachtens wieder in die Höhe. Sie stand auf, legte kleine Äste in das Feuer nach und fütterte es, bis es wieder gleichmäßig brannte. Dann kroch sie wieder in ihr Lager, legte sich auf die Seite und sah mit fiebrigen Augen das Furchtbare, als wäre sie selbst dabei gewesen.

    Die Struktur der Sippe, in der Auinaya mit ihrer Mutter lebte, hatte sich grundlegend verändert. Alle hinzugekommenen Kinder waren ausnahmslos Mischlinge mit Menschen, weil die anführenden Blutelfen beschlossen hatten, dass es unter den Elfen keine Fortpflanzung mehr geben durfte. Diese Mischlingskinder oder auch „Halbelfen“ – die Menschen nannten sie „Halblinge“, konnten sich in der freien Natur ohne große Einschränkungen bewegen, da der menschliche Einfluss in ihnen überwog. Sie behielten aber dennoch ein sehr gutes Sehvermögen in der Dunkelheit und ein hohes Geschick für die Anwendung von Magie. Aber auch die inzwischen vergangenen Jahrhunderte halfen den ursprünglichen, reinen Blutelfen, ihre Empfindlichkeit wieder zu mildern und wenigstens kurz das Tageslicht genießen zu können. Dadurch, dass die Halbelfen nun einen regen Handel und ausgedehnte Jagden unternehmen konnten, vergrößerte sich das Gebiet, in dem sie sich aufhielten. Niemand in den geflohenen Familien wusste aber, dass schon kurz nach ihrem „Verrat“ von den höchsten Priesterinnen des alten Blutelfengeschlechts beschlossen wurde, die Abtrünnigen aufzuspüren und mit dem Tode zu bestrafen, ganz gleich, wohin sie fliehen und wie lange es dauern sollte.
    #36VerfasserJean-Louis23 Jan. 09, 11:17
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    So schwärmten all die vielen Jahre immer wieder Krieger der alten Blutelfen in alle Richtungen aus und versuchten, die Unterschlupfe ihrer nunmehrigen Feinde ausfindig zu machen. Nur dem Umstand, dass all dieses Suchen ausschließlich Nachts stattfinden konnte, war es zu verdanken, dass Auinayas Sippe so spät entdeckt wurde. Auch die Vorbereitungen zum vernichtenden Schlag gegen die Verräter dauerten noch Jahrzehnte. Aber dann kam diese verhängnisvolle, grauenhafte Vollmondnacht, in der bis auf wenige Mitglieder der Sippe alle ihr Leben verloren. Die Krieger der Blutelfen waren plötzlich da – in Massen stürzten sie sich auf die Abtrünnigen – auch auf Alte und Kinder. Dieses Geschehen trat vollkommen überraschend ein, weil doch auch die Ahnen – die „Wissenden“ – keine Warnung übermittelt hatten. Es war ein leichtes Spiel, wollten die geflohenen Familien doch nichts weiter als in Frieden leben und hatten so keine ausgebildeten Kämpfer in ihren Reihen. Nur die bei ihnen lebenden Menschen und wohl die Hälfte der zur Jagd gehenden Halbelfen leisteten einen erbitterten Widerstand, der aber letztlich nicht verhindern konnte, dass mehr als die Hälfte der Sippe gleich getötet wurde, vom Säugling bis zum Greis und die Überlebenden als gefangene „Blutspender“ einem grausigen Schicksal entgegensehen mussten. Es war im eigentlichen Sinne kein übliches Gemetzel, wie es gewissenlose Kämpfer anderer Rassen und Völker unter der wehrlosen Bevölkerung manchmal anrichteten - es war ein Schlachten. Den Kämpfenden wurden die Kehle durchgebissen, die Gliedmaßen abgerissen, das Blut ausgesaugt oder weit verspritzt und zuletzt die Köpfe abgeschlagen, um diese in großen Körben zu sammeln. Bei der Rückkehr wurden sie in langen Reihen den Priesterinnen des Blutkultes als Trophäen vor die Füße gelegt. Noch einmal, für wenige Jahrhunderte, feierte der Blutrausch einen unrühmlichen Höhepunkt, bis durch die Übermacht der Menschen und anderer Rassen das Ende für diesen schändlichen Kult kam.

    Eine kleine Gruppe der angegriffenen Sippe aber konnte sich durch einen verborgenen Spalt in einer Höhlenwand mühsam ins Freie retten und flüchten, nicht jedoch ohne alsbald die Häscher hinter sich zu wissen. Als der nächste Tag anbrach, musste für drei reine Blutelfen, darunter Auinayas Mutter, ein dunkles Versteck gesucht werden. Dies fand sich zufällig genau in jenem Bereich der bergigen Landschaft, durch welchen die Häscher gekommen waren und daher dort nicht erneut suchten, so dass sich die kleine Gruppe 22 Jahre lang dort verstecken und überleben konnte. Ihre Mutter erzählte jedes Jahr in der Vollmondnacht des Überfalles von den Vorgängen, was Auinaya Wort für Wort in der Erinnerung behielt. Doch nach diesen Jahren streiften plötzlich wieder Blutelfenjäger durch diese Gegend und ihre Mutter bestand darauf, dass die Halbelfen unter Auinayas Führung, sie war die Älteste, sogleich weiter flüchteten. Sie duldete keinen Widerspruch, der Abschied war kurz und sehr schmerzhaft – Auinaya sah ihre Mutter nie wieder.

    Liebe und Leid einer Hexe

    Die schöne Hexe drehte sich nun auf die andere Seite und starrte ins Feuer, während immer wieder Tränen über ihre Wangen flossen. Das Gefühl dieser unendlichen Einsamkeit, welches sie nach der Trennung von ihrer Familie befiel, hatte sie eine halbe Ewigkeit nicht mehr verlassen. Erst, als sie einem Mann begegnete, der keinerlei Furcht vor einer Frau zeigte, die völlig allein in einer Hütte in einer sehr einsamen, waldreichen Gegend lebte - die geflohenen Halbelfen hatten sich in alle Winde zerstreut, sollte sich alles ändern. Damals fingen die Menschen an, sich ebenfalls der Magie zu widmen, allerdings in vielerlei anderer Hinsicht, als dies die Elfen gewöhnlich taten. Dieser fremde Mann war zweifellos ein Magier gewesen und allem Anschein nach ein Mensch. Er brachte Auinaya mit sanfter Geduld ihr magisches Wissen bei. Es dauerte mehr als hundert Jahre, bis sie es verstand, die Elemente zu beschwören und noch mal so lange, bis sie Materie beeinflussen konnte – tote wie auch lebendige. Doch die höhere Magie blieb ihr verschlossen und vorerst auch, warum dieser Mann als Mensch sich genauso wenig äußerlich über diese Zeitspanne veränderte, wie sie selbst.
    #37VerfasserJean-Louis23 Jan. 09, 20:59
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    Immer wieder verschwand ihr Lebensgefährte in all diesen Jahren, ohne ihr zu sagen weshalb. Die Zeit des Alleinseins wurde aber immer schmerzhafter für sie, da sie sich im Laufe der Zeit in ihn verliebt hatte und er auch diese Liebe erwiderte. Von ihm erfuhr sie auch, dass es die „Wissenden“ selbst waren, welche den Blutkult für immer von der Welt tilgen wollten, um eine neue Ordnung entstehen zu lassen und deshalb damals niemand warnten, damit sich in dieser Zeit, welche die alten Blutelfen nur nach Rache sinnend verbrachten, ohne sich um das Geschehen in der Welt zu kümmern, die Menschheit ungestört entwickeln und die Blutelfen schließlich verdrängen konnte. Die Menschen prägten in dieser Zeit den Begriff „Hexe“ für Frauen, die so lebten wie Auinaya, mit für sie geheimnisvollem Wissen und Können. Mit Auinayas neuen und zum Teil wieder entdeckten magischen Geschicken wurde auch die Fähigkeit in ihr erweckt, mit den „Wissenden“ in Kontakt zu treten, doch auch diese im Verborgenen handelnden Wesen wurden immer weniger. Bald würde es sie wohl nicht mehr geben.

    Nun drehte sie sich auf den Rücken, nahm die Hände hinter den Kopf und sah in den unendlichen Sternenhimmel. Die Morgendämmerung kroch über den östlichen Horizont und ihre Gedanken gingen wieder zurück in eine Zeit vor etwas mehr als 1000 Jahren. Gerade in dieser Zeitspanne, welche die schönste in ihrem Leben war, wurde sie von der Vergangenheit eingeholt. Der halbe Blutelfenteil in ihr begann langsam abzusterben, weil er niemals mit Blut gefüttert worden war. Ihre von einem Menschen stammende andere Hälfte wehrte sich zwar, doch die Krankheit ließ sie immer schwächer werden und das Ende schien bereits nahe. Da kam ihr Liebster noch rechtzeitig von einer längeren Reise zurück und bemerkte erschrocken den begonnen Verfall seiner geliebten Gefährtin. Er saß lange im Sessel am Feuer in der einfachen Stube, bevor er sich erhob, sie an der Hand nahm und in einen Schuppen führte, den er selber gebaut und immer fest verschlossen gehalten hatte. Natürlich war Auinaya über all die Jahre stets neugierig gewesen, was denn darin so Besonderes sein könnte, doch sie fragte ihn nie danach. Nun führte er sie von sich aus in diesen geheimnisvollen Raum.

    Er öffnete die solide Tür ganz weit, damit genug Licht den kleinen Raum erhellen konnte. Es sah darin aus wie in einem einfachen Lagerschuppen, der nicht oft genutzt wurde. Spinnweben, Staub, links ein alter Rucksack an einem Haken, ein Paar Stiefel darunter auf dem Holzboden stehend. Rechts ein Regal. In einem Regalboden lagen merkwürdige, schwarze, quadratische und wie polierter Stein aussehende Platten. Eines der Regalfächer war durch einen niedrigen, dunklen Samtvorhang verdeckt. Ganz leicht schimmerte bläuliches Licht an den Rändern des Vorhanges in den Raum. Zögerlich folgte sie ihm und stand dann neben ihm vor diesem Regal. Er nahm sie in den Arm und sagte mit sanfter Stimme:
    „Nur zu, schieb den Vorhang ganz zur Seite“. Ihr Liebster ließ sie wieder los, sie trat an den Vorhang und tat, was er gesagt hatte.

    Welch verwunderlicher Anblick. Fein säuberlich, bestimmt in einem exakt gleichen Abstand zueinander, waren zwölf dieser Steinplatten in einer Reihe auf dem Regalboden angeordnet. Über den schwarzen Platten waren aus bläulichen Strahlen gebildete Pyramiden zu sehen, in deren Innerem sich jeweils eine dunkle Kugel befand. Die Kugeln waren nicht gleich – mal dunkler, mal heller, mal im Durchmesser kleiner oder etwas größer. Sie wirkten wie poliert, absolut rund, aber es spiegelte sich auf der Oberfläche nichts. Auch bewegten sie sich nicht, sie schwebten innerhalb der bläulichen Strahlen. Mit fragendem Blick sah sie ihren Gefährten an.
    #38VerfasserJean-Louis24 Jan. 09, 20:03
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    „Weißt du noch, wie ich dir erzählt habe, dass es die „Wissenden“ selber waren, welche den Grundstein zur Vernichtung des Blutelfenkultes gelegt haben?“, fragte er sie. Sie nickte nur.
    „Die „Wissenden“ sind die letzten Vertreter der alten Ordnung, sogar der ursprünglichen Rasse des im dunkeln liegenden Anfangs. Ich gehöre dazu – ich bin ein „Wissender“. Sie trat erschrocken etwas zurück, bekam das Gefühl, als würde der Boden plötzlich schwanken und hielt sich am Türrahmen fest. Deswegen alterte er nicht wie ein gewöhnlicher Mensch, dachte sie sofort und mit der Überraschung in ihren Gesichtszügen hörte sie staunend weiter zu.

    „Aber, ich bin ein Nachkomme und weiß längst nicht mehr das, was die Alten wussten. Auch kann ich meine Lebensenergie nicht mehr aus dem Guten schöpfen, aus der Fröhlichkeit, der Harmonie und dem friedfertigen Umgang der lebenden Wesen in dieser Welt, weil es zu viel Böses, zuviel Missgunst, Neid und Hass gibt. Das Böse ist stärker geworden als das Gute und hat alle Rassen vergiftet. Die wenigen übrig gebliebenen „Wissenden“ haben aber, so wie ich auch, aus der Not eine Tugend gemacht und so sind wir Seelenfänger geworden. Wir versuchen, besonders abscheuliche, böse Seelen einzufangen, indem wir zum Zeitpunkt des Todes eines Wesens voller Schlechtigkeit zur Stelle sind und die Seele mit der Pyramide des reinen Lichtes einfangen. Da wir auch von der Zeit wissen und uns diesen Umstand zu nutze machen können, gelingt dies bisher. Aber, es ist inzwischen auch überlebensnotwendig für uns letzte der alten Rasse geworden. Wie müssen innerhalb von 1000 Jahren eine Seele in uns aufnehmen, sonst sterben wir. Das mag sich leicht anhören, doch darf die Seele, die wir aufnehmen wollen, nicht weniger als 500 Jahre in der Lichtpyramide gewesen sein, damit sie auch gereinigt wurde, sonst werden wir so, wie es diese Seele zu Lebzeiten des Besitzers war – nämlich böse und schlecht. Dazu kommt, dass es die erste aus zwölf in einer fortlaufenden Reihe vorhandenen Seelen sein muss, aufgenommen noch vor dem zwölften Mond des tausendsten Jahres, von der Einnahme der letzten Seele aus gerechnet. Erschwerend kommt noch hinzu, dass man nur schlechte Seelen fangen kann. Die guten, hell strahlenden oder gar die liebenden, goldenen kann man nur bitten, zeitweilig eine eventuelle Lücke in der Reihe der zwölf bösen Seelen zu schließen, damit man die Bedingungen zur Einnahme erfüllen kann. Und es gibt von den guten doch noch mehr, als man annehmen mag, wenn man durch die Welt wandert. Eine gute Seele geht dann ihren Weg, den man zu gewissen Zwecken aber mit einem Bannspruch beeinflussen kann. Du siehst, ich war erfolgreich – alle zwölf Pyramiden sind gefüllt und ich habe noch viel Zeit, bis ich eine Seele brauche. Ich habe die Macht, dich in die Reihen der „Wissenden“ aufzunehmen, indem ich dir gestatte, während einer Beschwörungsformel die erste, am längsten gefangene und gereinigte Seele, in dir aufzunehmen. Dann fallen alle Beschwerden von dir ab, du wirst jung werden und hast von diesem Moment an dann 1000 Jahre zu leben. Willst du darüber hinaus weiterleben, musst du aber in diesen ersten 1000 Jahren für dich selbst zwölf böse Seelen fangen und die Bedingungen einhalten, dann bekommst du weitere 1000 Jahre. In diesen und den folgenden wird es leichter, brauchst du doch nur jeweils eine weitere Seele, um die zwölf immer wieder aufzufüllen.“

    Auinaya verstand all dies damals nicht, entschloss sich aber, es zu wagen, weil sie unbedingt das gewonnene Glück mit ihrem Liebsten festhalten wollte. Es lief alles so ab, wie er es gesagt hatte. Allerdings schrumpfte sie in der Körpergröße etwas, da die von ihr aufgenommene Seele vorher zu einem Zwerg gehörte – glücklicherweise nicht von der kleinsten Unterart. Ansonsten war sie von einem Augenblick zum anderen äußerlich wieder so, wie sie als junge Frau gewesen war. Ihr Jubel war unbeschreiblich und vor allen Dingen war sie auch sehr froh, dass die Aufnahme einer gereinigten Seele keinen Einfluss auf das Geschlecht hatte.
    #39VerfasserJean-Louis25 Jan. 09, 15:26
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    Die nächsten Jahrzehnte lernte sie das Seelenfangen mit viel Fleiß und großer Anstrengung, um dann endlich ihren Gefährten zu begleiten und gemeinsam mit ihm die bösen Seelen soeben Gestorbener in die Pyramiden des Lichts zu zwingen, damit sie gereinigt werden konnten. Sie prägte sich alles ein, was später wichtig werden konnte. Dazu gehörte auch die Bannung einer Seele mit den notwendigen Sprüchen zu unterschiedlichen Zwecken. Weiterhin erlernte sie auch die Kontaktaufnahme zu anderen „Wissenden“. Allerdings sprach nicht jedes Mitglied mit ihr, weil sie dennoch eine Außenstehende blieb, abstammend von den Feinden der alten Rasse.

    Nach weiteren 500 Jahren brachte er ihr dann das Wissen um einige Geheimnisse der Zeit bei, doch es war für sie sehr schwer zu verstehen, dass die Seelen weder an die Zeit noch an den Ort eine Bindung hatten, solange sie frei waren und auf eine neue Bestimmung warteten. Vor 26 Jahren war ihr Glück dann vollkommen geworden. Auinaya wurde schwanger. Aus Neugierde nahm sie in diesem Zeitraum wieder einmal Kontakt zu den anderen „Wissenden“ auf, um vielleicht etwas über ihr zukünftiges Kind zu erfahren. Das Ergebnis war allerdings für sie schockierend. Sie erfuhr, dass ihr Kind nur den Blutelfenanteil in seiner Seele tragen würde, also die ererbten Eigenschaften eine Generation überspringen würden und dadurch ein Blutelfe alter Prägung entstehen würde. Zu dem späteren Aussehen ihres Kindes erfuhr sie nichts, nur das es ein Knabe werden würde. Sie war wochenlang sehr trübsinnig, wollte das Kind aber unbedingt gebären und grübelte verzweifelt darüber nach, wie sie das anscheinend vorherbestimmte, üble Schicksal ihres Sohnes würde abwenden können. Ihr Liebster brachte sie damals auf den hoffnungsvollen Gedanken, die dunkle Seele des Kindes mit einer stärkeren, guten – möglichst einer goldenen - zu bekämpfen und zu vernichten. Aber, wie sollten sie dies anstellen? Goldene Seelen waren doch eher selten.

    Doch es kam noch schlimmer, als die noch immer in kleinen Gruppen existierenden Jäger des untergegangenen Blutelfenkultes sie zufällig aufspürten. Ihr Gefährte bemerkte die Gefahr zuerst und so konnten sie in aller Hast nur einen kleinen Schlitten mit Habseligkeiten voll bepacken. Er nahm noch die erste Seele seiner längst wieder vollständigen zwölf in sich auf, während sie ihre Lichtpyramiden mit zehn gefangenen Seelen ebenfalls auf dem Schlitten verstaute. Dann schickte er sie weg, um die Häscher auf seine Spur zu lenken, da sie zusammen fliehend aufgrund der bald bevorstehenden Geburt des Kindes ohnehin nicht weit gekommen wären. Er nahm nur seine elf Lichtpyramiden mit den Seelen im Rucksack mit.

    Es waren die grauenhaftesten Wochen in ihrem Leben seit der Flucht aus den Höhlen ihrer Sippe und dem Verlust ihrer Familie gewesen. Die Sorgen um ihren Liebsten, um das Wohl ihres ungeborenen Kindes und dessen Zukunft, um die zwei noch immer fehlenden Seelen, um das unaufhaltsam näher kommende Ende ihrer 1000 Jahre, setzten ihr sehr zu. Dann kam ihr Kind auf der Flucht zur Welt, mitten im strengen Winter, in einer einsamen Gegend am Fuße einer steilen Felswand in einem bewaldeten Talkessel, den sie gerade noch erreichen konnte. Sie war mehr als verzweifelt, als sie plötzlich Stimmen hörte – Stimmen von Männern, die in den Wald gekommen waren, um Bäume zu fällen. Da sie nicht wusste, wie sie sich allein um das Kind und die Jagd auf die fehlenden Seelen kümmern sollte, entschloss sie sich zu einem sehr schmerzhaften Schritt – ihr Kind in die Obhut dieser Menschen zu geben. Ausschlaggebend war letztlich die Tatsache, dass sie eine Verbundenheit mit der Magie spürte. Einer der Männer, wahrscheinlich der merkwürdig aussehende alte Mann, der bestimmte, welche Bäume geschlagen wurden, trug in sich ein Gespür für magische Einflüsse. Das einzige, was sie in diesem Augenblick für die Zukunft ihres Kindes tun konnte, war, sich den Eigengeruch des kleinen Körpers für immer einzuprägen, um ihren Sohn daran später erkennen zu können, wenn sie ihn suchen würde. Dann sandte sie aus ihrem Versteck, von dem sie alles beobachten konnte, Zeichen auf magischer Ebene und sogleich fand der Alte das rasch versteckte Kind, ohne das jemand ihre verwischten Spuren bemerkte.
    #40VerfasserJean-Louis25 Jan. 09, 19:54
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    Von dort aus zog Auinaya anschließend weiter nach Süden, als sie die Trennung von ihrem Kind und die Schwächung durch die Geburt überwunden hatte. Dank eines Glücksfalles konnte sie unterwegs einem Räuber, der bei einem Kampf tödlich verletzt worden war, im Sterbemoment die schlechte Seele abnehmen und die elfte Pyramide füllen. Dann kam sie in eine Stadt, in der sie sich erst einmal versorgte, um von dort zu dem Flecken Erde auf einer Wiese zwischen einem Waldrand und einem großen Sumpf zu gelangen, an dem sie ihr Häuschen errichtete und nun leider immer rascher zu altern begann. So sehr sie auch auf ihn wartete und es sich täglich wünschte, ihr Gefährte tauchte leider nicht wieder auf und auch die Hoffnung, die dringend benötigte letzte Seele oder gar noch eine goldene zu finden, schwand in dem Maße, wie sie ihre körperlichen Kräfte verließen.

    Um ihre wahrscheinlich letzten Jahre trotz der inneren Unruhe um ihren Sohn wenigsten ohne Angst vor einer Entdeckung verbringen zu können, wandte sie für sich einen Schutzzauber an, den sie zuletzt von ihrem Liebsten erlernt hatte. Wäre ihre Angst vor diesen verwirrenden Dingen, welche sie über die Zeit erfahren hatte, damals nicht so groß gewesen, hätten sie sich vielleicht vor den Blutelfenjägern schützen können, da diese genau so unwissend dem Phänomen Zeit gegenüber standen, wie alle anderen heute lebenden Rassen auch. Inständig hoffte sie die ganze Zeit, dass ihr Sohn in Sicherheit sei. Auch ersehnte sie eine Wendung, um doch noch weiterleben zu können und vor allem eine Sache in die Wege zu leiten, die ihr mehr am Herzen lag, als alles andere. Sie tat dafür, was sie noch tun konnte, um auch selber erst einmal in Sicherheit zu sein. So versetzte sie ihren Besitz, das Häuschen und den Garten, um zwei Wimpernschläge in die Vergangenheit. Dadurch verschwand es für alle, die nicht zum Kreis der „Wissenden“ zählten. Wer an ihren Ort kommen sollte, sah nur die Wiese, da in seiner Gegenwart das Häuschen und der Garten noch nicht existierten und waren die zwei Wimpernschläge um, befand sich die Gegenwart des Betrachters bereits in der Zukunft. So ganz verstand sie es selber nicht, aber es wirkte und würde auch eventuell zufällig hier her findende Blutelfenjäger nichts entdecken lassen. Nun fehlten nur noch eine weitere Seele für sie selbst und vor allem die Erlösung ihres Sohnes von seiner finsteren Blutelfenseele.

    Wieder einige Jahre später bemerkte sie, dass sich ein besonderer Mensch ihrem Besitz näherte. Besonders war er deshalb, weil er zu den eher seltenen Wesen zählte, die direkte Seelenverwandte beaßen. Er hatte sogar zwei davon, weshalb das bei seiner Geburt unter den „Wissenden“ mitgeteilt wurde. Eigentlich hatte sich die Hexe bereits mit ihrem Schicksal und dem ihres Kindes abgefunden, doch durch die Begegnung mit diesem Menschen fasste sie einen verwegenen Plan. Sie erkannte, dass das Ende dieses Mannes nahe war und dass er eine gute Seele besaß. Sie strickte einen Ablauf, der ihr möglichst schnell zum Einen die Möglichkeit geben sollte, die zwölf Seelen aufzufüllen – nur kurz, um sich die erste einzuverleiben für das Weiterleben und zum Anderen gleichzeitig ihren Herzenswunsch erfüllen sollte. Sie würde dann mit einer Bannung die gute Seele dieses Menschen zwingen, in der Zeit zurück zu gehen und sich in ihren damals gerade entstehenden Sohn einzunisten. Die Seele dieses Mannes – ein Edelmann namens Arwin – war stark, sehr stark und würde sicher die ungewollte Blutelfenseele ihres Sohnes beherrschen, mit der Zeit aufnehmen und damit für immer tilgen können. Mit dem Gelingen dieses Planes war ihr Leben gerettet und dem Kind das verfluchte Dasein eines Blutelfen genommen. Das der Mann eine liebende, goldene Seele in sich trug, wie sich später herausstellte, war ein zusätzlicher Glücksfall, der alles noch erleichtern sollte.

    Auinaya erhob sich mit steifen Gliedern und blickte nach Osten, der aufgehenden Sonne entgegen. Die kommende Nacht würde Vollmond sein, der zwölfte in ihrem tausendsten Jahr, seit sie diese erste Seele von ihrem Gefährten geschenkt bekam. Damit würde sich der Kreis schließen und ein neues Leben für sie beginnen. Ihrem Sohn hatte sie alles mit auf den Weg gegeben, zu dessen sie fähig war. Die Zuversicht erfüllte ihre Gedanken und ließ sie lächeln. Ihr war klar, dass es seine Zeit dauern würde, ehe die starke, goldenen Seele den Sieg davon tragen würde – aber, sie war sich dessen auch sicher. Das Feuer war längst ausgegangen, sie hatte das Pferd von dem Hügel geführt und schwang sich hinauf, um zu ihrem Häuschen zu reiten. Dort würde sie das Notwendige einpacken, morgen dann das Häuschen niederbrennen, dem Pferd den Laufpass in Richtung Eleanor geben und sich auf die Suche machen – nach ihrem Liebsten.
    #41VerfasserJean-Louis26 Jan. 09, 10:46
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    Eleanor – Träume weisen den Weg

    Als Telmy die Tür hinter sich zuzog, erhaschte seine Nase einen Lufthauch aus dem Nebenzimmer. Er hatte nicht bemerkt, dass es eine Elfe war, welche dieses verließ, als er in sein Zimmer ging. Wie vom Schlag getroffen erstarrte er und sah eine Zeit lang in so rascher Folge Bilder vor seinem geistigen Auge, dass er kaum eines erkennen konnte. Dann hatte er das Gefühl, diesen feinen, angenehmen Geruch zu kennen. Er überlegte, fand aber keine Zuordnung, drehte sich deshalb um, riegelte die Tür wieder auf und ging hinaus auf den Gang. Dort war der „Duft“ intensiver und seine Nase führte ihn zur Türe des Nachbarzimmers. Eine wohlige Wärme stieg ich ihm auf und er fühlte sich in dieser Duftwolke mehr als gut – so als ob er in einer bitterkalten, rauen Winternacht am knisternden Feuer des Kamins in eine Decke eingekuschelt in einem Sessel sitzend in das Feuer schauen und den angenehmen Harzgeruch brennender Tannenstreu riechen würde. Nun sah er wieder ein Frauenbild – mit dem Gesicht der Jägerin aus der Schankstube, welches aber verblasste und durch ein anderes ersetzt wurde, das aber im Nebel verborgen blieb. Er bekam wieder Kopfschmerzen, ging rasch zurück in sein Zimmer und schüttete sich mit beiden Händen das kalte Wasser aus der Waschschüssel in sein Gesicht. Dann starrte er in den alten Spiegel, der schon leicht undurchsichtige Ränder bekommen hatte. Einige Zeit später, noch immer in Gedanken versunken, zog er sich nun aus, um sich zu waschen, erblickte sich aber wieder im Spiegel und verharrte im Denken. Nun sprach er mit sich selbst.

    „Was ist bloß mit mir los? Eigentlich sehe ich doch fast ganz normal aus – bis auf diese so sehr helle Haut. Bin ich wirklich ein Halbelfe, nur weil meine Ohren eine winzige, oval-spitze Abweichung von der Rundung eines Menschenohres haben? Die Alten sagen, dass wäre deutlicher zu sehen gewesen, als ich noch ein Kleinkind war, sogar ein kleines Haarbüschel soll ich an jedem Ohr gehabt haben. Wieso kann ich Dinge, die ein anderer Mensch nicht kann? Warum kann ich schneller rennen, weiter und höher springen, besser riechen und sehen, sogar im Dunkeln? Warum habe ich Kräfte, die man meinen zwar deutlich sichtbaren Muskeln und meinem kräftigen Körperbau aber trotzdem so überhaupt nicht zutraut? Wo kommen die her? Weshalb wurde ich schon in der Kinderzeit von den anderen Kindern immer ausgestoßen und von vielem ausgeschlossen? Ich möchte doch einfach nur normal sein!“
    #42VerfasserJean-Louis26 Jan. 09, 12:29
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    Er seufzte. Nach dem Waschen zog er Nachtwäsche an und legte sich ins Bett. Die Erschöpfung machte sich bemerkbar und er schlief gleich ein. Schon oft hatte Telmy in der Vergangenheit darüber gerätselt, weshalb ihm sein „Großvater“, der alte Druide, nie auf solche Fragen, wie er sie sich gerade selber gestellt hatte, antwortete. Es hieß immer nur: Später.

    Wieder auf ihrem Zimmer zurück setzte Halica sich still ans Fenster und aß. Sie schaute hinunter auf die Straße, wie sie es jeden Tag stundenlang tat, von der Frühe bis in den späten Abend hinein. Sie spürte etwas in sich, dass sie bis jetzt noch nicht bemerkt hatte - etwas hatte sich verändert. Die Geduld, mit der sie Tag für Tag gewartet hatte, war langsam einem inneren Drang gewichen - einem Drang, ihn zu suchen. Er hätte schon längst hier sein müssen und die Tatsache, dass die Hexe hier war, zeigte ihr, dass etwas nicht stimmte. Wenn sie nicht endlich aus ihrer Trägheit erwachte und alsbald handelte, würde sie wahrscheinlich die nächsten 100 Jahre damit zubringen, hier zu sitzen und aus dem Fenster zu starren. Anders als sonst, als sie den leeren Teller nur immer auf der Kommode bis zum nächsten Morgen abstellte, brachte sie ihn diesmal gleich nach unten, um sich noch etwas zu bewegen und machte sich danach fertig für die Nacht. Unter die Decke gekuschelt lag sie noch lange wach und überlegte. Vieles ging ihr durch den Kopf. Doch sie beschloss eines, nicht mehr untätig sein zu wollen. Morgen, ja Morgen, würde sie eine neue Reise beginnen, die ihr Schicksal bestimmen würde. Sie schlief mit einem Lächeln ein.

    Unruhig wälzte sich im Zimmer nebenan der Halbelfe im Bett hin und her. Die Bettdecke hatte er längst aus dem Bett gewühlt. Obwohl es nicht sonderlich warm im Zimmer war, glänzte Telmys Gesicht schweißnass im schwachen Mondlicht, welches schräg durch das Fenster auf den Boden neben dem Bett fiel. Kurze Phasen des tiefen Schlafes wurden unterbrochen von quälenden Albträumen, wie es seit vielen Jahren in vielen Nächten geschah. Diesmal war es aber anders. Mitten in einer besonders heftigen Attacke blieb er plötzlich still auf dem Rücken liegen, riss die Augen auf und starrte an die dunkle Decke – in ein weit entferntes Nichts. Dann begann er tief einzuatmen. Er sog die Luft in langsamen Zügen in sich hinein und bekam wieder dieses heimelige, so wohltuende Gefühl. Was er nicht wusste, aber roch, war die unmittelbare Nähe zu der Elfe in dem anderen Zimmer. Ihr Bett stand genau an derselben Stelle auf der anderen Seite der Trennwand beider Zimmer. Die Füllung der Fachwerkwand hatte winzige, schmale Schrumpfungsritzen, durch welche der Geruch der Frau, die auf der anderen Seite schlief, hindurch drang. Einmal meinte Telmy, den um ihn strömenden Duft zu kennen, dann aber doch nicht. Aber da war auch noch etwas anderes, etwas das einen Teil in ihm erweckte, den er bisher nur in Albträumen gespürt und daher nicht als wahren Teil seines Ich betrachtet hatte – doch diesmal war er wach!

    Er fühlte sich, als ob er durstig werden würde, von etwas, dass in diesem Geruch enthalten war. Ein anderer, mehr süßlicher Duft, den er so stark noch nie wahrgenommen hatte, der ihn aber schneller atmen ließ. Er verspürte ein Verlangen, welches seine Muskeln anspannen und ihn unruhig werden ließ. Bevor er darüber nachdenken konnte, bekam er aber starke Kopfschmerzen. Er schloss die Augen und versuchte, sich zu beruhigen. Es gelang ihm nach einer Weile, er fiel wieder in den tiefen Schlaf zurück und begann bald darauf zu träumen…
    #43VerfasserJean-Louis26 Jan. 09, 15:03
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    „Ich sitze im Felsenkeller, dort wo ich an diesem Abend schon einmal saß. Der Schankraum ist leer, nur am Tresen stehen zwei Frauen – eine Elfe, es ist die Jägerin Daria und eine zweite Frau, so bildschön, dass ihr Anblick fast blendet. Trotzdem kommt mir diese auch bekannt vor. Woher? Die Jägerin kommt zu mir an den Tisch und spricht: „Du siehst mich und doch siehst du nicht, was du sehen sollst. Ich bin es nicht – nein, ich nicht. Du suchst jemand anderes. Sie ist auch eine Elfe, sie ist dir sehr nahe und doch so fern. Wenn du nicht um sie kämpfst, verlierst du sie, bevor du sie findest!“ Die Elfe schreit mich, den schüchtern wirkenden jungen Mann an: „Schau mich an, schau mich ganz genau an – schau in mein Gesicht!“ Sie packt mich am Kinn und hebt meinen Kopf an. Ihre Augen scheinen die meinen durchbohren zu wollen – dann verschwimmen ihre Linien, das fein geschnittene, schöne Gesicht löst sich auf um im nächsten Moment einem anderen Platz zu machen, das aber wie in einem grauen Schleier verborgen bleibt. Urplötzlich steht die andere, so wunderschöne Frau neben mir. Ihr strahlender Schein erhellt bereits das verborgene Gesicht, aber erst blaue Blitze aus den Augen dieser zweiten Frau durchdringen den Schleier und für einen winzigen Augenblick sehe ich das andere Gesicht unverhüllt– erkenne ich volle Lippen, ein feines Näschen und traurige grüne Augen in einem jung wirkenden Gesicht, umrahmt von sehr langen, lockigen und blonden Haaren. Bevor ich aber das alles richtig begreifen kann, ist das Bild weg und Daria blickt mich wieder an. „Mehr kann ich dir nicht helfen, denn ich muss gehen, weil ich längst fort bin und nie wieder zurückkommen werde!“ Die Jägerin geht zum Tresen, wo die andere Frau steht, als sei sie die ganze Zeit nur dort gestanden. Sie blickt mich merkwürdig an, neugierig und zugleich gütig – mir läuft es eiskalt den Rücken runter, als sie sagt: „Verlasse diesen Ort. Gehe zu deinem Ursprung, stelle alle deine Fragen – diesmal bekommst du Antworten“. Nachdem ich kurz den Kopf gesenkt hatte, war ich allein im Gastraum.“

    Mit dem letzten Bild schrak er wieder hoch und saß aufrecht im Bett. Er hörte ein gequältes Stöhnen aus dem Nachbarzimmer und war fast versucht, sein Ohr an die Wand zu legen, doch die Müdigkeit übermannte ihn erneut. So wie er in das Bett zurück fiel, schlief er ein und erwachte erst, als der Hahn zum wiederholten Male den neuen Tag ankündigte.

    Mehr sich zerschlagen als erholt fühlend öffnete Telmy die Augen und blieb zunächst regungslos liegen. Er hatte einen Traum und konnte sich nahezu an alles erinnern: Die zwei Frauen in der Taverne, die gesprochenen Worte, das verschleierte Gesicht. Verschleiert? War da nicht mehr? Mehr Erinnerung bekam er nicht. Er wiederholte leise murmelnd, was ihm gesagt wurde und ließ sich aus dem Bett gleiten. Vor dem Bett auf dem Boden sitzend massierte er sich die Stirn und erhob sich dann recht langsam. Er nahm die Waschschüssel, ging zum Fenster, öffnete dieses und schüttete das Waschwasser vom Vorabend hinaus, wo es klatschend auf dem Pflaster zerspritzte. Die frische Luft tat ihm gut und erst recht das kalte Wasser, welches er aus dem Krug in die Schüssel nachfüllte und sich damit wusch.

    Er wollte nun keine Zeit mehr verlieren, um das zu tun, was er verstanden hatte – zurück zu kehren in sein Dorf und Nachforschungen anzustellen. Er sollte die verschleierte Frau finden, deren Gesicht er nicht so deutlich erkennen konnte, dass es ihm im Gedächtnis blieb. Auf Daria konnte er dazu nicht warten, denn in und um Eleanor würde er bestimmt nicht fündig werden. So schrieb er ihr ein paar Zeilen der Entschuldigung, die er dem Wirt für sie geben wollte. Rasch zog er sich dann vollständig an, schnürte sein Bündel, streifte sich die Schwerter über und schloss seine Zimmertüre auf. Er ging bis zur Tür des Nachbarzimmers und lauschte einen Moment. Auch schnupperte er noch mal nach dem Duft, der aber nur schwach zu riechen war. Nun wischte er sich über die Augen und ging hinunter in den Schankraum, legte seine Sachen auf den Tisch vor dem Tresen und rief leise nach dem Wirt, während er nach ein paar Goldstücken kramte.
    #44VerfasserJean-Louis26 Jan. 09, 16:06
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    Eine ganze Weile dauerte es, bis sich schlurfende Schritte aus der Küche näherten. Der Wirt schaute mehr als verdutzt, weil um diese frühe Stunde ein Gast ein Begehr hatte, was selten genug vorkam. Noch im Schlafrock nahm der Wirt die Bestellung des Frühstücks und das Verlangen des Gastes, zu bezahlen, auf und verschwand wieder in der Küche. Telmy setzte sich derweil an den Tisch und wartete ungeduldig. Schließlich kam Leben in die Küche, auch wenn die Geräusche mehr aus Flüchen aus einem Frauenmund bestanden, als aus emsigem Geklapper und Hantieren zur Frühstücksvorbereitung. Endlich kam auch der Wirt wieder, aus einer Türe neben dem Treppenaufgang, angekleidet zwar, aber noch sehr zerknautscht aussehend. Er verlangte nun den Preis für Kost und Unterkunft, welchen Telmy sogleich bezahlte. Etwas verwundert nahm der Wirt den Brief an Daria an sich und versicherte aber, diesen zu übergeben.

    Halica war bereits im Morgengrauen aufgewacht und zu der warmen Quelle im Wald gegangen. Dort nahm sie ein ausgiebiges Bad, da sie nicht wusste, wann sie dieses Vergnügen wieder haben würde. Sie dachte über ihren seltsamen Traum in der Nacht nach. Er hatte angefangen wie jeder Traum in den letzten Tagen. Sie träumte den Abschied von ihrem Mann immer und immer wieder, sah ihn auf der Straße stehen und zu ihr hoch schauen, wie er sich umdrehte und langsam entfernte. Jeder Schritt den er machte, tat ihr so weh, dass sie es körperlich fühlen konnte. Aber plötzlich stand sie auf der untersten Treppenstufe zum Schankraum. Sie sah die Hexe durch den Raum der Taverne rennen und hörte, wie sie ihr etwas zu rief, doch Halica konnte es nicht verstehen. Als die Tür der Taverne zuschlug, war Halica auf ein Mal wieder in ihrem Zimmer und konnte die Stimme der Hexe erneut hören, als stünde sie direkt neben ihr.
    „Es ist Eile geboten, du kannst nicht länger hier bleiben, sonst wirst du ihn nie wieder sehen. Finde ihn, aber nimm auf deinem Weg jede Hilfe dankbar an, die sich dir anbietet. Alleine kannst du es nicht schaffen.“ Mit diesen Worten verschwanden die Bilder und Halica war aufgewacht.

    Nun stieg sie aus dem Wasser, trocknete sich gründlich mit dem mitgebrachten, weichen Tuch ab, zog sich an und eilte zu der Taverne zurück, um ein letztes Frühstück in Eleanor einzunehmen. Als sie die Schankstube betrat, rechnete sie nicht damit, einen anderen Gast zu sehen, da es noch so früh am Tage war. Umso überraschter war sie, als sie an einem Tisch den jungen Mann aus dem Nachbarzimmer erblickte. Ein seltsam warmes Gefühl machte sich in ihrem Inneren breit. All ihre Sinne waren bis aufs Äußerste angespannt und die Welt schien sich einen Augenblick lang nicht mehr zu drehen. Was ist hier nur los, dachte sie nun. Sie schob es darauf, dass sie sehr aufgeregt war, weil sie gleich aufbrechen wollte. Sie betrachtete den blonden Mann, der ganz in Gedanken versunken schien, noch mal genau. In dem Moment hob auch er den Blick und sie sah in die wärmsten und faszinierendsten braunen Augen, die sie je gesehen hatte.

    Der Wirt war in der Küche verschwunden und Telmy saß nachdenklich da. Seine Gedanken drehten sich um eine einzige Frage: Wie sollte er rechtzeitig zurück in sein Heimatdorf, bevor der Winter den gesamten Norden in seinen eisigen Griff nehmen würde, wenn er nur zu Fuß gehen konnte? Grübelnd hörte er, wie eine Tür geöffnet wurde, sich Schritte näherten und dachte sich, das wird die Schankmagd mit dem Frühstück sein. Dann blickte er auf. Einen Augenblick lang war er geblendet und sah nur eine Gestalt vor seinem Tisch stehen. Eine Frau – sie hatte beim Eintreten die Tür zum Gastraum offen stehen lassen und die sehr flach stehende Morgensonne beschien durch die Türöffnung diese Frau von hinten, so dass sie von einem goldgelben Schein umgeben war, der etwas blendete. Verstärkt wurde das ganze Lichtspiel noch durch die blonden, hüftlangen Haare der Frau, deren Gesicht er immer noch nicht richtig sah. Höflich erhob er sich, stellte sich vor und bekam einen Anfall von Forschheit.
    „Werte Dame, mein Name ist Telmy Eventhin. Zu so früher Stunde habt ihr bestimmt noch nicht gefrühstückt. Wollt ihr euch nicht zu mir setzen?“ Einladend zog der junge Mann den Stuhl an der Stirnseite des Tisches etwas zur Seite und machte eine Handbewegung, um die fremde Frau zum Hinsetzen aufzufordern.
    #45VerfasserJean-Louis27 Jan. 09, 13:35
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    Halica war wie erstarrt, stand mit ihrem Bogen und einem Köcher in der linken Hand nur da. Beides trug sie immer bei sich, wenn sie die Stadt verließ – man wusste ja nie, wem man begegnen würde. Die kurze Weile, bis er sich erhob und sie ansprach, kam ihr wie Stunden vor. Sie fand die Sprache erst wieder, als er sie nach seiner Einladung erwartungsvoll ansah.
    „Ich danke euch. Ich hab tatsächlich noch nichts gegessen und brauche dringend eine Stärkung, habe ich doch eine lange Reise vor mir. Mein Name ist Halica, einfach nur Halica.“
    Sie schloss die Tür und setzte sich auf den Stuhl, den er ihr anbot. Als er von ihrem Stuhl zurück zu seinem ging, berührte er sie dabei leicht an der Schulter. Ein Kribbeln durchfuhr sie von den Zehen bis in die Haarspitzen.

    Kaum war sie herangetreten und hatte sich hingesetzt, wurde Telmy in eine regelrecht wallende Duftwolke eingehüllt. Das war kein Parfüm - allenthalben nur eine winzige Spur eines feinen Duftwässerchens war darin enthalten - es war ihr Geruch, ihre Haare, ihre Haut. Nie vorher hatte er ähnlich betörendes in seine Nase bekommen und doch war es das nicht allein, was seine Sinne benebelte. Wie betäubt setzte er sich wieder und sah angestrengt zur Küchentüre. Wie schon am Vortage schoss ihm die Wärme ins Gesicht – ob seine Ohren glühten? Er riss sich zusammen und fragte mit leiser, kratzender Stimme:
    „Entschuldigt meine Unaufmerksamkeit, werte Dame Halica, ich bin übernächtigt. Wenn ich fragen darf, wo soll es denn hingehen, so früh am Morgen? Ihr reist doch nicht etwa allein? Sicher werdet ihr von eurer Begleitung draußen schon erwartet.“

    Eine Reise zu zweit

    Halica bemerkte, dass Telmy ihrem Blick auswich. Wurde er etwa rot? Sie konnte ein kleines Lächeln nicht unterdrücken. Seltsam, warum kam ihr Lächeln gerade in seiner Gegenwart zurück?
    „Ich reise nach Norden, weil ich auf der Suche nach Jemandem bin. Es wartet keine Reisebegleitung auf mich, ich bin leider ganz alleine.“ Bei ihrem letzten Satz wurde ihr Blick wieder traurig und ihre Stimme drohte ihr zu versagen. Sie fasste sich jedoch schnell wieder, bevor sie weiter sprach.
    „Da ich aber einen Planwagen besitze, wird die Reise nicht allzu beschwerlich, hoffe ich.“

    Telmy hörte nicht, dass in ihrer Stimme große Traurigkeit mitschwang, sondern nur, dass diese schöne Elfe nach Norden wollte. Deshalb murmelte er erst leise, dann verständlich:
    „Nach Norden? Nach Norden! Das ist auch meine Richtung…“ Er wurde nervös. Etwas in ihm drängte, sich dieser Frau anzuschließen, etwas anderes wollte ihn abhalten, warnte ihn vor der viel zu schönen Frau. Er wunderte sich ohnehin schon, dass er in kürzester Zeit hier gleich mit zwei schönen Elfen zu tun hatte und noch eine dritte ihm im Traum erschienen war. Dazu dieses Gefühl, nur wegen dieses Traumes eine Reise unternehmen zu wollen, die schon gefährlich genug sein konnte ohne weibliche Begleitung, ohne sich sicher zu sein, das es wirklich sinnvoll sei. Die Überlegung wurde durch die Schankmagd unterbrochen, welche endlich sein Frühstück brachte. Ihr Blick war zuerst überrascht, dann ärgerlich. Mit dieser hinzu gekommenen Elfe konnte sie nicht konkurrieren. Unfreundlich stellte sie den großen Holzteller und einen Krug Milch ab, bevor sie recht missvergnügt sagte:
    “Wünschen werte Dame ebenfalls zu frühstücken?“ Schnippisch warf sie dabei eine Haarsträhne aus dem Gesicht und zog eine Augenbraue hoch.
    #46VerfasserJean-Louis27 Jan. 09, 14:58
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    Halica sah ihm an, dass er innerlich mit sich kämpfte. Was brachte ihn wohl so zum grübeln? Als sie ihn fragen wollte, kam die Schankmagd äußerst mürrisch daher und nahm ihre Bestellung für ein Frühstück auf. Als sie wieder verschwand, richtete Halica nun ihre Aufmerksamkeit ganz auf Telmy. Er war sehr anziehend - so etwas war ihr schon lange nicht mehr an einem anderen Mann aufgefallen, da sie die letzten 25 Jahre nur Augen für einen einzigen Mann gehabt hatte. Sein ansprechendes Äußeres war wohl auch der Grund, weshalb die Magd so unfreundlich zu ihr war, die wirkte nämlich ziemlich eifersüchtig. Halica schüttelte den Kopf, als ob ihr der Sinn jetzt nach einer Liebelei stehen würde. Sie hatte Wichtigeres im Kopf, sie musste ihren Geliebten finden. Doch nun stutzte sie. Eine Frage zerschnitt alle anderen Gedanken: Wenn er es nun ist?

    Das Alter schien zu stimmen. Aber es konnte nicht sein, er würde sie sonst erkennen - oder vielleicht nicht sofort? Eigentlich schade. Aber auf jeden Fall war er eine angenehme Gesellschaft, sie fühlte sich richtig wohl in seiner Nähe. Gerade heraus stellte sie deshalb freundlich eine Frage: „Ihr wollt also auch nach Norden?“

    Er sah dieser so jung aussehenden Elfe direkt in die Augen – in dieses faszinierende Grün. Doch sein Blick ging hindurch, wie am gestrigen Abend, bei dieser Jägerin. Nur, diesmal erschien ihm kein Gesicht – nichts. Dann konzentrierte er sich auf das, was er gehört hatte. Mit einem leicht schiefen Lächeln gab er ihr eine Antwort.
    „Ja, auch nach Norden, in meine Heimat. Ich will dort so schnell wie möglich hin, ich habe sehr wichtige Dinge zu erledigen. Ihr sagtet, dass ihr einen Planwagen besitzt. Vielleicht…“ Nun ließ er erst seinen Blick sinken, nahm aber sogleich allen Mut zusammen und schaute sie wieder an.
    „Vielleicht könnte ich euch begleiten. Ich kann sehr gut mit Pferden und einem Gespann umgehen. Zuhause gehört das zu meiner täglichen Arbeit – der Umgang mit Pferden und mit Fuhrwerken. Wenn ihr mir erlauben würdet... Bitte…“

    Telmy war sehr erleichtert und sogar überrascht über sich selbst, hatte er doch niemals außerhalb des Gebirges mit fremden Menschen zu tun gehabt und vor allem nicht mit so attraktiven Frauen, wie es sie hier in Eleanor wohl laufend zu sehen gab. Diese Elfe, die nur eine Armlänge entfernt an seiner Seite saß, war vielleicht nicht ganz so makellos aussehend wie jene, die er im Traum am Tresen neben der Jägerin gesehen hatte, doch sie wirkte auch nicht so kalt in ihrer Ausstrahlung. Ganz im Gegenteil, gerade weil sie nicht so maskenhafte, fast künstlich wirkende Gesichtszüge hatte, war sie besonders anziehend und wirkte derart lieblich auf ihn, wie er es noch nie erlebt hatte. Er fühlte, wie ihm schlecht wurde, nur weil sie sich mit der Antwort Zeit ließ und er nur einen Gedanken hatte: Hoffentlich stimmt sie zu.

    Halica hatte keinen Moment lang daran gedacht, dass er sie um eine Mitfahrgelegenheit bitten würde und für einen Moment war sie unschlüssig. Da sagte eine Stimme in ihren Gedanken: Nimm jede Hilfe an, alleine kannst du es nicht schaffen. Die Worte der Hexe kamen ihr wieder in den Sinn. Nachdenklich schaute sie Telmy an. Nein, gefährlich sah er nicht aus und das sie seine Nähe genoss, stand außer Frage.
    „Werter Telmy, es wäre mir ein Vergnügen, euch als Reisebegleitung zu haben. Doch fühlt euch nicht verpflichtet, mich zu beschützen.“ Sie besah sich seine Kampfausrüstung genauer, fand ihren ersten Eindruck seiner Ausrüstung bestätigt und lächelte schelmisch. „Mir scheint, ich bin auf der Jagd und im Kampf geübter als ihr“, sagte sie bestimmend, wobei sie mit einer Hand über den neben ihr auf dem Tisch liegenden Bogen strich.
    #47VerfasserJean-Louis27 Jan. 09, 16:06
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    Bevor er etwas sagen konnte, kam die Schankmagd mit dem zweiten Frühstück aus der Küche – immer noch den grimmigen Gesichtsausdruck habend. Diesmal noch unfreundlicher, die Elfe nur giftig musternd, stellte sie die Speisen und das Getränk ab. Mit einer raschen Kehrtwendung rauschte sie wieder davon. Telmy würdigte dieses ungehörige Verhalten mit einem bösen Blick. Ihm ging dann aber sofort durch den Kopf, dass die Dame ihn „nur“ mit dem Vornamen angeredet hatte – Telmy…, sie hatte nur Telmy gesagt. Ob er es wagen konnte? Er sah sie so freundlich an, wie er nur konnte und um ein Haar hätte sich seine rechte Hand ihrer linken Hand genähert, die nur einen Fingerbreit entfernt von seiner war. Er zog sie erschrocken etwas zurück und nahm wieder allen Mut zusammen. “Erlaubt ihr mir, euch nur mit eurem Namen Halica anzusprechen?“

    Sie hatte bereits begonnen zu essen und während er ein Kirschmus auf eine dicke Scheibe Brot schmierte, sah er sie immer wieder an, auf die Antwort wartend, zu der sie sich aber Zeit ließ. Dieser Mund, diese Augen, dachte er und versuchte, sich zu erinnern, warum ihm ihr Anblick fast vertraut vorkam. Ihre Anwesenheit versetzte ihn nicht nur in eine innere Aufregung, nein – zugleich wirkte sie beruhigend auf seine Gedanken. Nicht einmal sah er Bilder oder bekam plötzliche Kopfschmerzen. Nach den ersten Bissen wurde auch das flaue Gefühl in der Magengrube besser. Als Halica sich noch überlegend etwas von ihrem Frühstücksei nahm, sah sie mit leicht verzogenem Gesicht in Richtung der Küche. Auf ihrem Ei war doch tatsächlich Zucker statt Salz. Aber, sie war viel zu belustigt, um sich zu beschweren. Außerdem versetzte sie die Tatsache, dass sie nicht alleine reisen musste in Hochstimmung.
    „Natürlich, werden wir doch eine längere Zeit zusammen verbringen. Jedoch sollten wir gleich nach dem Frühstück abreisen, um möglichst weit zu kommen, solange es hell ist.“ Dann aß sie hastig weiter, den eigentümlichen Geschmack nicht beachtend. Sie konnte es nämlich nicht erwarten endlich aufzubrechen, weshalb sie rasch den eben wieder herein gekommenen Wirt herbei winkte, um einen Korb mit Reiseproviant zu bestellen und dann sogleich die Rechnung zu bezahlen. Auf dem Rückweg vom Badesee hatte sie ihr Tuch bereits in den Wagen gelegt und dem Stallknecht aufgetragen, ihre fertig gepackten Sachen aus dem Zimmer zu holen und ebenfalls in den Wagen zu legen, weswegen sie nach dem Bezahlen nicht noch einmal in ihr Zimmer gehen musste.

    Von ihrer guten Laune wurde Telmy angesteckt und nach der Erleichterung, dass er sie begleiten und auf dem Planwagen mitfahren durfte, wäre er ihr am liebsten um den Hals gefallen. Leicht verärgert war er nur über diese Schankmagd. Was bildete die sich ein? Trotzdem verschlang er genüsslich die Brotscheiben mit leckerem Aufstrich und trank die frische Milch dazu. Er bemerkte, dass seine neue Bekanntschaft beim Essen des Eies etwas das Gesicht verzog, was er zwar lustig fand, es aber nicht zeigte. Rechtzeitig war Telmy fertig, als der Wirt den bestellten Reiseproviant in einem großen Korb mit Deckel brachte. Halica beendete auch soeben ihr Mahl und sah sich erstaunt um. Der Felsenkeller hatte sich bereits mit einigen Gästen gefüllt und sie hatte es nicht bemerkt, so sehr nahm sie Telmys Gesellschaft gefangen. Sie bezahlte und erhob sich.
    „Wollen wir aufbrechen?“, fragte sie mit belegter Stimme, weil sie so aufgeregt darüber war, dass es nun endlich losgehen würde. Keinen Augenblick länger konnte sie es aushalten, noch weiter hier sitzen zu bleiben. Schnell erhob sich der Halbelfe und streifte sich die Schwerter auf den Rücken.
    „Werte Halica, ihr seht mich reisefertig. Mein Bündel noch von der Bank genommen und den Korb dazu, so eile ich euch hinterher.“ Er blickte sie freudig lächelnd und erwartungsvoll an.
    #48VerfasserJean-Louis28 Jan. 09, 11:56
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    Auch Telmy bemerkte jetzt, wie mehrere Personen, darunter der einäugige Krieger, an einer großen Tafel Platz nahmen. Aber es drängte ihn, endlich weiter zu kommen auf dem Weg, welchen ihm die Bilder und der Traum gewiesen hatten. So sagte er hastig:
    „Nur einen Moment noch, dann bin ich sofort zur Stelle, werte Halica.“ Rasch war er bei Baldur, begrüßte ihn und erklärte mit wenigen Worten, dass er fort musste und auch nicht auf Daria warten konnte. Für sie hätte er einen Brief beim Wirt hinterlegt. Der Krieger wünschte mit einem etwas leeren Gesichtsausdruck dem Jüngling viel Glück und alles Gute. Er sagte nichts von seinem noch immer vorhandenen Gefühl der Trauer, auch nicht, dass er eigentlich mit Darias Anwesenheit in dieser frühen Morgenstunde bereits gerechnet hatte. Dann war Telmy wieder bei Halica, nahm sein Bündel, die Schwerter und den schweren Korb mit dem Reiseproviant. Er wollte noch ihren Bogen nehmen, hatte aber schon genug zu tragen, weshalb er sich dafür entschuldigte und gleich zur Tür ging. Dort warf er ihr einen ungeduldigen Blick zu, damit sie die Tür öffnen und vor ihm hinausgehen würde.

    Halica stand derweilen fast geistig abwesend noch am Tisch. Sie nahm ihren Bogen und strich mit einem wehmütigen Blick zart über das liebevoll verarbeitete Holz. Ihre Finger fuhren leicht über die Inschrift.

    „Halica ar Arwin am uireb“

    Erst dann ging sie auf die Tür zu und während sie diese öffnete, sah sie ihn an und sagt leise:
    „Mein Gepäck ist schon auf dem Wagen. Und den...", sie hielt den Bogen hoch, "...trage ich sowieso lieber selbst.“ Anschließend ging sie voran in Richtung des Stalles, vor dem der Planwagen schon bereitstand. Der Knecht hatte die Pferde auch bereits eingespannt und sie mitsamt dem Wagen aus der Remise geführt. Sie empfand es mit einem seltsamen Gefühl, als sie dachte, dass sie sich gleich auf den Sitz vorne setzen und einen völlig Fremden neben sich wissen würde, auf dem Platz, auf dem vor wenigen Tagen noch ihr geliebter Mann gesessen hatte. Halica blinzelte die Tränen fort und wischte sich verstohlen eine einzelne von der Wange. Hoffentlich hatte Telmy ihre kleine Unpässlichkeit nicht bemerkt. Sie stieg auf und klopfte einladend auf den Sitz neben sich. „Nun, es wird Zeit“, bemerkte sie wieder etwas gefasster.

    Telmy hatte nichts erwidert, als Halica etwas zu ihrem Bogen sagte und war ihr dann gefolgt. Sie roch umwerfend gut - diesmal viel stärker. Sie hatte sicher ein Duftwasser benutzt. Beide näherten sich von hinten dem Wagen - einem Kastenstellwagen mit Planenaufbau in einer sehr robusten Machart - aus reinem Eschenholz und daher sehr leicht, obwohl auch sehr stabil, wie er gleich erkannte. Er legte sein Bündel mit den Schwertern hinter die Klappbordwand und stellte den Korb vorsichtig in die Ecke, was gar nicht so leicht war, weil die Bordwand ungewöhnlich hoch war. Dann zog er die Plane zu und schnallte die Zurrriemen fest.

    Anschließend ging er um den Wagen herum und sah, wie Halica, die bereits aufgestiegen war, einladend auf den Sitzplatz neben sich klopfte und stieg von links auf, dorthin, wo eigentlich der Fuhrmann sitzt, weil dort auch die Bremse angebracht war. Er griff nach den Kreuzleinen und schnalzte mit der Zunge, aber nichts geschah - die Zugpferde, zwei so prächtige Kaltblüter, wie er sie noch niemals - nicht einmal als Rückepferde - gesehen hatte, rührten sich nicht. Dann versuchte er es mit „Hüh, Hüha“ und ruckte an der Leine - die Pferde schnaubten und machten gerade mal einen Schritt, ehe sie wieder stur verharrten.
    #49VerfasserJean-Louis28 Jan. 09, 12:51
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    Er sah, wie die Elfe neben ihm schmunzelte. Der Besitzer musste ein vorsichtiger Mann sein, dachte er sich, weil er den Pferden nicht die üblichen Zurufe eingeprägt hatte – ein guter Schutz vor Dieben. Da fiel ihm ein, wie einmal ein weit gereister Fallensteller mit einem nicht ganz so kräftigen, aber ebenso edlen Packpferd in die Schmiede seines Ziehvaters kam. Dieser fremde Mann sagte auch zu seinem Pferd Worte, die niemand so als Befehl zum Losgehen oder Anziehen vor einem Wagen kannte. Telmy versuchte es.
    „Hoh, Hoh, Pferdchen“. Tatsächlich, mit dieser Ansprache, die andere Leute ihren Pferden zum Anhalten zuriefen, gingen die zwei hier los.

    Nicht ganz elegant, aber doch gehorchend auf den gleichzeitigen Ruck an den Kreuzleinen, zogen die Pferde – zwei Stuten – an. Telmy lenkte einen sauberen Kreis und dann durch das Tor auf die Straße hinaus. Die Kaltblüter schritten gemütlich aus, als ob kein Wagen zu ziehen wäre. Der Halbelfe war fasziniert von so einem edlen Gespann. Ehe er sich versah – er betrachtete alles mit großer Neugierde, war man am Nordtor und schon hindurch, die winkenden Wachen zurück lassend.

    Auf nach Norden

    Halica beugte sich um den Planenaufbau und blickte noch einmal zurück. Sie schwor sich, dass sie, wenn sie das nächste Mal nach Eleanor kam, ihren Liebsten mitbringen würde. Sie sah aufmerksam Telmy zu, wie er zuerst etwas unsicher den Wagen lenkte, aber dann immer selbstbewusster die Pferde mit den Leinen führte. Die Leinen hatte sie ihm mit Absicht und auch gern überlassen, da er einerseits mit einer Aufgabe vielleicht nicht allzu nervös bleiben würde, andererseits hatte sie selbst nur selten den Wagen gelenkt, da Arwin immer an ihrer Seite war. Natürlich hatte Halica längst bemerkt, dass ihre Gegenwart den jungen Mann verwirrte. Allerdings ließ sie ihn nicht merken, dass es ihr ähnlich ging, aber anders als er wurde sie nicht bei jeder Gelegenheit gleich rot und die aufkeimende Neugierde über ihn half ihr über die hochkommende Traurigkeit doch hinweg. Schließlich konnte sie sich ein Grinsen nicht verkneifen und beschloss, ihn etwas aus der Reserve zu locken.
    „Was führt euch denn in den Norden?“, fragte sie ihn, sah ihn an und wartete neugierig auf seine Antwort.

    Er war derart vertieft in seine Freude, diesen so großen Wagen mit den prächtigen Pferden lenken zu dürfen, dass ihn Halicas Frage fast erschreckte und er ohne groß zu überlegen losplauderte.
    „Ihr findet es bestimmt merkwürdig, mindestens jedoch lächerlich, befürchte ich. Ich wurde von meinem Großvater vor einiger Zeit von Zuhause fort geschickt. Er sagte mir nicht warum, nur, dass ich gehen müsse, weil sonst der Friede im Dorf gefährdet sei. Bis jetzt habe ich kaum einmal eine Antwort von dem alten Mann bekommen, wenn ich ihn nach etwas fragte. Aber… aber heute Nacht träumte ich etwas. Da sagte eine Frau zu mir, ich solle „zu meinem Ursprung“ zurückgehen, dann könne ich Antworten auf meine Fragen bekommen. Es ist verrückt, aber ich hoffe tatsächlich, dass das so sein wird. Glaubt ihr an so etwas? Das man von Dingen träumen kann, die sich dann erfüllen?“ Telmy sah sie diesmal ohne jede Scheu an. Er war so in seinem Eifer des Wagenlenkens versunken gewesen, dass er die Zurückhaltung abgelegt hatte. Seine Augen zeigten nur ehrliche Neugier und eine Spur der Bewunderung, war diese Frau doch so vollkommen anders, als die Mädchen seines Dorfes.
    #50VerfasserJean-Louis28 Jan. 09, 14:05
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    Der Weg nach Norden verlief zunächst ein Stück in der Ebene des trockengelegten, ehemaligen Sumpfes. Dann ging es beständig in leichter Steigung bergauf. Der Brechpunkt dieses lang gezogenen Weganstieges befand sich in der östlichen Flanke des Berges, den der Weg umrundete, etwa eine Baumhöhe über den höchsten Wipfeln des sich weit nach Osten hin erstreckenden großen Waldgebietes. Der Ausblick an diesem klaren, sonnigen Morgen war phantastisch. Im Norden zeigten sich weitere Wälder, durchsetzt mit Bergen, deren höchste Kuppen etwas schneebedeckt waren, während der Blick nach unten über einen beängstigend großen Sumpf hinweg glitt. In östliche Richtung, über das grüne Meer des Waldes hinweg, endete die Aussicht an den Gipfeln des Ostgebirges. Gerade noch in südöstlicher Blickrichtung waren der letzte Zipfel eines weiteren Sumpfes, der weiter verlaufende Waldrand und in größerer Entfernung wiederum Berge zu erkennen.

    Telmy nahm diesen Blick nach rechts in die Landschaft aber gar nicht wahr, während er auf Antwort wartete, weil ihn bereits etwas anderes in den Bann zog – das Profil von Halica, die in östliche Richtung über die Wälder hinweg blickte. Seine Ohren glühten, als er sie von den Haaren über das ebenmäßige Gesicht, die Brust, bis hinunter zu den Knien musterte. Ihre Kleidung aus Baumwolle und Wolle umspielte ihren so wohlgeformten Körper derart vorteilhaft, dass er seinen Blick rasch wieder nach vorne wandte, um nicht in völlige Aufregung zu geraten. Er hoffte inständig, dass diese längere Reise in derartiger Nähe zu einer schönen Frau eher zu einer Gewöhnung an ihre Nähe führen würde, als zu noch größerer Verwirrung seiner verrückt spielenden Gefühle.

    Halica dagegen dachte beim Betrachten der Landschaft an ihre Träume, welche sie seit ihrer Kindheit hatte und die sie auch jetzt wieder bekam. Genau diese Träume, wie Telmy sie beschrieb, ohne zu ahnen, dass ihr halbes Leben davon bestimmt war. Ihre Träume waren in ihrer Kindheit zugleich ihre Freunde, die sie mit Vorahnungen und Warnungen begleiteten und dadurch zu Helfern wurden, um auf dem richtigen Weg zu bleiben. Das Schicksal ihrer Schwester Linariel konnte sie damals leider dennoch nicht verhindern, aber diesmal würde sie stärker sein.
    „Natürlich glaube ich daran. Täte ich es nicht, müsste ich an meinem eigenen Verstand zweifeln. Das nennt man auch das zweite Gesicht. Es ist unter den Elfen weit verbreitet und ich habe diese Gabe auch. Schon seit frühester Kindheit träume ich manchmal von Ereignissen mit großer Wichtigkeit, bevor sie eintreten.“

    Nun legte sie die Hände in ihren Schoss und spielte mit dem goldenen Ring an ihrem Finger. Sie wurde von einer plötzlichen Zuversicht gepackt, dass Arwin ihr diesen Ring eines Tages wieder über ihren Finger streifen würde. Nur würde dann der Name, der darin eingraviert wäre, höchstwahrscheinlich ein anderer sein oder hinzukommen, wenn es möglich wäre. Telmy spürte derweil mit großer Verwunderung, wie ihre Worte ihn beruhigten. Wenn sie sprach, drangen ihre Worte mit einer Stimme in seine Ohren, die einer harmonischen Melodie glich, wie sie sonst nur eifrige Sänger unter den Vögeln hervorbrachten. Die Schwingungen ihrer Tonlagen legten sich wie Balsam auf seine Verlegenheit und besänftigten jede Aufregung. Beinahe wäre er ins Träumen abgeglitten, beinahe hätte er den Traum der vergangenen Nacht noch einmal geträumt, aber ein paar kurze Stöße des über Unebenheiten hinwegrollenden Wagens verhinderten dies.
    #51VerfasserJean-Louis28 Jan. 09, 15:18
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    „Oh je", seufzte Telmy, "Wenn solche Träume wahr werden, was soll denn das nur bedeuten? Ich sah zwei Frauen, vielleicht sogar noch eine dritte. Die eine, die zu mir sprach, war eine Jägerin, eine schöne Elfe, so… so wie… so wie ihr. Sie meinte mehrmals, dass ich zwar sie sehe, sie es aber nicht ist, die ich sehen sollte. Die andere, übernatürlich schön und so makellos, dass sie überhaupt keine warme Ausstrahlung besaß – einen richtig kalten Gesichtausdruck sah ich, obwohl mir ihre Augen gütig schienen – zeigte mir mit blau blitzenden Augen noch ein drittes Bild, von dem ich aber kaum etwas erkennen konnte. Diese Frau riet mir, aufzubrechen und „zu meinen Wurzeln“ zurück zu gehen. Dieses weitere Bild – ich bin mir nicht sicher – es könnte auch eine Frau gewesen sein.“

    Nun ginge es bergab und Telmy drehte vorsichtig die Bremse leicht fest, was ungewöhnlich war, weil alle Fuhrwerke, die er bisher kannte, nur Bremshebel besaßen. Dieser Wagen hatte stattdessen eine Kurbel, bei deren Betätigung sich die Bremsklötze an die Hinterräder pressten. Die Funktion war ihm zwar klar, aber den neuartigen Mechanismus musste er sich bei nächster Gelegenheit doch genauer ansehen. Auf jeden Fall war die Fahrt hinunter zu dem großen Sumpf so wesentlich entspannter zu bewältigen, als wenn er dauernd am Bremshebel hätte ziehen müssen. Unten angekommen führte der Weg mitten durch den großen Sumpf und sah anfangs gar nicht so schlecht aus. Die Befestigung des Weges musste mit Unmengen von größeren und kleineren Steinen erfolgt sein, denn unter der dünnen Matschschicht des Weges war es sehr uneben, so dass Telmy die Pferde zu einem langsameren, vorsichtigeren Schritt anhielt. Trotzdem sah er die schöne Elfe wieder an und sie ihn ebenfalls, wobei sie sogar kurz in seinen Augen versank, bevor sie ihm endlich antwortete.

    „Nun, nicht alle Träume werden wahr. Manche sind einfach nur dazu da, uns wieder auf den richtigen Weg zu bringen. Wenn ihr von drei Frauen geträumt habt, die euch etwas sagten, dann müsst ihr nicht unbedingt damit rechnen, dass ihr ihnen begegnet und sie euch dasselbe noch mal sagen. Wichtiger ist es darauf zu achten, was sie sagten und die Symbolik dahinter zu verstehen. Auch ich brach zu dieser Reise auf, weil ich einen ähnlichen Traum hatte.“ Kaum hatte sie ihre Rede beendet, fing der Wagen an zu ruckeln in dem matschigen und unebenen Morast, weshalb sie sich festhalten musste. Unbewusst griff sie nach seinem Arm. Die Berührung war erregend wie ein stürmischer Kuss. Schnell ließ sie ihn wieder los und senkte den Blick. Verlegen flüsterte sie: „Verzeiht, ich wollte euch nicht zu nahe treten.“

    Er hörte Halica aufmerksam zu und dachte sich, wie Recht sie doch hatte, oder auch wieder nicht? Bevor er etwas erwidern konnte, holperten die Räder des Wagens über eine besonders unebene Stelle und sie hielt sich kurz an seinem Arm fest. Im Moment der unerwarteten Berührung kam sie ihm nahe und er konnte urplötzlich kaum noch atmen. Sein Herz schien den Takt zu verlieren für den Augenblick, in dem sie sich an ihn klammerte. Dann ließ sie ihn wieder los und er hörte eine Entschuldigung, während er sich zwang, endlich wieder Luft zu holen.

    „Oh nein, werte Halica, nicht ihr müsst euch entschuldigen. Ich hätte aufpassen und vorsichtiger fahren müssen.“ Dann redete seine Zunge wieder mal einen Satz von allein und er wäre am liebsten in den Sumpf gesprungen, um seine Scham zu verbergen.
    „Ich empfand die Berührung als sehr angenehm.“ Starr richtete er sofort seinen Blick nach vorne und haderte mit sich selbst, wegen seines losen Mundwerkes. Halica sah ihn sehr verwundert an. Hatte er das eben wirklich gesagt? Sie hüstelte und hielt sich die Hand vor den Mund. Auf einmal konnte sie nicht mehr an sich halten und fing zu kichern an. Sie versuchte zwar, durch ein weiteres Husten zu überspielen, dass sie fast lachen musste, aber es gelang ihr nicht so recht.
    „Entschuldigt, aber so etwas Kühnes hätte ich aus eurem Mund gar nicht erwartet. Sonst weicht ihr meist sogar meinem Blick aus und dann so etwas?“ Sie legte ihre Hand wieder auf seinen Arm. „Aber, wenn es euch nicht stört, dann halte ich mich lieber weiter an euch fest.“
    #52VerfasserJean-Louis29 Jan. 09, 12:59
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    Telmy saß zunächst wie versteinert da und sah etwa eine halbe Meile voraus das Ende des Sumpfes. Er war zugleich froh, dass es danach bestimmt keinen Grund mehr geben würde, dass sich diese Frau weiter an ihm festhalten würde, weil sie ihm auf eine merkwürdige Art die Sinne vernebelte, aber auch bereits unruhig, weil sie dann sicher wieder etwas von ihm wegrücken würde. Sein anfängliches Bauchweh hatte sich in ein Gefühl verändert, als würden 1000 Schmetterlinge ein Treffen in seinem Bauch abhalten und unentwegt an die Magenwände mit ihren zarten Flügeln stoßen. Heftig, aber angenehm. Er wusste im Moment nicht, was er sagen sollte und genoss nur ihren warmen Duft. Dann waren sie aus dem Sumpf heraus und näherten sich dem Fuße eines einzelnen, hohen, schneebedeckten Berges, was ihn etwas ablenkte.
    „Da, seht ihr links oben den Schnee auf dem Gipfel? In meinem Dorf müsste es bereits geschneit haben. Das ganze Adlergebirge ist sicher schon völlig eingeschneit.“

    Sie ließ seinen Arm nicht los, wahrscheinlich weil der Weg noch etwas schlechter wurde und der Wagen mit den Hinterrädern manchmal in eine Rille seitlich hinein rutschte. Telmy bemerkte das gleich und war sich sicher, dass dies daran lag, weil der Wagen so leicht war. Er schielte zu seiner schönen Begleiterin und spürte, dass sie noch immer ungeduldig auf eine Erklärung zu seinen „kühnen“ Worten wartete.
    „Ich… ich sagte vorhin nur die Wahrheit. Ich bin gern in eurer Nähe – aber, verzeiht das ich das sage, ihr… ihr verwirrt mich… irgendwie.“

    Halica vernahm seine Worte, schaute dabei zum Gipfel hoch und fröstelte leicht. Beim nächsten Halt würde sie sich eine warme Felldecke und ihren Wollumhang aus ihrem Gepäck holen. Aber das hatte noch etwas Zeit, denn aus einem unerfindlichen Grund wollte sie Telmy im Moment noch nicht loslassen. Sie fühlte sich wohl dabei, ihm so nahe zu sein, aber gleichzeitig hatte sie auch ein schlechtes Gewissen, sich so leicht von der wichtigsten Aufgabe ihres Lebens ablenken zu lassen. Sie verwirrte ihn? Es war aber auch umgekehrt so, er verwirrte sie auch. Aber das wollte sie sich nicht anmerken lassen. So verfiel sie wieder in einen leicht schelmischen Plauderton.
    „Eure Verwandlung vom schüchternen jungen Mann zum Schmeichler ging aber sehr schnell, scheint mir. Aber mir gefällt es, so etwas hört eine Frau doch immer gerne.“

    Telmy verschluckte sich und hustete ein paar Mal heftig. Wieder schoss ihm die Röte ins Gesicht. Als „Schmeichler“ bezeichnet zu werden, war ihm völlig neu. Anscheinend sprach man in den Städten nicht alles unbedingt gerade heraus aus, wie es einem einfiel. Trotzdem sagte ihm sein Gefühl, dass auch ihre Worte ehrlich gemeint waren.
    “Zuhause bin ich nicht schüchtern, eher nur etwas zurückhaltend, weil mich die anderen meiner Altersgruppe nicht besonders mögen. Ich bin zum ersten Mal allein so weit fort und auch… ähm… war ich noch nie mit einer Frau auf Reisen.“ Gedacht hatte er „…nicht mit einer so schönen Frau…“ – sagte dies aber besser nicht. Sein Gesicht nahm wieder die übliche sehr helle Farbe an.

    Halica lehnte sich nun zurück und schloss die Augen. Nur kurz wollte sie ein wenig nachdenken über diesen Morgen und eine Bemerkung Telmys, in der er von „blau blitzenden Augen sprach“. An was erinnerte sie das? Aber, sie konnte ihre Gedanken nur wenig arbeiten lassen, bevor die kurze letzte Nacht ihren Tribut verlangte und sie einschlief. Sie merkte nicht einmal mehr, wie ihr Kopf langsam an Telmys Schulter sank. Sie träumte von einer glücklichen Zeit, als sie damals Arwin kennen lernte und wie sie sich ineinander verliebt hatten. Halica lächelte im Schlaf und sah im Traum vieles, was sie mit Arwin erlebt hatte. Da erschienen ihr die langen Jagden, die sie gemeinsam unternommen hatten mit ihrem fortwährenden Rumalbern dabei. Bilder tauchten auf von den vielen Seen, an denen sie Halt machten, um sich im kühlen Wasser zu erfrischen. Sie sah sich mit ihm auf einer Wiese beim Picknick sitzen. Plötzlich veränderte sich das Bild. Arwin verschwand und an seiner Stelle saß die Hexe vor ihr und sprach: „Deine Reise ist noch lang, doch bist du deinem Ziel näher, als du für möglich hältst.“
    Halica erwachte ohne eine Ahnung, wie lange sie geschlafen hatte. Irritiert über die Worte der Hexe und auch noch darüber, dass sie immer noch mit dem Kopf an Telmys Schulter lehnte, richtete sie sich etwas verlegen wieder auf.
    „Ich war wohl doch müder, als mir bewusst war. Die letzte Nacht war für mich sehr kurz.“, sagte sie entschuldigend.
    #53VerfasserJean-Louis29 Jan. 09, 13:21
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    Telmy hatte ihren Erschöpfungsschlaf anfangs in einer Art Starre erlebt. Die plötzliche, aber sanfte Berührung an seiner Schulter ließ ihn bewegungslos werden. Er spürte, wie Halica an seiner rechten Seite lehnte, wie ihr Kopf an seiner Schulter lag. Ihr duftendes Haar konnte er mit leicht geneigtem Kopf an seiner Wange spüren, nachdem ihn die Starre wieder verlassen hatte und stattdessen sein Puls zu rasen begann. Er musste tief durchatmen, was aber nichts half. Sogar die Pferde vergaß er und das feine, zu gebende Kommando an der Leine, welches die Stuten weitergehen lassen würde. Die Tiere blieben daher stehen – er bemerkte es nicht. Sein Kopf war nach rechts gedreht, sein Blick hing an ihr wie festgeklebt. Unentwegt strichen die Augen an ihrem Körper entlang. Er nahm die Leinen in die rechte Hand und näherte seine linke ihrem Kopf. Er zögerte, sein Herz stolperte im Rhythmus und seine Hand zitterte. Es fühlte sich an, als ob er mit dieser einen Hand einen riesigen Felsbrocken wegdrücken müsste, so unendlich langsam und beschwerlich näherten sich seine Finger ihren Haaren. Endlich… endlich berührte er sie – ganz sanft und vorsichtig vom Scheitel zu den Schultern das Haar hinab streichend. Dann die Wange – nur mit den äußersten Fingerspitzen – kaum spürbar darüber gleitend, in Richtung ihrer so verlockenden, vollen Lippen. Ehe er aber diese berühren konnte, verließ ihn für einen Moment die Besinnung. Schnell zog er den Arm weg, sah sich überrascht um, begriff nicht gleich, dass sich der Wagen nicht mehr vorwärts bewegte. Dann hörte er ihre Stimme – nur die wenigen Worte, aber so lieblich klingend, als würde ein Dürstender ein munteres Bächlein über einige Steine plätschern hören. Jetzt erst spürte er seinen schweren Atem, wurde ihm bewusst, dass er es schlicht vergessen hatte – das Atmen - und ihm deswegen kurz die Sinne schwanden. Mit fast versagender Stimme brachte er eine Antwort heraus.
    “Oh ja, die letzte Nacht, diese Träume – so undurchsichtig, der Schlaf so unruhig. Lasst uns Rast machen. Dort vorn, wenn wir an diesem Gebirgsfuß vorbei gefahren sind, auf der Anhöhe mit ihrem bestimmt schönem Ausblick.“

    Nur eine kleine Rast

    Er fuhr an und ließ die zwei Stuten diesmal im schnellen Trab die Steigung hinauflaufen, was den Pferden sichtlich gefiel. Kraftstrotzend, aber hochelegant rissen sie den leichten Wagen vorwärts, so dass er nur so über den Weg rauschte.

    “Hoh, Hoh - Pferdchen - Hoh, Hoh“, rief er und gab noch mal ein Leinenkommando, damit es jetzt schon fast in wilder Fahrt im Galopp den Berg hinauf ging. Als er bemerkte, dass sich Halica nur mühsam festhalten konnte, wohl überrascht von der flotten Fahrt, nahm er die Leinen in die linke Hand, rutschte rasch zu ihr hin, legte seinen Arm um ihre Schultern und zog sie fest an sich. So hielt er sie, bis sie oben auf einem kleinen Plateau ankamen, wo er anhielt. Es bot sich wieder eine sehr schöne Aussicht. Vor ihnen erneut ein Sumpfgebiet, zur linken Hand in der Ferne eine Stadt, hinter dem Sumpf in leicht nordöstlicher Richtung viele Berge, die am Horizont von weißen Gipfeln überragt wurden. Rechts ging der Blick über den sich weiter ausbreitenden Sumpf und ein großes Waldgebiet zum Ostgebirge hin. Er hatte die Elfe immer noch fest im Arm.
    #54VerfasserJean-Louis29 Jan. 09, 14:58
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    Diese war tatsächlich überrascht worden von dem forschen Galopp der Pferde. Noch immer über die Bedeutung des kurzen Traumes grübelnd, bemerkte Halica gar nicht, wie die Pferde in den Galopp fielen und hielt sich deshalb nicht rechtzeitig genug fest. Sehr erstaunt spürte sie, wie Telmy sie an sich zog und festhielt. Er zog sie mit einer Selbstverständlichkeit an sich, als wäre es alltäglich und es fühlte sich so vertraut an. Sie schloss trotz der wilden Fahrt die Augen und genoss seine Nähe. Es war eine Situation, wie sie sie hunderte Male schon erlebt hatte. Plötzlich schrak sie auf. Sie öffnete die Augen wieder und sah Telmy bestürzt an. Konnte das sein? Wieso fühlte sie sich bei ihm so wohl? Warum löste er ganz genau dieselben Gefühle in ihr aus wie Arwin? Könnte es vielleicht doch möglich sein? Halica atmete tief durch. Nein, er würde sie erkennen, oder? Sie war sich nicht mehr so sicher. Sie war total verstört, wusste nicht mehr, was sie noch glauben konnte.

    Sie sah sich nur kurz um, da die Pferde stehen geblieben waren. Es fiel ihr zuerst gar nicht auf, dass Telmy sie nicht los ließ. Ohne es zu begreifen, kuschelte sie sich enger an ihn und die Zeit verging, ohne dass sie sich voneinander lösten. Halica hob den Kopf und sah ihm in die Augen. Wieder hatte sie das Gefühl darin zu versinken.
    „Was geht hier nur vor sich?“, hauchte sie.

    Auch er genoss es, wie sie sich an ihn kuschelte, ohne sich dessen aber wirklich bewusst zu werden. Von allein drang sein Blick in ihre grünen Augen, als ob er darin etwas anderes zu finden hoffte, als den Glanz der sich spiegelnden Vormittagssonne. Er war nahe daran, diese für ihn eigentlich fremde Schönheit einfach zu küssen. Dann erkannte er sein Vorhaben, es schoss ihm die Röte wie so oft ins Gesicht und er nahm seinen Arm sofort von ihrer Schulter.
    „Verzeiht, verzeiht, liebste… ich meine… werte Halica. Ich war besorgt wegen der forschen Fahrt, dass euch nichts passieren würde. Deshalb… nur deshalb hielt ich euch fest.“ Schnell suchte er nach weiterer Ablenkung und hoffte, sie würde dann nicht weiter auf das eben Geschehene eingehen, weshalb er sagte:
    „Seht, dort am Abhang, unter den zwei Birken, diese schöne Stelle. Wollt ihr nicht besser voraus gehen? Ich bringe den Verpflegungskorb.“

    Hastig rutschte er von ihr weg, kurbelte die Bremse fest und stieg ab, um nach hinten zu gehen. Jetzt konnte er auch den Wagen genauer besehen, was ihm andere Gedanken in den Kopf brachte. Auf das Feinste verarbeitet, nirgendwo eine sägeraue Kante, keine nicht gehobelte und zusätzlich angeschliffene Stelle auf dem Holz. Die Beschläge nicht nur geschwärzt in abgebranntem Öl, sondern nach dem neuartigen Verfahren im Zinnbad vor Korrosion geschützt, leicht metallgrau-silbrig glänzend. Nur die Radreifen waren roh, blank auf der Lauffläche, leicht rostig am Rand. Ansonsten konnte er kein einziges nicht mit Zinn überzogenes Metallteil entdecken. Nachdem er die Verzurrung der Plane an der Bordwand gelöst und die ledernen Verschlussriemen in der Planenmitte geöffnet hatte, konnte er nach dem Entriegeln die Bordwand herunterklappen. Er zog den Korb von der Ladefläche, stellte ihn ab, schlug die Planenhälften seitlich zurück und betrachtete neugierig das Wageninnere. Er sah zunächst links und rechts je eine verzurrte Truhe, danach jeweils eine dicke Strohmatte, auf denen große Decken lagen und anschließend wieder links und rechts eine befestigte Truhe. Diese Truhen an der vorderen Bordwand des Wagens waren etwas höher und besaßen an der Stirnseite jeweils sechs verschließbare Schubladen, die Schlüssel steckten.
    #55VerfasserJean-Louis29 Jan. 09, 15:21
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    Er stand da, sah in den Wagen hinein und wunderte sich noch über diese „Einrichtung“, als er aus heiterem Himmel heraus einen sehr stechenden Kopfschmerz bekam. Das Wageninnere vor ihm veränderte sich plötzlich und ein verschwommenes Bild wurde ganz klar. Auf einer der dicken Strohmatten sah er die Elfe Halica unter einer Decke liegen, den Kopf auf einem Arm gestützt, nur mit einem Hemdchen bekleidet. Zwischen den Truhen brannten drei Kerzen auf einem Leuchter mit einem sehr großen, schwer wirkenden Fuß. Die zweite Schlafstatt war leer, die darauf liegende Decke zurückgeschlagen. Die Frau sah ihn direkt an und ihre Augen schienen ungeduldig zu sagen: “Wo bleibst du – komm endlich zu mir!“ Telmys Beine versagten, er rutschte trotz des Versuches, sich am rechten Hinterrad festzuhalten, daran zu Boden und blieb dort ohnmächtig sitzen…

    Ich stehe am Rande eines Sees. Es ist Spätsommer, ungewöhnlich warm, sehr warm. Ich schwitze immerzu und trage eine schwere Rüstung. Wo kommt die denn her? Es ist eine vollständige Eisenkettenrüstung – wieso trage ich so etwas? Und dieses Schwert? Ein Bidenhänder – ist das vielleicht meines? Was will ich überhaupt hier, was soll ich denn hier machen? Vielleicht baden? Mal sehen - oh, das Wasser ist ja lauwarm, sicher aus einer warmen Quelle im See gespeist. Niemand zu sehen, dann schnell aus dieser so schweren Rüstung heraus und rein in den See. Ach wie herrlich, wunderschön – mal tauchen, um den Schweiß vom Kopf zu bekommen. Was ist denn das dort? Unter Wasser schwimmt ein Mensch – nein, eine Elfe – oh, sie ist nur mit einem Hemdchen bekleidet! Sie muss mich kennen, sie neckt mich, zieht an meinen Beinen, lächelt mich an. Schnell wieder nach oben, Luft holen. Wo ist sie? „Halica, wo bist du? So antworte doch!“ Nanu? Weshalb weiß ich ihren Namen? Und warum sage ich so einfach „du“ zu ihr? Da, dort sitzt sie und lacht laut, auf dem flachen Stein am Ufer. Sie lacht mich aus. Ihr Hemdchen – du meine Güte, nass und fast durchsichtig und wie schön sie gewachsen ist. Ich muss zu ihr! Schnell hin schwimmen – aber, ich kann doch nicht aus dem Wasser, nur in der Unterhose. Wo ist sie denn jetzt? Sie ist weg, das kann doch nicht sein. Ich gehe auf den Stein zu, drehe mich um, aber nichts zu sehen. Plötzlich ertönt eine Stimme, ein Name wird gerufen. „Arwin, hier, hier bin ich doch!“ Ich drehe mich zu dem Stein zurück und da sitzt sie wieder. Jetzt erkenne ich sie – ich kann ihr Gesicht sehen, das immer hinter diesen so langen und goldblonden Haaren verborgen war. Ja, dieses schöne Gesicht, das ich eben erst auf dem Planwagen berührt hatte. Jetzt springt sie auf, rennt weg, ruft mir zu: „Fang mich doch!“ Ich laufe ihr hinterher, trete mit dem nackten Fuß auf eine Astspitze. Welch ein Schmerz! „Halica, so warte bitte!“ Sie ist aber weg. Nicht schon wieder. Verschwunden im dunklen Wald – in der Schwärze, im Nichts.

    Als Telmy auf dem Wagen Halica losgelassen hatte, war sie für einen Moment enttäuscht. Sie schüttelte ganz leicht den Kopf, hatte sie sich doch geradezu gewünscht, dass er sie küsst. Warum überkam sie nicht das Gefühl, Arwin zu betrügen, mit diesem jungen Mann? Sie hatte noch nicht einmal ein schlechtes Gewissen. Halica wurde aus sich selbst und ihren Gefühlen nicht mehr schlau. 25 Jahre lang hatte sie keinen anderen Mann wahrgenommen als Arwin und jetzt war sie so kurz davor gewesen, einen für sie fast völlig Fremden zu küssen, denn sie hätte ihn geküsst, wäre er nur nahe genug gekommen. Sie saß immer noch auf dem Kutschbock und war noch in Gedanken versunken, als ihr jäh auffiel, dass Telmy gar nicht mehr zurückkam. Sie stieg eilends vom Wagen und lief rasch nach hinten, um nach ihm zu sehen. Halica erschrak sehr, als sie Telmy bewusstlos vorfand und stieß besorgt mit sich überschlagender Stimme heraus:
    „Bei den Göttern, Telmy, was ist mit euch?“
    #56VerfasserJean-Louis29 Jan. 09, 20:10
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    Voller Sorge beugte sie sich zu ihm hinunter und strich sein Haar aus dem Gesicht. Dann griff sie an seine Stirn und fühlte die Hitze, die davon ausging. Gleichzeitig durchlief ein Zittern seinen Körper. Schnell suchte sie in dem Korb und holte einen Trinkschlauch voll Wasser heraus, kletterte damit in den Wagen und nahm sich ein Tuch aus einer der Schubladen. Dann goss sie von dem Wasser etwas über das Tuch und sprang vom Wagen hinunter zu Telmy. Sie legte den Wasserschlau neben sich und setzte sich hin. Mit dem Tuch strich sie zart über sein verschwitztes Gesicht. Um es ihm bequemer zu machen, rückte sie ganz an das Wagenrad heran, zog seinen Oberkörper etwas zur Seite und legte seinen Kopf sanft in ihren Schoss. Sie streichelte über sein Haar, kühlte weiter seine Stirn und wartete voller Bangen, dass er wieder zu sich kommen würde.

    Telmy träumte aber unruhig weiter und aus dem dunklen Nichts erschienen neue Bilder.
    Ich renne los, um Halica zu suchen. Wie war das jetzt möglich? Nur einen Atemzug, nachdem ich vom Seeufer weggerannt war, stehe ich schon eine halbe Meile entfernt am hinteren Ende des Sees. Ich wundere mich sehr. Selbst die Wunde an der Fußsohle ist wieder weg, nichts tut mehr weh – als ob ich mich nie verletzt hätte. Ehe ich darüber Nachdenken kann, zieht ein Geruch in meine Nase. Ganz fein, aber unverkennbar ihr Duft. Ich renne mit aller Kraft weiter – die Bäume und Äste fliegen in fingerbreitem Abstand nur so an mir vorbei – links und rechts von mir wird alles undeutlich. Schon habe ich die Hälfte des Sees in rasender Eile umrundet. Der Duft wird stärker, sie kann nicht weit weg sein. Dort, ein kleiner sandig-steiniger Streifen am Ufer. Ich bleibe stehen und da liegt sie in der Sonne, die Füße im Wasser, den Kopf zur rechten Seite gedreht, auf der rechten Hand liegend. Sie ist nackt, vom Hemdchen nichts zu sehen. Es sind bestimmt noch 10 Schritte bis zu ihr. Ich mache einen einzigen Sprung aus dem Stand und lande fast geräuschlos direkt neben ihr – nur die Steinchen knirschen ganz leise. Halica dreht den Kopf und blickt mich erwartungsvoll an. Ihr Lächeln erfriert, weicht einem blanken Entsetzen in ihrem schönen Gesicht. Der Mund formt sich zu einem Schrei. Ich sehe nicht die Schönheit ihrer unverhüllten Weiblichkeit, nicht das, was einem Mann das Blut zum Kochen bringen würde. Ich sehe nur ihren Hals – ihre Kehle. Ich höre das Blut in ihrer Halsschlagader rauschen und ihr sich schlagartig verdoppelnder Herzschlag kommt mir vor wie ein Trommelwirbel, der etwas ganz Besonderes ankündigt. Durstig fühle ich mich, so sehr durstig, habe diesen fürchterlich brennenden Durst in mir, der meinen Körper wie eine Bogensehne sich anspannen lässt. Im Moment ihres Schreies bin ich über ihrem Hals – beiße zu und alles um mich herum verdunkelt sich. Warum färbt sich nichts rot vor meinen Augen? Ich möchte trinken, doch meine so sehr spitzen und scharfen Zähne zersplittern mit knackenden Geräuschen am harten Stahl einer Schwertklinge. Ich spüre ihren bebenden Körper unter mir, höre die Schreie und blicke auf, um zu verstehen, weshalb sie überhaupt noch schreit und was mich aufhält. Vor mir steht ein groß gewachsener Mann in einer golden schimmernden Rüstung, in der ausgestreckten Hand das stahlblau glänzende Schwert haltend, welches mir zwischen die Zähen fuhr und verhinderte, Halicas Kehle zu zerfetzen, um wieder Blut trinken zu können – endlich, nach langer Zeit. Der Mann schiebt mir das Schwert in den Rachen, dann seine Hand, den ganzen Arm und schließlich verschwindet die ganze hell leuchtende Gestalt in mir. Die Dunkelheit weicht dem Licht, die Sonne scheint wieder herab und Halica sieht mich mit einem ungläubigen Blick an. Ich hebe sie auf und reiße sie an mich. Es ist nichts passierte, Liebste, gar nichts. Hörst du, was ich sage?
    #57VerfasserJean-Louis30 Jan. 09, 09:48
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    Telmy oder doch Arwin?

    Während sich Halica um ihn sorgte, warf er seinen Kopf in ihrem Schoss hin und her. Sie hielt ihn fest, als er begann, sich zu winden. Seine Hände ballten sich zu Fäusten. Er redete wirr: “Wo bist du? Ich habe Durst, so sehr Durst. Wer seid ihr? Was wollt ihr? Lasst mich trinken – so lasst mich doch! Nein, nein. Es ist nichts geschehen!“ Sie strich ihm weiter mit dem kühlen Tuch beruhigend über die heiße Stirn. Dann schlug er für einen Moment die Augen auf und sah sie mit strahlend blauen Augen an. Sie ließ das Tuch vor Schreck fallen, saß wie erstarrt da, unfähig irgendetwas zu sagen. Diese Augen! Seine Gesichtszüge hatten sich auch verändert, waren männlicher geworden. Mit einer anderen Stimme sprach er wieder: “Niemals wird dir ein Leid geschehen – nicht durch ihn, nicht durch jemand anderen. Ich wache über die dunkle Seele und werde ihre Kraft nutzen um dich zu beschützen.“ Jetzt schloss er die Augen kurz, sagte leise ihren Namen: “Halica“, und blickte sie dann wieder an. Ihr Mund versuchte verzweifelt einen Namen zu formen, doch es kam nicht ein Laut über ihre Lippen. Sie blickte in die Augen ihres Mannes. Tränen liefen ihr über die Wangen, schluchzend zog sie ihn weiter zu sich heran, legte seinen Kopf an ihre Brust und klammerte sich so fest an ihn, als wollte sie ihn nie wieder loslassen.
    „Mein Geliebter“, murmelte sie zwischen dem Schluchzen. Halica löste sich ein wenig von ihm und bedeckte sein Gesicht mit Küssen. Als sie ihm erneut in die Augen sah, waren sie jedoch wieder bernsteinbraun.

    Diese furchtbaren Kopfschmerzen. Hatte sie ihn eben geküsst? Telmy sah sie verwundert und mit zugleich schmerzverzerrtem Gesicht an, dann wichen seine Kopfschmerzen so schnell, wie sie gekommen waren, um dem Staunen allein Platz zu machen. Er begriff es einfach nicht, weshalb es diese fremde, wunderschöne Elfe zuließ, dass er an ihre Brust geschmiegt dasaß und ihn dabei so unendlich sanftmütig lächelnd ansah. Ihre Lippen waren so nahe, ihr Duft so betörend, aber er war zu verwirrt, zu ängstlich und versuchte daher, sie vorsichtig wegzudrücken und sich wieder aufzurichten.
    “Was ist geschehen? Was macht ihr hier bei mir? Ich sah euch eben noch im Wagen, dann an einem See… oh nein… nein, nicht…“ Er riss sich aus ihren Armen und sprang auf, fasste sich an den Kopf mit beiden Händen.
    “Ich verstehe das nicht. Ich weiß nicht, was mit mir geschieht, was überhaupt vor sich geht. Ich muss nach Hause, muss fragen, fragen und Antworten bekommen – sonst…“ Dann drehte er sich um, wartete einen Moment, ehe er sich wieder fing, ging dann zu Halica hin und reichte ihr die Hand, um ihr aufzuhelfen.

    Halica nahm vorsichtig seine Hand und stand auf. Jetzt verstand sie es - er erinnerte sich nicht und war wohl gerade erst dabei zu entdecken, wer er wirklich war. Sie wusste nicht, war sich sehr unsicher, wie viel sie ihm erzählen sollte, oder ob es nicht besser wäre, ihm gar nichts zu sagen. Nein, das war etwas, was er alleine herausfinden musste. Sie konnte versuchen ihm zu helfen, doch sagen wollte sie es ihm nicht. Das wäre dann ganz bestimmt zu viel auf einmal für ihn, um es zu verkraften. Außerdem verstand sie doch selbst nicht alles, was vor sich ging. Sie wollte schließlich auch Antworten haben. Was sollte das denn für eine Gefahr sein, die von ihm für sie ausgehen sollte? Später, dachte sie. Was nützte es ihr, schon jetzt darüber nachzugrübeln, wenn eine mögliche Antwort noch nicht einmal in Sicht war? Sie schwieg deshalb und kletterte rasch noch einmal in den Wagen, holte eine Decke und breitete sie anschließend neben dem Wagen in der Wiese aus, packte ein paar Sachen aus dem Korb und setzte sich hin. Aufmunternd lächelte sie Telmy an.
    „Lasst uns etwas essen“, sagte sie mit einem freundlichen Ton. „Mit leerem Bauch kann man nicht so gut Nachdenken.“
    #58VerfasserJean-Louis30 Jan. 09, 10:09
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    Er war seinerseits sehr froh, dass sie darüber gar nichts weiter sagte, war ihm der Vorfall doch sehr unangenehm. So half er und schnell hatte er die restlichen Köstlichkeiten, welche vom Wirt des Felsenkellers fein säuberlich eingepackt worden waren, aus dem Korb genommen und auf einer Ecke der Decke aufgebaut. Der Boden war ganz eben unter der Decke, so dass er sich bequem hinsetzen konnte. Dann schnitt er eine Scheibe Brot ab und reichte sie der Elfe. Auf seine Scheibe schmierte er Johannisbeermarmelade und aß die Scheibe mit wenigen Bissen. Anschließend spülte er mit einem Schluck Rotwein nach, den er in zwei Zinnkelche gegossen hatte, ehe er von sich aus etwas sagte.

    „Schon seit ich in einem Alter bin, welches 15 Menschenjahren entspricht, sehe ich solche Bilder und leider weiß ich danach immer nur noch sehr wenig davon, was da eigentlich zu sehen war. Viel schlimmer sind aber diese Albträume, die mich so oft plagen. Heute Nacht ist Vollmond. Um diese Zeit schlafe ich immer besonders schlecht. Auch die letzte Nacht war ich wieder so unruhig.“ Bei diesen Worten hing sein Blick fest an ihrem Gesicht und keine Spur von Verlegenheit war bei ihm zu bemerken. Er musterte, nein - studierte regelrecht jede noch so kleine Bewegung ihrer Gesichtszüge, sah mit Entzücken, wie sie vom Brot abbiss. Er war sich sicher, dass er sie schon einmal gesehen hatte, nur wo und wann, das konnte er nicht beantworten. Noch nicht? Dann fiel ihm etwas ein. Sein „Großvater“ hatte es zu ihm vor vielen Monden gesagt: „Die anderen, vor allem die meisten Mädchen, wollen dich nicht zum Gefährten, weil du schon zu jemandem gehörst, nicht nur deswegen, weil du in vielen Dingen anders bist!“ Verstehen konnte er diese Worte damals nicht, weshalb er sie vergessen hatte. Gehörte er am Ende ihr? Ausgerechnet einer derart schönen und begehrenswerten Elfe?

    Er schnitt hastig noch mehr Brot auf und nahm sich diesmal von der so leckeren Leberwurst. Dazu nahm er wieder einen großen Schluck Rotwein und fühlte sich sichtlich wohl, so wohl, wie schon lange nicht mehr, trotz der offenen Fragen. Halica aß das Brot mit einem Stück Käse und nahm auch einen großen Schluck von dem Wein, den er ihr eingeschenkt hatte. Sie beobachtete ihn dabei unauffällig. Tief in ihrem Innern hatte sie es geahnt und auch gehofft, aber das er sich nicht erinnerte war sehr seltsam. Die Hexe hatte das nicht so beschrieben. Seine Bewegungen, sein Mienenspiel - dieser Mann war ihr geliebter Arwin, und zwar immer dann, wenn er sich so verhielt, dass er es danach selber nicht mehr wusste. Als er sich noch so zurückhaltend verhielt, war es ihr nicht aufgefallen, aber seit er anfing seine Scheu abzulegen, fand sie einige starke Ähnlichkeiten und war sich sicher, dass es immer mehr werden würden. Sie fragte sich, was er wohl geträumt hatte, dass es ihn so aufregte.

    Aber, sie wollte ihn nicht mit neugierigen Fragen quälen, wenn er sich doch selber noch keine Antworten geben konnte, deswegen hielt sie sich zurück. Was konnte sie tun, um ihm beim Erinnern zu helfen, ohne dass er es als aufdringlich empfunden hätte? Nachdenklich spielte sie mit einer Locke, so wie Arwin es immer bei ihr getan hatte. Das war es! Ständig hatte er ihre Haare über seine Finger gewickelt. Sie tat es gerade unbewusst auf die gleiche Weise wie er. Ihr fiel ein, wie sehr er ihr Haar geliebt und von den Naturlocken geschwärmt hatte. Mit pochendem Herzen unternahm sie einen vorsichtigen Versuch. Als sie sich vorbeugte, um sich einen Apfel zu nehmen, ließ sie die Strähne los, so dass diese seine Wange streifte und schließlich auf seiner Hand zum Liegen kam. Halica ließ sich jetzt absichtlich Zeit und als sie sich wieder aufsetzte, rutschte sie fast unmerklich ein wenig näher. Ihr langes Haar blieb auf seiner Hand liegen und gespannt wartete sie darauf, was er tun würde.
    #59VerfasserJean-Louis30 Jan. 09, 11:30
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    In der Linken sein Brot haltend, saß er da und sah in Richtung Norden, von dem kleinen Plateau hinab in die folgende Sumpfebene. Wie selbstverständlich spielten seine Finger der rechten Hand plötzlich mit Halicas Locke, solange er noch aß. Als er fertig war, zeigte er mit der nun freien Hand hinunter auf eine Wegekreuzung, ohne im Geringsten darauf zu achten, was die andere Hand inzwischen tat.
    „Seht ihr, dort unten müssten wir, so denke ich, geradeaus weiter nach Norden fahren, aber die ganze Ebene scheint mir unter Wasser stehend, weil man den Verlauf des Weges nur an den wenigen Bäumen erkennen kann, die eigentlich an der Seite des Weges stehen, der jetzt aber überschwemmt ist. Das ist nicht ungefährlich. Wir sollten besser vor dem Sumpf diesen Wiesenweg entlang nach Osten fahren, in den Wald dort drüben hinein und dann den ersten Weg in nördliche Richtung nehmen, durch die niederen Berge zu dem hohen Gebirge hin. Ich möchte im Sumpf ungern stecken bleiben.“ Er drehte fortwährend immer mehr von ihrer Haarsträhne über seine Finger und führte die ganze Strähne nach dem letzten Wort zu seinem Gesicht, strich sich damit über seine Wange und roch daran, wobei er die Augen schloss. Halica sah es mit großen Augen, die überglücklich strahlten.
    „Welch ein Duft – wie ich den Mann beneide, zu dem ihr sicherlich reisen wollt.“ Er sah sie nun etwas traurig an und legte ihr die Strähne einfach so hinter ihr linkes Ohr, ehe er eine Frage stellte. „Wollt ihr mir nicht etwas erzählen, von dem Mann, dem dieser so meisterhaft angefertigte Wagen mit den edlen Pferden gehört und der mit großem Stolz von sich sagen kann, dass er euer Mann ist? Es ist doch ein Ehering, den ihr da tragt, nicht wahr?“

    Halica lächelte vor sich hin und musste sich sehr beherrschen. Er hatte mit ihrem Haar gespielt. Ihr Herz drohte zu zerspringen vor Glück. Am liebsten hätte sie sich ihm in die Arme geworfen, doch sie wollte ihn nicht in arge Verlegenheit bringen, da er es doch unbewusst tat und nicht verstanden hätte.
    „Mein Mann, Arwin, er hat diesen Wagen selbst gebaut. Wir waren oft auf Reisen damit. Aber er lebt leider nicht mehr.“ Es war das erste Mal, dass sie es aussprach und dennoch blieb der gewohnte Schmerz in ihrem Herzen aus, der sie in den letzten Tagen überkommen war, wenn sie nur daran dachte. Sie ließ ihre Haarsträhne abermals unauffällig auf seine Hand fallen, als sie sich erneut über die aufgebauten Nahrungsmittel beugte. Telmy senkte den Blick, wurde still und nachdenklich. Dauernd drehte er Halicas Haar über seine Finger und ließ es wieder frei fallen, um sofort wieder danach zu greifen und das Spiel zu wiederholen. Leise sagte er:
    „Das tut mir leid. Wenn er tot ist und ihr seinen Ring aber noch immer tragt, dann müsst ihr ihn entweder sehr geliebt haben oder er starb erst vor kurzem – vielleicht sogar beides. Obwohl der Mann nicht mehr lebt, beneide ich ihn um die Zeit an eurer Seite. Ich durfte so ein Glück bisher nicht erleben.“ Dann erzählte er ihr die Geschichte seiner Herkunft und wie man ihn gefunden hatte.

    „Mein Großvater ist nicht mein richtiger Großvater, ich nenne ihn nur so. Er heißt Almeran und ist der Druide im Dorf, hat mich gefunden in einem sehr strengen Winter. Er war mit Holzfällern im Wald, um geeignete Bäume für neue Dachbalken des Schulhauses zu finden. Da wurde er auf einen merkwürdigen Schneehaufen aufmerksam, unter dem ein Bündel verborgen war, in dem ein neugeborenes Kind lag. Zum Glück hatte er gesehen, wie sich der Schnee aufgrund des Atmens des Kindes leicht bewegte. Das Kind war gesund und so brachte er es mit dem Pferdeschlitten schnellstmöglich ins Dorf. Da mein Großvater nur der Druide war – einen Priester gab und gibt es nicht im Dorf, sollte die Dorfgemeinschaft entscheiden, was mit dem Kind geschehe. Natürlich wurde sofort von einem unheilvollen Zeichen gesprochen. Das Kind konnte nicht aus dem Dorf stammen – keine Frau war zu dieser Zeit im gebärfähigen Zustand. Auch konnte keine Frau aus den weit entfernten Dörfern das Kind dort abgelegt haben, so schlecht war wochenlang vorher ununterbrochen das Wetter gewesen. Selbst der schnellste Pferdeschlitten hätte in der Nacht vom nächstgelegenen Dorf her nicht einmal ein Viertel der Wegstrecke überwinden und diese Stelle erreichen können. So flüsterte man schon von einem Dämonen- oder wenigstens Wolfskind. Aber, es hatte blaue Augen und die helle Haut, sowie die blonden Haare, sprachen eindeutig dagegen. Nur an den Ohren konnte man ganz schwach eine elfische Verwandtschaft feststellen, alles andere schien menschlich. Der Druide lehnte es ab, das Kind zu töten, schließlich hatte er es ja gerettet. Die Dorfgemeinschaft zögerte dann plötzlich – denn niemand wollte selber Hand an das Kind legen.

    Da stürzte eine Frau in den Gemeindesaal, in dem die Versammlung stattfand. Diese Frau litt sehr unter dem Verlust ihres zwei Monate alten Säuglings, den die grauenhafte Kälte, die herrschte, dahin gerafft hatte und war dadurch in eine schwere Geistesstörung gefallen. Sie weigerte sich, den Tod ihres Kindes anzuerkennen und suchte jeden Tag nach ihm. Dies brachte auch ihren Mann schon fast um den Verstand. Sie riss das Kind sogleich an sich, lachte und tanzte dann damit durch den Saal, sang sogleich ein Beruhigungslied für das inzwischen schreiende Kind und kam in diesem Augenblick wieder zu Verstande. Nun war für sie alles wieder gut geworden, weil ihr Sohn wieder da sei, meinte sie. Niemand dachte nunmehr an die Tötung. Im Gegenteil, man war froh, dass ein herber Verlust ausgeglichen war, da man ein männliches Kind geschenkt bekommen hatte. Der Druide gab daraufhin diesem Paar das Recht an diesem Kind und sie zogen es zunächst auf. Ich war das gefundene Kind!“
    #60VerfasserJean-Louis30 Jan. 09, 11:50
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    Anschließend sah er auf und wieder in östliche Richtung. Er erhob sich und hielt ihr bittend die Hand hin. “Es wird Zeit, dass wir weiter fahren. Wer weiß, wohin der Weg genau führt und ob wir heute noch eine Stadt erreichen werden.“ Sie nahm seine Hand und stand auf, ehe sie ihm eine Antwort gab.
    „Natürlich liebe ich meinen verstorbenen Mann noch, daran wird sich auch nie etwas ändern. Er ist immer an meiner Seite, dass ist etwas, was ich genau weiß. Aber mein Blick ist fest auf die Zukunft gerichtet. Die Vergangenheit können wir sowieso nicht festhalten. Und dieser Ring…“, sie hob ihre Hand hoch, „…wird diese Hand niemals verlassen. Vielleicht wird eines Tages ein neuer Ring dazu kommen, oder dieser wird eine andere Bedeutung haben, aber ich werde ihn nicht abnehmen.“ Inzwischen räumte sie alles wieder in den Korb, spülte die Kelche mit etwas Wasser aus, faltete die Decke zusammen, stieg auf den Wagen und legte alles wieder an seinen Platz. Telmy brachte den Korb hinterher und stellte ihn auf den Wagen. Halica öffnete eine der Truhen, nahm sich ihren Wollumhang heraus, warf ihn sich über und griff sich noch eine warme Felldecke, ehe sie wieder herunter kam und weiter sprach.
    „Dann lasst uns weiter fahren, aber eine Stadt zu erreichen ist nicht zwingend nötig. Im Wagen sind genügend Decken, so dass wir auch dort drinnen schlafen könnten.“ Damit ging sie nach vorne, um aufzusteigen.

    Mit einem plötzlich einsetzenden mulmigen Gefühl hörte er ihre Worte über den möglichen Schlafplatz und verschloss die Bordwand wie auch die Planen sorgfältig. Die Pferde hatten die ganze Zeit über in der satten Wiese neben dem Weg grasen können, die mit allerlei würzigen Gebirgskräutern durchsetzt war. Dann ging auch Telmy nach vorn, stieg wieder auf, kurbelte die Bremse los, ergriff die Leinen und mit einem erneuten „Hoh, Hoh“ ruckten die Pferde an. Schnell war die Wegekreuzung vor dem Sumpf erreicht und der Wagen an einem dort in die weit überschwemmte Ebene hinein fließenden Bach angehalten. Telmy stieg ab, nahm die Kübel, die unter dem Wagen an der Seite hingen, füllte sie voller Wasser und gab jedem Pferd einen Kübel voll zur Tränke. Dabei las er die Namen der Tiere von den Messingschildern am Kummet ab: Mia und Lia. Zwei prachtvolle Kaltblutstuten, bestimmt über 2000 Pfund schwer eine jede. Solange man nicht einen Berghang hinauffahren wollte, sollte es mit diesen Tieren und dem leichten Wagen keine hinderlichen Wege geben, dachte er sich.
    #61VerfasserJean-Louis30 Jan. 09, 19:28
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    Die Kübel hingen alsbald wieder am Haken, Telmy war aufgestiegen und schon trabten die Stuten auf ebenem Wege am Rand des Sumpfes entlang nach Osten, den Wald schon in Sichtweite vor sich. Gewissenhaft richtete er die Felldecke über ihren und seinen Beinen und berührte dabei mehrmals ihren Körper – zuerst unabsichtlich, dann gewollt. Er musste sich zwingen, wieder die Leinen zu ergreifen und nach vorn zu blicken. Am liebsten hätte er sie umarmt und fest an sich gedrückt, wusste aber nicht, warum ihm so sehr danach war. Daher lenkte er sich mit dem folgenden Gespräch ab.
    “Ich hoffe sehr, dass euch meine Anwesenheit nicht langweilt oder gar unangenehm wird, liebste Halica. Dieser Arwin – ich glaube, diesen Namen schon einmal gehört zu haben, muss ein sehr umsichtiger Mann gewesen sein. Ich meine, dieser Wagen birgt noch mehr Überraschungen, als nur eine angenehme Schlafstatt für die Nacht, so weit ich dies bisher gesehen habe. Auch hoffe ich, dass ihr euch nicht ängstigt, weil ich doch nur wenig kämpferische Erfahrung bisher sammeln konnte. Aber, bis jetzt hat mich noch kein Tier ernsthaft verletzt auf der Jagd. Ich verspreche euch, als Dank dafür, dass ich mit euch reisen darf, immer wachsam zu sein und vor keinem Kampf zurückzuschrecken.“ Er sah sie bei den ernst gemeinten Worten mit seinem liebevollsten, leicht schiefen Lächeln an, zu dem er fähig war.

    Sie versuchte wieder ein Grinsen zu unterdrücken und überlegte sich eine Antwort, die ihn nicht kränken würde, spürte sie doch den ehrlichen Gehalt seiner Rede.
    „Lieber Telmy, mit meinem Langbogen werde ich die meisten Gegner bestimmt schon erledigt haben, ehe sie eurem Schwert zu nahe kommen können. Ich sehe vielleicht nicht so aus, aber Arwin hat mich immer sein „mutig kämpfendes Mädchen“ genannt. Also, Angst hab ich wirklich nicht. Und langweilig finde ich es mit euch ganz bestimmt nicht, eher aufregend.“ Ihre Augen bekamen einen Glanz, der den grünen Schimmer geheimnisvoll verstärkte. Sie nahm wieder wie selbstverständlich seinen Arm und rutschte etwas näher. Dann lehnte sie sich leicht gegen ihn, glättete die Decke über ihren Beinen und spürte abermals seine wohltuende Wärme. Die Luft war mittlerweile so kalt geworden, dass ihr Atem sichtbar wurde. Sie schloss die Augen. Ja, es fühlte sich an wie früher und auch wieder nicht. Es gab etwas Neues für sie an ihm, etwas, das sie spürbar sehr faszinierte, Sie konnte sich selber nicht sagen, was es war, aber es war ihr im Moment auch egal. Wichtig war nur, dass er und damit auch Arwin bei ihr war, alles andere würde sich schon finden. Sie fühlte sich gut und leicht.
    „Ich empfinde eure Begleitung als sehr angenehm. Stellt euch vor, wie ich frieren würde, wenn ich mich nicht an euch lehnen und etwas wärmen könnte“, fügte sie lachend hinzu.

    Jetzt erst, wo sie es sagte, merkte er auch, welch kalter Lufthauch aus dem östlichen Gebirge in die sumpfige Ebene herabwehte. Das hier ist ein richtiges Kälteloch, dachte er sich. Es musste sich um kräftige Fallwinde handeln, die aus dem hinter dem Wald liegenden Hochgebirge kamen, dessen schneebedeckte Gipfel die Bergkette, die sich auch nach Norden hinzog, weit überragten. Beim nächsten Halt, spätestens mittags, würde er den Wagen gründlich untersuchen. Es sollte ihn nicht verwundern, wenn dieser Arwin auch für einen guten Wetter- und Windschutz auf dem Kutschbock gesorgt hatte. Besonders die Scharniere am Fußbrett, das eigentlich keines war, sondern eher einem schmalen, langen Kasten glich, erregten seine Aufmerksamkeit, ehe er sich wieder an seine betörende Begleiterin wandte.
    „Ähm, vielleicht wäre es besser, wenn ich noch meinen Arm um euch lege. Wenn ihr dann immer noch friert, hole ich noch eine dicke Wolldecke und lege sie um uns beide. Wenn… wenn ihr jetzt ganz dicht an mich rücken wollt?“
    #62VerfasserJean-Louis31 Jan. 09, 14:25
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    Bei diesen Worten lief sein in der kühlen Luft noch helleres Gesicht wieder rosa an – nicht nur, weil er solche Worte noch nie sagte, nicht zu einem Mädchen, erst recht nicht zu so einer schönen und bezaubernden Frau. Er zitterte förmlich dem Augenblick entgegen, diese Elfe, die ihm doch so fremd sein sollte, die er kaum und nur wenige Stunden kannte, endlich im Arm halten zu dürfen. Sein Herz pochte bis in den Hals hinauf, als er vorsichtig den rechten Arm anhob. Nur kurz blickte er sie an. Ihr kam es fast wie eine Ewigkeit vor, bis er endlich den Arm um sie legte und sie unendlich zärtlich an sich zog. Ihr Herz klopfte wie wild und ein wohliger Schauer durchlief ihren Körper, als sie ihn an ihrer Seite spürte. Sie lehnte gleich ihren Kopf gegen seine Brust und legte ihren freien Arm auch um ihn. Ihre andere Hand lag auf seiner Hüfte. Für die Schönheit der Landschaft, an der sie vorbei fuhren, hatte sie überhaupt keinen Blick. Mit geschlossenen Augen war alles, was sie wahrnahm, er - seinen Duft, seinen Herzschlag, den sie hörte und der immer schneller wurde. Sie kuschelte sich noch enger an ihn und sprach mit leicht heißerer Stimme.
    „Ich glaube kaum, dass wir noch eine Decke brauchen werden. Mir ist irgendwie überhaupt nicht mehr kalt, gar nicht mehr.“

    Halica hielt es nun nicht mehr aus und beschloss, doch etwas mutiger zu werden. Sie zog ihren Arm zurück und mit der Hand strich sie ihm über den Rücken, so gut es ging. Mit federleichten Bewegungen fuhr sie bis in seinen Nacken hinauf und wieder zurück, sehr langsam. Sie hielt kurz inne, um seine Reaktion abzuwarten. Dabei kam sie sich vor, als wäre sie ein junges Mädchen, das soeben die erste Liebe entdecken würde – es war vollkommen verrückt. Anders ließ es sich nicht beschreiben. Ihm lief ein nicht gekannter Schauer über den Rücken und die Röte im Gesicht wurde zur Hitze. Unbewusst hatte er die Pferde angetrieben, als ob er seinem stark aufwallenden Gefühl davonfahren wollte. Der ebene Weg endete überraschend schnell am Waldrand, so dass Telmy die Stuten zügeln musste. Leicht zog er die Leinen an, was die Pferde im Schritttempo langsamer werden ließ, bis sie in eine gemächliche Gangart verfielen. Erst jetzt wieder konnte er Worte aussprechen.
    „Werte… liebste… Halica – was tut ihr da? Mir schwinden die Sinne, ich kann nicht mehr klar denken, wenn ihr mich so berührt.“

    Dann schwieg er wieder, weil der Weg holprig wurde, in schlechtem Zustand sich teilweise mit ausgefahrenen Rillen durch den Wald windend, in einem stetigem Anstieg und nach Norden hin schwenkend. Aufmerksam lenkte er die schweren Stuten und suchte erneut nach Ablenkung von dieser inneren Unruhe. Unzweifelhaft ging es jetzt in die Berge hinein und es wurde seltsamerweise wieder wärmer. Fest hielt er die Frau an seiner Seite im Arm, zu der in rasantem Tempo in ihm die Liebe wuchs. Sein Mundwerk machte sich selbständig und es kam ein Redeschwall aus ihm heraus.
    „Bitte, lasst uns gegenseitig näher kennen lernen. Erzählt mir doch auch von eurer Heimat, eurem Leben bisher. Ich kann euch versichern, dass ich ungebunden bin. Niemand wartet irgendwo auf mich. Ich habe außer meinem Großvater, dem alten Druiden, der aber gar nicht mein wirklicher Großvater ist, nur meine Ziehfamilie, die aber schon länger nichts mehr von mir wissen wollte und wohl froh war, als ich fort ging. Ich weiß aber gar nicht, wie alt ich wirklich bin. Es heißt, 25 Menschenjahren entsprechend. Dabei lebte ich nun schon weit mehr als 200 Jahre bei den Nachfahren derjenigen Familie, die mich als Neugeborenes aufnahm – ihr wisst noch? Die vor Kummer verrückt gewordene Frau, die in mir ihren gestorbenen Knaben sah. Die Nachfahren, meine Stiefgeschwister, dieser herzensguten Leute, wurden aber von Generation zu Generation unfreundlicher. Ich war sehr froh, als ich von meinem Großvater aufgenommen wurde und dort nicht mehr leben musste.“
    #63VerfasserJean-Louis01 Feb. 09, 11:15
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    Nun wurde der Weg zusehends wieder besser und war immer mehr mit einer weichen Schicht aus fast schon zu Humus gewordenen Blättern und Nadeln sowie Moosen bedeckt. Gedämpft, sehr leise waren die schweren Tritte der Pferde. Vom Wagen selbst hörte man nur manchmal ein Ächzen des Holzes, wenn sich der Wagenkasten etwas verdrehte. Im Wald war es auch windgeschützt und überhaupt nicht mehr kalt, nicht einmal mehr kühl. Telmy brauchte Halica nicht mehr festzuhalten, der Wagen rollte wieder ganz ruhig dahin. So streichelte er ihr seidiges, sehr langes und lockiges Haar während des weiteren Gespräches.

    Halica aber hätte am Liebsten enttäuscht aufschreien mögen, als er davon sprach, sie näher kennen lernen zu wollen. Sie biss sich auf die Lippen, um sich zu beruhigen. Fieberhaft überlegte sie, wie sie seine Erinnerungen wieder ans Tageslicht locken könnte. Er wollte, dass sie ihm von sich erzählte. Gut, aber alles konnte sie ihm nicht sagen. Na ja, doch gerade genug, um ihm etwas auf die Sprünge zu helfen, was vielleicht nicht schaden konnte. Sie seufzte zunächst.
    „Ich bin aufgewachsen in den Wäldern von Ildres. Leider gehören meine Eltern zu jener Art sehr hochnäsiger und halsstarriger Elfen, die keine anderen Völker neben sich akzeptieren, schon gar keine Menschen. Ich hatte eine ältere Schwester, sie hieß Linariel. Eines Tages verliebte sie sich unglücklicherweise in einen Menschen. Auch ich wusste nichts davon, da sie es auch vor mir geheim hielt. Mein Vater kam aber dahinter und tötete Endras, ihren Geliebten. Doch, sie waren sich schon sehr nahe gekommen und so bekam Linariel ein kleines Halbelfenmädchen, welches ihr mein kaltherziger Vater aber sofort wegnahm und fort brachte. Linariel konnte es nicht auch noch ertragen, ihr Kind zu verlieren und nahm sich kurze Zeit später das Leben. Als ich alt genug war, um alles zu verstehen, was meine Eltern meiner Schwester angetan hatten, lief ich Hals über Kopf weg. Ich ging nach Hohenerzberg, weil auch ich damals einem Traum folgte und begann, hart zu arbeiten, bis ich eine Bognerwerkstatt eröffnen konnte. Nur eine bescheidene, kleine Werkstatt. Aus einem Gefühl heraus, welches noch immer von Träumen genährt wurde, ging ich zum Bogenschießen nicht auf die Jagd, sondern öfter mal auf den Übungsplatz. Eines Tages war da plötzlich ein Mann in der Nähe des Übungsplatzes, als ich auf dem Weg dorthin war. Ich versuchte mich nebenbei auch im Schwertkampf und so fragte mich der Fremde, ob ich nicht mit ihm üben wolle. Er trug eine glänzende Rüstung und stand mit der Sonne im Rücken zu mir. Auch war er ein sehr guter Schwertkämpfer, aber das Bogenschießen lag ihm überhaupt nicht, so dass er nur mit dem Schwert gegen mich gewinnen konnte, ansonsten aber immer verlor. Darüber war er aber keineswegs gekränkt, nein, im Gegenteil, er sprach mir seinen Respekt aus. Von dem Moment an war er mein Ritter in goldener Rüstung. Es war Liebe auf den ersten Blick, wie ich sie mir damals eigentlich gar nicht vorstellen konnte und wir wurden unzertrennlich. Etwas später haben wir geheiratet und eine Tochter bekommen, aber...“, nun wollte sie doch nicht so genau erzählen, was geschehen war, „… wie es nun einmal so ist zwischen Elfen und Menschen, vergeht ein Menschenleben doch so schnell. Er starb vor kurzem als Greis, schnell gealtert, während ich in dieser Zeit nur wenig älter geworden bin.“

    Das war nahe genug an der Wahrheit, dachte sie sich und stellte erleichtert fest, dass er immer noch ihre Haare streichelte. Also musste in ihm etwas vor sich gehen, das immer mehr die lieb gewonnenen Verhaltensweisen von Arwin an die Oberfläche brachte. Halica musste sich nun sehr zusammenreißen, nicht zu ungeduldig zu werden. Es war schwer, aber es blieb ihr nichts anderes übrig, als zu warten, bis er von selbst mehr erkennen würde. Das, was sie ihm erzählt hatte, war immer wieder von langen Pausen unterbrochen. Telmy genoss einfach nur die Nähe von Halica, wie er noch nie vorher dieses innige Anschmiegen eines Mädchens – einer Frau - gemocht hatte. Sie wiederum sprach weiter, ohne sich von ihm zu lösen. Immer wieder kraulte sie ihm in den Unterbrechungen den Rücken. Inzwischen hatte die Sonne ihren höchsten Stand erreicht. Am Ende des Waldes ging es noch einmal steil bergauf und vor ihnen öffnete sich hinter dem kurzen Anstieg ein lang gezogenes, steiniges Bergtal, in dem die trockene, warme Luft regelrecht stand. Ruhig und gleichmäßig zogen die schweren Kaltblutstuten den Wagen und außer den Tritt- und Fahrgeräuschen war nichts weiter zu hören in der fast unheimlichen Stille der kargen, öde anmutenden Gegend. Inzwischen konnte Telmy die feinen Befehle an den Kreuzleinen ausführen, ohne noch laute Kommandos geben zu müssen. Er war schon oft mit einem Gespann gefahren, doch noch nie hatte er die Eigenheiten der Zugpferde so schnell herausgefunden. Die Stuten liefen vor dem Wagen, als wäre Telmy schon immer auf dem Fuhrmannssitz gesessen. Aber er wunderte sich darüber nur kurz, dann kamen ihm einige Bilder des Traumes in den Sinn.
    #64VerfasserJean-Louis03 Feb. 09, 10:38
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    „Der von euch erwähnte Ritter in goldener Rüstung. Davon habe ich geträumt – nein, ich habe es gesehen, als ob es wahr gewesen wäre. Einen Mann habe ich gesehen, in goldener Rüstung, der mich davon abhielt…“ Mit einem heftigen Ruck hielt er die Pferde an. Er wagte nicht, weiter zu sprechen, geschweige denn, noch einmal an die Traumbilder zu denken, da ihm in diesem Augenblick bewusst wurde, dass er solche Träume schon öfter hatte. Immer machte er in diesen grauenhaften Bildern jagt auf andere Wesen – nein, nicht auf Tiere – sondern vor allem auf Elfen und auch Menschen! Und immer befielen ihn diese Albträume unmittelbar vor dem Vollmond, wie jetzt auch wieder. Er mochte aber nicht an solch grässliche Dinge denken, schon gar nicht, weil er doch etwas ganz anderes in sich spürte, etwas wie starke Zuneigung, am Ende sogar Liebe? Deswegen sah er sich rasch um und sagte mit hastigen Worten zu Halica:
    „Ich schlage vor, wir machen eine kleine Rast zur Mittagszeit, hier am Eingang des langen Tales durch diese vor uns liegenden Berge. Die Pferde brauchen etwas Ruhe, weil der Weg hinter uns doch anstrengend war. Seht, dort drüben fließt auch ein Bächlein. Daneben werde ich den Wagen abstellen, dann können die Tiere trinken. Wollt ihr nicht schon mit einer Decke zu diesem überhängenden Felsen da drüben gehen? Dort komme ich dann gleich mit dem Proviant hin.“

    Auf der Fahrt nach Norden - in einem steinigen Bergtal

    Halica nickte nur etwas gedankenverloren. Es fiel ihr zwar schwer, sich gerade jetzt wieder von ihm zu lösen, aber vielleicht war es auch besser so. Schnell lächelte sie ihm noch mal zu, dann stieg sie ab, ging nach hinten, öffnete den Wagen, holte sich eine Decke heraus und nahm den Korb auch mit. Sie lief zu der Stelle, die Telmy ihr gezeigt hatte und breitete die Sachen aus, nicht ohne immer wieder einen Blick zum Wagen zu werfen, nur um zu sehen, dass er noch mit den Pferden zu tun hatte. Sie setzte sich und beobachtete nachdenklich, wie er die Stuten tränkte. Warum musste alles nur so kompliziert sein? Würde er sich endlich erinnern, dann könnten sie sich neu entdecken und ihr gemeinsames Leben dann wieder weiter führen. Sicher brachte dieses Abenteuer, in dem sie mitten drin steckte, viel Abwechslung in ihr Leben, aber mit ein bisschen weniger innerer Aufregung verbunden, wäre es ihr angenehmer gewesen. Anderseits hatte diese neue Seite des schüchtern wirkenden Jünglings ihre Liebe noch verstärkt. Die Kelche füllte sie mit Wein, auf die Teller packte sie von dem Kuchen, den der Wirt ihnen mitgegeben hatte. Apfelkuchen, wie lecker! Während er sich ihr langsam näherte, lächelte sie ihn strahlend an.

    Nachdem Telmy noch bis kurz vor den Bach gefahren war, hielt er an und kurbelte die Bremse fest. Halica war bereits an der Felswand angekommen. Er stieg ab und hängte sogleich die Knebel der Zugstränge von Mia am Ortscheit aus. Dann löste er die Aufhalterkette am Kummet und führte die Stute zum Bach. Die Zugstränge zog er vorher jeweils durch einen Geschirrriemen, damit das Pferd nicht darauf treten konnte. Er wiederholte alles bei Lia, legte aber zusätzlich die Deichselspitze auf den Boden. Dann wollte er sich um den Proviant kümmern, sah aber, dass Halica den Korb bereits mitgenommen hatte. In dem Tal war es windstill und die Sonne schien nun wärmend aus blauem Himmel heraus in die geschützte Felswand – der Stein strahlte die aufgenommene Wärme zurück. Etliche Vögel hatten sich weiter oben in dem niedrigen Gehölz über dem Felsüberhang eingefunden, zwitscherten ein unergründliches Konzert und das Licht fiel auf das Haar der Elfe, wodurch es in einem goldgelben Ton zu schimmern begann. Je näher er der auf der Decke sitzenden Frau kam, desto schöner erschien sie ihm.
    #65VerfasserJean-Louis03 Feb. 09, 11:50
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    Ihre Bewegungen gefielen ihm sehr, waren anmutig. Telmy hatte nur sie im Blick, sah nur, wie sie den Wein einschenkte und etwas auspackte – dann ihr ihn so verzauberndes Lächeln – diese ihn so magisch anziehenden grünen Augen. Was er nicht sah, war das Kaninchenloch in der Wiese vor dem Felsboden. Er trat hinein und fiel der Länge nach hin, mit dem Gesicht direkt in einen Maulwurfshaufen. Die Wirkung ihrer Augen auf ihn hatte verhindert, dass eine Reaktion seines Gehirns rechtzeitig die Arme und Hände zur Abwehr des Sturzes erreichte und so schlug er unsanft auf der Wiese auf. Einen kurzen Moment blieb er so liegen, dann hob er den Kopf und blickte zu der Elfe, die nur zehn Schritte entfernt erschrocken dasaß.
    „Habe ich dich erschreckt, Liebes? Es ist nichts passiert!“

    Diese Worte kamen zwar aus Telmys Mund, der Blick dazu aus blauen, strahlenden Augen passte aber nicht in sein helles Gesicht. Er rappelte sich auf, klopfte die Kleidung ab und wischte sich Erdkrümel aus dem Gesicht. Dann ging er zu Halica, die regungslos geblieben war und sah sie besorgt an – mit dunkelbraunen Augen.
    „Wo ist euer zauberhaftes Lächeln geblieben? Habt ihr ein Gespenst gesehen?“, fragte er mit einem Stirnrunzeln. Halica versuchte, sich wieder zu fassen. Beinahe hätte sie gelacht, als Telmy so ungeschickt hinfiel. Doch als sie ihm dann in die Augen sah und Arwins Blick ihr begegnete, er sie dann auch noch mit seiner ihr vertrauten Stimme ansprach, da blieb ihr jedes Lachen und jedes Wort im Halse stecken. Ob sie ihn darauf ansprechen sollte? Hatte er es selbst überhaupt bemerkt? Fast unmerklich schüttelte sie den Kopf. Nein, es schien nicht so. Sie musste wohl oder übel lernen, geduldiger zu werden. Sie sah ihn an und meinte mit einem etwas aufgesetzten Lächeln:
    „Nein, schon gut, ich hatte nur Angst, dass ihr wieder in Ohnmacht fallt.“

    Nachdenkend brach sie ein Stückchen Kuchen ab und schob es sich in ihren Mund. Er hatte ihr gesagt, dass er sich von seinem Großvater Antworten erhoffte. Nun, das tat sie inzwischen auch. Sie musste unbedingt der Sache auf den Grund gehen, warum er sich an nichts erinnerte.
    „Ich habe mich entschlossen, euch zu eurem Großvater zu begleiten. Durch eure Erzählungen nehme ich an, dass er viel zu sagen hat und ein großes Wissen besitzt. Auch ich muss ihm ein paar Fragen stellen, wie mir klar geworden ist.“ Sie würde mit ihm kommen und ihm zur Seite stehen, auch wenn sie die Reise in die Finsternis der Dämonen und wieder zurück führen würde. Ganz egal, wichtig war nur, sie waren zusammen. Nachdem der erste Schreck sich gelegt hatte, konnte sie ihn nun auch wieder so strahlend anlächeln wie vorher. Verlegen grinsend über sein Ungeschick setzte sich Telmy zu der Elfe. Er nahm auch ein Stück Kuchen und den Kelch mit dem Wein. Als er etwas gekaut hatte, nahm er einen großen Schluck und verzog das Gesicht.
    „Uh – das schmeckt aber gar nicht zusammen. Ich mag lieber süßere Getränke – Säfte und gezuckertes Wasser. Da schmeckt jeder Kuchen gut dazu, am Besten aber mit Milch. Schade, dass wir keine haben.“
    #66VerfasserJean-Louis03 Feb. 09, 12:34
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    Dann grinste er plötzlich schelmisch und tippte Halica ohne jede Scheu mit dem ausgestreckten rechten Zeigefinger unterhalb der linken Brust an den Bauch.
    „Hier, genau an der Stelle habt ihr ein Muttermal. Es sieht fast aus wie ein magisches Symbol.“ Anschließend ließ er seinen Finger sanft an ihrer Baumwollrobe bis in Bauchmitte gleiten, zog einen Kreis damit um ihren Nabel und nahm ihn wieder weg. Er erhob den Kelch mit dem Wein und sprach:
    „Auf unser gemeinsames Abenteuer – möge es gut ausgehen und uns das Erhoffte bringen.“

    Sie traute ihren Augen nicht, doch sie spürte es überdeutlich. Als sein Finger ihren Bauch unerwartet berührte, blieb ihr fast die Luft weg. In ihrem Innern herrschte ein Aufruhr der Gefühle. Es fiel ihr nie schwerer als in diesem Augenblick, ruhig zu bleiben. Als sie sich gerade wieder ein klein wenig beruhigt hatte, erwähnte er ihr Muttermal. Ihr Herz tat einen Sprung. Er erinnerte sich an Einzelheiten, die nur Arwin kennen konnte. Sie war außer sich vor Freude und versuchte dennoch, möglichst ruhig zu antworten.
    „Dieser vorzügliche Apfelkuchen schmeckt zu allem gut. Milch wäre mir auch lieber, aber dieser Wein versetzt mich in eine wohlige Stimmung. Ich fühle mich, als könnte ich jedes Abenteuer überstehen.“ Leise fügte sie hinzu: „Mit euch an meiner Seite.“

    Telmy lächelte und biss dann erneut vom Apfelkuchen ab. Seine Augen fanden keinen ruhigen Punkt und wanderten unablässig über ihren Körper, der in der gut sitzenden Baumwollkleidung zusätzlich betont wurde und insgesamt geradezu göttliche Umrisslinien zeigte. Dem Stück Kuchen folgte ein Schluck Wein, diesem wiederum ein weiteres Stück Kuchen und noch mal Wein. Dann gingen seine Gedanken zurück in die Taverne Felsenkeller – in die so unruhige Nacht vor der Abreise. Er wusste nun, dass es ihr Duft war, der ihm zuerst auffiel. Und dann war da das Gefühl gewesen, er würde sie von irgendwoher kennen. Dieses Gefühl war nun sehr viel stärker geworden. Ihre Nähe war so angenehm, so sehr vertraut für ihn und dazu noch erregend. Sogar in zweifacher Hinsicht. Einmal allein ihre weibliche Ausstrahlung, aber dann auch immer wieder dieser Geruch – nein, kein Duftwässerchen, keine wohlriechend Seife war das. Sie selbst war es. Sie roch nach etwas, das ihn durstig machte! Und so schenkte er wieder den Kelch voll und trank ihn leer. Dass der Wein „diesen“ Durst nicht löschen konnte, war im nicht bewusst.

    Er merkte aber gleich, dass dieser Wein eine leichte Müdigkeit verursachte und legte sich daher zur Seite, streckte sich aus und stützte den Kopf auf dem Arm ab. Nun sah er sie an, mit einem bewundernden Blick und sagte leise: „Wie schön ihr seid.“
    Die momentane Stille wurde nur von einem singenden Vogelmännchen und dem Schnauben der Pferde unterbrochen. Sie strich sich leicht verlegen die Haare aus dem Gesicht. Der Wein tat auch bei ihr seine Wirkung und ein rosiger Schimmer legte sich über ihre Wangen. Sie errötete sonst so gut wie nie, auch bei Arwins Komplimenten war ihr das schon lange nicht mehr passiert. Aber hier und jetzt war eine andere Situation. Halica betrachtete ihn aufmerksam, wie er so entspannt da lag und sie mit diesem süßen, leicht schiefen Lächeln anhimmelte. Er sah auf einmal anders aus und dennoch war er es. Sein Verhalten nahm mehr und mehr ihr vertraute Züge an. So, wie sie schon immer von den blauen Augen ihres Mannes fasziniert gewesen war, zog sie dieses wunderschöne, warme Bernsteinbraun nun in seinen Bann und ließ sie jedes Mal alles um sich herum vergessen. Sie konnte sich kaum satt sehen an ihm.
    „Danke“, war alles was sie heraus bekam. Ihre Stimme versagte ihr den Dienst. Sein Blick nahm sie so sehr gefangen und wie verzaubert saß sie da, konnte die Augen nicht von ihm abwenden.

    Auch ihn hatte ein vom schweren Wein unterstützter Strudel erfasst – er stürzte hinein, wurde umhergewirbelt und war nur noch von einem grünen Schimmer umgeben. Wo war oben, wo war unten? Er wusste es nicht. Ihre Augen sogen ihn auf wie ein Schwamm einen Wassertropfen. Und dann wieder ihr betörender Geruch. Ihr Geruch? Dieser Geruch – das war nicht ihrer! Ein leichter Luftzug hatte ihm eine Spur, einen winzigen Hauch eines Geruches in die so empfindsame Nase geweht. Den Gestank des Todes!
    #67VerfasserJean-Louis03 Feb. 09, 13:24
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    Seine Augen wurden urplötzlich vollkommen schwarz und bekamen einen blutroten, unregelmäßig flackernden Rand um die Pupillen. Er sprang so schnell auf und rannte mehr als 100 Schritte bis zum Abhang kurz vor dem dahinter liegenden Waldrand, dass er dort war, ehe der Wein des umkippenden Kelches die Decke berührte. Dort hob er den Kopf und witterte wie ein Tier in den Wind hinein. Ebenso blitzschnell war er dann direkt zum Wagen gerannt und nahm eine kleine Ledertasche aus seinem Bündel. Er nahm etwas heraus, schrieb in Windeseile auf ein Stück Pergament, verstaute die Schreibutensilien wieder und stand einen Atemzug später neben Halica, um ihr das Pergament in die Hand zu drücken. Sein Gesichtsausdruck war sehr verändert, hart und entschlossen. Mit blauen Augen sah er sie ernst an und sprach:
    „Meine Liebste, wir müssen fort! Pack schnell zusammen und komm sofort zum Wagen.“ Dann drehte er sich um, rannte in normaler Geschwindigkeit zum Wagen und begann, die Pferde in aller Eile anzuspannen.

    Halica sprang erschrocken auf, als Telmy so rasend schnell wegrannte. Sie war schockiert über die Farbe, die seine Augen auf einmal angenommen hatten. Sprachlos stand sie da und sah zu, wie er zurück zum Wagen raste, etwas aufschrieb und ihr gab. Auf dem Pergament stand: Geliebtes Elflein, ich kann noch nicht lange genug seine finstere Seele unterdrücken, um dich mit deren Kraft auch dann zu beschützen, wenn der Vollmond bevorsteht. Vertraue mir und tu das, was ich dir mitteile. Egal was heute Nacht passiert, lasse ihn nicht in den Wagen. Verstehst du? Er darf unter keinen Unständen in den Wagen und du darfst den Wagen nicht eher verlassen, bis die Sonne über das Gebirge ihr helles Licht sendet. Verschließe die Planen von innen und auch die hintere Bordwand, spanne die eingerollten Kettengitter vorn und hinten an den Bordwänden fest und kontrolliere die Verriegelung der Bodenklappe. Er spürt etwas sehr Bedrohliches, das du so nicht kennst. Ich weiß auch, dass er heute Nacht zu schrecklichen Dingen fähig sein wird. Ich kann dich dann nicht vor ihm selbst schützen, noch nicht – pass auf dich auf. Wenn du Zweifel bekommst, nimm dieses Pergament und lies es immer wieder. Dein dich ewig liebender Arwin.

    Selbst als Arwin sie wieder direkt ansprach, konnte sie noch immer nichts sagen, zu schnell war die so romantische Stimmung in blanke Angst umgeschlagen. Als sie das Pergament gelesen hatte, ließ sie langsam die Hand sinken, in der sie es hielt und schüttelte den Kopf. Fragen hämmerten in ihrem Kopf und schufen bloße Verwirrung. Was sollte das alles? Warum sollte sie sich vor Telmy verstecken und ihn aussperren? Weshalb müsste Arwin sie vor ihm beschützen und würde es heute Nacht nicht können? Während sie alles schnell einsammelte und wegpackte, überlegte sie, was sie tun sollte. Sie hatte auch jetzt nicht das Gefühl, dass von Telmy Gefahr für sie ausging. Im Gegenteil, sie fühlte sich an seiner Seite so sicher und gut aufgehoben. Genauso wie bei Arwin. Schließlich war er ja auch Arwin und der könnte ihr niemals ein Leid zufügen. Aber sie musste seinen Worten vertrauen, wie sie ihnen schon immer vertraut hatte, doch sie wollte bald eine Erklärung dafür haben. Wenn der alte Druide keine Antworten für sie hatte, dann würde sie diese Hexe suchen und wenn nötig, die Wahrheit aus ihr rausprügeln.

    Oh, dieses verlogene Weib! In was für einen undurchsichtigen Schlamassel hatte sie diese Hexe nur hinein gezogen? Eilig lief Halica zum Wagen und setzte sich neben Telmy. Prüfend sah sie in seine Augen, welche Farbe sie wohl jetzt gerade haben würden. Er hatte inzwischen so schnell es ging die Pferde vorgespannt und wartete bereits ungeduldig auf sie. Seine Augenfarbe war ein sehr dunkles Braun, wie Halica doch erleichtert feststellte. Er nahm ihr den leichter gewordenen Verpflegungskorb ab und stellte ihn durch die offene Plane hindurch hinter die vordere Bordwand. Dann sagte er:
    „Haltet euch gut fest!“
    #68VerfasserJean-Louis04 Feb. 09, 10:23
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    Er ließ die Pferde schnell antraben und trieb die Stuten zum Galopp an, sobald sie aus der Wiese auf den Weg gelangten. Immer wieder rief er: “Hoh, Hoh – Mia, Lia – Hoh, Hoh.“ Durch die Ansprache mit ihrem Namen reagierten die Pferde noch exakter auf jedes Kommando, doch im Moment gab es nur eine wichtige Sache, so schien es – so schnell wie möglich weg vom Rastplatz, tiefer in das lang gezogene, steinige Bergtal hinein. Als sie etwas später nach rasanter Fahrt aus dem noch mit grün-gelblichen Wiesen links und rechts des Weges bedeckten Eingang des Tales heraus in einem kargen, schnurgerade verlaufenden Teil dahin fuhren, ließ Telmy die Pferde wieder in den schonenden Trab zurückfallen. Der Weg war zum Glück eben, wurde aber immer staubiger und verlief in der Mitte des Tales. Links und rechts der kaum zu erkennenden Fahrspuren zogen sich alsbald trockene Geröllebenen hin, immer wieder mit großen Felsbrocken durchsetzt. Er spannte die Leinen etwas und wickelte sie um die Bremskurbel, was die Pferde unverändert weiter laufen ließ. Dann drehte er sich zu Halica, packte sie mit festem Griff an den Oberarmen und versuchte keuchend zu sprechen. Seine Augen waren wieder fast schwarz geworden und die rötlichen Ringe flackerten um die Pupillen wie ein unruhiges Feuer.

    “Meine Träume… meine Träume… sie holen mich wieder ein. Vor und bei jedem Vollmond habe ich so fürchterliche Albträume. Eine junge Frau aus meinem Dorf, in die ich mich verliebt hatte, sagte mir damals, sie könne mich nicht lieben, weil ich verflucht wäre. Ich würde nicht alles nur immer träumen, sondern das was ich in diesen Nächten erlebe, nur als Traum begreifen. Ich kann das nicht glauben. Aber es muss damit zusammenhängen, dass ich Fähigkeiten habe, die andere nicht haben. Ich habe vorhin etwas mir Bekanntes gerochen, dass mir der Wind zuwehte und dann ein Bild gesehen – einen merkwürdig großen Wolf, mit glühend roten Augen. Ich habe den Geruch nicht geträumt, er war am Weg beim Waldrand viel stärker. Immer wenn ich diesen Geruch in der Vergangenheit im Traum wahrnahm, wurde in derselben Nacht unser Dorf von Wölfen heimgesucht. Meistens im Winter, aber auch manchmal im Sommer. Ich habe sie vorhin gerochen, sie sind im Wald. Ich hoffe, diese wilden Bestien folgen uns nicht in dieses öde, karge Bergtal hinein. In so einer offenen Gegend würden sie sich eher nicht wohl fühlen. Wir müssen einen Platz finden, an dem wir heute Nacht sicher sind.“

    Er sah sie die ganze Zeit mit weit aufgerissenen Augen an, bekam aber langsam seine gewohnte, bernsteinbraune Augenfarbe wieder. Halica überlief es eiskalt. Alle Härchen stellten sich ihr auf. Sie versuchte, den Angstzustand zu unterdrücken, der in ihr aufkam. Den schmerzhaft festen Griff von Telmy nahm sie jetzt kaum wahr. Vor fast nichts hatte sie Angst, aber Wölfe - seltsam groß mit roten Augen? Sie schloss ihre Augen und schluckte mit trockenem Mund. Das klang nach Werwölfen. Bisher hatte sie nie einen in ihrem Leben gesehen, doch ihre Großmutter hatte, als Halica noch ein Kind war, ständig davon erzählt, wie fast ihr ganzes Dorf von solch einer Meute ausgerottet wurde. Seit dem saß diese Angst vor Wölfen tief in ihr. Nein, solch einem Wesen wollte sie wirklich nicht begegnen. Angstvoll krallte sie sich regelrecht an Telmy fest. Auch, dass seine Augen eben schon wieder etwas rötlich wurden, war ihr jetzt nicht wichtig. Sie wollte nur weg, weit weg von hier. Fest presste sie ihren Körper gegen seinen, so als könnte sie sich in seinen starken Armen einfach verstecken, als er sie wieder los ließ. Den Kopf hielt sie gesenkt, mit dem Gesicht an seiner Brust.
    „Oh bitte, Liebster, bring mich schnell hier weg, so weit die Pferde laufen können“, flüsterte sie. Sie schämte sich etwas, weil sie sich so ängstigte, aber sie konnte es nicht kontrollieren.
    #69VerfasserJean-Louis04 Feb. 09, 12:17
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    Als er von ihr mit „Liebster“ angesprochen wurde, sah er sie überrascht an, legte aber sofort seine Arme um sie und drückte sie fest an sich. Seine Gedanken kreisten wie ein Karussell um die eine Frage, was heute Nacht geschehen würde. Es war der erste Vollmond, den er außerhalb seines Dorfes, außerhalb des Wirkungskreises seines „Großvaters“ erleben würde. Telmy bekam selber Angst vor den Geschehnissen, die er immer nur zu träumen dachte. Nach einer ganzen Weile, die Sonne war schon längst weit nach Westen gewandert, lösten sie sich aus ihrer Umarmung. Er nahm die Leinen wieder auf und trieb die Pferde noch mal in den Galopp. Es war eine überaus ungemütliche Fahrt geworden, über viele Bodenwellen und durch ausgewaschene Löcher und Rinnen hindurch, welche dem Wagen manch harten Schlag versetzten. Immer wieder beugte er sich weit nach links, um zurückzuschauen. Im aufwirbelnden Staub sah er aber nicht viel. Daher entschloss er sich, doch lieber wieder langsamer zu fahren, um endlich einen weiten Blick zurück in das vollkommen ebene Tal werfen zu können. Nachdem der Staub sich gelegt hatte, konnte er aber weder auf dem Weg noch in den seitlichen Streifen der steinigen Ebene etwas Verdächtiges erkennen. Ein Wolfsrudel, welches dem Wagen in großer Eile folgte, sollte man schon von weitem am ebenfalls aufgewirbelten Staub erkennen können, dachte er sich.

    In seine eigene Angst mischte sich die Sorge um Halica. Obwohl er spürte, dass sie mit ihrer viel größeren Erfahrung im Kampf gegen ein Ungeheuer eher ihn beschützen könnte, als umgekehrt, war da etwas, das ihn sehr beunruhigte – sie zeigte ebenfalls Angst. Sie fuhren immer weiter und die Abenddämmerung brach herein. Noch immer trabten die Stuten unermüdlich vor dem Wagen her. Nicht mehr weit entfernt waren die ersten Ausläufer des Hochgebirges zu erkennen. Der ohnehin schon schlechte Weg wurde kurviger und begann anzusteigen. Telmy hatte die ganze Zeit über nichts entdecken können, was ihnen folgte, weshalb er Halica schon länger wieder fest im Arm hielt. Als sie bemerkte, dass die Fahrt wieder langsamer und ruhiger wurde, hob sie den Kopf und sah sich etwas um. Es war nichts Ungewöhnliches zu sehen und auch Telmys Augen hatten die gewohnte Farbe. Und dennoch wusste sie, dass der Schein trügen konnte. Selbst wenn die Wölfe ihnen jetzt nicht folgten, so konnten sie ihre Witterung aufnehmen und ihrer Spur mit Abstand folgen. Bei ihrer nächtlichen Rast könnten diese Bestien sie dann schon eingeholt haben.
    „Es tut mir leid, ich war nur so in Panik, weil ich Angst vor Wölfen habe. So ein Wolfsrudel hat viele Mitglieder meiner Familie auf dem Gewissen. Es geschah zwar schon vor meiner Geburt, doch von klein auf wurde diese Angst bei uns Kindern geschürt, damit wir uns von dem finstern Wald fern hielten und immer in der Nähe des Hauses blieben.“

    Sie lehnte sich wieder an ihn. Ihr Herzschlag beruhigte sich sogleich etwas und die Angst wich langsam aus ihren Gedanken und Gefühlen.
    „Dieser Wagen hat einige sehr wichtige Besonderheiten. Es gibt Gitter, die man innen unter der Verkleidung entrollen und festmachen kann, so dass eine Art schützender Käfig entsteht, in den von außen niemand eindringen kann. Aber ich mache mir Sorgen um die Pferde“, sagte sie dann nachdenklich. Er schwieg einen Augenblick, ehe er etwas erwiderte.
    „Ich denke nicht mehr, dass es ein Rudel Wölfe war, was ich gerochen habe. Ich bin mir sehr sicher, dass es nur ein einziger Wolf war. Und der bedroht sicher nicht die Pferde, weil er eine andere, viel bessere Beute wittern würde, wenn er uns findet. Noch länger zu flüchten wird aber bedrohlich, weil der schlechte Weg uns zum Verhängnis werden könnte. Sollte der Wagen umstürzen und beschädigt werden, hätten wir dann gar keine Schutz mehr. Ich halte lieber dort vorne an. Siehst du die große, sumpfige Wiese inmitten der sonst trockenen Steinwüste? Genau in die Mitte der leicht unter Wasser stehenden Fläche stellen wir den Wagen, dann kann sich nichts anschleichen, weil man die patschenden Schritte auf jeden Fall hören würde. Die Pferde bringe ich an den Rand der Wiese, dort hinten, wo sich die eigenartigen Felsnadeln steil empor strecken. Dort ist es bestimmt viel trockener und es gibt genügend Gras für die Tiere. Auch muss viel Wasser zufließen vom Berg herab, sonst wäre hier nicht alles überschwemmt. Dann werde ich gleich den Wagen untersuchen, um zu sehen, wie sicher er wirklich ist.“
    #70VerfasserJean-Louis04 Feb. 09, 12:51
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    Telmy lenkte nun den Wagen bis an den Rand der Wiese, die etwa zwei mal zwei Meilen an Fläche bedeckte. Vorsichtig ließ er Mia und Lia in den wässrigen und matschigen Untergrund schreiten. Die Pferde sanken nur bis etwas über den Huf ein und auch die Wagenräder verschwanden nur wenig mehr als eine Handbreite im losen Grund. Schritt für Schritt zogen die Stuten den Wagen bis in die Mitte der völlig offenen Fläche. Nur zwei dicke, ausladende Bäume standen ungefähr eine halbe Meile weiter nördlich innerhalb der Sumpfwiese. Nach dem Anhalten und Festkurbeln der Bremse wollte er sich zuerst den Wagen ansehen, bevor er in den Matsch steigen würde. Er öffnete die Plane hinter dem Sitz noch etwas weiter.
    „Willst du zuerst in den Wagen?“, fragte er Halica und schaute dann richtig erschrocken.

    Halica bekam sofort wieder ihr bezauberndes Lächeln, hatte sie es doch ganz deutlich gehört. Wieder war er einen Schritt in Richtung Erinnerung gegangen. Er hatte sie vertraulich mit „du“ angeredet. Sie tat einfach so, als hätte sie es nicht bemerkt, lächelte weiter und kletterte in das Innere des Wagens.
    „Komm nur rein und schau dich gründlich um. Es gibt viele verborgene Einbauten, doch selbst ich kenne die nicht alle, glaube ich. Für mich war immer nur eines wichtig, dass der Wagen uns sicher ans Ziel brachte und dass es nachts hier drinnen gemütlich war. Und das war es. Ist es immer noch“, verbesserte sie sich, ehe sie schmunzelte und dann weiter sprach.
    „In diesem Wagen kam auch meine Tochter zur Welt.“ In Gedanken fügte sie noch hinzu: …und wurde darin gezeugt.

    Anschließend fing sie an, die Decken von den Strohmatten wegzunehmen und auf die Truhen zu legen, damit sie die Strohmatten an den Außenwänden des Wagens aufkippen und so anlehnen konnte, damit der Wagenboden frei war. Das Nachtlager würde sie sich dann später in Ruhe richten. Anschließend ging sie etwas zur Seite, um ihm Platz zu lassen, alles ganz genau anzuschauen. Er musste Halica hinterher klettern, so hoch waren die Bordwände und dazu zwei Männerdaumenbreit dick – vollkommen ungewöhnlich für ein übliches Planwagengespann, wie es jedenfalls von außen auf einen Betrachter wirkte. Außen war die Plane in normaler Höhe an den Bordwänden festgezurrt, so dass man die wahre Höhe der Bordwände nicht sehen konnte. Im Knien dürfte nur der Kopf darüber hinwegschauen, dachte sich Telmy. Innen war die Plane ebenfalls am oberen Bordwandrand gezurrt, mit vielen Lederriemen und Schnallen. Die nur an den Enden in den Befestigungen sichtbaren Drahtbügel des Planengestells standen sehr eng und als Telmy innen über die Plane strich, bemerkte er ein gitterförmiges Drahtgewebe unter der Plane. Aha, dachte er sich, es sind zwei Planen - eine äußere, die alles verdeckt, was keiner sehen soll, dann ein Drahtgitter und eine innere. Zusammen mit dem engen Abstand der Drahtbügel ergab sich ein wirksamer Schutz gegen jemanden, der die Plane zerschneiden und so eindringen wollte. Zwischen den Drahtbügeln waren in halber Höhe und oben dickere Querstäbe eingearbeitet. Als er sich das Material der Bügelenden und des Drahtgewebes ansah, schimmerte es silbern ohne die geringste Spur von Rost – es musste dieser neuartige, rostfreie und sehr feste Edelstahl sein. Er hatte in der Schmiede davon gehört, aber dieses Metall noch nie vorher gesehen. Durch das Schutzgitter wäre man nicht einmal mit einem Zweihandschwert hindurch gekommen. Hinzu kam, dass die doppelte Plane nicht nur wasser-, sondern auch winddicht war.
    Weil es schon ziemlich duster wurde, nahm er eine der vier an den Schmalseiten der vorderen Truhen in Halterungen stehenden Laternen und entflammte die Kerze mit dem dabei liegenden Kienspan-Feuersteinanzünder. Dann sah er sich weiter um.
    #71VerfasserJean-Louis04 Feb. 09, 15:40
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    Halica hatte etwas von einem Gitter gesagt, das man herablassen könnte. So etwas fand er sogleich in den vier oberen Eckbereichen der inneren Stirnseiten, jeweils als zur Seite hin eingerolltes Edelstahl-Kettengitter. Zuerst zurrte er die hinteren Planenhälften auch innen rasch mit dort zusätzlich angebrachten Schnallen an der Bordwandkante fest und verschloss die Hälften dann von oben nach unten mit den inneren Schnallen. Dann öffnete er an den hinteren Rollen die Lederschlaufen, ließ das Kettengitter frei hängen und spannte die Gitterhälften mit Hakenriemen nach unten. Dabei zog er so fest an, dass die vorletzte Reihe des Kettengitters zusätzlich in feste Haken an der Bordwand eingehängt werden konnte. Zuletzt fädelte er die in der linken Hälfte hängenden doppelten Ringverbindungsglieder in die Gitterglieder der rechten Seite ein und schon waren beide Gitterhälften undurchdringlich miteinander verbunden.

    Jetzt dachte er scharf nach. Wenn auch die Vorderseite des Wagens so verschlossen war, konnte man in den Wagen nicht mehr hinein, ihn aber auch nicht mehr verlassen – es musste eine andere Möglichkeit geben, sich aus dem verschlossenen Wagen absetzen zu können, wenn man ihn beispielsweise in Brand setzen würde. Prüfend sah sich Telmy den Wagenboden an. Tatsächlich, zwei Klapptüren in Wagenmitte fielen ihm auf. Er kniete sich ans hintere Ende und konnte an zwei kaum sichtbaren Griffmulden diese Türen von der Mitte her nach außen hin öffnen. Doch was war das? Vor ihm tat sich ein doppelter Boden auf, ein Kasten unter dem Wagenboden. Über die Hälfte des Kastens war leer, doch in der anderen befanden sich Köcher mit Pfeilen, zwei Dolche in einer Metallscheide, ein Zweihandschwert mit Rückengurt und ein Jagdspeer. Als er die Laterne hineinstellte und sich mit dem Kopf tief hineinbückte, sah er weiter nichts – nur fiel ihm auf, dass der Abstand zu den Außenwänden, wenn es diese sein sollten, geringer war, als zu den Bordwänden über dem Wagenboden. Darüber dachte er aber nicht weiter nach, sondern über den leeren Raum.

    Warum war der leer? Alles war im Wagen befestigt und fest verzurrt, aber in diesem leeren Bereich hätte man nur etwas lose hineinlegen können, das dann hin und her polterte, wenn der Wagen fuhr. Dann kam er darauf – der Wagen fuhr nicht, wenn der Kasten gefüllt war. Er war sich sicher, dass das komplette Geschirr der Pferde da hinein passte. Jetzt stand er auf, schloss die Klappen des Kastens und ging rückwärts, bis er an das hintere Gittergewebe stieß. Da sah er eine weitere Bodenklappe, direkt vor seinen Füßen. In das Holz des Bodens waren acht runde Metallscheiben eingelassen, die eine flache Seite hatten. Er musste jeweils einen kleinen Haken aushängen, um die Scheiben so drehen zu können, dass die flachen Stellen zur Klappe hin zeigten und diese frei gaben. Nun trat er über die Klappe auf Halica zu, griff in die Mulde und konnte die Bodenklappe zum Wagenende hin aufschwenken. Der enge Ein- oder Ausstieg vor der Hinterachse bei verschlossenem Planenaufbau war gefunden. Er ließ ihn gleich offen stehen. Halica hatte bereits auf einer Seite mit dem Herrichten des Nachtlagers begonnen, nachdem die Kastenklappen wieder verschlossen waren, was Telmy nun mit einem verzückten Grinsen sah.
    „Ich gehe über den Sitz wieder raus, schirre die Pferde ab und lege alles auf den Fuhrmannsbock. In den Kasten werden wir es nicht verstauen müssen, da hier bestimmt keine Diebe rumlaufen. Verschließe du die Plane und das Kettengitter vorne ganz fest, so wie ich es hinten gemacht habe. Ich komme dann durch die Klappe rein und schau gleich, ob alles in Ordnung ist. Die Pferde führe ich zu den merkwürdigen Felsen.“
    #72VerfasserJean-Louis05 Feb. 09, 11:34
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    Dann zwängte er sich zwischen den hinteren Truhen an ihr vorbei, so dicht, dass er an ihr entlang streifte und dabei ihren heißen Atem auf seinen Lippen spürte, da sie ihn anschaute. Schnell kletterte er hinaus, stieg in den Matsch hinab und begann, die Pferde vom Geschirr zu befreien. Zuerst hängte er die Kreuzleinen aus, nahm sie ab, rollte sie ein und legte sie auf den Boden des Bocks. Anschließen kamen die vier Zugstränge dran. Dann löste er die Riemen am Kummet, hänge die Aufhalterketten aus und nahm den Pferden diese Last ab, die ebenfalls in den Fuhrmannsbock wanderte. Das Hintergeschirr und Zaumzeug dauerte jeweils etwas länger, da hier mehrere Riemenschnallen zu öffnen waren. Endlich konnte er mit den Pferden, die nach ein paar Krauleinheiten einfach mit ihm mitgingen, zu den Felstürmen gehen. Mit ein paar Worten und Klapsen auf die Seite ließ er die Stuten dann grasen. Mindestens zwanzig Schritte vor den Felsen begann eine feste, aber saftige Wiese. Dort waren die Pferde gut aufgehoben. Anschließend lief Telmy zurück, bei jedem Schritt ein wässeriges Patschen verursachend. Es war inzwischen fast finster, weshalb er außen am Wagen nicht mehr nach ungewöhnlichen Dingen forschte. Er ging gleich um den Wagen herum, mühte sich in die Hocke, kroch unter den Wagen bis unter die Bodenklappe und tauchte darin auf.
    „Hier bin ich wieder, liebe Halica“, sagte er mit vergnügter Stimme.

    Sie hatte inzwischen das Lager bereitet, nur eines für sich, wobei sie angestrengt überlegt hatte, wie sie es anstellen sollte, dass Telmy draußen blieb. Ob sie ihm das Pergament zeigen sollte? Nein, besser nicht, denn das würde wohl zu viele Fragen in ihm hervorrufen, die sie ihm vor allem jetzt nicht beantworten durfte. Aber, war er alleine draußen vor dem Wagen nicht in einer größeren Gefahr als sie, wenn er bei ihr blieb? Sie kämpfte mit sich, denn eigentlich wollte sie viel lieber seine Nähe spüren, als ihn dort draußen in der kühlen Nacht zu wissen, wenn noch dazu eventuell Wölfe auftauchen konnten. Aber sie vertraute Arwin, denn wenn er sagte, sie sei in Gefahr, dann war es auch so. Als sie die Vergitterung festmachte, sah sie kurz hinaus. Der volle Mond war bereits am Aufgehen und die Zeit drängte. Hastig machte sie weiter und erschrak fast, als er plötzlich wieder im Wagen auftauchte. Was mache ich nur jetzt, ging es ihr durch den Kopf.
    „Ist draußen so weit alles fertig? Vielleicht sollten wir ein Feuer machen, da können wir uns dann ein Abendessen warm machen und es hält auch wilde Tiere fern.“

    Telmy schwang sich in den Wagen und zog sich im Sitzen am Lukenrand die Schuhe aus. Dann krabbelte er in eine hintere Wagenecke und besah sich den Verschlussmechanismus, ohne vorerst auf ihre Frage einzugehen.
    „Dachte ich es mir doch, dass euer Arwin die von außen zu öffnenden Verschlüsse der Bordwand nicht vergessen hatte abzusichern.“ Er klappte einen Bügel über den Verschluss und drehte eine Sicherung um. Damit konnte der Verschluss von außen nicht mehr geöffnet werden. In der anderen Ecke wiederholte er die Vorgänge. Dann drehte er sich um und blieb an die Bordwand gelehnt hocken. Er schaute der Elfe, deren Gesicht im Spiel der sich leicht bewegenden Schatten des Lichtes aus inzwischen zwei Laternen noch anmutiger und lieblicher war als am Tage, in die Augen. Ein Moment war es still, dann antwortete er.
    „Ein Feuer ist leider keine gute Idee. Man müsste immer wieder raus, um es zu unterhalten und innerhalb des Lichtscheines wäre man nahezu blind gegenüber dem, was in der Dunkelheit vor sich geht. Essen kann ich sowieso nichts wegen der Aufregung. Hier drin ist es viel sicherer ohne Feuer, vor allem, wenn auch kein Licht brennt. Du hast doch noch Brot und anderes Leckeres im Proviantkorb?“ Er bemerkte überrascht, wie sie ihre Stirn in Falten legte, etwas betrübt ihn ansah und auch etwas sagen wollte – dann glaubte er zu begreifen.
    #73VerfasserJean-Louis05 Feb. 09, 13:18
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    „Ach so, natürlich, du willst dich umziehen und… und… meinst ganz sicher, es schickt sich nicht, dass ich auch im Wagen schlafen würde. Ja… ähm, ja… Es wird auch besser sein, wenn ich doch bei den Pferden Wache halte. Ich nehme mir die zwei Decken mit. Das geht doch in Ordnung?“ Mit hochrotem Gesicht rutschte er an die Bodenklappe, zog sich mit ungeschickten Bewegungen die Schuhe an, nahm die auf der zweiten Strohmatte liegenden Decken an sich und rutschte durch die Luke in die sumpfige Wiese.
    „Ich werde es mir auf einem dieser Felstürme bequem machen. Dort oben kommt niemand hin, ohne dass ich ihn abwehren kann. Bitte, schließe die Bodenklappe und verriegle sie sorgfältig. Ach ja, meine Schwerter nehme ich besser mit. Gute Nacht, liebe… werte… Halica.“

    Er griff sich die Schwerter, die neben seinem Bündel in der Ecke bei der Truhe lagen und ohne auf eine Antwort zu warten, verschwand sein Kopf in der Dunkelheit unter dem Wagen. Seine patschenden Schritte um den Wagen waren noch zu hören, dann entfernten sie sich. Nach ein paar Schritten blieb er stehen, schaute kurz zurück und winkte, weil er sah, dass Halica ihm durch eine kleine, nicht verschlossene Öffnung in der vorderen Plane hinterher blickte. Dann ging er rasch weiter.

    Die erste gemeinsame Nacht – aber, das Grauen wartet

    Sie sah ihm sprachlos nach. Sie verspürte auch keinen Hunger und das Problem hatte sich zwar von selbst gelöst, aber froh war sie deswegen immer noch nicht, denn die Angst um ihn blieb trotzdem. Ein paar Mal war sie kurz davor, ihn zurückzurufen. Es schien ihr, dass er sehr einsam aussah, wie er da in einiger Entfernung auf dem Felsen saß. Sie schloss die Bodenklappe, verriegelte sie sorgfältig, löschte die Flammen in den Laternen und stellte sie wieder in die Halterungen an den Truhen. Mit schwerem Herzen und seufzend kuschelte sie sich dann nach schier endlosem Warten unter die Decken. Ein paar Mal fielen ihr vor Müdigkeit die Augen zu, nur um dann sofort wieder aufzugehen. Die Sorge um ihn ließ sie keinen Schlaf finden. Immer wieder kroch sie zu der Öffnung und spähte hindurch, suchte die Umrisse ihres neuen Liebsten gegen das helle Mondlicht auf der Felsnadel.

    In ihrem Kopf hatte sich ein Bienenschwarm eingenistet. Ihre Gedanken kreisten ständig um die Gefahr, in der er schwebte. All ihre Sinne waren geschärft, bei jedem noch so kleinen Geräusch lauschte sie, woher es kam und ihr Bogen lag längst griffbereit neben ihr. Die Pfeile passten nicht zufällig durch die Öffnung in der Plane, von der es noch mehr gab, die aber verschlossen waren. Schon des Öfteren musste sie durch diese auf Räuber und wildes Getier schießen. Es mussten schon ein paar Stunden vergangen sein und Halica war ohne es zu bemerken eingeschlafen, als sie plötzlich hoch schreckte, von einem Geräusch geweckt, welches sie nicht zuordnen konnte. Angestrengt schaute sie durch den Spalt – es musste längst Mitternacht sein. Erst dann bemerkte sie es.
    „Oh, bei den Göttern“, stieß sie erschrocken heraus. Ihre Augen wanderten über die Felsnadel, dann über die anderen, suchten und suchten. Er war weg. Fieberhaft strichen ihre Augen voller Ungeduld über alles, was sie erkennen konnte. Es war doch so hell – sie müsste ihn doch sehen können, dachte sie verzweifelt. Aber sie konnte ihn nicht entdecken. Dann hörte sie es wieder, das Geräusch, welches sie geweckt hatte. Ein tiefes, kehliges Grollen, in ein beängstigendes Knurren übergehend. Ihre Nackenhaare stellten sich auf und eine Gänsehaut überzog sie. Ihre Hand tastete nach ihrem Bogen, während sie weiter nach draußen sah. Ohne hinsehen zu müssen legte sie einen Pfeil an und spannte leicht die Sehne. Sie hielt den Bogen nun mit dem Pfeil auf Augenhöhe an der Öffnung schussbereit und wartete.
    #74VerfasserJean-Louis05 Feb. 09, 15:13
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    Als Telmy die Pferde erreicht hatte, schnaubten diese leise, rupften aber gleich wieder einige Grasbüschel aus und kauten seelenruhig. Behände kletterte er auf den ersten, größten Felsenturm und setzte sich auf die relativ flache Kuppe, die Schwerter neben sich legend. Auf der einen Decke saß er im Schneidersitz und hatte sie sich noch über den Rücken gezogen, die andere hing er sich über den Kopf und zog sie vorne zu. Nur die Nase und die Augen waren frei. Sein Blick ging im vollen Mondlicht nach links bis weit in das Tal hinunter, vor sich hatte er den Wagen, rechts die zwei großen Bäume und dahinter verlor sich alles in das Hochgebirge hinauf. Es wurde rasch merklich kühler. In der Ferne schimmerte das ewige Eis der Gletscher in der Gebirgsflanke leicht silbrig. Die Schatten der Nacht waren undurchdringlich schwarz und die ganze Gegend lag im Mondlicht in Grautönen vor ihm. Lange Zeit blieb es ruhig – selbst die Pferde waren stumm. Sein Blick wanderte oft zum Wagen und von Müdigkeit war nichts zu spüren. Kurz nach Mitternacht wurden die Pferde etwas unruhig. Telmy saß in diesem Moment völlig regungslos auf der Steinkuppe, als wäre er selbst ein Stein. Er hob nur den Kopf ganz langsam etwas. Seine Augen waren vollständig schwarz mit einem großen, flackernden, rötlichen Ring um die Pupillen, der immer breiter und breiter wurde.

    Das Aussehen des Tales hatte sich für ihn verändert. Es gab keine schwarzen Schatten mehr – er sah alles in blassem, rötlichem Licht – aber ganz deutlich. Und er sah auch die Gestalt, welche am anderen Rand des Tales sehr schnell von einem größeren Felsen zum nächsten huschte, um die Sumpfwiese fast zu umrunden. Telmy dachte, das Ziel der Gestalt seien sicherlich die großen Bäume, doch genau auf der anderen Seite über den Wagen hinweg trat sie hinter einem Felsen hervor und reckte sich zu voller Größe, mit hoch erhobenem Kopf. Ein fürchterliches Grollen schallte über die Wiese und durch das Tal. Kein Zweifel - ein Werwolf. Telmy wusste aus seinen Träumen und von der Erzählung des ihn abgewiesenen Mädchens, dass das Ungeheuer nicht zufällig hier war. Es war ihnen gefolgt – besser gesagt, nur ihm! Jetzt sprang er auf, nahm ganze zwei Schritte Anlauf und sprang über eine 15 Schritt breite Schlucht hinweg auf den nächsten Felsenturm, der etwas niedriger war und von dort direkt hinunter auf einen einzelnen Felsen in den Schatten, um sich darauf nieder zu kauern – jeden Muskel im Körper angespannt und sein Äußeres gespenstisch verändernd.

    Der Werwolf hatte sein vermeintliches Opfer längst gewittert und nun auch gesehen. Er schlich auf den Wagen zu. Mit aufgeblähten Nasenlöchern nahm er dort Halicas Witterung auf. Seine patschenden Schritte kamen dem Wagen immer näher, bis das Untier direkt an der hinteren Bordwand stand. Ein unheimliches, dumpfes Knurren kam aus seiner Kehle. Mit entblößten Fangzähnen zog es hörbar die Luft in seine Nase, wandte sich aber der lauernden Gestalt am Fuße der Felsnadeln zu. Mit einem wilden Fauchen raste es plötzlich in aberwitziger Geschwindigkeit schräg über die Wiese, um über eine halben Meile entfernt sein Grollen mit wieder erhobenem Kopf in die stille Nachtluft hinaus zu schreien. Die glühend roten Augen konnte auch Halica sehen, die wie in einer Theaterloge das Kommende auf der Wiese vor sich hatte.

    Telmy sprang aus der dunklen Stelle auf dem Felsen hinab auf den Boden. Er kauerte vor dem Felsen und gab ein sehr viel bedrohliches Knurren von sich, als sein Gegner. Er hatte seine Oberlippe weit über die spitzen, gefletschten Zähne zurückgezogen und knurrte noch wütender und wilder. Nur einmal blickte er kurz zum Wagen, mit ebenso glühend roten Augen. Dort verfolgte Halica atemlos, was vor sich ging. Als der Werwolf in ihr Blickfeld gekommen war, hielt sie den Atem an. Was für eine grauenhafte Bestie. Sie merkte, dass ihre Hand am Pfeil leicht zitterte und betete zu den Göttern. Hoffentlich hatte er Telmy nicht erwischt, da sie ihn doch nicht mehr gesehen hatte. Doch dann sah sie erleichtert, wie er geschickt aus einem dunklen Schatten von einem Felsen sprang. Diese Bewegung wirkte fast übermenschlich elegant. Wie fürchterlich, auch seine Augen leuchteten rot und was für ein zusätzlicher Schreck, er war unbewaffnet. Doch es war ein anderer Ausdruck in seinen Augen, als in denen der Bestie, glaubte Halica zu erkennen, als er zu ihr hin sah.
    #75VerfasserJean-Louis05 Feb. 09, 16:11
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    Sie atmete tief durch, um ruhiger zu werden und zielte auf den mächtigen Brustkorb des Werwolfes, wohl wissend, dass sie ihn ohne Silber in der Pfeilspitze nicht töten konnte. Aber sie konnte ihn auf jeden Fall verletzen und Telmy damit einen Vorteil verschaffen. Die beiden knurrten sich gegenseitig an, die Bestie hob den Kopf weit in die Höhe. Dies war der richtige Moment - sie spannte den Bogen so fest sie konnte und ließ den Pfeil dann los, welcher mit einem kaum hörbaren, feinen, pfeifenden Geräusch durch die kühle Nachtluft glitt. Doch unmittelbar bevor er die anvisierte Stelle des Werwolfes treffen konnte, sprang dieser auf Telmy ein Stück zu und der Pfeil traf ihn nur in die Seite. Mit einem wütenden Jaulen drehte er sich um und fixierte Halicas Blick. Sie hatte blitzschnell schon den nächsten Pfeil eingelegt und schoss ihn sogleich ab. Diesmal traf er ihn mitten ins Herz. Der Werwolf krümmte sich aber nur kurz vor Schmerz und machte sich gleich darauf zum Sprung in Halicas Richtung bereit. Den ersten Pfeil hatte er einfach abgebrochen, die Spitze in seiner Seite stecken gelassen. Der zweite ließ ihn kurz straucheln, wurde aber von ihm selbst mit den Pfoten aus der Brust gerissen. Blut spritzte kurz und heftig aus der Wunde, die sich aber ebenso schnell wieder schloss, wie sie entstanden war. Offenbar hielt er jetzt Halica für den ernsthafteren Gegner, weil er rasend wurde und sich unübersehbar anschickte, zu ihr zu hetzen. Und tatsächlich, mit einem riesigen Sprung begann er, zu dem Wagen zu rennen.

    Telmy hatte abgewartet, obwohl ihn die Untätigkeit fast wahnsinnig machte. Mehrfach wollte er seinerseits zu einem Sprung ansetzen, hielt sich aber fauchend zurück. Jetzt hielt ihn aber nichts mehr. Im selben Augenblick, in dem der Werwolf auf Halica losging, schoss auch Telmy über die matschige Wiese. Er raste mit äußerster Kraft auf die Bestie zu und prallte keine fünf Schritte vor dem Wagen mit einem entsetzlichen Fauchen mit ihr zusammen. Es klang für Halica, als würden zwei mächtige Felsbrocken ineinander krachen – wie ein Donnerschlag. Das Untier wurde heftig zur Seite geschleudert und Telmy flog in einem hohen Bogen über den Wagen hinweg. Ein schmatzendes Platschen machte seinen Aufschlag hörbar. Die Elfe zuckte dabei zusammen, als ob sie selber Schmerzen hätte. Doch schon war der Werwolf wieder 100 Schritte weit von Wagen weg und Telmy flog am Wagen vorbei über die wässerige Wiese ihm entgegen, sich zwischen ihn und den Wagen stellend. Nur wenige Schritte voneinander entfernt umkreisten sie sich dann gegenseitig, beide halb geduckt, zum entscheidenden Sprung angespannt, mit fortwährendem Knurren. Halica zielte erneut auf den Werwolf, aber da der Kampf in vollem Gange war, konnte sie nicht schießen, ohne dabei zu riskieren, Telmy zu treffen. Ihr blieb nichts anderes übrig, als hilflos zuzusehen. Dabei behielt sie den Bogen aber weiterhin schussbereit, immer auf eine gute Gelegenheit für den nächsten Schuss wartend.

    Der Werwolf zögerte. Er war zwar einen Kopf größer als sein Gegner, doch dieser war kein leichtes Opfer, kein degenerierter, schwächlicher Blutelfe. Der Werwolf spürte, dass er einen ursprünglichen Todfeind vor sich hatte, etwas sehr Gefährliches, was es schon länger nicht mehr in dieser Form geben sollte. Das Ungeheuer ließ sich Zeit, suchte nach einer winzigen Unaufmerksamkeit bei Telmy und streckte sich immer wieder zum Sprung. Telmy war aber hoch konzentriert, wich immer etwas zurück, wenn ein vermeintlicher Angriff beginnen sollte, wartete seinerseits auf einen entscheidenden Fehler des Untieres. Für Halica war dieses gegenseitige Belauern Nerven zerreißend.
    #76VerfasserJean-Louis06 Feb. 09, 08:38
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    Der Werwolf machte plötzlich auch einen Satz nach vorn, als der Blutelfe ebenfalls in einer Vorwärtsbewegung war. Telmy täuschte ein hastiges Ausweichen an und hätte beinahe den Werwolf an dessen offener Kehle erwischt, doch dazu war dieser ein viel zu erfahrener Jäger. Er wich sehr schnell aus und versetzte dem rasenden Blutelfen einen gewaltigen Prankenhieb an den Kopf und gleich noch einen. Telmys linke Gesichtshälfte hing in Fetzen, sein halber Brustkorb war eine einzige grässliche Wunde. Aber er spürte nichts davon – im Gegenteil, der Geruch seines eigenen herab rinnenden Blutes machte ihn noch wilder. Obwohl er dem Angreifer körperlich unterlegen war, hatte er etwas, was diesem höchsten Respekt abnötigte. Der Biss eines Blutelfen war giftig. Nicht sofort tödlich, aber schnell lähmend. Dies wusste der Werwolf sehr genau. Es ging deshalb eine ganze Zeit lang nur hin und her. Knurren, Heulen, Fauchen. Dann war aber Telmy schneller. Ein kurzer Biss an der linken Schulter, der ein großes Stück Fleisch mit herausriss, bevor der aufheulende Werwolf mit einem weiteren Prankenhieb seinen Gegner davon schleudern konnte.

    Gespannt und völlig überreizt verfolgte Halica das ganze Geschehen und schrie entsetzt auf, als sie die Wunden von Telmy sah. Sie verfluchte diese Situation und war mehr als einmal nahe daran, nach draußen zu stürmen und ihm zu helfen. Untätiges Herumsitzen war einfach nicht ihre Art, wusste sie doch nicht, dass Telmy jetzt nur noch etwas zu warten brauchte, was seiner eigenen Schwächung entgegen kam. Der linke Arm des Werwolfes war zuerst gelähmt, dann fing er an zu taumeln und stürzte schließlich zu Boden. Da war der Blutelfe bereits über ihm und riss dem Untier die Kehle auf. Mit jedem Herzschlag wurde ein Strahl des Blutes herausgepumpt, welches sofort gierig getrunken wurde. Nachdem aus dem Werwolf ein ausgesaugter Kadaver geworden war, erhob sich Telmy. Seine Verletzungen und Wunden waren verschwunden, als ob es sie nie gegeben hätte. Seine Kleidung war allerdings zerfetzt und er war von oben bis unten blutbesudelt.

    Merkwürdig fasziniert sah die Elfe vom Wagen aus zu, wie der Werwolf zu Boden ging und Telmy gierig sein Blut trank. Jetzt dämmerte es ihr. Deswegen hatte Arwin sie gewarnt, Telmy war ein Blutelfe. Halica war fassungslos. Sie hatte die Geschichten über diese Wesen immer für Legenden gehalten; Erfindungen, um Kindern am Lagerfeuer Angst einzujagen. Sie hätte nie vermutet, dass es sie wirklich gab. Auch das noch. Da drehte er sich um und blickte zum Wagen. Die Augen waren wieder ganz schwarz geworden, leuchteten nicht mehr rot. Schnell ging er zum Wagen und bekam wenige Schritte davor Halicas so unendlich verführerischen Duft in die Nase. Sofort flammten die roten Ringe in seinen Augen wieder auf und er gab ein leises Knurren von sich. Dann wartete er einen Augenblick und sagte:
    „Liebe Halica, ich möchte in den Wagen, meine Wunden pflegen“ wobei er aber zum Boden sah.

    Als er nun draußen stand und sie bat, ihn hereinzulassen, schüttelte sie traurig den Kopf. Wie er so dastand, so unwirklich schön. Sie wollte ihn so gerne herein lassen, aber es war unmöglich. Heute Nacht wäre es wohl weniger gefährlich gewesen, den Werwolf in den Wagen einzuladen.
    „Welche Wunden willst du denn pflegen, Liebster? Du bist ganz und gar unverletzt. Du kannst dir nicht vorstellen, wie gerne ich dich herein lassen würde, aber dieser Wagen bleibt für dich verschlossen bis die Sonne aufgeht“, rief sie ihm mit Tränen in den Augen zu.
    Sein Knurren wurde stärker. Er ging zum Wagenende und versuchte, die verriegelten Verschlüsse der Bordwand zu öffnen. Fauchend rüttelte er daran. Dann kroch er unter den Wagen und versuchte, die Bodenluke aufzudrücken. Er hob dabei die hintere Wagenhälfte an und ließ ein dunkles Grollen aus seiner Kehle. Eine Zeit lang war es still, als der Wagen wieder auf dem Boden stand.
    #77VerfasserJean-Louis06 Feb. 09, 09:30
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    Ein leises Schmatzen des Matsches verriet kurz darauf, dass er sich um den Wagen herum bewegte. Plötzlich sprang er in einem Satz auf den Fuhrmannsbock und starrte durch die Öffnung mit tiefrot leuchtenden Augen. Er sog den für ihn so süßen Geruch von Halicas Haut ein, aber sein Knurren glich jetzt eher dem Schnurren einer Großkatze. Dann war er mit einem weiteren Sprung in der Wiese und sehr schnell bei den Felsnadeln. Als wäre der Fels eine Leiter, kletterte er in Windeseile hinauf und legte sich bäuchlings auf die Decken, das Kinn auf die Arme. Bis zum Sonnenaufgang lag er so da und seine Augen waren zwei rote Punkte, die nur auf den Wagen fixiert waren. Mit der Morgendämmerung schloss er sie und schlief ein. Während er um den Wagen geschlichen war und daran rüttelte, blieb Halica stur sitzen. Sie wusste genau, dass er den Wagen nicht aufbekommen würde, was er auch versuchen sollte. Als er vor der Öffnung auftauchte und sie ansah, lächelte sie ihn an. Er sollte ja nicht denken, sie hätte Angst vor ihm. Als er wegging, sah sie ihm noch hinterher, kroch dann auf ihr Lager und kuschelte sich wieder in die Decken. Kurz darauf schlief auch sie ein.

    Von den Sonnenstrahlen geweckt, die durch die Öffnung auf ihr Gesicht schienen, stand sie noch etwas müde auf. Sie füllte Wasser in die Waschschüssel, zog sich aus und wusch sich, danach kleidete sie sich wieder an und nahm den Korb mit dem Proviant. Halica kletterte durch die Luke nach draußen und lief zu den Felsen, stellte den Korb in der trockenen Wiese ab. Dann besah sie sich die Felsnadel, auf der Telmy noch immer schlief, fand einen Aufstieg und kletterte geschickt hinauf zu ihm. Wie friedlich er aussah. Sie kniete sich neben ihn, strich mit der Hand die Haare aus seinem Gesicht und flüsterte:
    „Aufwachen, du Schlafmütze. Die Sonne lacht, es wird ein wunderschöner Tag.“

    „Aaahh – Neiiin!“, rufend schreckte Telmy hoch und rollte sich zur Seite, wo er über die Kante der Felskuppe fiel. Gerade noch erwischte er mit einer Hand einen breiten Spalt und konnte sich festhalten. Hin und her baumelnd blinzelte er in die Morgensonne, dann zog er sich wieder nach oben und blieb einen Moment benommen liegen.
    „Was machst du hier? Ich habe wieder so schrecklich geträumt. Ich fühle mich, als wäre ich wirklich von dem Felsen gefallen.“ Dann hob er den Kopf und sah in das erschrockene Gesicht von Halica, mit einem honigsüßen Lächeln und einem freudigen Strahlen in den bernsteinbraunen Augen. Aber sogleich verzog er die Nase und rümpfte sie.
    „Hier riecht es gar nicht gut – wie… hm… wie verwesendes Blut!“

    Als Telmy so plötzlich über den Felsen fiel, setzte Halicas Herz einen Schlag lang aus, doch als er wieder hoch kam, so verwundert schaute und die Nase verzog, musste sie lachen. So schreckhaft war Arwin früher nicht gewesen.
    „Was hier so riecht, das bist du. Das ist das Blut des… Wolfes, den du heute Nacht so heldenhaft erlegt hast. Ich schlage vor, du gehst dich waschen und ich bereite unser Frühstück vor.“ Dass es ein Werwolf war und wie er ihn zur Strecke gebracht hatte, verschwieg sie ihm lieber. Sie glaubte nicht, dass er wusste, dass er ein Blutelfe war – er hatte keinerlei bewusste Erinnerung an sein Tun in der vergangenen Nacht. Halica lächelte ihn noch einmal an, dann kletterte sie wieder hinunter, lief zum Wagen, stieg hinein, nahm eine Decke, kam wieder heraus und ging zurück zu den Felsen. Dort breitete sie die Decke aus und nahm Brot und Marmelade aus dem Korb. Als sie den Wasserschlauch herausholte, merkte sie, dass er fast leer war. Sie wollte mit dem Auffüllen aber warten, um Telmy Gelegenheit zu geben, sich ungestört waschen zu können. Deswegen setzte sie sich hin und summte eine Melodie, während sie auf ihn wartete.
    #78VerfasserJean-Louis06 Feb. 09, 10:08
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    Telmy stand auf, immer noch nicht ganz klar im Kopf und besah sich. Die Handschuhe waren nur noch Fetzen, der Lederrock wohl ruiniert und die restliche Kleidung auch voller Blutspritzer und noch dazu blutverschmiert.
    „Bäh – so eine Sauerei. Ich stinke und muss grauslich aussehen“, sagte er zu Halica und merkte erst jetzt, dass sie schon runtergeklettert war und zum Wagen lief. Hinter den Felstürmen verlief ein Bach, an dem gerade die Pferde standen und tranken. Er schnappte seine Schwerter, die zwei Decken, wickelte ein Bündel daraus und kletterte ebenfalls hinunter. Dann ging er zwischen den Felstürmen hindurch und schaute erstmal, ob ihn Halica am Bach wirklich nicht sehen konnte. Sie war aber schon wieder hinter der ersten und höchsten Felsnadel verschwunden. So trat er ans flache Ufer, legte den zerrissenen Rock beiseite und versuchte, die zerfetzten Handschuhe nass machend, seine Hose und die Stiefel damit abzuwischen. Doch, mit feuchtem Abwischen konnte er nichts erreichen, so zog er sich ganz aus und nahm die ebenfalls blutverschmierte Decke, auf der er wohl gelegen hatte, wusch diese zuerst aus und reinigte damit seine noch brauchbare Kleidung, die er auf dem felsigen Streifen am Bachrand ausgebreitet hatte. Das Hemd war auch nicht mehr zu retten. Ganz in das Wasser wollte er die Ledersachen nicht tauchen, sonst wäre das Leder ewig nicht mehr trocken geworden.

    Ihn fror schon in die Hände, das Wasser war ziemlich kalt. Nachdem er mit den wenigen Teilen fertig war, versuchte er mühselig, sich die Brust abzuwischen. Aber, er verschmierte nur noch alles breiter, weshalb er sich entschloss, die Decke noch mal auszuwaschen und dann in den Bach zu steigen und sich richtig zu waschen. Gedacht, getan. Er bibberte bei den ersten Schritten. Dann nahm er die Hände voll Wasser und schüttete es sich auf die Brust.
    “Iiiee, huuh, huuh – das ist so kalt“, rief er laut. Trotzdem ging er in die Hocke und wusch so schnell er konnte seinen Körper ab. Er gab noch ein paar gequälte Schreie von sich und musste sich abermals überwinden, auch den Kopf ins Wasser zu stecken, um die Haare sauber zu bekommen. Er gab keinen Ton mehr von sich, bis er es nicht mehr länger aushielt. Mit einem Satz sprang er aus dem Bach und führte dann einen merkwürdigen Tanz auf. Abwechselnd hopste er von einem Bein auf das andere im Kreise, schlug mit den Armen um seine Brust und gab seltsame, grunzende Laute von sich.
    „Huh, huh, ha, huschel.“ Dann schnappte er die trockene, saubere Decke, hüllte sich damit ein, nahm alles andere auf und ging mit kleinen Schritten, leicht gebückt um die Felsen herum, dorthin, wo Halica die Decke auf dem trockenen Wiesenteil ausgebreitet hatte. Er legte die Sachen neben die Decke, kauerte sich auf den Boden und bibberte mit klappernden Zähnen.
    „Was ziehe ich jetzt an? Mich friert so elend. Dieses kalte Wasser zieht einem ja alles zusammen! Ich bräuchte was zum Abtrocknen, die Decke ist auch schon nass.“ Seine Augen flehten sie an und seine Haut war schneeweiß.

    Halica grinste, als sie ihn zitternd und frierend ankommen sah. Natürlich hatte sie ihn die ganze Zeit gehört und war mehrmals versucht, sich an die Ecke der Felsnadel zu schleichen, um ihm zuzusehen.
    „Warte hier, ich gehe rasch in den Wagen und leg dir etwas zum Abtrocknen hin. Ich hab auch noch Kleidung von Arwin dabei, die dürfte zwar ein wenig zu groß sein, aber bestimmt nicht viel. Ich bin sicher, er hätte nichts dagegen, dass du sie trägst.“
    Eine fröhliche Heiterkeit hatte sich in ihrer Brust ausgebreitet und so lief sie kichernd zum Wagen. Sie stieg wieder durch die Luke hinein und holte alles, was er brauchen würde, aus den Schubladen. Als sie eines von Arwins Hemden in die Hand nahm, roch sie daran und schmiegte es an ihre linke Wange. Jetzt würde er sogar riechen wie Arwin. Sie seufzte, legte alles lächelnd auf einen ordentlichen Stapel, stieg wieder raus und patschte durch die nasse Wiese zurück.
    „So, ich hab dir alles hingelegt. Könntest du bitte die Vergitterung wieder öffnen, wenn du fertig bist? Ich muss gestehen, dass ich mich da nicht so auskenne und durch die Luke zu klettern wird auf die Dauer zu mühsam.“
    #79VerfasserJean-Louis06 Feb. 09, 10:14
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    „Äh – ja, Hauptsache ich friere nicht mehr, und… und… ich ziehe mich gleich im Wagen an, dann öffne ich auch gleich die Kettengitter.“ Immer noch leicht gekrümmt ging er zum Wagen und war darin verschwunden. Nicht lange, dann schlug er die vorderen Planenhälften zur Seite und kletterte über die Bordwand auf den Kutschbock. Mit hochgekrempelten Hosenbeinen und einmal zurück geschlagenen Ärmeln kam er angelaufen, die Jacke über dem Arm. Die Kleidung war nur an Ärmeln und Beinen etwas zu lang, ansonsten gut passend. Er setzte sich zu ihr und zog zuerst die Schuhe, dann die Jacke an.
    „Passt ziemlich gut, die Kleidung. Ich gieß uns Wasser ein – oh, leer. Ich hol schnell neues.“ Fix war er am Bach und füllte den Wasserschlauch. Er schauderte noch einmal, als er mit dem kalten Wasser in Berührung kam. Anschließend goss er die Becher voll und setzte sich wieder.
    „Merkwürdig. Ich dachte, es sei nur einer dieser schlimmen Träume gewesen. Aber das Blut und die kaputte Kleidung? Was…“

    Er stockte, befühlte das Hemd an seiner Brust und sah zu Halica. Lächelnd nahm er ihre Hand, während sich seine Augenfarbe ins Bläuliche veränderte. Dann küsste er ihren Handrücken. Halica hatte ihn mit gemischten Gefühlen angesehen, als er zurückkam. Ihm standen die Kleider genau so gut wie Arwin. Als er sich nach dem Wasserholen zu ihr setzte und ihre Hand nahm, krampfte sich ihr Magen zusammen. Sie sah auf ihre Hand, die er langsam an seinen Mund führte, dann blickte sie auf und sah ihn an. Seine Augen waren wieder blau. Sie konnte nicht anders, warf sich ihm in die Arme, legte ihren Kopf auf seine Schulter und hielt ihn so fest, als wollte sie ihn nie wieder loslassen. Die Anstrengungen der letzten Wochen und die Ängste der vergangenen Nacht kamen in ihr hoch und sie spürte die Tränen an ihren Wangen hinunterlaufen. Es dauerte einen Moment, ehe sie sich wieder beruhigt hatte und den Kopf hob. Es war immer noch Arwins Blick, der ihr begegnete. Mit dem Handrücken wischte sie sich die letzten Tränen weg.
    „Ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr ich dich vermisse“, keuchte sie und spürte abermals, wie sich eine Träne aus ihren Augen stahl. „Ich liebe dich so sehr.“

    Lange sah er ihr in die Augen, streichelte sanft ihr Haar und ihren Hals, bevor er leise zu sprechen anfing.
    „Ich weiß, so sehr, wie ich auch ich dich liebe und immer lieben werde. Elflein, du siehst meine Augen, du hörst meine Stimme und atmest den Duft meiner Kleider - aber… aber du spürst mich nicht, du wirst mich nie mehr spüren. Du wirst nur noch ihn spüren. Seine Hände werden einmal deine seidige Haut streicheln, sein Körper wird dir all diese Verzückungen geben, die ich dir einmal gegeben habe. Doch, er wird es sein, nicht ich.“ Dann nahm er Halicas Kopf zwischen seine Hände und sah ihr tief in die feucht glänzenden, grünen Augen.
    #80VerfasserJean-Louis07 Feb. 09, 17:19
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    “Verstehst du mich? Ihn musst du lieben, ihn allein, ohne dabei an mich zu denken, auch wenn es dir sehr schwer fällt. Was geschehen ist, kann nicht rückgängig gemacht werden. Die Hexe Auinaya hat nicht uneigennützig geholfen. Sie wusste, dass meine Rettung auch die von Telmy sein würde. Warum das so sein muss, weiß ich nicht und wird sich wohl nie herausfinden lassen. Denke zukünftig immer daran, er ist ein halbes Untier. Seine gute Seite hat sich in dich, mein tapferes, geliebtes Mädchen, verliebt, seine dunkle in deinen Geruch, in dein Blut. Ich bin noch nicht stark genug, ihn am Vorabend des Vollmondes und an diesem selbst von seinen finsteren Gelüsten abzuhalten. Dazwischen wird dir nichts geschehen. Ich ahne aber, dass es einen Weg gibt, um ihn zu erlösen, um ihn zu dem zu machen, was er sein sollte, deinem Liebsten, deinem Einzigen, den, der dich einmal genauso lieben wird, wie ich es noch immer tue. Mein Elflein, ich weiß wie stark du bist und du wirst es schaffen, wenn du es wirklich willst. Finde den Weg, um ihn zu deinem Mann zu machen, denn ich werde immer ein Teil von ihm sein. Deine Liebe ist der Schlüssel zu unserer Zukunft - deiner, meiner und seiner. Vielleicht erkennst du mich dann eines Tages nicht mehr, weil meine Seele mit seiner zusammenfließt. Wenn dadurch seine dunkle Seite ausgelöscht wird, ist es dieses Opfer wert. Dann sind wir beide Eins, Arwin und Telmy.“

    Die Augen verblassten etwas, wurden aber schnell wieder strahlend blau und Telmys Lippen näherten sich denen von Halica.
    „Versprich mir, dass du ihn auf Abstand hältst, bis du herausgefunden hast, wie du das Werk dieser Hexe vollenden kannst, um ihn und mich wieder zu einem normalen Leben in seinem Körper hinzuführen. Küsse ihn – mich – jetzt, wenn du willst, aber gehe danach sofort auf Abstand. Dann wird er denken, es sei nur einer seiner Tagträume gewesen.“ Seine Augen strahlten jetzt wie sonnendurchflutete Saphire. Halica hatte ihn die ganze Zeit nur stumm angesehen, während er sprach. Als er nun endete, wirkte sie traurig. Dass zwei Seelen in diesem Körper wohnten, war eine Qual für beide, Telmy und Arwin. Sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, was Auinaya damit bezweckt hatte. Aber im Moment wollte sie nicht daran denken. Dieser kurze Augenblick war ihr viel zu kostbar. Sie lehnte sich vor, legte all ihre Liebe in ihren Blick und küsste ihn dann mit all der Hingabe, zu der sie fähig war. Auch wenn sie ihn nicht mehr spüren konnte, so konnte er sie aber durch Telmy spüren. Sie wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, als sie sich langsam wieder von ihm löste. Sie strich mit ihrer Hand über seine Wange und schenkte ihm noch einmal ihr schönstes Lächeln.

    Nach einem kurzen Blick nach unten war es wieder Telmy, der Halica ansah und er brachte wieder sein schiefes Lächeln zum Vorschein.
    „Ich träumte, wir hätten uns geküsst – und du siehst so aus, als wäre es war gewesen“, sprach er mit einem verträumten Blick leise vor sich hin, ehe er kurz über ihren Kopf hinweg schaute. Da hob er den Arm und zeigte plötzlich aufgeregt nach Westen.
    „Oh nein! Sieh doch dort drüben, das ist bestimmt eine riesengroße Schneefront, die da von Westen ankommt.“ Hastig sprang er auf und begann, alles zusammenzupacken.
    „Wenn die uns im Hochgebirge erwischt, dann kann uns das die Pferde kosten! Schnell, Liebste, wir müssen… Oh, das war mir so rausgerutscht… Wir müssen machen, dass wir weiter und durch das Gebirge kommen, ehe der Schnee fällt. Das Tal zieht sich gerade nach Norden hin, nur wir kommen noch höher. Am Nachmittag, spätestens gegen Abend sollten wir am letzten Gipfel vorbei sein, den ich gesehen habe.“
    #81VerfasserJean-Louis08 Feb. 09, 19:11
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    Ohne auf eine Erwiderung von ihr zu warten, rannte er zu den Pferden, führte sie zum Wagen und begann hastig, die Stuten anzuschirren und dann einzuspannen. Halica nahm die Decke unter den Arm, den Korb und das nasse Bündel und folgte ihm zum Wagen, in dem sie alles wieder an seinem Platz verstaute. Dann zog sie wieder ihren Wollumhang über und nahm zwei Decken mit nach draußen. Sie stieg nach vorne über die Bordwand und setzte sich neben Telmy, der schon wartete. Die eine Decke legte sie über ihre und seine Beine und die zweite legte sie sich und Telmy über die Schultern. Die Sonne schien zwar noch, aber die aufkommenden Wolken ließen die windiger werdende Luft immer kühler werden.
    „Lass uns losfahren. Ich weiß nicht, wie gut sich dieser Wagen im Schnee fahren lässt und die Aussicht eingeschneit zu werden, klingt nicht gerade verlockend. Wie lange wird die Reise zu deinem Heimatdorf dauern?“

    „Ich war vier Tage unterwegs, zu Fuß und auch auf Gespannen mitfahrend, um nach Hohenerzberg zu gelangen. Wenn wir weiter so gut vorankommen, müssten wir übermorgen am späten Nachmittag das Adlergebirge erreichen. Hoffentlich macht uns das Wetter keinen Strich durch die Rechnung. Wenn es im Norden allerdings stark schneit, ist es fraglich, ob wir in den Nebelgrund gelangen können. Das ist ein großes, kesselförmiges Tal, umgeben von hohen Bergen, auf denen auch im Sommer Schnee und Gletscher vorhanden sind.“ Jetzt ruckte er an der Leine, gab das Kommando „Hoh, Hoh“ und die Pferde zogen kräftig an. Diesmal ließ Telmy sie gleich im Trab laufen, sobald sie aus der sumpfigen Wiese heraus waren. Der vor ihnen liegende Weg war manchmal völlig eben, dafür sehr staubig, dann wieder sehr holprig, was den Wagen arg durchrüttelte. Er hatte Halica in den Arm genommen, als die ersten weißen Flocken langsam vom Himmel herab schwebten. Die Temperatur sank beständig und Telmy machte sich Sorgen, weil sie doch recht ungeschützt auf dem Kutschbock saßen. Halica ahnte dies und so machte sie Telmy auf den Wetterschutz aufmerksam, mit dem der Wagen ausgestattet war.
    „Weißt du, Arwin hat auch für schlechtes Wetter gut vorgesorgt. Du musst den schmalen Kasten, der vor unseren Füßen quer über den ganzen Wagen geht, öffnen. Schau doch bitte mal nach.“

    Telmy verlangsamte die Fahrt und schließlich blieben die Pferde stehen. Er schlug die Decke von seinen Beinen, um die Verschlüsse an dem Kasten öffnen zu können. Als er den in Scharnieren befestigten Deckel aufklappte, sah er einen zusammengerollten Lederschutz. Er zog das weich gegerbte Rindsleder heraus und hatte so einen Schurz bis hinauf zur Brust. An den Seiten waren eingeklappte Teile angenäht, die er unten mit kleinen Riemen an Ösen befestigen und den Schurz so seitlich schließen konnte. Am oberen Rand lief ein dünner Strick durch Schlaufen, welcher an beiden Enden mit Haken in Ringe an den Seitenbordwänden eingehängt werden konnte. In der Mitte war das Seil, das aus zwei Teilen bestand, zusammengeknotet, so dass man die Bewegungsfreiheit für die Personen hinter dem Schurz einstellen konnte. Bevor er dies tat, löste er noch die Befestigungen eines Bügels am ersten Stab des Planengestells, den er schon vorher als ausstellbares Planenvordach erkannt hatte, und klappte ihn nach unten, worauf sie unter einem Planendach saßen. Zuletzt zog er wieder die Decke über seine Beine, kuschelte sich in die zweite und an Halica. Dann ging es weiter. Er genoss ihre Nähe wie schon vorher so sehr, dass er schwieg, weil er dieses mehr als angenehme Gefühl einfach auskosten wollte. Auch sie schien ihm nichts sagen zu wollen und schmiegte sich nur an ihn, manchmal einen Seufzer von sich gebend. Der Himmel zog sich bedenklich zu, es wurde zusehends dunkler und der Schneefall verdichtete sich. Die Berggipfel links und rechts des Tales waren schon geraume Zeit nicht mehr zu sehen. Auch der Weg vor ihnen verschwand immer mehr im trüben Licht, welches sich nun über die weiß gewordene Landschaft ausbreitete. Bei Einbruch der Dämmerung begann der Weg sich endlich zu senken, was die Fahrt nun aber gefährlicher werden ließ. In der Dunkelheit aus den Bergen herauszufahren, ohne den Weg zu kennen, war mehr als unklug.
    #82VerfasserJean-Louis09 Feb. 09, 12:33
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    Ein hin und her gerissenes Herz

    Die Landschaft war nur so vorbei geflogen, doch Halica hatte sie nicht wahrgenommen, ja noch nicht einmal, wie alles um sie mit Schnee bedeckt wurde. Die ganze Fahrt über hatte Halica geschwiegen. Es war ihr nicht nach reden, nach ihrem vielleicht letzten Gespräch mit Arwin. Ihre Gedanken wanderten immer wieder zu dem kurzen Moment, die sie mit ihm noch vorhin hatte verbringen dürfen. Sie wünschte sich so sehr ihre gemeinsame Zeit zurück. Jetzt wusste sie wenigstens, dass sie mit ihrer Vermutung, dass Telmy sich nur nicht erinnern konnte, wer er war, falsch lag. Es musste doch einen Ausweg aus diesem Dilemma geben. In ihrem Kopf arbeitete es fieberhaft. Was sie auch nicht verstand, waren diese tiefen Gefühle für Telmy. Warum liebte sie ihn seit dem Blick in seine faszinierenden Augen am Tisch in der Taverne von Eleanor überhaupt, wenn er gar nicht wirklich Arwin war, sondern sich nur mit ihm den Körper teilte? Sie war innerlich völlig zerrissen. Wenn nicht bald etwas geschah, würde vermutlich eine Seele die andere auslöschen und das wollte sie jetzt nicht mehr, denn sie wollte keinen der beiden verlieren. Die einzige Lösung wäre, dass aus den beiden, Telmy und Arwin, wirklich eine Person würde, sich ihre Seelen sozusagen vereinen würden. Aber Halica wusste nicht, ob so etwas überhaupt möglich war.

    Ihre innere Verzweiflung brachte sie wieder den Tränen nahe, aber sie wollte nicht, dass er sie weinen sah. Als ob das alles nicht schon schlimm genug wäre, kam ja auch noch die Tatsache hinzu, dass Telmy ein Blutelfe war, auch wenn Arwin meinte, dass dies nur so bei Vollmond wäre. Auch für dieses Problem mussten sie eine Lösung finden. Dass Telmy von allem nichts ahnte, vereinfachte die Sache auch nicht gerade. Zu gerne hätte sie sich ihm anvertraut um mit ihm zusammen einen Weg zu finden, doch sie wusste nicht, wie er das alles aufnehmen und verkraften würde. Nein, vor ihrem Gespräch mit dem Druiden, diesem Großvater Almeran, würde sie nichts sagen. Halica schob alle Gedanken beiseite, denn im Moment konnte sie nichts an dieser Situation ändern. Erst jetzt fiel ihr auf, wie eiskalt die Luft in der Dämmerung war und sie kuschelte sich noch enger an Telmy, dessen Wärme und Nähe ihr jetzt überdeutlich bewusst wurden.

    Telmy war sehr froh und erleichtert, als urplötzlich einige zum Teil verfallene Gebäude am Wegesrand auftauchten. Als sie nahe genug heran waren, erkannte Halica zuerst eine alte Poststation. Das Haupthaus war allem Anschein nach irgendwann einmal abgebrannt, aber die große Scheune stand noch, wenn auch etwas schief geworden. Er steuerte auf das Tor an der Scheune zu und hielt davor an. Der Schurz war schnell ausgehängt, er sprang vom Bock, öffnete die ächzenden Torflügel und führte die Pferde, welche den Wagen hineinzogen. Nachdem der Wagen in der alten Scheune zum Stehen kam, stieg die Elfe ab und sah sich etwas um, was aber in der Dunkelheit nur begrenzt möglich war. Sie kletterte deswegen schnell in den Wagen, nahm eine Öllampe und entzündete sie. Auf dem Kutschbock zurück leuchtete sie mit der Lampe in Telmys Richtung, der zum Tor gegangen war, die Flügel soeben schloss und rief ihm zu:
    „Es wird Zeit, alles für die Nacht vorzubereiten. Wir sollten die Gebäude durchsuchen, vielleicht gibt es irgendwo eine bequemere Schlafstätte, als im Wagen.“ Telmy kam zurück.
    „Ich denke, wir sollten lieber hier in dieser Scheune bleiben. Die anderen Gebäude scheinen nur noch Ruinen zu sein, wie ich gesehen habe. Schauen wir uns hier drin mal um. Aber besser nicht allein. Wir gehen zusammen und nehmen eine Waffe mit.“

    Er stieg an Halica vorbei in den Wagen, holte auch eine Öllampe und seine zwei Schwerter aus dem Wagen und gab Halica ein Schwert. Dann stiegen beide ab und er ging im Schein der Lampen in die Dunkelheit hinein. Halica hatte zwar keine große Übung im Umgang mit Schwertern, fühlte sich aber mit der Waffe in der Hand doch besser und folgte ihm. Die Lampen warfen in der großen Scheune nicht viel Licht ab. Sie hielt sich daher direkt hinter ihm und sah schemenhaft, dass sich ein paar Schritte vor ihnen eine Leiter befand, die anscheinend zu einem Heuboden führte. Angst hatte sie keine, weswegen sie gleich zu der Leiter ging.
    „Ich prüfe mal, ob diese Leiter noch stabil ist, um oben nachzusehen. Vielleicht liegt noch genügend Heu dort, um ein weiches Lager für uns zu bereiten. Da ich um einiges leichter bin als du, wird sie mich wohl eher aushalten. Halte aber die Leiter gut fest.“
    #83VerfasserJean-Louis09 Feb. 09, 13:15
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    Telmy brummte nur etwas, stellte die Lampe ab und wartete darauf, dass sich Halica auf die Leiter begab. Sie stellte auch ihre Lampe erst einmal auf den Boden und schob das blanke Schwert vorsichtig in ihren Gürtel. Dann stieg sie behutsam nur die ersten drei Sprossen hoch. Die Leiter hielt ihr Gewicht, knackte zwar bedenklich, aber sie brach nicht. Schnell stieg sie wieder hinunter, nahm eine Lampe und erklomm erneut Sprosse für Sprosse, stieg langsam weiter hoch, sich immer nur mit einer Hand festhaltend. Auf jeder Sprosse blieb sie kurz stehen und prüfte die Festigkeit. Als sie endlich oben ankam, hielt sie die Lampe hoch über ihren Kopf, um so etwas besser sehen zu können. Es gab auf dem Boden noch jede Menge Heu, sie würden heute Nacht sehr bequem und warm schlafen können. Da vernahm sie ein leise raschelndes Geräusch auf dem Boden. Sie stellte die Lampe hin und lauschte. Es kam aus dem Heu direkt vor ihr. Langsam schlich sie die paar Schritte hin und schob das Heu ein wenig zur Seite, das Schwert inzwischen zur Abwehr in der Hand, oder auch zum Angriff bereit. In dem Moment, als sie sich weiter nach vorne bückte, sprang eine Katze fauchend auf sie zu. Vor Schreck ließ sie das Schwert fallen und taumelte rückwärts. Sie versuchte noch sich festzuhalten, aber es war zu spät, sie fiel rücklings über die Kante des Bodens und landete direkt in Telmys Armen, der sie geschickt auffing. Nachdem sie ihn einen Augenblick lang mit weit aufgerissenen Augen angesehen hatte, brach sie schließlich in helles Lachen aus.

    Halica war gerade beim zweiten Mal zwei Stufen hochgestiegen, da hielt Telmy die Leiter bereits fest. Direkt vor seinen Augen bewegte sich ihr wohlgeformtes Hinterteil Stufe um Stufe aufwärts und er verfluchte den Schattenwurf der am Boden stehenden Lampe, welcher gerade die Leiter vor ihm im Dunkel ließ und ihn um einen wundervollen Anblick brachte. Kaum war sie oben verschwunden und hatte diesen Boden ausgeleuchtet, hörte er ein Fauchen, ein Poltern und dann kam etwas Dunkles von oben auf ihn zu. Instinktiv sprang er zur Seite und fing es auf. Die Wucht war so groß, dass er in die Knie gehen musste. Kniend hielt er nun Halica in den Armen, so, als wollte er mit ihr die Schwelle zum gemeinsamen Heim überschreiten, wenn er nicht knien würde. Er sah sie wahrscheinlich genau so verdutzt an, wie sie ihn, weil sie zuerst in ein Gelächter ausbrach, dann er selber. Aber nur einen Moment später wurde ihm bewusst, wie wundervoll es sich anfühlte, sie in den Armen zu halten. Wie ihr strahlend schönes Gesicht ihn so honigsüß anlachte, wie sie duftete, wie ihre verlockenden Lippen leicht glänzten im schummrigen Licht der Öllampe. Er konnte nicht anders. Er küsste sie – zuerst vorsichtig, dann leidenschaftlich und sehr lange.

    Als er sie auf einmal mit seinen braunen Augen ernst ansah, bekam sie einen Kloß im Hals und ihr Lachen verstummte augenblicklich. Seine Lippen kamen rasch ihren immer näher und sie vergaß beinahe das Atmen. Sein Kuss raubte ihr den Verstand und alle Vorsicht, vergessen waren Arwins Warnungen. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals und sie war froh, dass er sie hielt, denn ihre Knie waren so weich geworden, dass sie ihr jeden Dienst versagen würden. Sie schlang ihre Arme fest um ihn und als sein Kuss immer leidenschaftlicher wurde, schmolz sie in seinen Armen restlos dahin. Nach schier endlosem Küssen legte sie ihre Hände auf seine Brust und schob ihn sanft von sich. Urplötzlich war ihr der Unterschied zwischen Arwin und Telmy bewusst geworden. In Arwins Armen wäre sie einfach liegen geblieben, aber vor Telmy schämte sie sich jetzt. Sie räusperte sich, da sie fürchtete, dass ihr die Stimme wegbleiben würde und konnte kaum die nächsten Sätze sagen, weil ihr leicht schwindelig war.
    „Ähm... ich habe oben genug Heu entdeckt, dass wir darin übernachten können. Mit ein paar Decken wird es richtig gemütlich werden und wenn wir die Leiter hochziehen, sind wir auch ziemlich sicher dort oben vor Überraschungen.“ Sie war sehr froh, dass er in dem schummrigen Licht ihre Röte und Verlegenheit nicht sehen konnte.
    #84VerfasserJean-Louis09 Feb. 09, 14:28
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    „Ich lasse dich nur ungern los, weil ich dich sehr mag, aber du hast Recht, wir haben noch viel zu tun. Gut, dass du Heu gefunden hast. Wir müssen nur noch Schnee schmelzen, dann können wir die Pferde versorgen. Ich mache das gleich und suche dann eine Stelle, wo wir ein Feuer machen können, ohne die Scheune anzubrennen.“ Nun ließ er sie aus seinen Armen gleiten, während er aufstand und hielt noch kurz ihre Hand, bis sie sie wegzog. Dann nahm er die Öllampe, ging zum Wagen, holte zwei Laternen auch noch heraus und entzündete die Dochte. Jetzt war der größte Teil der Scheune in ein gelbliches Licht getaucht und Halica verschwand soeben wieder auf dem Boden. Nachdem er die Pferde ausgespannt und abgeschirrt hatte, führte er sie direkt unter den Boden, wo an der Scheunenwand Krippen standen, in denen sogar noch genug Heu lag, welches die Pferde gleich herauszupften.

    Während der ganzen Zeit dachte er immer wieder an den Kuss. Er hatte gespürt, wie sie sich in seinen Armen entspannte, konnte dies aber nicht so recht deuten. Für ihn stand von da an fest, dass er die lieblichste und schönste Elfe bei sich hatte, die es im ganzen Land gab. Er sah sich nach ihr um, hörte aber, wie sie bereits oben auf dem Boden hantierte. Dann lauschte er voller Entzücken – sie sang leise ein Lied. Viele wohlige Schauer durchliefen seinen Körper, er war glücklich, ehe er sich zwang, nach einer Feuerstelle zu suchen. Als er sich mit der Öllampe in der Hand dem entgegen liegendem Eck der Scheune näherte, entdeckte er eine Tür. Dahinter war unter einem Vordach tatsächlich eine eingefasste Feuerstelle, in der noch viel angekohltes Holz lag. Vermutlich kamen Jäger ab und zu in diese Scheune und machten hier ihr Feuer. Es schneite noch mehr als vorhin.

    Schnell hatte er trockenes Moos und einige vertrocknete Gräser unter dem Vordach gesammelt, legte alles und dazu kleine Zweige, die überall umher lagen, in das verkohlte Holz. Die Flamme mit der anderen Hand vor dem Wind schützend entzündete er dann das Feuer mit der Öllampe. Neben der Tür war sehr viel Feuerholz an der Scheunenwand gelagert, zum Teil gehackt, so dass schnell größere Flammen brannten. In der Scheune hatte er beim Hinausgehen neben der Tür einige alte Blechschilde gesehen. Auf einem davon schmolz er nun den Schnee und goss das Wasser in den Holzeimer, den er vom Wagen geholt hatte, bis er voll war. Zweimal ging er mit dem Eimer die Pferde tränken. Nachdem auch ein dritter gefüllt war, glimmte das Feuer nur noch. Telmy losch es mit Schnee ab und brachte auch den letzten Eimer zu den Pferden, wo er das Wasser in den Tränkstein goss. Laut sagte er dabei:
    „Vorhin sang ein liebliches Vögelchen. Ob dieses mir sagen kann, dass alles bereitet ist und ich hochklettern kann, oder gibt es noch etwas zu tun?“
    #85VerfasserJean-Louis09 Feb. 09, 16:15
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    Halica hatte in der Zwischenzeit an dem Heu gezogen und es etwas ausgebreitet, um es in die Form einer Schlafstatt zu bringen. Zuerst wollte sie zwei Lager in einiger Entfernung zueinander bauen, aber dann hätte das Heu doch nicht ganz ausgereicht, weshalb sie es so richtete, dass sie beide zwar nebeneinander liegen würden, aber gerade noch genug Platz zwischen ihnen war, damit sie sich nicht ständig zufällig berühren würden, denn nach diesem Kuss von ihm fiel es ihr schon schwer genug, ihm nicht ganz nahe kommen zu wollen, obwohl sie gleichzeitig genau davor Angst hatte. Sie war verwirrt, war sich nach wie vor nicht klar darüber, wie ihre Gefühle so stark für Telmy sein konnten. Selbst, wenn Arwin in ihm war, nach dem, was sie eben nach dem Kuss gefühlt und gehört hatte, wusste sie, dass Telmy es selber war, der sie mochte, vielleicht gar schon liebte. Dazu kam, dass seine Berührungen sie in Flammen stehen ließen, das stand fest. Auch wenn Arwin selber ihr gesagt hatte, dass sie all ihre Liebe Telmy schenken sollte, so hatte sie doch ein klein wenig ein schlechtes Gewissen, weil sie sich tatsächlich so schnell in den Jüngling verliebt hatte. Und gleichzeitig war ihre Liebe Arwin gegenüber trotzdem so stark wie eh und je. Verrückt war es, was anderes fiel ihr dafür nicht ein. Sie dachte schon wieder an Telmys Kuss und ein angenehmes Kribbeln machte sich in ihrem Bauch breit. Halica hatte gar nicht gemerkt, dass sie vor sich hin sang, bis sie Telmys Frage hörte. Sie lief zur Kante und rief hinab:
    „Du könntest die Decken und den Proviant mitbringen. Und nenn mich bitte nicht Vögelchen, so lange diese fauchende Katze hier oben herumschleicht. Möglich, dass sie hungrig ist.“ Vor sich hin lächelnd sah sie sich um, konnte die Katze jedoch nicht mehr entdecken.

    Er musste breit grinsen, als sie das mit dem Vögelchen sagte. Zum Wagen gehend rief er hinauf:
    „Gut, mache ich sofort. Ich bringe alles mit.“ Dann blieb er aber stehen und dachte kurz nach. Mehr zu sich selber sprach er kopfschüttelnd:
    „Ich Depp habe kein heißes Wasser für den Tee bereitet und einen Eimer voll Wasser brauchen wir doch morgen früh. Ich mache das ganz schnell noch, hoffentlich ist noch etwas Glut im Feuer.“ Hastig kletterte er in den Wagen, suchte alles zusammen, nahm sich zusätzlich einen großen Zinnkrug aus einer Truhe und legte die Sachen auf dem Kutschbock ordentlich ab. Dann rannte er erneut nach draußen, konnte dort mit kleinen Spänen und staubtrockener Rinde das gerade noch glimmende Feuer neu entfachen und schmolz sogleich wieder einen Schneehaufen in dem Blechschild. Er eilte zurück, holte den Eimer und füllte ihn zuerst. Danach brachte er eine kleinere Schneefüllung zum Kochen und füllte die Zinnkanne. Die Kanne und den Eimer trug er hinein und vorsichtig über die Leiter hoch bis fast auf den Boden. Noch auf der Leiter stehend sagte er:
    „Hier, Liebste, Teewasser und der Eimer zum Waschen für morgen früh. Ich bringe auch die Laternen mit hoch. Die Öllampen sind hier zu gefährlich.“

    Schnell war er wieder unten, ging noch einmal hinaus, löschte das Feuer diesmal vollständig ab, rannte rein, trug die Decken und den Proviantkorb hinauf, war schon wieder unten und kam mit den Laternen nun auf den Boden. Nachdem die Öllampen ausgeblasen waren, war miteinander rasch alles für ein gemütliches Abendessen bereit gestellt. Er setzte sich zu ihr und rieb sich mit Vorfreude die Hände.
    „Ich habe einen Bärenhunger. Lass uns gleich was essen. Die… ähm… die „Vorspeise“ hatte ich ja schon.“ Mit seinem schiefen Lächeln nahm er kurz ihre Hand und drückte sie sich an die Wange. Sie überlegte. Was meinte er mit Vorspeise? Etwa... den Werwolf? Einen Moment war sie irritiert, doch dann errötete sie leicht. Natürlich, den Kuss! Wieso war sie nicht gleich darauf gekommen? Beinahe hätte sie gelacht. Sie warf noch einen Blick in den nun leeren Korb. Viel war es ja nicht mehr, was sie hatten.
    „Na ja, ein fürstliches Mahl wird es wohl nicht mehr, aber es sollte reichen“, meinte sie und nahm sich ein Stück Apfelkuchen. Telmy goss derweil den Tee in die Becher, den Halica in der Zinnkanne zubereitet hatte.
    „Wir müssen Morgen Ausschau nach einer Stadt oder Siedlung halten, um unseren Proviant wieder aufzufüllen, sonst werden wir nach etwas Essbarem Jagen müssen, fürchte ich“, sagte sie dann. Nach einem großen Schluck Tee aß sie den Kuchen und machte es sich auf ihrer Seite des Lagers unter zwei Decken bequem. Die Hände wärmte sie sich an dem heißen Krug.
    #86VerfasserJean-Louis10 Feb. 09, 09:23
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    Auf der Fahrt nach Norden – die Nacht in der alten Poststation

    Telmy aß den Rest des Brotes und etwas harten Käse dazu. Dann legte er sich auch auf das weiche Heulager und deckte sich mit der dicke Decke bis zur Brust zu. Er hielt den wärmenden Becher in den Händen und nippte am Tee, als sie ihn aufforderte, ihr noch ein wenig über sein Dorf und seinen Großvater zu erzählen.
    „Wie man mich fand, dass mein Großvater eigentlich ein uralter Druide ist und gar nicht mein wirklicher Großvater, weißt du ja bereits. Auch ist er nicht so sehr eine Art Priester, sondern viel mehr Schriftgelehrter und Forscher, was die, wie er sie nennt, „alte Zeit“ angeht. Ich lebe bei ihm im Haus, seit ich zwölf Menschenjahre alt wurde. Meine damalige Ziehfamilie, schon längst die Nachkommen der Eheleute, die mich als Säugling aufnahmen, mochten mich nicht mehr bei sich behalten. Ich habe mal zufällig mit angehört, dass sich mein Großvater, die Leute nennen ihn „Meister Almeran“, immer irgendwie um mich gekümmert hat – bis er mich schließlich ganz zu sich nahm. Auch konnte ich einige Aufzeichnungen von ihm lesen, die er vergaß, wieder einzuschließen, nachdem er etwas hinein geschrieben hatte. Demnach muss ich tatsächlich so 250 Jahre alt sein. Kein Wunder, wenn ich in der Ziehfamilie über die vielen Jahre zum Fremden geworden bin. „Vater Almeran“ – so sage ich zu ihm – hatte dagegen stets Verständnis für meine Probleme und lehrte mich vieles, so auch Lesen und Schreiben. Er hat auch dafür gesorgt, dass ich nicht mehr in die kleine Dorfschule gehen musste und beim Schmied eine Lehre bekam, die er bezahlte. Es ist schon seltsam, wenn aus Menschenkindern als Spielkameraden alte Leute werden und man selber nur wenig älter wird. Kennst du dieses Gefühl, einfach nicht dazu zu gehören?“

    Mit einem neugierigen Blick nahm er einen Schluck vom Tee und sah sie dann fragend an. Halica hatte ihm aufmerksam zugehört und war dabei etwas traurig geworden. Sie konnte sich Telmy als Kind richtig gut vorstellen und vor allem, wie verloren er sich gefühlt haben musste.
    „Ja, ich kenne dieses Gefühl zur Genüge. Zwar wuchs ich bei meiner Familie auf, aber ich war ihnen immer zu aufsässig und rebellisch. Ich konnte ihre Ansichten über andere einfach nicht verstehen, geschweige denn teilen. Meine Eltern sind so gefangen in ihrem Stolz und der absoluten Ablehnung gegenüber solchen, die anders sind als sie selbst, dass sie einem eigentlich Leid tun könnten. Aber mein Mitgefühl und meine Versuche, ihnen doch ein wenig Verständnis entgegenzubringen, endeten, als sie meine Schwester in den Tod trieben. Sie lehnen ja sogar ihr eigenes Enkelkind ab, sehen es als Blutschande an, weil der Vater ein Mensch war. Meine Tochter Maya würden sie wahrscheinlich auch keines Blickes würdigen, weil ihr Vater ja auch ein Mensch gewesen ist. Aber, das ist mir heute egal, ich habe mit ihnen nichts mehr zu tun, für mich sind sie nicht mehr wichtig. Die einzige Person in dieser Familie, die mir nahe stand, war Linariel, meine große Schwester, und die haben sie mir genommen.“

    Bei dem Gedanken an ihre geliebte Schwester waren ihr wieder Tränen in die Augen gestiegen, aber sie versuchte krampfhaft diese zurück zu halten. Er sah sofort die Traurigkeit in ihren Augen und gleich tat es ihm leid, diese Frage gestellt zu haben. Verlegen senkte er den Blick, um ihr Zeit zu geben, sich wieder zu fassen. So eine Situation war ihm völlig neu. Immer war er es gewesen, der ausgestoßen und allein war. Sie hatte aber ein mindestens genauso schlimmes Schicksal hinter sich, schien es ihm. Er wusste im Moment nicht, was er sagen sollte.
    #87VerfasserJean-Louis10 Feb. 09, 13:03
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    Am liebsten hätte er ihr die Traurigkeit weggeküsst, ihr so schönes Gesicht mit vielen Küssen bedeckt und sie dann wieder tief und leidenschaftlich geküsst, wie vorhin. Aber er hatte Angst, dass er mehr zerstören würde, als bisher zwischen ihnen gewachsen war, wenn er sich ihr jetzt genähert hätte. Seufzend stellte er den leeren Becher ab und legte sich auf die Seite, sie wieder bewundernd anblickend. Halica trank noch einen Schluck Tee, dann deckte auch sie sich noch weiter zu und drehte sich in seine Richtung. Als sie den begehrlichen Blick bemerkte, mit dem er sie ansah, wurde ihr ganz heiß, auch sie musste wieder an den Kuss denken und unbewusst fuhr sie sich mit der Zunge über die Lippen.
    „Das alles ist sehr lange her und als ich weg lief, ließ ich alles hinter mir. Aber das Leben, das ich seit dem führen durfte, war so glücklich und schön, dass es alles andere in Vergessenheit geraten ließ. Nur manchmal macht mich die Erinnerung an Linariel etwas traurig und da ich ja wieder jemanden verloren hab, kommt das doch alles wieder hoch.“

    Sie wollte noch einen Schluck trinken, doch ihr Becher war schon leer und der Zinnkrug auch. Da die Wärme aus dem Krug an ihren Händen auf einmal weg war, merkte sie, wie sie fror. Unwillkürlich strich sie sich über die Arme. Telmy fasste den Krug an und sah hinein.
    „Oh – der Krug ist leer.“ Er drückte sich hoch und kniete direkt vor Halica.
    „Du frierst – warte, ich reibe dir die Arme warm“, sagte er und begann, zärtlich aber kräftig ihren linken Arm zwischen den Händen zu reiben. Von den Händen bis hinauf zur Schulter und wieder zurück. Dann kam der andere Arm dran.
    „Besser so?" Ohne auf die Antwort zu warten, war er noch mal über ihren linken Arm hoch gestrichen und nahm ihr Haar in die Hand. Als ob er es schon immer so gemacht hätte, drehte er die Locken über seine Finger und kam dabei immer höher, bis er ihren Hals berühren konnte und anfing, ihn zu streicheln. Dabei beugte er sich weit vor, bis sein heißer Atem von Halicas Wange zurückgeworfen wurde. Er hauchte kleine Küsse auf ihre rasch wärmer werdende Haut und näherte sich den roten Lippen.

    Halica hielt den Atem an, als sie seine Berührungen auf dem Hals spürte. Seine Küsse brannten auf ihrer Haut wie kleine Flammen und die Wärme breitete sich von ihrem Hals bis in die kleinen Zehen aus, durchfuhr ihren ganzen Körper. Sie seufzte leise. Dann kam sein Mund ihrem immer näher und sie konnte es kaum erwarten, bis sich ihre Lippen endlich trafen. Die Zeit verging anscheinend verlangsamt. Als der Moment kam und sie sich endlich küssten, unendlich zärtlich, war es einfach nur wunderschön. Für einen winzigen Augenblick lang dachte sie es wäre falsch, doch wie konnte es sich dann gleichzeitig so richtig anfühlen? In seinen Armen fühlte sie sich bereits, als würde sie nach einer langen Reise endlich nach Hause kommen, als wäre sie genau da, wo sie schon immer hingehörte.

    Telmy konnte nichts mehr denken – wenigstens nicht bewusst. Ihre Lippen waren so weich und doch so fest. Sie schmeckte süß wie der Apfelkuchen und er konnte nicht aufhören – noch nicht. Nach dem zärtlichen Kuss gab er ihr kleine, saugende Küsse auf die Lippen, bis er wieder die Mitte fand und sie diesmal etwas leidenschaftlicher, aber immer noch vorsichtig forschend, küsste. Dann entfernte er sein Gesicht wieder von ihrem und atmete schwer. Wie benommen richtete er sich auf und wollte etwas sagen, aber er fiel zur Seite auf sein Heulager. Auch Halica atmete schwer. Sie konnte nicht sehen, dass seine Augen blau waren und in ihm ein Kampf stattfand. Der Blutelfenteil wollte nicht ihre verführerischen Lippen, er wollte ihren Hals, an dessen Seite er das in Halica wallende Blut erspürt hatte. Doch die andere Seele zwang ihn zum Kuss und genoss diese Verzückung. Sie befahl ihm auch, in sein Lager zu kriechen. Dann wurden die Augen wieder bernsteinbraun und er schlüpfte unter die Decke, ehe er leise sprach:
    #88VerfasserJean-Louis10 Feb. 09, 13:47
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    „Verzeih mir, Liebste. Ich bin zu forsch gewesen, verzeih mir, Halica. Ich weiß nicht genau, was Liebe ist. Aber, wenn es das ist, was ich für dich spüre, dann liebe ich dich.“ Er verkroch sich unter die Decke, horchte und tat dann gleich so, als würde er einschlafen, aber an Schlaf war nicht zu denken. Halica war immer noch dabei gewesen, sich von der aufgeflammten Leidenschaft zu erholen, wieder normal zu atmen und ihre Gedanken zu sortieren. Als er ihr aber sagte, dass er glaubte sie zu lieben, war sie sprachlos. Sie wusste nicht genau, ob es seine eigenen Gefühle waren, die da aus ihm sprachen, oder ob er die Liebe Arwins für sie spürte, sie hörte aber, dass es Telmys Stimme war. Es fiel ihr schwer, einen klaren Gedanken zu fassen. Natürlich liebte sie Arwin, daran war nicht zu rütteln, aber was fühlte sie für Telmy wirklich? Er hatte sich einfach so in ihr Herz geschlichen – zwar eher wie ein Dieb, aber auf mehr als angenehme Art. Wie konnte sie anders, als sich in ihn zu verlieben? Er war so liebenswert und er konnte küssen, dass alles andere einfach aus den Gedanken verschwand. Sie betrachtete ihn dabei, wie er so tat als schliefe er, krabbelte leise das kurze Stück zu ihm und gab ihm noch einen Kuss auf die Wange.
    „Kein Grund sich zu entschuldigen. Niemand würde es schaffen, mich zu küssen, wenn ich es nicht auch wollte“, flüsterte sie ihm zu und kroch danach schnell wieder unter ihre Decke.

    Er zuckte ganz leicht zusammen, als er ihren Kuss auf seiner Wange spürte. Seine innere Pein war schlagartig verschwunden und er blinzelte zu Halica, sah, wie sie sich in ihr Lager verkroch und in die Decken einmummelte. Er versuchte nachzudenken. Wie anders sie war, im Gegensatz zu den Menschenmädchen, welche im Nebelgrund zwar jeweils im passenden Alter zu ihm aber doch eher merkwürdig gewesen waren. Nie hatte er verstanden, was in den Köpfen dieser jungen Frauen vor sich ging, warum sie sich um ihn stritten, obwohl er nie eine angefasst hatte. Warum manch eine Dinge erzählt hatte, die gar nicht wahr waren, erfunden im Wunschdenken des wohl heißblütigen Mädchens. Wie oft er davon gerannt war, eifersüchtige Burschen hinter ihm her, obwohl doch außer ein paar netten Worten allenfalls mal ein Händchenhalten vorkam. Daran, wie sich dann alles änderte, mochte er nicht denken. Langsam schlief er ein und träumte den schönsten Traum seines bisherigen Lebens...

    „Ich renne seit Stunden wie ein gehetztes Wild durch eine wunderschöne Landschaft. Es ist Sommer, ungewöhnlich warm und doch erscheint alles in frischen, bunten Farben. Die Sonne steht fast senkrecht über mir. Suche ich etwas? Ja, ganz bestimmt, aber ich weiß noch nicht, was es ist. Oh, ich laufe ja barfuss über weiche Moose und trete aus einem Waldrand heraus in eine blühende Wiese. Ich bin ganz ruhig, atme den Duft des Windhauches, der die Süße der Blüten mit sich trägt, tief ein. Langsam gehe ich durch die friedliche Wiese, sehe das neckische Spiel der Schmetterlinge, Bienen, Hummeln und vielen anderen Fluginsekten. Die zum Teil hohen Gräser kitzeln mich. Sie kitzeln mich? Jetzt bleibe ich am Rand eines kleinen Teiches stehen und sehe mich selbst im spiegelnden Wasser. Du meine Güte, ich bin ja nackt. Ach deshalb das Kitzeln, schmunzele ich vor mich hin. Ein Gesang? Woher kommt er? Dort, auf der anderen Seite des Wassers im hohen Gras ist jemand. Bei den Göttern, welch eine Schönheit – und – auch nackt. Schnell ducken, damit sie mich nicht sieht. Ich kann meinen Blick nicht von ihr wenden, ich muss die Elfe wie gebannt ansehen. Sie nähert sich. Ihr glänzendes, blondes, hüftlanges Haar umspielt mit 1000 Locken den Körper wie ein hauchfeines Stoffgewand. Das Haar teilt sich an den Schultern. Auf ihrem Rücken weht es leicht im sanften Wind, auf den Brüsten liegt es in leichten lockigen Krausen. Die hohen Blumen und Gräser lassen mich immer nur einen sehr kurzen Blick auf alles unterhalb des Bauchnabels erhaschen, viel zu kurz jeweils, damit ich Genaueres erblicken kann. Sie pflückt einen Blumenstrauß und singt dabei, während sie durch die Wiese eher schwebt als nur geht. Jetzt tritt sie aus dem blühenden Meer heraus an das Ufer des kleinen Teiches und hockt sich nieder, schöpft mit der Hand etwas Wasser und führt es zu ihren vollen Lippen, um das Nass zu trinken. Mein Herz hüpft - einen Augenblick lang durfte ich sie ganz sehen. Dieser Augenblick war atemberaubend – und ich vergaß zu atmen. Was ist? Die Farben verblassen, die trinkende Elfe verliert sich im Grau und es wird schwarz.“
    #89VerfasserJean-Louis10 Feb. 09, 15:05
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    Telmy schreckte hoch und keuchte, rang nach Luft. Nachdem er durchgeatmet und sich beruhigt hatte, sank er wieder nieder, hüllte sich in seine Decke und schlief sofort wieder ein. Die restliche Nacht blieb traumlos. Auch Halica war so müde gewesen, dass sie gleich einschlief. Sie erwachte früh morgens in eisiger Kälte und wollte jetzt noch nicht aufstehen, da es unter ihren Decken wenigstens ein bisschen wärmer war. Sie sah zu Telmy, der immer noch fest schlief und ruhig atmete. Wie friedlich und entspannt er da lag. Sein Gesicht sah so weich aus, die Haut, die genauso hell war wie ihre, die langen dunklen Wimpern, die schmale gerade Nase, fein geschnittene Gesichtszüge. Er war einfach zum anbeißen und zog sie magisch an. Fast unbewusst rutschte sie mitsamt ihren Decken näher zu ihm, legte ihren Kopf auf seine Brust und kuschelte sich fest an ihn. Dann schloss sie die Augen und schlief lächelnd wieder ein.

    Es dauerte, ehe er langsam aufwachte. Als erstes bemerkte er einen lieblichen Duft, dann spürt er die Wärme an seiner linken Seite. Blinzelnd sah er goldgelbes Haar vor seinem Gesicht. Es musste noch immer der Traum sein, dachte er sich. Es verging abermals Zeit, ehe ihm die Hitze, welche in sein Gesicht schoss, begreiflich machte, dass Halica eng an ihm und halb auf ihm lag. Er blieb ganz still liegen, streichelte nur ihr Haar und drehte wieder die Locken über seine Finger. Trotz seiner Lederkleidung spürte er ihren Körper, ihr Knie auf seinem Bauch. Einige Zeit überlegte er, ob er sie aufwecken sollte, aber er tat es nicht, sondern schob sich vorsichtig zur Seite, bis er frei gekommen war. Dann erhob er sich leise, deckte sie sorgfältig mit allen drei Decken zu und gab ihr einen zarten Kuss auf die Stirn.

    Anschließend schlich er mit dem großen Zinnkrug davon. Als er die Leiter hinab stieg, schien durch alle Ritzen in den Holzwänden der neue Tag. Mit dem Kienspan-Feuersteinanzünder entfachte er draußen unter dem Vordach wieder das Feuer, schmolz erneut Schnee in dem Blechschild und ging derweil einige Schritte in den Innenhof der ehemaligen Poststation. Strahlen blauer Himmel, so weit das Auge blicken konnte eine glitzernde und funkelnde Schneelandschaft, die drei Handbreit tief über Nacht im Schnee versunken war. Trotz der kalten Luft, sein Atem dampfte, wärmte die Sonne. Nur kurz war Telmy wieder in der Scheune und auf dem Boden, um leise den Eimer zu holen. Ganz vorsichtig hatte er ihn weggenommen und das kalte Wasser den Pferden in die Tränke geschüttet. Der Frost war nicht bis in die Scheune vorgedrungen, dennoch sollte Halica warmes Wasser zum Waschen vorfinden. Nachdem der Eimer voll war, brachte er noch eine Schneefüllung zum Kochen und goss den Zinnkrug damit voll.

    Geschmeidig, wie vorhin schon, stieg er zum Nachtlager auf dem Boden hinauf, setzte sich mucksmäuschenstill neben seine Elfe und begann, Kräuter in das heiße Wasser zu streuen. Dann fächelte er den Duft zu Halica, von der nur der blonde Schopf aus den Decken herausschaute. Gleichmäßig hoben und senkten sich die Decken bei ihrem Atmen. Dann wurde es unruhig unter den Decken.
    „Hmm…“, gab sie von sich. Sie hob schnuppernd die Nase, ein köstlicher Geruch kam ihr entgegen. Ihr Kopf kam langsam unter der Decke hervor, wobei ein spitzes Ohr als erstes zum Vorschein kam. Ihn anlächelnd zupfte sie sich einzelne Heuhalme aus den Haaren und streckte sich dann genüsslich auf dem warmen Lager aus.
    „Guten Morgen, mein Lieber. Ich hab so gut geschlafen, wie seit Wochen nicht mehr. Und gefroren hab ich Dank deiner Wärme auch nicht.“ Telmy sagte erst einmal nichts, lächelte nur.
    #90VerfasserJean-Louis10 Feb. 09, 15:38
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    Sie rieb sich gleich noch einmal etwas verschlafen über die Augen, gähnte und nahm sich dann einen Becher mit Tee. Leise vor sich hin summend griff sie in den Korb und holte eines der letzten beiden Stücke Kuchen heraus, die sie gestern nach dem Abendessen mit wenigen anderen Sachen wieder zurückgelegt hatte und biss herzhaft hinein. Auch Telmy kaute, das letzte Stück harten Käses und die letzte Scheibe Brot. Dann gab es nur noch Äpfel und ein Stück geräuchertes Fleisch, das aber noch gut eingepackt war. Er war so gut gelaunt, strahlte über das ganze Gesicht.
    „Und ich bin noch nie so schön aufgewacht. Dich im Arm zu haben und zu spüren ist sehr schön. Ich wünschte, ich könnte zukünftig immer so den Tag begrüßen.“ Mit einer blitzschnellen Handbewegung strich er ihr über die Nasenspitze und fragte:
    „Weißt du noch, was ich gestern gesagt habe?“

    Jeden Tag so begrüßen? Oh, wie wundervoll sich das anhörte. Na ja, er konnte ja nicht wissen, dass sie von nun an nicht mehr von seiner Seite weichen würde – das hatte sie nämlich soeben beschlossen. Dieser Wunsch wird dir ganz bestimmt in Erfüllung gehen, dachte sie mit funkelnden Augen. Als er sie dann an der Nasenspitze berührte, kitzelte es so sehr, dass sie kichern musste.
    „Ich weiß noch sehr genau, was du gesagt hast.“ Sie sah ihm in die, ihr mittlerweile so vertraut gewordenen, braunen Augen und lächelte ihn schon wieder an.
    „Denkst du wirklich, ich könnte es vergessen haben? Wo es doch so schöne Worte für mich waren.“ Schnell nahm sie seine Hand und hielt sie sich fest an die Wange. Leise sagte sie dann:
    „Es fällt mir aber dennoch etwas schwer, meine Gefühle für dich in die richtigen Worte zu fassen, da ich sie selbst noch gar nicht genügend ergründen konnte. Seit unserer ersten Begegnung in Eleanor spüre ich eine starke Verbindung zwischen uns. Und je mehr Zeit wir miteinander verbringen, desto mehr verliebe ich mich in dich. Mit dir kam das Licht in mein Leben zurück. Danke, mein Liebster.“

    Sein Herz stolperte, seit sie seine Hand an ihre Wange hielt. Die Ohren mussten glühen und ihm war heiß im ganzen Leibe, als er dachte: Bei allen Göttern, sie ist mir viel mehr zugetan, als alle anderen vorher zusammen. Ich kann es nicht glauben, das ist doch eine Frau, kein Mädchen, eine wirkliche Frau – und so schön, so lieblich, so weiblich, so zart und doch so stark, so… so… unglaublich liebenswert und aufregender als zehn nackte Mädchen aus Grauenfels, selbst dann noch, wenn sie bis zu den Haarspitzen unter Decken steckt. Ihre Anmut, ihre Eleganz, ihr Charme – diese Ausstrahlung und ihr Duft – alles das nur für mich? Er hätte dieses Glücksgefühl am Liebsten herausgeschrieen, zwang sich aber, es nicht zu tun.
    „Du bist das Licht, du bist der helle Schein, du bist mein Glück. Ich bekomme Angst, dass dieser Moment endet, wenn wir hier weggehen, wenn wir in meine Heimat kommen, wenn wir unsere Antworten bekommen.“

    Er beugte sich vor, streichelte mit der anderen Hand über ihren Kopf und nahm ihn zwischen seine Hände, ganz zärtlich, ihre Wangen kaum berührend. Sein Gesichtsausdruck wurde traurig, die Augen wässerig. Zwei dicke Tränen rollten langsam über seine Wangen.
    „Was wird sein, wenn wir wissen, wie es um mich steht? Wird dann alles enden, bevor es richtig begonnen hat? Werde ich dich verlieren, im besten Fall wieder allein sein, im schlimmsten…“ Seine Stimme erstickte und er schluchzte leise.
    #91VerfasserJean-Louis11 Feb. 09, 09:09
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    Halica sah die Tränen mit großen, leidenden Augen und küsste sie ihm sanft weg. Sie bekam einen urplötzlichen Hass auf die Leute in seinem Dorf, die ihn so sehr ausgegrenzt hatten, dass er sich so mit Selbstzweifeln und Verlustängsten quälte. Wieder war sie nahe daran ihm alles zu erzählen, ihm zu versichern, dass - egal was noch kommt, sie ihn nie wieder verlassen würde.
    „Ich verstehe es gut, dass du noch nicht genug Vertrauen mir gegenüber aufbringen kannst, nachdem du außer deinem Großvater niemanden hattest, dem du vertrauen konntest. Du darfst nicht so denken, du hast jetzt mich und ich lasse mich ganz bestimmt nicht von ein paar unangenehmen Wahrheiten abschrecken – nein, niemals! Was hat man dir nur alles angetan, dass du deinen eigenen Wert nicht erkennen kannst? Weißt du denn nicht, was für ein unglaublicher Mann du bist?“

    Schnell schloss sie ihn fest in ihre Arme, legte ihren Kopf an seine Schulter. Plötzlich stiegen Bilder in ihr hoch, längst vergessene Träume, vor langer Zeit geträumt. Sie hatte schon als Kind von ihrem zukünftigen Lebensgefährten geträumt, der ihr in der Seele ähnlich sei. Aber, was ihr entfallen war, was ihr jetzt wieder so klar in den Sinn kam, dass sie anfangs nie sein Gesicht im Traum sah, sich aber auf einmal wieder an langes, blondes Haar erinnerte. Hatte sie damals schon von Telmy geträumt? Sie hatte die Gabe, die Zukunft manchmal vorherzuträumen und war sich jetzt sicher, sie hatte auch von ihm geträumt. Erst ihre späteren Träume konnte sie dann Arwin zuordnen. Ein fast schon abwegiger Gedanke entrann ihrem Verstand, nahm immer klarere Formen an. Was, wenn sie Arwin nur kennen gelernt hatte, damit er sie zu Telmy führen würde? Vielleicht war es von Anfang an ihr Schicksal gewesen, sich in Telmy zu verlieben und ohne Arwins Schicksal hätte sie ihn niemals kennen gelernt. War auch das Wirken der Hexe Auinaya nur ein Teil ihrer vorbestimmten Zukunft gewesen? Tausend Gedanken schossen ihr auf einmal durch den Kopf, so dass ihr beinahe schwindelig wurde.

    Sie war froh, dass sie sich an ihm festhalten konnte und er sie auch in den Armen hielt, denn sonst würde sie nur mit Mühe verhindern können, umzukippen. Alles drehte sich und dann spürte sie, wie sich ihr eine Ahnung offenbarte. Ihr Leben mit Arwin war so schön gewesen, so voller Liebe und sie waren sich so nahe, aber das hier, sie und Telmy, das war noch größer. Er war ihr seit ihrer Kindheit bestimmt, die ganzen Jahre über und sie hatte es nicht gewusst. Auch ihm tat es so sehr gut, dass sie ihn jetzt umarmte. Er spürte ihre Aufregung, ihr heftiges Atmen und drückte sie ganz fest an sich. Nur das Schnauben der Pferde unterbrach die Stille. Dann sprang plötzlich die Katze über den Boden und erwischte eine Maus, welche sie rasch in eine finstere Ecke verschleppte. Telmy wurde aus seiner Traurigkeit gerissen.

    Er war sich auf ein Mal sicher, dass das Schicksal ihn und Halica zusammengeführt hatte und er spürte eine seelische Kraft in sich aufsteigen, eine Entschlossenheit, die ihm bis dahin fremd war. Mit Halica an seiner Seite würde er stolzen Hauptes nach Grauenfels zurückkehren und sich nicht mehr demütigen lassen. Vater Almeran würde ihnen bestimmt helfen können. Und alles andere würde sich dann zeigen.
    „Halica, komm, lass uns weiterreisen. Wir stoßen mit Sicherheit bald auf eine Stadt oder Siedlung. Dort versorgen wir uns mit den notwendigen Sachen und Lebensmitteln und dann werden wir weiter fahren, um in meinem Dorf Grauenfels den Dingen auf den Grund gehen zu können. Wenn mein Großvater nicht für alle Fragen eine Antwort hat, suchen wir sie selbst!“ Eine Begeisterung hatte ihn gepackt und der Tatendrang wuchs. Vorsichtig drückte er die Elfe etwas von sich weg, sah ihr voller Zuversicht in ihre bezaubernden grünen Augen und küsste sie mit wilder Leidenschaft – wie ein Mann, nicht mehr wie ein Jüngling. Dann zog er sie mit hoch und begann, alles zusammenzupacken.
    #92VerfasserJean-Louis11 Feb. 09, 11:00
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    Halica erwiderte kurz und heftig die Leidenschaft in dem Kuss mit der Gewissheit, dass in Telmy eine Verwandlung statt fand. Sie hoffte es nicht mehr, denn sie wusste es jetzt, dass Telmy durch Arwin gerettet werden würde und alles Gewesene so sein musste. Dann nahm sie die Decken und schüttelte sie aus. Das Heu wurde durch den Lufthauch hoch gewirbelt und flog in alle Richtungen davon. Telmy, der gerade neben ihr kniete und den Korb nehmen wollte, bekam eine ganze Ladung Heu ins Gesicht und musste niesen. Sie drehte sich zu ihm und lachte, als sie sah, dass sein Haar und seine Kleidung mit Heu und Staub bedeckt waren. Schnell faltete sie die Decken und half ihm dann, die Halme aus den Haaren zu fischen, während er sich abklopfte. Die neue Vertrautheit zwischen ihnen gefiel ihr sehr. Als er wieder so gut es ging von Heu und Staub befreit war, nahmen sie die Sachen, schafften sie nach unten und verstauten sie im Wagen. Halica holte sich den Eimer mit dem warmen Wasser in den Wagen, wusch sich rasch und zog sich dann um. Die langen Haare hatte sie zu einem abenteuerlich zerzaust aussehenden Zopf geflochten, weil sich die Locken nicht so einfach bändigen ließen. Dann kletterte sie wieder raus und ging zu Telmy, der mittlerweile die Pferde angespannt hatte.
    „Ich bin fertig. Wenn du willst, kannst du dich jetzt waschen. Kleidung liegt schon bereit für dich.“ Etwas erstaunt bewunderte er ihre neue Haartracht, fand aber, dass es wohl gar keine geben könnte, welche sie nicht tragen konnte.

    „So wie du mich eingestaubt hast, habe ich das auch dringend nötig“, rief er lachend zurück und gab den Pferden noch einen Klaps auf den Hals, ehe er zum Wagen ging und aufstieg. Beim Hineinklettern sagte er:
    „Du siehst aus wie eine Fee, die verreisen will“, und zwinkerte ihr zu. Es dauerte dann doch etwas, bis er fertig war. Summend hatte er sich gewaschen und gleich rasiert, dann wieder die ein wenig zu großen Kleidungsstücke angezogen. In der Schublade, die Halica offen gelassen hatte, fand er nicht nur das Rasierzeug, sondern auch ein Duftwässerchen, an dem er sich bediente. Dann schlüpfte er durch die Plane und saß grinsend neben der Elfe, die geduldig gewartet hatte und hielt ihr seine Wange an die Nase.
    „Riecht sehr gut, nicht wahr?“

    Zugleich mit dem Ruck an der Leine und den notwendigen Rufen „Hoh, Hoh“ zogen die Pferde an und der Wagen rollte aus dem hinteren Tor, das Telmy schon nach dem eiligen Abräumen des Nachtlagers geöffnet hatte, damit die Helligkeit in die Scheune konnte. Halica sagte nichts, strahlte aber wie nie zuvor. Draußen wurde angehalten, das Tor geschlossen und der Lederschurz auf dem Fuhrmannssitz dicht zugemacht und hochgezogen. Beide saßen nun auf einer gefalteten Decke und hatten eine wärmend im Rücken über der Bordwand hängend. Links und rechts lagen noch die ganz dicken Schlafdecken auf dem Fuhrmannssitz, sauber zusammengelegt.

    Wieder mit „Hoh, Hoh – Mia, Lia“ ging es in den zwar kalten, aber wunderschönen Morgen hinein. Keine Wagenspur, keine Fußtritte unterbrachen die glitzernde Schneedecke auf dem Weg vor ihnen. Ging es zunächst nur mäßig bergab, kamen am Hang eines Seitentales steile und enge Kurven auf sie zu. Mehrere Male rutschte der Wagen mit stehenden Hinterrädern einfach weiter und nur die schweren, trittsicheren Kaltblutstuten konnten ihn zuverlässig bremsen. Telmy fror nicht, er schwitzte. Ständig die Bremse anpassend, immer darauf achtend, nahe an der Bergseite zu fahren, um genügend Abstand zum Abgrund zu haben, die Pferde zügelnd, die nur ungern ganz langsam gingen – eine Arbeit, die ihm volle Konzentration abverlangte. Und dann immer wieder mal der leichte Schrecken, wenn der Wagen plötzlich etwas zur Seite rutschte, die Räder in eine vereiste Rille hinein. Halica hielt sich gut fest und hatte sich in eine Schlafdecke eingewickelt. Sie hatte auch Arwin früher bei gefährlichen Wegabschnitten nicht in der Konzentration gestört und zu Telmys Fahrkünsten hatte sie genauso viel Vertrauen. Sie konnte sogar die herrliche Winterlandschaft genießen, solange sie noch hoch oben aus dem Gebirge heraus fuhren. Dieses für ihn anstrengende Fahren dauerte bis in den Mittag. Endlich, als die Berge hinter ihnen lagen und sie wieder in schneefreier Landschaft unterwegs waren, konnten sie eine sehr kleine Stadt erkennen. Vielleicht knapp 30 Gebäude, ein paar größere darunter. Auf den größten davon waren schon von weitem die Nachbildungen großer, in Stein gehauener Drachen zu erkennen.
    #93VerfasserJean-Louis11 Feb. 09, 13:26
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    Eine kleine Stadt namens Drakona

    Halica saß neben Telmy und genoss die Fahrt, auch wenn sie anfangs durch die wunderschöne Schneelandschaft nicht ungefährlich war. Es sah heute um sie aus wie eine ganz neue Welt. Sie fühlte sich sehr wohl neben ihm und es waren keine Worte nötig, denn sie wusste, dass es ihm ebenso ging, auch wenn er sich auf das Wagenlenken konzentrieren musste. Als er ihr seine Wange hingehalten hatte, um sie an ihr riechen zu lassen, musste sie daran denken, wie sich seine Hand wohl anfühlen würde, wenn sie jetzt darüber streicheln würde. Dass er Arwins Duftwasser benutzt hatte, fiel ihr erst viel später auf. Sie war selbst überrascht darüber, dass sie es nicht gleich bemerkt hatte, denn sonst erinnerte sie immer alles gleich an ihn. Als nun die kleine Stadt in Sicht kam, lächelte sie erleichtert, da sie schon befürchtet hatte, dass sie tagelang von Luft und Liebe leben müssten.
    „Eine Stadt, ganz sicher mit Taverne, das ist wirklich Glück. Ich begann schon mir Sorgen zu machen. Wir sollten nur schnell die Vorräte auffüllen und dann gleich weiterfahren.“

    Auch Telmy freute sich und drückt Halica fest an sich, nachdem sie die steile Abfahrt hinter sich hatten. Jetzt liefen die Pferde fast von alleine und er konnte einen Arm wieder um seine Liebste legen. Wie schön doch das Leben sein kann, dachte er und wie angenehm sich so manche Überraschung entpuppen konnte. Ganz wollte er es noch immer nicht glauben, dass er mit Halica die Frau gefunden hatte, die in seinen Träumen seit Jahren erschienen war, ohne dass er sie erkennen konnte. Wunderlich war, dass sie ihm in nichts fremd war, im Gegenteil – an ihr war für ihn alles vertraut, von der Stimme über die Augen, dem Aussehen bis hin zu ihrem lieblichen Duft. In seinen Überlegungen erschien das Muttermal unter ihrer linken Brust. Woher sollte er das aber kennen? Nie hatte er auch nur einen winzigen Blick auf diese Stelle werfen können und selbst im Traum, als er Halica kurz nackt sah, verbargen ihre langen Haare viel.

    Das Stadttor vertrieb aber sogleich seine Gedanken daran – oder eher der Umstand, dass keinerlei Wachen zu sehen waren. Auf dem Bogen über dem mächtigen Tor las er: „Drakona“. So hieß also dieses Städtchen. Kaum durch das Tor, waren sie schon auf dem Marktplatz angelangt und das Planwagengespann hielt vor der Taverne.
    „Was müssen wir denn alles besorgen, Liebes? Da drüben sind ein paar Marktstände. Soll ich Obst einkaufen? Ach ja, ich gehe noch zum Ledermacher, wenn es einen gibt und sehe zu, dass ich eine neue Lederrüstung bekomme. Meine Hose und auch die Stiefel taugen nicht mehr viel. Handschuhe brauche ich auch.“ Er gab ihr einen Kuss auf die Wange und stieg ab. Mit großen verliebten Augen sah er zu ihr hoch und wartete, bis auch sie abgestiegen war. Halica nahm seine Hand und schlenderte mit ihm in Richtung der Marktstände.
    „Geh’ du nur deine Rüstung kaufen, ich kümmere mich um den Proviant. So sollte es nicht allzu lange dauern, bis wir endlich wieder weiter können. Wir treffen uns dann am Wagen wieder, ja?“
    #94VerfasserJean-Louis11 Feb. 09, 15:32
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    Telmy nickte nur. Sie ließ ihn los und ging zum Obststand, um sich ein paar frische Äpfel anzusehen. Da es später Herbst war, gab es keine sehr große Auswahl und so kaufte sie außer den Äpfeln noch Birnen und ein Säckchen mit Nüssen. Danach ging sie zum Bäcker und nahm dort zwei Laib Brot mit. Zurück beim Wagen stieg sie über den Kutschbock hinein und legte die Einkäufe in den Korb. Aus einer Truhe nahm sie dann eine große Kanne mit Deckel und machte sich erneut auf den Weg zu den Marktständen. Dort fand sie gleich einen Bauernstand, der auch Milch anbot und so ließ sie sich die große Zinnkanne mit Milch füllen und einen tellergroßen, runden Käse einpacken. Die Bäuerin erzählte ihr, dass es in der Taverne sehr günstig köstliche Speisen geben würde und Halica überlegte, ob sie dort noch zu Mittag essen sollten. Suchend sah sie sich nun nach Telmy um, konnte ihn aber nicht entdecken, deshalb verstaute sie die Milchkanne und den Käse auch noch im Wagen und nahm zwei ältere Äpfel mit hinaus. Sie gab Mia und Lia je einen Apfel und streichelte die Stuten, während sie wartete und neugierig das Treiben auf dem Markt beobachtete.

    Telmy war ein Stück vom Wagen weggegangen und blickte Halica noch etwas hinterher, dann sah er sich um. Einen Ledermacherladen sah er auf Anhieb nicht, aber in der kleinen Gasse, die genau dort ihren Anfang nahm, wo er sich aufhielt, war ein kleines Schaufenster im zweiten Haus zu erkennen. Darin konnte er geradeso einen Wappenrock sehen. Schnell war er hingelaufen und trat ein, in den Laden, an dem weder ein Schild noch sonst ein Hinweis angebracht war. Ein Mann mittleren Alters, kleinwüchsig, dick, wenige Haare auf dem Kopf, packte eben mehrere Lederbekleidungsteile aus einer Kiste aus und legte sie auf einen langen Tisch. Telmy sah sofort die gesuchte Lederrüstung in allen Einzelteilen. Er begrüßte den Mann und fragte, ob er sich eine passende Lederrüstung aussuchen konnte. Als Antwort kam nur: „Hm!“

    Also probierte der Halbelfe einige Stücke an, bis die Rüstung komplett war und ließ sich die alte Hose einpacken. Die anderen Teile waren entweder nicht mehr weiter zu gebrauchen oder es handelte sich um Sachen von Arwin, die doch etwas zu groß waren, aber der Händler nahm sie. Das Bezahlen gestaltete sich etwas schwierig, hatte Telmy doch nicht viele Goldstücke, sondern nur einen Wertbrief. Dennoch behielt ihn der Händler nach einigem Prüfen und gab einen neuen, um die entsprechende Summe im Wert verringerten Wertbrief zurück. Schließlich bedankte sich der Halbelfe und verließ das Geschäft. Dem Händler kam bei allen Vorgängen nur immer dieses eine Wort über die Lippen: „Hm“. Zurück auf dem Marktplatz sah Telmy Halica bei den Pferden und rannte ein Stück zu ihr, um sich hinter ihrem Rücken anzuschleichen. Das kleine Päckchen mit der alten Hose steckte er sich in den neuen Rock und hielt dann seiner Elfe von hinten die Augen zu. Mit dunkler, verstellter Stimme sagte er:
    „Euch trifft man wohl auch in jeder Stadt? Was treibt euch nur so um?“

    Halica beherrscht sich, sonst hätte sie laut gelacht. Mit sehr ernster Stimme antwortete sie:
    „Hm. Wer kann das nur sein? Bei so vielen Verehrern überall verliert man leicht die Übersicht. Ich hoffe doch sehr, ihr seid mir nicht böse, weil ich euren Namen nicht mehr weiß?“ Leise lachend legte sie ihre Hände auf seine und zog sie sanft weg, dann drehte sie sich um, so dass sie ganz dicht vor ihm stand. Ihr Lachen erstarb, als sie ihm in die Augen sah und seinen Atem auf ihrer Haut spürte. Schmetterlinge begannen in ihrem Bauch zu tanzen. Sie musste gegen das starke Gefühl ankämpfen, ihn einfach zu küssen. Aber hier auf offener Straße, vor all den Leuten... Sie würden wohl für Wochen das Gesprächsthema werden. Bedauernd trat sie einen Schritt zurück und räusperte sich mit rosig gewordenen Wangen.
    „Liebster, mir wurde die Taverne wärmstens empfohlen. Wollen wir uns hier ein anständiges Mittagsmahl gönnen? Dann können wir uns auch noch kalten Braten und andere Speisen aus der Taverne für die weitere Reise einpacken lassen und mitnehmen.“
    #95VerfasserJean-Louis12 Feb. 09, 10:32
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    Er musste natürlich auch lachen und war versucht, sie an sich zu ziehen, doch kam ihm das unschicklich vor auf dem offenen Marktplatz. Die Veränderung ihres Gesichtes und die Errötung bemerkte er, sagte aber nichts dazu, weil ihm auch schlagartig warm geworden war.
    „Oh ja – einen Braten, vielleicht sogar vom Wild. Da könnte ich eine sehr große Portion davon verschlingen. Damit wir die Pferde nicht vergessen, versorge ich sie rasch und du könntest schon vorausgehen und was Leckeres bestellen. Vielleicht gibt es ja ein Plätzchen in einer dunkleren Ecke?“ Mit einem schelmischen Augenzwinkern ging er von ihr weg zum Mietstall neben der Taverne. Dort hatte er gleich zwei Eimer Wasser, zwei Portionssäcke Hafer für gleich, noch einen Heubund und einen Doppelzentner Hafer zum Mitnehmen gekauft. Er fütterte die Pferde, indem er die kleinen Säcke offen vor die Tiere hinstellte, damit sie daraus fressen konnten und jeweils ein Eimer Wasser kam neben einen Sack. Kaum hatten sich die Stuten mit einem freudigen Schnauben über das Futter hergemacht, kam auch schon der Knecht des Stalles mit dem Heubund auf dem Rücken. Während Telmy die hintere Bordwand öffnete und den Heubund auflud, war der Knecht schon ein zweites Mal mit dem großen Sack da, der ebenfalls in den Wagen gelegt wurde. Schnell war der Wagen wieder verschlossen und Telmy trat voller Freude auf das gemeinsame Mittagessen in den Schankraum ein, sich sogleich nach Halica umsehend.

    Diese hatte die Taverne betreten, welche für die Mittagszeit vergleichsweise leer war. Nur ein paar ältere Männer saßen um einen runden Tisch, offensichtlich ihr Stammtisch, und drehten sogleich die Köpfe nach Halica um, sie interessiert musternd. Höflich nickend ging sie an den Männern vorbei auf die etwas kräftige, aber freundlich wirkende Wirtin zu.
    „Seid gegrüßt, werte Dame. Mein Gefährte und ich würden gerne bei euch speisen. Wir haben noch eine lange Reise vor uns und würden auch noch einige Speisen mitnehmen, die auch kalt noch schmecken. Vielleicht Braten, Kuchen und was euch an Leckereien noch einfällt. Auch noch einige Flaschen Wein würden wir mitnehmen.“

    Mit der Bestellung ihres Mittagsmahls wollte sie noch warten, bis Telmy kam. Die Wirtin nickte, freudig überrascht über die große Bestellung und den unerwartet hohen Umsatz, den sie an diesem Tag machen würde und führte Halica an einen freien Tisch im hinteren Teil des Raumes. Die Elfe setzte sich und sah zur Tür. Dann erblickte sie Telmy, der sie auch in dem Moment entdeckte, hinten in der Ecke sitzend und es schien, als würde sie auf ihn warten. So ging er freundlich grüßend an einigen Männern vorbei, die in ein Kartenspiel vertieft waren. Er hörte ein paar Wortfetzen: „…schönes Paar… zu beneiden um die Kleine… schöne Frauen gibt’s hier auch… aber früher wohl nicht, wenn ich an…“ Ohne sich weiter darum zu kümmern, schritt er flott zu Halicas Tisch, grinste breit und machte einen perfekten Diener.
    „Oh verzeiht, holde Lieblichkeit der reinen weiblichen Schönheit, dass ich es wage, euch anzusprechen. Wäret ihr geneigt, einem Bewunderer eures strahlenden Anblickes die Güte zu erweisen, sich neben euch setzen und den berauschenden Duft eurer Nähe einatmen zu dürfen?“ Dabei verneigte er sich bis auf Kniehöhe und hielt seine Lederhaube mit elegant ausgestrecktem Arm weit von sich, um sich dann aufzurichten und mit einem kreisenden Gefuchtel die Haube vor sich zu halten. Während es im Gastraum sehr still geworden war, biss sich Telmy auf die Unterlippe, um sein aufsteigendes Lachen zu unterdrücken und machte dann schief grinsend mehrmals einen Kussmund zu Halica.
    #96VerfasserJean-Louis12 Feb. 09, 13:33
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    Halica sah erstaunt auf, als Telmy vor ihr stand und sie musste sofort grinsen, konnte das Lachen nicht lange unterdrücken. Sie bemerkte, wie die Männer sich wieder zu ihnen wandten und gespannt lauschten. Schnell hielt sie sich kichernd die Hand vor den Mund, um nicht noch mehr Aufsehen zu erregen. Mit der anderen Hand zog sie Telmy neben sich.
    „Wem willst du den Tag versüßen? Diesen Männern oder mir?“, fragte sie ihn immer noch schmunzelnd, während sie ihre Hand in seine legte und ihn anstrahlte. Es war so schön, wie er sie immer wieder zum Lachen brachte. Er schaffte es, dass sie alle Probleme vergaß, auch wenn es nur für einen kurzen Augenblick war. Die Wirtin kam an den Tisch und nahm ihre Bestellung für das Essen auf. Sie wählten Wildbraten mit Gemüse und Met. Halica sprach leise zu ihm.
    „Je näher wir Grauenfels kommen, umso aufgeregter werde ich. Es gibt so viele Fragen, die noch unbeantwortet sind und ich spüre, dass dort sehr viele Antworten auf uns warten. Außerdem freue ich mich zu sehen, wo du aufgewachsen bist.“

    Telmy antwortete zunächst nicht auf Halicas Worte, die voller Freude waren. Er hatte genug damit zu tun, sie nur anzusehen, was auch sie umgekehrt gerne tat. Es dauerte nicht lange, da standen zwei dampfende Teller, zwei Schalen und zwei Humpen vor ihnen. Er überlegte beim Essen, ob er ihr durch eine ehrliche Antwort nicht die gute Laune verderben würde, wagte dann aber doch, einiges zu erzählen.
    „Ob du Grauenfels schön finden wirst, wage ich zu bezweifeln. Es liegt in einem Talkessel, in dem es eine heiße Quelle gibt, die man „Heißes Loch“ nennt. Der daraus hervor fließende kleine Schleierbach heißt so, weil über ihm dauernd Nebelschleier tanzen. Die meiste Zeit des Jahres ist es im Nebelgrund, wie das rundum in Berge eingebettete Tal heißt, trist und grau – so richtig Tag wird es dort nur selten. Grauenfels ist zugleich ein Dorf mit Gasthaus, Wassermühle und einer Hammerschmiede, aber auch eine alte Burg, in der mein Zuhause war und Vater Almeran, mein Großvater, lebt.“ Dann machte der Halbelfe eine Pause und sah Halica merkwürdig an.

    “Du musst wissen, ich bin dort nicht mehr überall willkommen. Die Tochter des Schneiders war sehr in mich verliebt und sie war auch meine erste Liebe. Sie hat Schreckliches erlebt und erzählt schlimme Dinge über mich. Obwohl sie sonst völlig normal erscheint, verfällt sie in einen fürchterlichen Angstzustand, wenn sie mich nur sieht. Ich habe ihr doch nie etwas getan, ich meinte es ehrlich mit meiner Liebe, wollte ihr nie Angst machen. Seit jener Nacht, von der sie Grauenhaftes zu berichten glaubt, hat sich alles verändert. Kurz darauf schickte mich der Großvater fort. Er sagte zum Abschied, je weiter ich weggehen würde, desto besser für alle. Er könne mich nicht mehr behüten. Was wird nun geschehen, wenn ich zurückkomme?“

    Halica war ernst geworden und konnte sich genau vorstellen, was die Schneiderstochter an Schrecklichem zu berichten wusste. Wahrscheinlich hatte das arme Ding mit dem Blutelfen in Telmy Bekanntschaft gemacht. Sie konnte wohl von Glück sagen, das sie noch lebt. Halica wusste nicht, ob alles, was sie über Blutelfen gehört hatte, der Wahrheit entsprach, aber sie meinte sich zu erinnern, dass diese das Blut von Elfen bevorzugen würden. Dennoch sah sie jetzt Telmy fast zärtlich an. Ihr machte er keine Angst und dieses Mädchen tat ihr schon etwas Leid, da sie nicht wusste, was ihr an ihm entging. Aber wenn ihre Liebe nicht stark genug war, mit so etwas fertig zu werden, dann hatte sie ihn sowieso nicht verdient. Und jetzt hätte ohnehin keine andere Frau mehr eine Möglichkeit, sich diesen so liebenswerten Mann zu krallen.
    „Ich meinte ja auch nicht unbedingt die Umgebung draußen, sondern dein Zuhause bei deinem Großvater und wo du gearbeitet hast. Und es gibt bestimmt noch Menschen, die dir am Herzen liegen, es können ja nicht alle so gegen dich gewesen sein. Die Leute, die dich schlecht behandelt haben, werden von mir nicht ein freundliches Wort vernehmen. Nicht mal einen Gruß.“ Ihre Augen blitzten zornig, als sie sich vorstellte, wie diese Leute ihn behandelt hatten. Sie schluckte ihren Ärger hinunter, spülte mit etwas Met nach und widmete sich wieder ihrem Essen.
    #97VerfasserJean-Louis12 Feb. 09, 14:30
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    Telmy aß schweigsam geworden auf, tupfte sich mit dem Mundtuch die Lippen ab und meinte schon wieder lächelnd:
    „Weißt du, außer diesem Mädchen und ihrer Familie sind mir nur die anderen Burschen dann nicht wohl gesonnen, wenn ich mich auf die Annäherungen all der jungen Frauen einlasse. Was finden sie nur an mir, das sie vergessen lässt, dass da noch andere junge Männer da sind? Gut, es waren schon immer zu wenige Männer da im Nebelgrund, aber kaum eine wollte sich mit einem anderen abgeben, wenn ich auftauchte. Das war mir sehr unangenehm, kannst du das verstehen?“ Er legte seine Hand auf ihre und streichelte ihren Handrücken, bevor er wieder ernster weiter sprach.
    „Mein Großvater ist ein gütiger, alter Mann mit sehr großem Wissen. Er hat mich bestimmt nicht wegen der so oft auftretenden, aber dennoch nur kleinen Probleme mit den Dorfburschen weggeschickt. Was wird er nur damit gemeint haben, er könne mich nicht mehr behüten?“ Nachdenklich nahm er nun ihre Hand zwischen beide Hände und blickte ihr tief in die Augen. Sein Blick strahlte seine Verliebtheit bis hinter die Ohren aus und die Augenfarbe war ein dunkles Bernsteinbraun.

    Dann senkte sich sein Blick etwas, er strich mit den Augen ihren Hals entlang und verharrte in der Senke über der Brust. Die Augenfarbe verdunkelte sich bis zu einem fast schwarzen Braun, dann verzog Telmy kurz sein Gesicht, als würde er Schmerzen haben, die Augen nahmen einen blauen Farbton an und mit der sichtlichen Entspannung, die sein schiefes Lächeln wieder hervorbrachte, kam seine eigentliche, honigbraune Bernsteinfarbe in seine Augen zurück. Halica vermutete, genau zu wissen, warum der alte Man ihn fortgeschickt hatte. Er musste es doch wissen. Sie würde ihn über die Blutelfen ausfragen, denn sie war sich sicher, dass er sich damit besser auskannte, als jeder andere, den sie fragen könnten. Es gab noch eine Person, die Licht ins Dunkel bringen konnte, allerdings war Auinaya spurlos verschwunden. Als Telmy dann ihre Hand nahm und sie anblickte, sah sie die Veränderungen in seinen Augen, sah wie Arwin in ihm kurz die Kontrolle übernahm und seinen aufsteigenden Blutdurst bekämpfte. Telmy hatte wieder nichts davon bemerkt und Halica sagte auch nichts darüber. Sie wandte ihren Blick von ihm weg, zu ihrem Teller hin und aß weiter, um sich nicht durch ihren inneren Aufruhr zu verraten, der sich sicherlich in ihren Augen widerspiegelte. Belanglos sagte sie:
    „Die Bäuerin hat nicht übertrieben, das Essen hier ist tatsächlich sehr lecker.“ Sie versuchte, das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken.

    Er wartete nun geduldig, bis Halica mit dem Essen fertig war und sah sich derweil etwas im Gastraum um. Die Männer waren weniger geworden, da manche vermutlich Familie hatten und zur Mittagszeit zu Hause aßen. Die Wirtin trocknete Humpen, Becher und Krüge ab, die sie in einem Zuber hinter dem Schanktisch gespült hatte. Immer noch in die Schankstube schauend, runzelte Telmy die Stirn.
    „Wir sollten jetzt nicht mehr über Dinge nachdenken, die längst vergangen sind. Machen wir uns lieber wieder auf den Weg. Wir müssen bestimmt mindestens noch einmal übernachten und nach dieser Stadt kommt, soweit ich weiß, nichts mehr - kein Dorf, keine Poststation, keine Hütte. Meinst du, wir haben alles Notwendige besorgt?“ Fragend blickte er sie an, doch plötzlich begann er zu grinsen. Dann sagte er zu der Elfe:
    „Dort drüben, an der Wand…“, woraufhin Halica den Kopf nach links drehte und zu der Wand sah. Telmy gab ihr rasch einen Kuss auf die Wange.
    #98VerfasserJean-Louis12 Feb. 09, 20:10
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    Halica lachte vergnügt auf, als Telmy sie auf die Wange küsste. Sie wandte sich wieder zu ihm um und lächelte ihn an. Dabei schüttelte sie leicht tadelnd den Kopf. Na warte, dachte sie und blickte dann etwas schuldbewusst und ertappt drein. Telmy sah sie mit einem gemischten Gesichtsausdruck, halb überrascht und halb verwundert an, als sie sagte:
    „Ich glaube, jetzt haben wir die Wirtin verärgert.“ Um die Aussage zu bekräftigen deutete sie hinter ihn. Als er sich nun nach der Wirtin umdrehte, die eigentlich gar nichts bemerkt hatte, küsste Halica ihn auf seine Wange. Sie fing zu kichern an.
    „Wir sind schon ganz schön albern“, meinte sie immer noch lachend.

    Telmy wusste nicht warum, aber er liebte ihr fröhliches Lachen. Sie hatte ihn angesteckt und er kicherte und lachte ebenfalls, schnappte sich eine Haarsträhne und rollte sie zu einer kleinen Locke zusammen. In ihre so wunderschön strahlenden Augen blickend, zog er ganz sanft am Haar und beugte sich nach vorn, während Halica dem Zug an ihrem Haar etwas nachgab und ihre Lippen den seinen näherte. Eben wollte er sie küssen, da ertönte vom Stammtisch ein lautes „Oho“ und er blickte erschrocken zu den Männern, die ihre Humpen erhoben hatten und breit grinsend ihnen zuprosteten. Mit sehr schnell hochrot gewordenem Kopf ließ er die Locke los und meinte zu Halica:
    “Komm, lass uns lieber zahlen und wegfahren, sonst gehen wir noch in die Stadtchronik ein.“

    Er erhob sich und ging rasch vor zum Schanktisch, den Männern nur ein kurzes Nicken schenkend, in der Hoffnung, sie würde ihm schnell folgen. Er beglich die Summe, welche die Wirtin forderte und war etwas nervös, weil diese noch ein Bündel mit Proviant aus der Küche holte. Er nahm es dankend und sah sich nach Halica um, die bereits hinter ihm stand und die Lippen zu einem schmalen Strich zusammenpresste. Sie folgte ihm und als sie draußen vor der Tür waren, grinste sie wieder über das ganze Gesicht. Sie musste sich schwer zusammenreißen. Das Bündel brachten sie zum Wagen, Halica stieg auf und legte die Lebensmittel aus dem Bündel sorgfältig in den Korb, die Weinflaschen wickelte sie straff in das Tuch und legte das Paket in eine der Truhen. Telmy verstaute die kleinen Säcke mit dem Pferdefutter, trug die Eimer zum Mietstall, schloss dann Bordwand und Planenhälften, stieg vorne auf und nachdem Halica neben ihm saß und er den Pferden den Befehl gegeben hatte, fuhren sie kurz darauf aus dem gegenüberliegenden Stadttor wieder hinaus. Halica konnte nicht mehr an sich halten und lachte bis ihr der Bauch wehtat. Etwas außer Atem sagte sie dann:
    „Also, die nächsten Wochen haben diese alten Männer bestimmt nichts anderes zu reden, als über uns. Wir haben Glück, dass wir nicht am Pranger gelandet sind.“ Telmy grinste wie ein Honigkuchenpferd. Sie lehnte sich gegen ihn und hakte sich bei ihm unter, genoss seine Nähe und schloss kurz die Augen. Als sie sie wieder öffnete, sah sie ihn mit einem schelmischen Blitzen in den Augen an.
    „Da fällt mir gerade was ein“, meinte sie und rückte noch näher. Sie kam ihm mit dem Gesicht ganz nah und flüsterte in sein Ohr:
    „Es gibt noch etwas, wobei wir unterbrochen wurden und das wir noch zu Ende bringen müssen.“

    “Hmm… noch was, wobei wir unterbrochen wurden – was mag das sein?“, fragte er sich unwissend gebend und schnappte beim Drehen des Kopfes mit dem Mund nach ihrer Nasenspitze. Der Weg war zwar etwas ausgefahren, aber bis zum nächsten Waldrand war nichts Problematisches zu sehen, wodurch die Pferde Schwierigkeiten hätten bekommen können. So wickelte Telmy rasch die Leinen um die Kurbel der Bremse, damit er die Hände frei hatte. Der Lederschurz war gut verschlossen und reichte bis in Brusthöhe. Dann sah er Halica mit einem genauso schelmischen Gesichtsausdruck an, umarmte sie blitzschnell und drückte sie vorsichtig halb hinab, halb zog sie ihn hinunter auf die Sitzbank, sich dabei über sie beugend. Im Sichtschutz unter dem Schurz fand er schnell ihre süßen Lippen und küsste sie mehrmals, zuerst sanft und zart, dann fordernder und wilder.
    #99VerfasserJean-Louis13 Feb. 09, 08:35
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    Er verlor jedes Zeitgefühle und konnte sich erst wieder von Halica trennen, als der Wagen stehen geblieben war. Verdutzt sah er über den Schurz und stellte fest, dass die Stuten bestimmt an die fünf Meilen allein gelaufen waren und vor ihnen schon der Waldrand lag, mit einer vorher nicht zu erkennenden Wegekreuzung. Er kratzte sich am Kopf.
    „Du schmeckst so gut, immer etwas süß. Sag, Süße, was haben wir so lange gemacht? Wirklich immerzu geküsst?“ Ungläubig staunend wie ein Kind sah er sie mit großen Augen fragend an. Auch sie hatte nichts davon bemerkt, wie schnell die Zeit verging. Ihr Herz klopfte zum Zerspringen, ihr Atem ging schnell. Ihre Augen glänzten fiebrig und ein rosa Hauch hatte ihre Wangen überzogen. Sie konnte immer noch nicht klar denken, wollte ihn am Liebsten wieder an sich ziehen und nie wieder loslassen. Alles in ihr verlangte nach mehr. Sie rief sich aber zur Ordnung, versuchte sich zu sammeln.
    „Das war so wunderschön, wenn es nach mir ginge, dann könnten wir den gesamten Rest der Reise so verbringen.“ Sie sah sich noch etwas aufgewühlt um und entdeckte auch den Wald direkt vor ihnen.
    „Aber wir müssen im Wald wohl aufmerksamer sein, sonst werden wir noch von Räubern überfallen, ohne es zu merken.“

    Noch leicht benommen hörte er zunächst nur die Ernsthaftigkeit ihrer Worte, bevor er sich orientieren konnte und überlegte, wie sie am Besten von hier weiter kommen würden.
    „Nach Norden führt der Weg direkt in den Wald hinein, so wie ich das erkennen kann. Ich weiß auch nicht, wohin die anderen beiden Wege führen. Wir werden wohl durch den Wald müssen, obwohl der Weg alles andere als einladend wirkt.“ In der Tat verschwand der Waldweg in einer leichten Steigung nach einer Kurve im finsteren Forst. Es musste vor kurzem hier geregnet haben, der Boden war sehr feucht und rutschig. Schon bei dem kleinen Anstieg zwischen den ersten Bäumen rutsche eine Stute auf einer schmierigen Wurzel etwas weg. Unter der Schicht aus Nadeln, Blättern und vermodertem Boden liefen die Baumwurzeln quer zum Weg, weshalb das Fahren mehr als ungemütlich wurde. Nur langsam ging es voran, auch mehrere ziemlich enge Stellen mussten vorsichtig passiert werden.

    Der Regen war wahrscheinlich mit warmer Luft über die Wälder getrieben worden, weil es merklich wärmer und dämpfiger wurde. Beide brauchten längst keine Decken mehr. Telmy hatte seinen Wappenrock weit aufgeknöpft und bei einem kurzen Halt den Schurz wieder in dem Kasten am Bodenbrett des Kutschbockes verstaut. Stellenweise war der Weg eng zugewuchert und auf ihm wuchsen bereits kleine Bäumchen. Obwohl die hervorragend zusammenarbeitenden, schweren Pferde instinktiv versuchten, gleichmäßig zu ziehen, musste der Halbelfe öfter anhalten, um im rutschigen Untergrund den Tieren wieder einen festen Tritt und ein gleichzeitiges Anziehen zu ermöglichen. Das Gespann quälte sich regelrecht durch einen düsteren, hoch gewachsenen Wald mit sehr alten, dicken Bäumen, in denen oft Flechten gespenstisch aussehende Wucherungen bildeten. Stellenweise roch es sehr modrig und es gab viele Stellen neben dem Weg im Wald, wo bräunliches Wasser in manchmal großen Pfützen stand und sumpfige Stellen zu vermuten waren. Telmy sah oft zur Seite nach Halica, manchmal trafen sich ihre Blicke und beide lächelten sich an. Er fragte sich, an was sie wohl während der vergangenen Stunden gedacht haben mochte, als sie sich nur wenig unterhielten, meistens über Tiere, die sie davonhuschen sahen oder merkwürdig gewachsene Bäume, wenn er nicht angestrengt die Pferde lenken musste.
    #100VerfasserJean-Louis13 Feb. 09, 09:37
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    Halica hatte lange damit zu tun, sich sehr zu bemühen, Telmy nicht wieder so nahe zu kommen wie vor dem plötzlichen Halt am Waldrand, sonst würden sie wohl bis Grauenfels noch Wochen brauchen. So versuchte sie lieber, die Gespräche bei unverfänglichen Themen zu belassen. Dabei konnte sie die ganze Zeit aber nur daran denken, wie sie sich geküsst und die Zeit darüber ganz vergessen hatten. So eine intensive Erfahrung hatte sie noch nicht gemacht. Die Welt um sie herum hatte einfach nicht mehr existiert, alle Probleme und Gedanken waren wie ausgelöscht gewesen. Immer wieder sah sie ihn an und war aufs Neue erstaunt, wie schnell er ihr in so kurzer Zeit so wichtig geworden war. Sie konnte es sich nicht so recht erklären. Aber es war so... schön. Sie seufzte. Der Wald erschien ihr, obwohl etwas unheimlich, auch gleichzeitig sehr friedlich. Die Stunden vergingen und Halica wurde schläfrig vom angestrengten Nachdenken und dem Schaukeln des Wagens. Immer wieder fielen ihr die Augen zu. Zunächst versuchte sie sich noch dagegen zu wehren, doch irgendwann gab sie auf, legte den Kopf auf Telmys Schulter und schlief ein.

    Das Befehligen der Pferde war in diesem dunklen Wald zunehmend schwieriger geworden. Telmy wünschte sich, er hätte für jedes Pferd eigene Leinen gehabt, um sie einzeln lenken zu können, aber er musste mit der Kreuzleine vorlieb nehmen. Halica war an seiner Seite immer stiller geworden, jetzt hielt er sie eingeschlafen im Arm, was die Fahrt auch nicht einfacher machte. Noch nie war er in einem derartigen Wald gewesen. Er schien kein Ende nehmen zu wollen und nahm einen immer mehr urwaldartigen Charakter an. Weshalb es hier überhaupt einen Weg gab? Er musste uralt sein. Die Bäume waren noch mal größer geworden und das Blätterdach des jetzt reinen Laubwaldes wahrhaft undurchdringlich. Sein Gefühl trog den Halbelfen nicht, es musste längst fast abends sein, denn es wurde schlagartig duster. Die Stuten liefen wieder sicher und unbeeindruckt von der ihm nicht ganz geheueren Umgebung, zogen kräftig an, als es erneut eine Steigung hinauf ging. Halica schlummerte selig. Das Gespann hielt langsam auf einem Bergrücken an, der quer zur Fahrtrichtung verlief, weil der Weg in einem starken Gefälle im dunklen Wald auf der anderen Seite verschwand. Die Pferde standen jetzt schnaubend und etwas dampfend da, ansonsten war kein Laut zu hören. Unheimlich, dachte sich Telmy. Er kurbelte die Bremse fest, nahm eine Decke, rollte sie zusammen und ließ Halica ganz sachte auf die Sitzbank gleiten, legte ihr die Beine hoch und während er die Decke unter ihren Kopf schob, stieg er zugleich ab.

    Um den Wagen herumgehend versuchte er sich ein Bild von dieser Stelle zu machen. Für einen Menschen wäre nach wenigen Schritten alles nur noch in einem schwarzen Hintergrund versunken. Er dagegen konnte noch wesentlich weiter sehen, wenn auch alles wie ein grauer Brei mit wenigen Konturen wirkte. Die Form des Platzes war es, auf dem er angehalten hatte, der viel zu groß erschien und dazu unnatürlich dreieckig, um nur zufällig entstanden zu sein – dazu gesäumt von riesigen Bäumen in regelmäßigen Abständen. Die Spitze des Dreieckes wies nach rechts und so ging er ein paar Schritte als er feststellte, dass der Weg, vielleicht auch der ganze Platz, mit altem, grobem Pflaster befestigt war. Er scharrte mit dem Stiefel eine kleine Fläche von dem dicken, fauligen Laubbelag frei und fand seine Feststellung bestätigt. Hier musste vor langer Zeit etwas Wichtiges gewesen sein, überlegte er. Warum sonst sollte in so einem düsteren Wald mit sehr altem Baumbestand eine gepflasterte Fläche angelegt worden sein? Er ging noch etwas weiter in Richtung des rechten Endes des Platzes, dann erregte ein aus der Fläche heraus nach rechts stark ansteigender Pflasterweg seine Aufmerksamkeit. Noch ein paar Schritte weiter erkannte er eine in dem dunklen Wald kaum sichtbare Burgruine.
    #101VerfasserJean-Louis13 Feb. 09, 11:00
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    Sehr schnell rannte er den steil ansteigenden Weg hinauf, um Halica ja nicht zu lange allein lassen zu müssen. Der Torbogen des Zuganges zum Innenhof der Burg war noch vollständig erhalten, die Torflügel des dreifach hintereinander gestaffelten Tores allesamt offen und der dahinter liegende Burghof verhältnismäßig sauber, nur am Rande lagen einzelne, herab gefallene Steine von zerbröselnden Mauern, soweit er sehen konnte. Mitten im Hof befand sich ein großer überdachter Brunnen, um den man sehr leicht mit dem größten Fuhrwerk, vielleicht sogar achtspännig, hätte herumfahren können. Für Telmy war sofort klar, einen besseren Ort für die Nacht gab es nicht. Blitzschnell war er wieder hinunter gerannt zum Gespann und führte die Pferde nach dem Lösen der Bremse zu Fuß in den Burghof. Er freute sich ein weiteres Mal über die Tiere. Mit welcher Leichtigkeit und Gleichmäßigkeit die beiden Stuten den Planwagen die Steigung emporzogen war für ihn schon bemerkenswert. Hinter dem Brunnen ließ er den Wagen zunächst stehen und versuchte, die Burgtore zu schließen. Das äußerste Paar Torflügel wäre wohl eher zerbrochen, als sich schwenken zu lassen, aber die beiden inneren Tore konnte er schließen und verriegeln.

    Halica hatte von all dem nichts bemerkt, schlummerte noch tief und fest, während Telmy rasch die Pferde versorgte. Abspannen und Abschirren gingen wie von selbst, so oft wie er das schon gemacht hatte. Ein noch gut erhaltenes Nebengebäude entpuppte sich als Stall und flugs waren die Pferde mitsamt Geschirr hinein gebracht und dort bestens aufgehoben. Futter bekamen die Stuten in den Futtertrog und aus dem noch funktionierenden Brunnen schöpfte der Halbelfe mehrere Eimer Wasser, welches er für gut befand und in die Tränken goss. Sicherheitshalber kurbelte er dann die Bremse am Wagen fest und schloss die hintere Bordwand mitsamt Plane wieder fest zu. Anschließend stieg er ganz leise mit einem Eimer voll Wasser über Halica hinweg in den Wagen, schlüpfte gleich aus den Schuhen, stellte den Eimer hinten ab und brannte alle vier Laternen an, die er auf die vier Truhen verteilte. Immer wieder nach seiner schlafenden Liebsten schauend, richtete er ein kleines Abendessen zwischen den zwei Schlaflagern im Wagen her. Zuletzt rollte er hinten die Kettengitter runter, befestigte und sicherte alle Verschlüsse und Öffnungen, um dann wieder leise auf den Kutschbock hinaus zu steigen.

    Vorsichtig griff er unter Halica und hob sie auf. Wie leicht sie doch ist, kam es ihm in den Sinn. Er brachte sie in den Wagen und legte sie sanft auf eines der Lager, auf denen er die Decken bereits ausgebreitet hatte. Mit wenigen Griffen holte er die anderen Decken vom Fuhrmannssitz und schloss auch die vordere Plane fest und sicher mit den Kettengittern zu. Halica gab immer nur mal ein wohliges Seufzen von sich, da es im Wagen langsam wärmer wurde. Dann kniete Telmy neben ihr und betrachtete seine schlafende Schönheit eine ganze Weile, bis er ihr die Schuhe auszog und diese beiseite stellte, woraufhin er anfing sie wach zu kitzeln, indem er einen Halm aus dem Heuballen im Wagenende zog und damit über ihre Wangen strich. Ganz langsam öffnete sie die Augen und rieb sich über die Wange. Verwirrt sah sie sich um, weil sie nicht wusste, wie sie in den Wagen gekommen war. Wieder strich sie sich über die Wange, um die lästige Fliege zu verscheuchen, die sie ärgerte. Da bemerkte sie Telmys Grinsen und sah den Halm.
    „Das bleibt nicht ungesühnt“, rief sie und schon war jede Schläfrigkeit aus ihren nun funkelnden Augen vertrieben.

    Sie nahm ihm den Halm ab, schubste ihn auf sein Lager, war blitzschnell über ihm und kitzelte ihn nun ihrerseits damit. Sie war sich gar nicht bewusst, dass sie auf ihm saß, bis sie bemerkte, dass er sich gar nicht wehrt und das Verlangen in seinem Blick sah. Sie hielt inne und in ihrem Bauch begannen die Schmetterlinge wieder mit ihrem Tanz. Keiner von beiden sagte etwas, sie sahen sich nur an. Dann beugte sie sich vor und küsste ihn zärtlich.
    #102VerfasserJean-Louis17 Feb. 09, 12:21
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    Ihr Angriff überrumpelte ihn völlig. Belustigt hatte er ihre vergeblichen Versuche beobachtet, den kitzelnden Halm zu verscheuchen. Als sie urplötzlich auf ihm saß und ihn nun damit kitzelte, bemerkte er, wie Halicas Wangen sich röteten und sie schwer zu atmen begann. Dann waren ihre Lippen schon auf seinen. Doch dieser Kuss war intensiver als all die vorherigen und er spürte, wie das Feuer der Leidenschaft in ihm entbrannte. Er konnte zuerst nichts denken und der Kuss nahm kein Ende. Schließlich wollte er sich mit ihr drehen, um seinerseits oben liegen zu können. Im letzten Moment sah er sein liebevoll zurechtgemachtes Abendessen am Fußende der Schlaflager und bremste die Drehung abrupt. Er musste mit beiden Händen sanft ihren Kopf wegdrücken, damit er etwas sagen konnte.
    „Halte ein, Liebste, halte ein. Beinahe hätten wir unser Abendessen überrollt und platt gemacht.“ Dann sah er sie lachend an, gab ihr noch einen Kuss auf die Stirn und sprach weiter:
    „Das wäre jetzt was gewesen – so eine süße Vorspeise und dann nichts mehr für die Hauptspeise. Meine Schmetterlinge im Bauch haben Hunger – deine etwa nicht?“

    Sie schaute ganz überrascht zuerst ihn an und dann auf das Essen, lächelte aber sofort wieder.
    „Du warst ja ganz schön fleißig, während ich geschlafen habe. Hättest du mich doch früher geweckt, dann hätte ich dir helfen können. Du meine Güte, das sieht alles so köstlich aus. Ich sterbe vor Hunger.“ Schnell setzte sie sich neben ihn und nahm sich einen Zinnteller, den sie mit allen möglichen Leckereien befüllte, die da aufgebaut waren und aß ihn genüsslich leer. Sie machte ihn noch ein weiteres Mal voll und als sie Telmys belustigten Blick sah, sagte sie nur:
    „Was denn? Die Liebe macht hungrig, weißt du das nicht? Also, bei mir ist das jedenfalls so.“ Herzhaft biss sie in ein Stück des kalten Bratens.

    „Ich glaube, du bist jetzt ganz bestimmt nicht allein hier, mit einer hungrig machenden Liebe. Ich muss jetzt nicht nur für mich essen, sondern diese verflixten Schmetterlinge auch noch mit füttern.“ Telmy lachte über sich selbst, als er fragte:
    „Was meinst du, ob ich Honig essen sollte?“ Dann schlug er sich den Bauch voll und verdrückte auch noch eine zweite Portion. Einen ausgezeichneten Beerensaft hatte ihnen die Wirtin der Taverne von Drakona mitgegeben und das Griebenfett schmeckte hervorragend mit etwas Salz auf einer Scheibe noch immer frischen Brotes. Dann nahm er wirklich eine Honigdose, öffnete sie und ließ einen großen Löffel voll heraus rinnen, den er genüsslich in seinen Mund schob und den Honig darin zergehen ließ.

    Halica sah ihm fasziniert zu. Wie köstlich ein Kuss von ihm jetzt schmecken würde, dachte sie. Nun wollte sie auch davon kosten, also steckte sie den Zeigefinger in den Honig, schob ihn in den Mund und schleckte ihn genießerisch ab.
    „Sehr lecker. Meine Schmetterlinge müssen schließlich auch gefüttert werden, nicht das die noch verhungern, dann können sie nämlich nicht mehr tanzen“, meinte sie vergnügt lachend. Sofort tauchte sie den Finger erneut ein, tippte ihm auf die Nasenspitze damit und küsste den Honig darauf gleich wieder weg. Den Rest auf ihrem Finger leckte sie wieder ab. Ein wenig von dem klebrigen Honig war auf ihren Lippen gelandet und sie fuhr sich langsam mit ihrer Zunge darüber. Er war ebenso vergnügt und spürte noch, wie der Kuss auf der Nase kitzelte. Er sah sie nun im Schneidersitz neben sich sitzen und wie sie ihre Zunge über ihre Lippen bewegte, was ihm ein siedendheißes Gefühl durch den Körper fahren ließ. Schnell tippte er mit dem Zeigefinger ebenfalls in den Honig und wollte das Nase-Küssen erwidern, doch…
    #103VerfasserJean-Louis17 Feb. 09, 14:43
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    … sein Blick streifte zufällig ihren Hals und blieb am Halsansatz hängen. Seine Hand war bereits unterwegs zu ihrem Näschen, als sie auf ein Mal die Richtung änderte und den Honigklecks auf die freie Stelle auf ihrer Brust unterhalb des Halses setzte. Dann leckte er sich den Finger sauber, beugte sich zu ihr und senkte die Lippen unter ihr Kinn. Mit seinem heißen Atem strich er die Kehle nach unten und begann leicht zu zittern, in Erwartung ihrer warmen, duftenden Haut, die er gleich mit seinen Lippen berühren würde.

    Halica war es schlagartig heiß im Gesicht geworden, als er mit dem Finger die Richtung änderte und den Honig auf ihrem Brustansatz verteilte. Ihr stockte fast der Atem und wie gebannt sah sie, wie sein Gesicht der Stelle mit dem Honigklecks immer näher kam. Sie spürte seinen Atem auf ihrer Haut und ihr Herz begann zu rasen. Es dauerte ihr fast zu lange und sie konnte sich nicht vorstellen, weshalb es so lange dauerte, bis seine Lippen endlich ihre Haut berührten. Halica hätte die Schmetterlinge in ihrem Bauch nicht füttern dürfen, denn sie schienen überhaupt nicht mehr aufhören wollen zu tanzen. Kurz genoss sie dieses berauschende Gefühl, dass seine Zunge auf ihrer Haut hinterließ, dann schob sie Telmy sanft aber nachdrücklich von sich und sagte mit belegter Stimme:
    „Wenn wir jetzt nicht aufhören, dann werden wir es nicht mehr abstellen können.“ Immer noch atemlos berührte sie vorsichtig mit zwei Fingern die Stelle, an der eben noch seine Lippen waren und die nicht aufhören wollte zu prickeln.

    Telmy leckte sich noch die Lippen ab, atmete auch schwer und setzte mehrmals an zu sprechen. Dann presste er heiser heraus:
    „Du hast wie immer Recht… du wirkst auf mich so betörend… ich weiß nicht, wie mir in deiner Nähe geschieht.“ Leicht keuchend setzte er sich zurück und zog verlegen eine Decke auf seinen Schoss, damit diese seine erwachte Lust verbergen konnte. Dann stotterte er beinahe, als er sagte:
    „Ich… ich habe… ich war… noch nie… ich meine… ich war noch nie mit einem Mädchen so richtig zusammen… ich habe noch nie mit einer…“ Völlig hilflos sah er Halica an und nahm ihre Hand mit beiden Händen, um sie sich an die Wange zu drücken. Halicas Erregung war etwas abgeklungen und wurde von einem derart warmherzigen Gefühl für ihn gänzlich verdrängt, dass sie feuchte Augen bekam und kaum erwarten konnte, was er noch sagen wollte.
    „Du bist die erste… die einzige… mit dir möchte ich… möchte ich… das tun, was zwei tun, die sich lieben.“ Sein Blick war halb ängstlich, halb fragend, als ob er sich vor einer ablehnenden Antwort fürchten würde, aber genauso viel Angst vor dem hätte, was da kommen würde, wenn Halica dies auch so wollte.
    Sie spürte in diesem Moment nichts als Liebe zu ihm, reine Liebe, so wie sie sie bisher nur durch Arwin kannte. Telmy sah so niedlich aus, als er unbeholfen zu stottern begann. Halica sah in seine wundervollen braunen Augen und wäre nur zu gerne auf seinen Wunsch eingegangen, denn auch sie konnte ihr Verlangen nach ihm kaum noch zügeln. Aber Arwins Warnung kam ihr wieder in den Sinn, sie hörte ihn sprechen und seine Bitte, noch zu warten. Das hatte schon seinen Grund, ganz sicher und sie würde seinen Wunsch respektieren, so schwer es ihr im Moment auch fiel.
    „Du kannst dir bestimmt nicht vorstellen, wie gerne ich mich dir hingeben würde, aber ich denke, wir sollten uns noch etwas Zeit lassen damit. Wir sollten es nicht überstürzen, aber eines ist gewiss...“, sie kuschelte sich wieder in seine Arme, „…passieren wird es früher oder später, denn sonst werde ich noch verrückt.“ Sie fühlte sich dennoch überglücklich. Er schloss die Augen und hielt sie fest. Alles in ihm spielte verrückt – da die Schmetterlinge, dort die Hitze, hier ein Schauer nach dem anderen und denken konnte er ohnehin nichts Vernünftiges – er fühlte sich wie in einem Strudel gefangen.
    #104VerfasserJean-Louis17 Feb. 09, 15:49
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    Auf der Fahrt nach Norden – Übernachten in einer Burgruine

    Langsam beruhigte sich sein Zustand und er nahm seine Umgebung wieder ohne diese inneren Beeinträchtigungen wahr. Wie lange er mit Halica im Arm dagesessen war, merkte er nur daran, dass sowohl sie als auch seine Beine inzwischen eingeschlafen waren. Mühsam bewegte er sich und legte seine Elfe vorsichtig auf ihr Lager. Leise begann er aufzuräumen und als er damit fertig war, richtete er das zweite Lager für sich. Halica hatte sich nur einmal gedreht und schlief tief und fest. Er überlegte noch eine Weile, ob er sie in der unbequemen Kleidung schlafen lassen sollte oder besser nicht, wollte aber schon, dass sie angenehm schlafen konnte. Deswegen zog er ihr mit zittrigen, schweißnassen Händen und glühendem Gesicht vorsichtig Rock und Hose aus, nachdem er die Laternen auf ihrer Seite gelöscht hatte. Da jetzt nur noch zwei Laternen brannten, geschah dies alles im Schatten dieser hinter ihm brennenden Lichter und er war froh darüber. Liebevoll bedeckte er ihren wunderschönen Körper, der nur noch von einer feinen Unterwäsche verhüllt war, wie er sie noch nie gesehen hatte, mit zwei dicken Decken und kuschelte sie darin ein. Dann strich er noch mal über ihr Haar, gab ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange und machte sich auf seinem Lager ebenfalls für die Nacht fertig. Er löschte die Laternen, zog sich aus und kroch rasch unter seine Decken. Eine Zeit lang lag er noch wach und dachte nach, dann entführte ihn der Schlaf in die Dunkelheit.

    Inzwischen braute sich westlich über dem weitläufigen Waldgebiet ein Unwetter zusammen. Die wärmere, feuchte Luft aus dem Waldgebiet war aufgestiegen und hatte in einer höheren, kälteren Luftschicht mächtige Wolken ausgebildet, die nun nach Osten zogen und es entstanden erste kleinere Gewitter. Windböen fegten plötzlich durch den Burghof und wenige Regentropfen fielen, aus denen sich schnell ein strömender, heftiger Regen entwickelte. Immer mehr Blitze erhellten für Momente die Nacht in einem gespenstischen, bläulichen Weiß. Telmy erwachte, als ein starkes Donnerknallen einen Einschlag ganz in der Nähe begleitete. Der Regen prasselte auf die Wagenplane und der Wind zerrte heftig in schnell wechselnden Richtungen am ganzen Wagen. Irgendwo schlug ein loser Fensterladen beständig gegen eine Wand und immer wieder heulte der Wind in schauerlichen Tönen irgendwo in dem alten Gemäuer.

    Auch Halica schrak aus einem traumlosen Schlaf hoch. Sie sah sich in dem dunklen Innern des Planwagens um und konnte durch die fahle Helligkeit, die aus einem mit Blitzen übersäten Himmel zu den kleinen Öffnungen in der Stirnseite am Kutschbock herein schien, erkennen, dass Telmy ebenfalls erwacht war. Sie hörte, wie der Wind um den Wagen pfiff, jaulte und irgendetwas Loses immer wieder laut schlagen ließ und sah Blitze zucken. Sich aufrichtend bemerkte sie, dass sie nur noch ihre Unterwäsche trug. Nun grinste sie und freute sich aber gleichzeitig. Wie rot wohl seine Ohren wieder geworden waren, als er sie ausgezogen hatte? So dachte sie, als sie gleichzeitig darüber schmunzelte, weil aus dem schüchternen Jüngling ziemlich schnell ein immer forscherer Mann wurde – zweifellos das Werk Arwins. Als der nächste schreckliche Donnerschlag wieder ganz nah und laut in der Nähe des Wagens dröhnte, überlegte sie nicht lange, sondern huschte zu Telmys Lager und schob sich unter seine Decke, wo sie sich an ihn schmiegte. Sie sah einen winzigen Augenblick sein verdutztes Gesicht und sagte leicht ängstlich:
    „Wenn ich schon vom Blitz erschlagen werde, so will ich dabei wenigstens in deinen Armen liegen.“
    #105VerfasserJean-Louis18 Feb. 09, 14:30
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    Obwohl er bemerkt hatte, dass Halica von dem Gewittersturm ebenso aufgeweckt worden war, wie er selbst, hatte es ihn doch überrascht, als sie einfach so zu ihm unter die Decke schlüpfte. Er lag ihr zugewandt auf der Seite und sie hatte sich sofort mit ihrem Rücken richtig in ihn hineingekuschelt. Er spürte ihren Körper so durchdringend wie noch nie – kein Wunder, denn in diesem Moment fiel ihm erst ein, dass sie nur eine feine Unterwäsche trug und er obendrein auch noch nackt unter der Decke war. Ihr Hintern drückte gegen seinen Unterleib und er dachte krampfhaft an alles Mögliche, um die aufsteigende Hitze zu unterdrücken. Nur nicht zulassen, dass ihn die schlagartig befallene Lust zu unüberlegten Dingen verführen würde. Er konnte aber doch nicht verhindern, dass sich seine Gefühle auswirkten und betete zu allen ihm bekannten Göttern, Halica möge davon nichts merken. Sein innerer Kampf ermüdete ihn aber wieder und so glitt er ab in den Schlaf.

    Halica war sich zuerst gar nicht bewusst, wie eng sie an ihm lag und bekam große Augen, als sie seine Nacktheit erspürte. Ihr gingen viele Gedanken blitzschnell durch den Kopf, aber beinahe hätte sie gelacht, denn ihr fiel auch ein, in welche Not er am Morgen geraten würde, wenn er aufstehen wollte. Selbst, wenn sie sich nicht zu ihm unter die Decke gekuschelt hätte, dann hätte sie viel zu lachen gehabt, wenn sie vor ihm erwacht wäre und er versuchen würde zu verhindern, dass sie ihn so sehen würde. Also, so etwas aber auch - in Anwesenheit einer Dame einfach nackt zu schlafen. Sie biss sich auf die Lippe, um das aufsteigende Kichern zu unterdrücken, als ihr ein Bild in den Kopf schoss. Was wohl geschehen würde, wenn sie nachts von Räubern überfallen werden? Eigentlich sollte er ja mit dem Schwert und nicht mit einer – na ja – Stangenwaffe kämpfen. Ihre Vorstellungen wurden immer alberner. Es fiel ihr deshalb immer schwerer ruhig zu bleiben, aber ihre Belustigung verging schlagartig, als sie seine aufkommende Lust bemerkte. Sie versuchte sogleich, ganz ruhig zu atmen und sich auf das Einschlafen zu konzentrieren, denn sonst wäre es mit ihrer Beherrschung schnell dahin gewesen. Aber das Einschlafen gelang ihr erst, als sie an seinem regelmäßigen Atem hören konnte, dass auch er eingeschlafen war.

    „Ja doch, sofort – ich komme doch schon…“, murmelte Telmy und erhob sich noch müde im Halbschlaf vom Lager. Er stieß beim sich Aufrichten gegen die Wagenplane, taumelte einen Schritt, blieb an etwas mit einem Fuß hängen, verlor das Gleichgewicht und fiel nach einem weiteren Stolperschritt in den Heuballen am Wagenende. Nach mehreren Atemzügen spürt er ein Kribbeln, das immer stärker wurde und schließlich fast überall ein Pieksen. Schnell rappelte er sich hoch und war wach. Er begriff erst jetzt, dass ihn das Heu piekste, weil er nichts an hatte. „Nackt!“, schoss es ihm durch die Gedanken und dass er zum Glück nur geträumt hatte – aber dort lag Halica und… schlief noch. Oh, welch ein Glück! Es musste zwar noch sehr früh am Tag sein, dennoch tastete er nach seinen Sachen und zog schnell die Hosen an und sein Hemd. Dann setzte er sich auf den Heuballen und ein lang gezogenes Heulen eines weit entfernten Wolfes ließ ihn an das denken, was ihn aufgeweckt hatte – den Traum.

    Er sah sich in einem engen Tal, durch den ein wilder Bach floss. Es war finster, aber er konnte ganz deutlich alles erkennen, nur, wie durch einen leichten roten Schleier. Der Wind trug einen Schrei zu ihm – nein, es war kein Schrei, sondern ein Hilferuf! Unbändig sprang er auf und rannte schneller als ein Raubtier am Ufer des Baches entlang, schnellte mit riesigen Sätzen einfach von einem Felsen zum nächsten Felsen in großen Sprüngen, bis er den Rufen nahe war – ganz nahe. Doch woher kamen sie genau? Wo war der Ursprung der - tatsächlich kindlichen Stimme? Hastig suchte er. Dort… unter einem großen Wurzelgeflecht von Bäumen – ein deutliches Knurren. Aber, kein Hilferuf mehr. Seltsam! Er blickte sich gehetzt um… und sah… gelbe, leuchtende Augen. Kein Zweifel… ein Rudel Wölfe. Jetzt sah er endlich auch das Kind, kein Menschenkind, eine kleine Elfe. Die gelben Augen starrten nicht nur in die Höhle unter dem Wurzelgeflecht – da waren auch zwei in der Höhle. Noch ein Hilferuf. Telmy antwortete: „Ja doch, sofort – ich komme doch schon...“
    #106VerfasserJean-Louis18 Feb. 09, 14:39
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    Um ihn wurde es nun wieder dunkel und ruhig – er war auf dem Heuballen noch einmal eingeschlafen. Einige Zeit später erwachte Halica und griff neben sich, doch ihre Hand fasste ins Leere. Sie öffnete die Augen und blinzelte, es war bereits hell und im Wagen nicht mehr ganz so dunkel wie in der Nacht. Nachdem sie sich ausgiebig gestreckt hatte, sah sie sich suchend nach Telmy um und entdeckte ihn schlafend auf dem Heuballen hinten im Wagen. Ihr Blick glitt an ihm hinunter und ein bedauerndes Lächeln umspielte ihre Lippen. Er hatte sich in der Nacht leider schon angezogen, dabei hatte sie sich doch schon darauf gefreut zu beobachten, wie er versuchen würde sich anzuziehen, ohne dass sie etwas merken würde. Jetzt ergriff sie rasch die Gelegenheit, wusch sich schnell und zog sich an, ohne dass er etwas davon merkte, dann bereitete sie leise das Frühstück. Als alles fertig war, weckte sie ihn mit einem Kuss. Sie sah zu, wie er langsam die Augen öffnete und sich verwundert umschaute. Wahrscheinlich wusste er nicht mehr, wie er auf den Heuballen gekommen war.
    „Habe ich so geschnarcht, das du Reißaus nehmen musstest?“, fragte sie ihn lachend.

    Telmy rieb sich die Augen und hatte noch das Gefühl des Kusses auf den Lippen, als er verschlafen ihre Frage hörte.
    „Wie?“ Dann lachte er und meinte: „Du schnarchst doch nicht. Ich hatte wieder so einen Traum. Ein Mädchen, vielleicht eine junge Frau, eine kleine Elfe, denke ich. Wölfe haben sie bedroht – immer diese Wölfe in meinen Träumen. Obwohl, ich glaube einer war in der Höhle…“ Dann bemerkte er erst, wo er lag und das er nur halb angezogen war.
    „Ich glaube, ich gehe besser zum Brunnen und wasche mich draußen. Es regnet nicht mehr und der Sturm scheint auch weg zu sein. Ich beeile mich, du hast ja schon Frühstück gemacht.“

    Er strich Halica übers Haar als er vorbei ging, um die Kettengitter und die Plane vorn zu öffnen. Dann schnappte er sich seine Sachen und ein großes, weiches Tuch, kletterte hinaus und ging barfuss durch den nassen Burghof hinter den Brunnen. Dort zog er sein Hemd aus, holte sich einen Eimer Wasser aus dem Brunnen hoch und goss sich den halben Inhalt über den Kopf und die Brust, während er gebückt dastand. Er rieb sich ab und goss die zweite Hälfte über sich. Nach dem Abtrocknen zog er sich bis auf Socken und Schuhe an. In einem zweiten Eimer Wasser wusch er sich auf einem großen, abgestürzten Mauerstein sitzend rasch noch die Füße, um dann vollständig angezogen wieder in den Wagen zu kommen.
    „Schneller ging es nicht, Liebes“, sagte er mit einem entschuldigenden Blick zu Halica und setzte sich gleich neben sie. Er gab ihr noch einen Kuss auf die Wange und griff dann zu Brot und Messer. Zwei dicke Scheiben schnitt er ab und gab ihr eine.
    „Lass es dir schmecken, meine Liebste.“ Er lächelte sie voller sprühender Verliebtheit an und strich sich Pflaumenmus auf das Brot.

    Halica war froh, dass es im Wagen immer noch etwas dunkler war als draußen. Sie spürte die Röte in ihrem Gesicht und das erneute Tanzen der Schmetterlinge. Als er zum Waschen gegangen war, saß sie im Wagen und sah Telmy dabei zu, wie er sich mit nacktem Oberkörper wusch. Sie war völlig gefesselt von dem Anblick den er ihr so bot. Er war muskulöser als man es unter seinen Kleidern vermuten würde. Sie hatte ihn zwar schon befühlen können, doch ihn so zu sehen war schon etwas ganz anderes. Er sah nicht nur zum Anbeißen aus, sein Körper schien sie regelrecht dazu aufzufordern. Ihr wurde es heiß und kalt zugleich. Die Sehnsucht danach ihn zu berühren, zu streicheln und seinen starken Körper an ihrem eigenen sehr viel weicheren zu spüren, wuchs schier ins Unermessliche. Sie fragte sich, wie lange sie es noch ertragen konnte, ihm so nahe zu sein, ohne all das tun zu dürfen, wonach sie sich so sehr sehnte.
    #107VerfasserJean-Louis18 Feb. 09, 14:46
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    Als er wieder zurückkam, versuchte sie ihre Aufmerksamkeit ausschließlich auf das Frühstück zu lenken, denn sonst hätte sie sich, statt zu essen, lieber in seine Arme geworfen und ihm die so unnötigen Kleider einfach wieder ausgezogen. Tief durchatmend aß sie schweigend ihr Frühstück, schluckte den Kloß in ihrem Hals hinunter und vermied es ihn anzusehen. Telmy dachte darüber nach, wieso sie so merkwürdig still war. Er wollte näher an Halica heranrücken, doch im selben Augenblick rutschte sie etwas von ihm weg. Sie erschien ihm aufgeregt, irgendwie unruhig. Nun gut, sie wird auch über etwas nachdenken – kam ihm in den Sinn und so aß er auch von den gut schmeckenden Sachen. Es fiel kein Wort, bis beide fertig waren.
    „Ich werde mich gleich um die Pferde kümmern und unsere Wasserschläuche am Brunnen füllen. Wenn wir bald weiter fahren und dieser Wald keine Überraschungen in sich birgt, kommen wir vielleicht sogar eher zum Adlergebirge, als ich dachte. Ich muss aber zugeben, dass ich keine Ahnung habe, wohin der alte Weg wirklich führt. Bis jetzt stimmte wenigstens die Richtung – nach Norden.“

    Dann wurde er plötzlich unruhig und nahm ihr Haar in die linke Hand, fing an, Locken zu drehen. Mehrmals setzte er an zu sprechen, schnaufte aber nur jedes Mal deutlich hörbar aus. Schließlich kamen doch Worte aus einem Mund heraus.
    „Du… du bist das Lieblichste und Schönste, was mir jemals begegnet ist. Das weiß ich ganz genau und trotzdem… Ich denke im einen Moment, ich wäre schon sehr viele Jahre mit dir zusammen, aber im folgenden Augenblick ist an dir alles so neu, so unbekannt. Es ist einfach verrückt, aber ich glaube einmal, so viel von dir zu wissen und dann sofort wieder doch gar nichts.“ Dabei legte er seinen Arm um sie und zog sie ganz fest an sich. Während er weiter Locken drehte, funkelte plötzlich die Abenteuerlust in seinen Augen.
    „Wir könnten uns aber auch aufmachen, diese alte Burg zu erforschen und dann halt einen Tag später nach Grauenfels fahren. Was meint denn meine mutige Elfe dazu?“

    Wie sie es liebte, wenn er mit ihrem Haar spielte. Es war nur eine kleine Geste, die ihm nicht mal bewusst war, aber es gab ihr das wunderschöne Gefühl der Vertrautheit. In solchen Momenten wusste sie einfach, dass alles mit ihm gut werden würde. Sie genoss es sehr, als er sie in seine Arme zog und schmiegte sich fest an ihn. Wieder schoss ihr das Bild in den Kopf, wie er am Brunnen stand und sich das Wasser übergeschüttet hatte - wie sein nasser Oberkörper in der Sonne geglänzt hatte. Ein Seufzer entfuhr ihr. Schnell räusperte sie sich, denn sie hatte die Befürchtung, dass sie sonst mit seltsam belegter Stimme sprechen würde.
    „Ja, das ist eine gute Idee, vielleicht finden wir sogar einen Schatz. Ich bin furchtbar neugierig, wie die Burg wohl im Inneren aussieht.“

    Voller Freude küsste er sie zärtlich und schnell war besprochen, dass er sich erst um die Pferde kümmern würde, während sie im Wagen Ordnung schaffte. Die hinteren Kettengitter waren auch gleich geöffnet und alle Sicherungen entriegelt. Beim Hinausgehen zwinkerte er Halica fröhlich zu, schulterte seine zwei Schwerter, dann war er schon draußen und in dem Stallgebäude verschwunden. Bei den Pferden war alles bestens. Neues Wasser vom Brunnen, je zwei Scheffel Hafer und noch eine große Portion Heu vom Wagen in die Futtertröge, das war auch gleich erledigt. Als Telmy die hintere Bordwand wieder schloss, rief er zu Halica:
    „Ich schau mal im Stallgebäude, ob ich dort Fackeln finde. Die Laternen sind in dem dusteren Gemäuer bestimmt zu schwach. Komm doch dann gleich an den großen Eingang unter dem Balkon und bring eine Öllampe mit, damit wir die Fackeln anbrennen können, falls ich welche finde. Dort warte ich auf dich.“
    #108VerfasserJean-Louis18 Feb. 09, 16:14
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    Schnellen Schrittes war er wieder im Stall und band die Pferde los. Die Burgtore waren ja noch geschlossen und den Tieren machte es sicher Spaß, auch nach Lust und Laune im Burghof umher zu spazieren. Er hatte sich nicht geirrt, was die Fackeln betraf. In einer Ecke lag ein ganzer Stapel davon, zwar alt, aber trocken. Er nahm sich zwei und sah sich kurz um. Das Stallgebäude selbst war nicht weiter interessant – wenigsten auf den ersten Blick, obwohl an einem schmalen Ende eine Holzstiege nach oben führte. Telmy ging wieder hinaus und sah sich im Burghof dann sehr genau um. Den hölzernen Wehrgängen oben an der Innenseite der Burgmauern war nicht mehrt zu trauen. Zu modrig und verfault sahen die Tragbalken aus, auch waren manchmal bereits einige Bodenbretter durchgebrochen und hingen zum Teil nur noch am Gebälk. Das Hauptgebäude wurde von zwei runden, hohen Türmen flankiert, während in den anderen beiden Ecken der großen Anlage eckige Türme standen. Auch schien es, als sei das Hauptgebäude auf sehr viel ältere, niedrigere Mauern – vielleicht von einer zerstörten Vorgängerburg – aufgesetzt worden. Er prägte sich die Lage der Stockwerke und Fenster ein und auch den momentanen Lichteinfall in die Fensteröffnungen, die zum Teil schon eingebrochen waren, um sich später im Inneren besser orientieren zu können. Bei der Größe des Gebäudes gab es sicher viele verwirrende und verwinkelte Gänge.

    Dann begab er sich unter den großen Balkon, der in der Mitte des Hauptgebäudes über der zweiflügeligen Eingangstüre auf mächtigen, steinernen Vorsprüngen thronte und drückte den rechten Flügel der Tür nach innen auf. Ein schauerliches Knarren hallte aus dem finsteren Inneren wider. Mit dem Feuersteinanzünder hätte er keinesfalls die Fackeln anzünden können und nur Halica fehlte noch, dann konnte es losgehen. Sie hatte inzwischen die Lebensmittel wieder in den Korb weggepackt, die Decken ausgeschüttelt, gefaltet und die Schlaflager ordentlich aufgeräumt. Dann war das Zinngeschirr an der Reihe gewesen, welches sie in dem Eimer am Brunnen schnell ausgewaschen hatte. Als sie wieder in dem Wagen war, nahm sie sich einen Kamm aus der Kommode, kämmte sich das Haar und flocht es diesmal zu zwei Zöpfen, die sie mit einem Tuch im Nacken zusammenband. Ein paar vorwitzige Strähnen wollten sich nicht bändigen lassen und umrahmten leicht ihr schönes Gesicht. Zuletzt holte sie sich zwei Dolche aus dem Wagenkasten, befestigte sie am Gürtel, griff sich eine Öllampe und hüpfte aus dem Wagen auf den Hof. Mit eiligen Schritten lief sie zu Telmy, der bereits mit zwei Fackeln auf sie wartete. Sie nahm eine entgegen und strahlte ihn an, während er die Öllampe und anschließend damit die Fackeln anbrannte.
    „Ich bin bereit für unsere Nachforschungen“, meinte sie etwas aufgeregt.

    Neugierde und Angst in einem brüchigen Gemäuer

    Auch er lächelte, als er die ausgelöschte Öllampe neben dem Eingang auf den Boden stellte. Dann zog ihnen aus der offenen Türe ein übel riechendes Lüftchen entgegen – Schimmel und Fäulnis verpesteten die Luft. Davon unbeeindruckt gingen sie hinein und ihre Schritte in der ehemals sicher prunkvollen Eingangshalle hörten sich unnatürlich laut an. Die große Treppe, in der oberen Hälfte aus Holz gefertigt, welche die Halle in der Mitte ausfüllte, war wohl schon vor langer Zeit zusammengebrochen. Nach oben konnte man so nicht gefahrlos gelangen. In den Ecken des Raumes lagen noch einige mehr oder weniger verrostete Rüstungsteile, unter einem längst verrotteten Wappen hingen zwei gekreuzte Schwerter an der Wand. Die Fensteröffnungen wirkten wie tote Augenhöhlen. Ein leises Fiepen und Flattern verriet irgendwo hoch oben im Dunkeln Vögel, vielleicht Falken oder Käuze. Sie fühlten sich anscheinend durch den aufsteigenden Rauch der Fackeln gestört.
    #109VerfasserJean-Louis19 Feb. 09, 14:31
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    Aus einer seitlichen, finsteren Öffnung eines bogenförmigen Durchganges blies ein kalter Hauch die beiden an und Telmy legte unbewusst schützend seinen Arm um Halica. Langsam schritten sie nebeneinander in die Ecke links neben der eingestürzten Treppe. Telmy flüsterte:
    „In diesem Gang müssen wir leider hintereinander gehen. Ich gehe voraus. Das riecht hier alles nur nach altem modrigem Gemäuer. Glaube nicht, dass hier irgendwelche Ungeheuer hausen.“

    Er ließ sie los und setzte vor ihr einen Fuß nach dem anderen in einen hohen, aber schmalen Gang mit Wänden aus grob behauenen Steinen. Die erste Tür, zu der sie kamen, war schon aus den Angeln gefault und seitlich halb nach innen in den Raum gekippt. Nur hineinleuchtend, sahen sie eine Art Gewölbekeller mit einer steinernen Stützsäule in der Mitte, umgeben von Steinbänken und eingefallenen, vermoderten Regalen an den Wänden – wohl früher einmal eine Vorratskammer. Ein paar Schritte weiter den Gang entlang huschten plötzlich Ratten über den Boden und verschwanden in einer anderen Öffnung, deren Tür vollständig im Raum dahinter lag. Welch gruseliger Anblick sich auftat. An rostigen Ketten hingen noch Reste von halben Schweineskeletten, die meisten Knochen lagen aber auf dem Boden und waren wohl von den Ratten überall in dem Raum verteilt worden.
    „Muss die Vorratskammer für Fleisch gewesen sein. Merkst du, wie kalt es hier ist? Da muss die Küche aber ganz in der Nähe sein“, sagte er zu Halica und strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
    „Willst du mal vorangehen?“, fragte er sie dann, während er ihr selbst im wild flackernden Schein der Fackeln einfach nur schön aussehendes Gesicht bewunderte.

    Halica quittierte ihm seine Frage mit einem strahlenden Lächeln und zwängte sich dicht an ihm vorbei, streifte ihn dabei mit der Brust am Arm und wieder wurde es ihr einen Moment ganz flau im Magen. Sie hielt ihre Fackel hoch und schaute sich tiefer in den Gang gehend um. Ein paar Schritte vor ihr war eine weitere Tür zu sehen. Wie Telmy auch vermutete sie die Küche dahinter. Neugierig lief sie darauf zu und versuchte, die Tür vorsichtig zu öffnen, die ebenfalls schief in den Angeln hing und auch keinen sehr stabilen Eindruck mehr machte. Der leichte Druck ihrer Hand reichte schon aus, um das morsche Holz brechen zu lassen. Mit einem lauten, dumpfen Knall fiel der größte Teil der Tür zu Boden und Halica musste ein Stück nach hinten springen, um nicht von Trümmerteilen getroffen zu werden. Dabei stieß sie rückwärts gegen Telmy, der prompt nach hinten fiel. Sie drehte sich um und sah ihn verwundert auf dem staubigen Boden sitzen. Mit einem unterdrückten Grinsen sagte sie belustigt zu ihm:
    „Verzeih Liebster, …“, sie hielt ihm die Hand hin, „ …ich wusste ja nicht, dass ich eine so umwerfende Wirkung auf dich habe.“ Ein Kichern konnte sie daraufhin nicht verbergen.

    Er saß plötzlich am Boden und dachte sich nur, dass dies doch gar nicht sein kann. Eine einzige Berührung durch sie und zwei Atemzüge von ihrem Duft genügten augenscheinlich, ihm die Reaktionsfähigkeit zu nehmen. Ansonsten hätte er sie doch aufgefangen – so saß er im Staub. Die Fackel lag im Gang und er griff nach ihrer Hand, um sich aufhelfen zu lassen. Kaum wieder auf den Beinen, zog er sie blitzschnell fest an sich, schob seine freie Hand unter ihr Haar in ihren Nacken und küsste sie mit brodelnder Leidenschaft. Erst, als sie die Fackel in ihrer Hand sinken ließ, löste er seine Lippen von ihren. Er streichelte ihren Nacken, als er sagte:
    „Weißt du eigentlich, wie verrückt ich bin? Nicht nur sehr verrückt nach dir, sondern auch noch verrückt genug, um in so einem gespenstischem Gemäuer nur an deine süßen Lippen zu denken.“ Abermals näherte er sich ihrem Mund.
    #110VerfasserJean-Louis19 Feb. 09, 15:00
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    Als er sie erneut an sich zog und küsste, hatte sie große Mühe einen klaren Gedanken zu fassen, zwang sich aber, nachzudenken. Er sagte, er sei verrückt nach ihr? Oh nein, nicht nur er war verrückt, nur wusste er anscheinend immer noch nicht, wie verrückt sie nach ihm war! Sie konnte und wollte nicht mehr länger gegen diese Sehnsucht nach ihm ankämpfen, die sie mit einer so großen Leidenschaft gepackt hatte, wie Halica sie vorher nicht kannte. Sein Gesicht näherte sich wieder dem ihren, aber es ging ihr auf einmal zu langsam. So kam sie ihm entgegen und als sich ihre Lippen berührten, küsste sie ihn hungrig und wild. Sie schlang die Arme um seinen Hals und presste sich fest an ihn. Sie konnte dabei bequem stehen bleiben beim Küssen und musste sich nicht wie bei Arwin auf die Zehenspitzen stellen. Ihre so mühsam aufgebaute Selbstbeherrschung war dahin. Alles um sie herum wurde schwarz, nur noch sie beide zählten jetzt, sonst nichts. Sie war gefangen in ihrer Umarmung und nahm nichts mehr wahr, als seinen wunderbaren Körper an ihrem, seinen Duft und die Hitze, die in ihrem Innern unaufhörlich anstieg.

    Telmy war ein klein wenig überrascht. Auch sie hatte die Fackel fallen gelassen und drängte sich an ihn mit einer Wildheit, die ihm die Sinne raubte. Ein winziger Rest an Verstand sagte ihm aber, dass dies nicht der richtige Ort sei, um sich der aufkommenden Glut hinzugeben. Eben, als seine Hände, die langsam ihren Rücken hinab gewandert waren, ihren ihn schon öfter sehr faszinierenden, festen und fleischigen Hintern erreicht hatten, gab es ein kurzes, lautes Bersten, einen dumpfen Schlag mit lautem Gepolter hinten im finsteren Gang und eine Staubwolke stob urplötzlich hervor. Er konnte sich und Halica gerade noch in die Türöffnung bringen, als die schmutziggraue Luft auch schon vorbei schoss. Er hatte seinen Mund immer noch auf ihrem, war aber hellwach und lauschte. Dann hob er seinen Kopf.
    „Was war denn das? Hast du den Krach auch gehört?“

    Jetzt wurde ihm erst bewusst, wo seine Hände waren. Aber, er nahm sie nicht gleich dort weg, sondern drückte Halica noch einmal kurz an sich, um sie dann los zu lassen und ein Schwert aus der Scheide auf seinem Rücken zu ziehen. Der Staub lichtete sich etwas und sogar beide Fackeln brannten noch. Er hob sie auf und gab eine davon Halica, ehe er leise sagte:
    „Schauen wir mal weiter hinten, was das gewesen sein könnte.“ Langsam, in voller körperlicher Anspannung, leicht gebückt, schlich er voraus, tiefer in den finsteren Gang hinein.

    Das Gepolter hatte sie wie aus einem Traum erwachen lassen. Telmy zog sie mit sich in die Türöffnung, nur um dann mit gezogenem Schwert in Richtung der Geräuschquelle zu schleichen. Immer noch leicht benommen folgte Halica ihm mit den gezückten Dolchen in den Händen, zum Angriff bereit. Die Gefühle, die in ihrem Inneren tobten, musste sie wegen der möglichen drohenden Gefahr zur Seite schieben. Dennoch, ihr Herz klopfte heftig in ihrer Brust und sie konnte beim besten Willen nicht genau sagen, ob es von dem vielleicht bevorstehenden Kampf kam, oder ob sein Kuss noch in ihr nachwirkte - aber wahrscheinlich war es beides. Sie spitzte die Ohren und lauschte den verschiedenen Geräuschen, aber außer ihrer beider Schritte und dem Wind, der durch das Gemäuer pfiff, hörte sie nichts Ungewöhnliches. Ganz in noch immer etwas aufgewühlten Gedanken und Gefühlen versunken, wäre sie beinahe gegen Telmy geprallt, als dieser unvermittelt stehen blieb. Je weiter sie in den Gang vorgedrungen waren, umso staubiger war die Luft geworden. Zum Glück war der meiste Staub schon bis in Bodennähe abgesunken. An einem zurückspringenden, großen Bogen in der linken Wandseite war Telmy plötzlich stehen geblieben und sah einen großen Haufen Schutt, Bretter, geborstene Balken und Steinbrocken in einem Raum liegen, dessen gesamte Ausdehnung die trübe Dunkelheit verschluckte. Lediglich der halb eingestürzte, rußgeschwärzte Rauchfang verriet, dass es hier einmal eine Feuerstelle gab – in diesem Raum befand sich früher sicherlich die Küche. Noch immer bröselte Mauerwerk herab und absonderlich aussehende, zersplitterte Balkenstümpfe ragten über ihm aus der Mauer.
    „Bei den Göttern, was haben wir für ein Glück gehabt. Unsere Küsse haben uns vermutlich das Leben gerettet. Nicht auszudenken, wenn wir gleich weiter gegangen wären. Dann lägen wir vielleicht unter diesem Haufen. Die ganze Decke ist heruntergekommen.“
    #111VerfasserJean-Louis20 Feb. 09, 19:47
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    Sichtlich erleichtert schob er sein Schwert zurück in die Scheide auf seinem Rücken, legte seinen Arm um Halica, die direkt neben ihm stehend soeben auch ihre Dolche wegsteckte, ebenfalls mit großen Augen den staubenden Schutthaufen besah und leise sagte:
    „Die Göttin der Liebe hat schützend ihre Hand über uns beide gehalten.“ Er zog sie daraufhin fest an seine Seite und versuchte im Schein der beiden Fackeln die Staubschleier zu durchdringen, was aber nicht möglich war. Dann überlegte Telmy, ob es vielleicht nicht doch besser wäre, diese mehr als marode Burg schnell wieder zu verlassen, als er ein Knirschen hörte und eine ruckartige Bewegung unter seinen Füßen spürte. Ehe er erfassen konnte, was da vor sich ging, folgten schabende Geräusche und die große Steinplatte, auf der er am Rande stand, kippte unter ihm weg. Er stieß Halica in den Gang zurück und dann geschah alles blitzschnell – so schnell, dass er kaum reagieren konnte.
    „Der Fußboden bricht ein! Schnell, laufe hinaus, bring dich in Sicherheit!“, rief er mit Entsetzen in der Stimme und warf sich auf die andere Gangseite, die Fackel fallen lassend, welche zügig in den sich auftuenden Spalt auf der schrägen Steinplatte in die Tiefe rutschte. Er bekam einige noch feste Bodensteine zu fassen und merkte aber sogleich, wie auch diese unter seinen Händen wegbrachen. Verzweifelt nach einem Halt suchend rutschte er auf den sich immer steiler schräg absenkenden Steinen weiter nach hinten und schließlich in den sehr schnell größer gewordenen Spalt. Ein kurzer Schrei von ihm wurde vom tosenden Poltern des einstürzenden Bogens des Küchenzuganges übertönt und zwei Atemzüge später befand sich an der Stelle, wo Telmy im Boden verschwunden war, ein sich auftürmender Steinhaufen. Ein letztes Rieseln kleiner Steine, ein dumpfer Schlag eines noch umkippenden Steines und es wurde still, sehr still im erneut aufgewirbelten Staub.

    Halica konnte den plötzlichen Stoß, den ihr Telmy gegeben hatte, nicht ganz abfangen und stolperte fünf Schritte in den Gang zurück, um dann an der Wand zu Boden zu rutschen. Sie suchte sofort den Blickkontakt zu ihm und schrie entsetzt auf, als sie sah, dass er in dem Loch im Boden verschwand.
    „Oh nein, Telmy, nein!“

    Sie rappelte sich schnell auf und konnte in dem Staub geradeso den Stein- und Schutthaufen sehen, wagte jedoch nicht, weiter vor zu gehen oder gar über den Haufen zu klettern, denn der Boden und auch die Wand zu der Küche hatten gefährlich aussehende Risse bekommen. Sie sah nur die staubgeschwängerte Luft, die aber von einem kräftigen Luftzug in den Gang in Richtung der Eingangshalle getrieben wurde. Es musste sich also hinter dem Haufen eine Öffnung im Boden befinden – das Loch, in welches er gestürzt war, aus dem immer noch Staub nach oben stieg.
    „Telmy? Liebster, geht es dir gut? Bitte antworte doch“, rief sie der Verzweiflung nahe. Sie lauschte angestrengt, doch außer dem Knacken des Gemäuers war nur ihr eigener heftig gewordener Atem zu hören. Halica schloss die Augen und bekämpfte die aufkommenden Tränen.
    „Mich in Sicherheit bringen?“, hauchte sie vor sich hin. „Nein, nicht solange du noch hier drinnen bist. Ich werde dich nicht noch einmal verlieren, das lasse ich niemals zu. Eher reiße ich diese Burg Stein für Stein ab, als dich hier drin verrotten zu lassen. Das schwöre ich bei allen Göttern.“
    #112VerfasserJean-Louis21 Feb. 09, 22:38
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    Hustend stand sie da. Einen Moment lang sammelte sie ihre Gedanken und begann dann fieberhaft zu überlegen. Es musste irgendwo ein Kellergewölbe geben, von dem sie sicherlich eher einen Weg zu ihm finden würde, ohne sich selber in große Gefahr zu begeben. Würde ihr auch noch etwas zustoßen, gäbe es eventuell gar keine Rettung mehr. Sie musste in jedem Fall vorsichtig sein. Suchend sah sie sich um, doch es war keine weitere Tür in diesem Gang zu entdecken. Also lief sie zurück zur Vorhalle, um dort nach weiteren Gängen zu suchen. Sie fand einen, der parallel zum ersten auf der anderen Seite der Halle begann und lief eilig, aber zugleich vorsichtig, die Fackel hochhaltend, in dieselbe Richtung, in der auch der andere Gang verlief. Nur kurz nahm sie Notiz von dem, was sie in dem zweiten Gang sah. An den Wänden hingen lange verblasste und vergilbte Gemälde, von heldenhaften Burgherren, die bestimmt schon hunderte von Jahren tot waren und deren Namen wohl auch niemand mehr wusste. Ratten und Mäuse huschten an ihren Füssen vorbei, doch sie interessierte sich überhaupt nicht für sie. Als sie am Ende des flurähnlichen Ganges, der breiter und auch nicht so duster war, wie der erste, ankam und einen gemauerten Bogen erkannte, hinter dem eine alte, aber fest und massiv aussehende, Steintreppe hinabführte, seufzte sie erleichtert auf.

    Telmys im Fallen ausgestoßener Schrei war im Lärm des einbrechenden Kellergewölbes fast vollständig erstickt worden. Kaum hatten seine Hände die Kante der Steinplatte verloren, stießen sein Füße im Fallen auf etwas wie ein Geäst, welches knirschend unter seinen Schuhen nachgab und seine Sturzrichtung vom nachrutschenden Mauerwerk weglenkte. In einem Überschlag nach hinten konnte er schmieriges, feuchtes Wurzelwerk greifen. Langsam abrutschend sah er die Fackel etwas tiefer in den Wurzeln hängen bleiben, während der Schutt an ihm vorbei in die Tiefe rauschte. Er spürte einen schmerzhaften Schlag am rechten Bein und konnte sich nicht mehr halten. Durch weitere halb vermoderte Wurzeln hindurch fiel er mit einem schmatzenden Geräusch auf den schlammigen Boden, wo er benommen liegen blieb. Da vernahm er noch einen fernen Ruf, wischte sich über die Augen und wollte nach Halica rufen, doch der Staub ließ ihn nur keuchend nach Luft schnappen. Nach einer Weile versuchte er, sich aufzusetzen. Er stützte sich ab, um sich hoch zu drücken und fasste auf etwas merkwürdig Hartes im weichen Schlamm. Er sah hin, erkannte etwas im fahlen, flackernden Schein der Fackel und zuckte sofort zusammen. Neben ihm lag ein Skelett in einer verrotteten Rüstung. Schnell rappelte er sich hoch, um gleich wieder nieder zu sinken. Ein stechender Schmerz in der rechten Wade ließ ihn aufstöhnen.

    Er sah nach und stellte fest, dass die Hose zwar unversehrt war, aber die Wade etwas anschwoll. Ein stumpfer Schlag von einem fallenden Stein musste ihn getroffen haben, trotzdem hatte er großes Glück gehabt. Mit schmerzverzerrtem Gesicht richtete er sich vorsichtig auf. Nach einigen kleinen Schritten wurde es erträglicher und Telmy zog die Fackel aus dem Wurzelwerk. Durch die Mauer, vor der er stand, mussten schon seit Jahrhunderten die Wurzeln von Bäumen hindurch gewachsen sein. Kein Wunder, dass das Gewölbe eingestürzt war, hatten die Wurzeln doch schon viele Steine aus der Mauer gedrückt und alles aufgelockert. Dauernd rieselte irgendwo Erde herunter und überall tropfte es. Der starke Regen in der Nacht hatte wohl dem brüchigen Mauerwerk den Rest gegeben. Da sich gleich hinter dem Skelett eine weitere Wand befand, beschloss Telmy, an dieser entlang in die Richtung zu gehen, welche vom Eingang des Gebäudes weg führen sollte, da er dort am ehesten eine Treppe vermutete. Nur weg von der Einsturzstelle, dachte er sich, denn immerzu rutschten noch kleinere und größere Steine nach und das Mauerwerk schien den Geräuschen nach an weiteren Stellen bersten zu wollen.
    #113VerfasserJean-Louis21 Feb. 09, 22:56
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    Schlurfend humpelte er so schnell es ging in die Dunkelheit, während sich der Staub nicht sonderlich absenkte, sondern zur Einsturzstelle hin verschwand. Es kam ihm sehr lange vor, ehe er den kühlen Luftzug deutlicher spürte, der den Staub mitgenommen hatte und welcher aus einem ziemlich engen Durchgang als leises, frisches Lüftchen herauskam, wenn man den modrigen Geruch nicht berücksichtigte. Er schlüpfte hindurch und horchte zuerst angestrengt, konnte aber außer einem leichten Säuseln nichts hören. Die Luft kam von oben. Der kreisrunde Raum, in dem er sich jetzt befand, musste zum hinteren runden Turm gehören und das Säuseln kam vom Wind, der hoch oben wahrscheinlich durch kleine Fensteröffnungen in den Turm blies. Natürlich, die sich im Turm abkühlende Luft wurde schwerer und drückte daher durch die kleine Öffnung in den Gang. Durch das Loch der Einsturzstelle entstand nun der Luftzug. Mit Schrecken stellte er aber dann fest, dass die nach oben führende Steintreppe verschüttet war. Es blieb nur der Weg nach unten.

    Kaum war er ein Dutzend Stufen der steinernen Wendeltreppe hinab gestiegen, lag wieder ein faulender Knochenhaufen in einer rostigen Rüstung vor ihm. Vorsichtig zwängte er sich vorbei, sich mehrmals an das schmerzende Bein fassend. Je weiter er in die Tiefe hinunter kam, desto mehr verrottete Ritter, aber auch Skelette, an denen Reste einer Fellkleidung zu sehen waren, lagen auf den Stufen. Es musste hier einen Kampf gegeben haben, den die Burgbesatzung wohl verloren hatte, sofern die Ritter einmal zur Burg gehörten. Schließlich war er unten angekommen und entdeckte vier Türen und zwei abgehende Gänge. Vor einer Tür lagen mehrere vollständig zu Skeletten gewordene Tote, die zum Zeitpunkt ihres Sterbens bestimmt auf- und übereinander lagen. Telmy musste erst einmal verschnaufen und überlegen. Dazu setzte sich auf die vorletzte Stufe der Wendeltreppe. Da nicht nur laufend Wasser herabtropfte, sondern immer wieder kleine Steinchen herunter fielen, setzte er sich einen dieser urtümlich wirkenden Helme auf, der auf der letzten Steinstufe neben ihm lag. Er rieb sich die Wade und dachte nach, was er nun tun sollte.

    Halica war inzwischen auf der Steintreppe und langsam stieg sie die Stufen hinab. Nach etwa dreißig dieser sehr sorgfältig behauenen Stufen gab es einen größeren Absatz und die Treppe führte in entgegen gesetzter Richtung weiter nach unten. Als sie endlich am Fuß der Steintreppe angekommen war, sah sie zwei seitlich abgehende Gänge. Sie nahm zuerst den linken, nur um nach wenigen Schritten festzustellen, dass er lediglich zu einer weiteren Vorratskammer führte. Seufzend wandte sie sich um und lief in die andere Richtung, an der Treppe vorbei in den zweiten Gang. Nach Öffnungen oder einer Tür Ausschau haltend besah sie sich die Wände, doch außer Schimmel, sehr feuchten Stellen und dicken Spinnweben konnte sie nichts entdecken. Die ganze Länge des Ganges war sie schon abgelaufen, sie musste bestimmt schon wieder unter der Eingangshalle der Burgruine angelangt sein, als der Gang plötzlich einen scharfen Knick nach rechts machte. Vorsichtig ging sie um die Ecke, immer auf den Boden achtend, der, wie sie schmerzlich mit ansehen musste, auch einige Risse hatte, in denen Wasser versickerte. Vor ihr versperrte plötzlich eine Gittertür den Rest des Ganges. Hier war sie in einer Art Vorraum angekommen, an dessen Seite zusammengefallene Holzteile auf dem Boden verrotteten. Die Tür in der rechten Wand sah schon ziemlich verrostet aus und Halica hoffte inständig, dass sie sich öffnen ließ. Nach mehrmaligem Rütteln trat sie kräftig mit einem Fuß dagegen, die Tür ruckte mit Gequietsche und Knarren ein Stück weit auf und sie konnte erleichtert ihren Weg fortsetzen.

    In den Wänden links und rechts sah sie nun weitere Gittertüren und vergitterte, kleine Räume, durch deren Öffnungen sie jeweils einen kurzen Blick hinein warf. Die ersten drei waren leer und in den drei folgenden lagen lediglich ein paar in Lumpen gekleidete Skelette. Sie erkannte daran noch Hand- und Fußfesseln. Hier konnte sie niemanden mehr nach dem Weg fragen. So schenkte sie den Skeletten weiter keine Beachtung und beschleunigte ihren Schritt, um zu der nächsten Biegung zu gehen, die schon in Sicht kam. Wieder entdeckte sie eine Gittertür, drückte diese ebenfalls auf und sah eine Treppe, die nach unten führte. Während sie hinab stieg rief sie immer wieder seinen Namen.
    „Telmy? Bist du hier irgendwo?“
    #114VerfasserJean-Louis22 Feb. 09, 18:14
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    Unterdessen, als Halica mit großer innerer Unruhe nach ihm suchte, saß er noch eine kurze Weile auf der Treppe und versuchte, einen günstigen Ausweg aus seiner Lage zu finden. „Halica!“, durchzuckte es plötzlich seine Gedanken. Der Schmerz und der Schrecken nach dem Sturz hatten ihn gar nicht an sie denken lassen. Wie mochte es ihre gehen? Was würde sie tun, wenn sie unverletzt geblieben war? Eine starke Beunruhigung überkam ihn und er dachte fieberhaft noch angestrengter nach. Zuerst beurteilte er die Möglichkeiten, die er hatte. In die Gänge zu gehen, wäre unklug. Die konnten überall hinführen, bereits eingebrochen sein oder hinter ihm zusammenbrechen. Die vier Türen waren da schon interessanter, vor allem diejenige mit den toten Kämpfern davor. Es sah so aus, als ob sich die Ritter nach einem Eindringen der Fellträger hier nach unten geflüchtet und sich durch diese Tür abgesetzt hatten. Dass die Ritter die Verteidiger und die Fellträger die Angreifer gewesen waren, schloss er aus der Lage der Skelette – Fellträger zur Tür hin liegend, Ritter zwischen Fellträgern und Tür, also eher abwehrend und die Tür bei ihrem Tode noch schützend. Kein vernünftig denkendes Wesen würde sich in eine Sackgasse zurückziehen, sondern dorthin, von wo aus es eine Fluchtmöglichkeit gab. Also sollte dies der richtige Weg sein, um weiter in Richtung eines Ausganges zu kommen. Telmy erhob sich und bahnte sich einen Weg durch die Knochenhaufen. Die Tür erschien äußerst massiv – gewesen zu sein. Ein Stoß mit der Schulter ließ das halbe Türblatt morsch zerbröseln. Mit dem Schwert brachte er schließlich die ganze Türe zum Zusammenfallen. Dahinter war ein größerer Gang.

    Nach wenigen Schritten sahen ihn einige tote Augenhöhlen von an der Seitenwand sitzenden Skeletten an. Ein kurzer Blick genügte, um zu sehen, dass dies schwer verwundete Ritter waren. An den Verletzungen der Knochen – Hiebe und glatte Schnitte – war dies leicht zu erkennen. Da ein abgeschlagener Arm, dort ein durchschlagener Oberschenkelknochen, hier gesplitterte Rippen. Fellträger waren nicht mehr darunter – die Flucht musste gelungen sein, denn die Tür war damals sicher nicht aufgebrochen worden. Er humpelte den Gang weiter, der sehr viel besser aussah, als alles Vorherige. Es wurde trocken und der Boden staubig. Rattenspuren waren überall im Staub und laufend huschten die Nager durch den Gang. Manchmal lagen auch einige beim hastigen Rückzug wahrscheinlich weggeworfene Ausrüstungsteile im Gang – verschimmelte und beschädigte Lederrüstungsteile, löchrige Blechschilde und Brustpanzer, sogar ein paar verrottete, zerschlissene Stiefel. Jetzt wurde eine weitere Tür sichtbar, diesmal offen stehend. Telmy trat durch sie hindurch und befand sich in einem Raum, der dem aus dem Turm glich wie ein Ei dem anderen. Er musste im zweiten runden Turm sein. Dieser hatte aber auf dieser Ebene nur diese eine Tür, die nach oben führende und eine nach unten führende Steintreppe, die mit einem starken Gitter gesichert war. Endlich ein Weg nach oben, dachte sich Telmy und wandte sich den Stufen nach oben zu.

    Beim Tritt auf die erste Stufe sah er etwas schimmern. Er drehte um und ging zu der Wand, etwa in der Hälfte der Entfernung von der Steintreppe zum Eisengitter. Da lehnte schräg eine golden glänzende Münze an der Steinwand. Er hob sie auf, rieb an seinem Rock den Staub ab und besah sich die Münze. Mit einem Biss stellte er fest, dass es weiches Metall war und nichts anderes als Gold sein konnte. Seltsame Schriftzeichen waren eingeprägt, dazu etwas Baumartiges– vielleicht Runen? Telmy hatte solche Zeichen in Schriftstücken seines Großvaters schon einmal gesehen. Auch dieser vereinfachte Baum von der Rückseite der Münze war da abgebildet gewesen. Er hatte einen Namen, der Telmy aber nicht einfiel.
    #115VerfasserJean-Louis23 Feb. 09, 14:39
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    Nun drehte er das Goldstück in den Fingern, während er eine andere Fackel, die in dem runden Raum in einem Wandhalter steckte, anbrannte. Da sah er noch weitere fünf Fackeln rundum an der Wand und brannte alle an. Er setzte sich auf die Treppe und lehnte sich an die Wand. Dann dachte er wieder nach. Er fragte sich, weshalb sich die Ritter damals so zurückzogen, wie er es festzustellen glaubte. Ob man den Feind absichtlich in den anderen Turm eindringen ließ? Damit man Zeit hatte, aus der Tiefe dieses Turmes hier die Schätze zu bergen? Sollten hinter dem Gitter früher wertvolle Dinge gelagert worden sein? Wie passten die Runen zu den Rittern? Hatten nicht eher solche Fellträger diese Schriftzeichen zur Verständigung? Vielleicht wollten diese nur das zurückholen, was man ihnen vorher geraubt hatte? Er kratzt sich am Kopf und rieb sich wieder die Wade. Plötzlich hörte er ein gebrochenes Rufen – hallend und undeutlich, doch sofort erkannte er die Stimme und sprang auf. Mit immer noch schmerzendem Bein rief er laut eine Antwort.
    „Hier, hier unten im runden Turm bin ich. Halica, Liebste – hörst du mich? Ganz unten im dem runden Turm.“ Noch einmal lauter rief er: “Halica, Halica, hier unten!“ Gespannt lauschte er, wie ein Echo von der Wendeltreppe herabschallte.

    Halica hörte ihn rufen und die Erleichterung schien schier unermesslich, welche sie sofort überkam. Sie beeilte sich, die Treppe weiter hinab zu steigen und blieb stehen, als sie in der Wand einen Durchgang sah. Sie hielt ihre Fackel in den sehr kurzen Gang, die durch einen Lufthauch zu flackern begann und eine weitere Treppe wurde dahinter sichtbar. Es war eine Wendeltreppe. Das musste der Turm sein! Sie lief hindurch und rannte die Treppe förmlich hinab. Ein paar Mal wäre sie fast gestolpert, doch sie hielt ihr Gleichgewicht geschickt, während ihre Beine sie die Stufen hinab rasen ließen. Die Treppe schien kein Ende nehmen zu wollen, aber die Ungeduld ließ sie noch schneller werden. Als sie um die letzte Biegung kam und Telmy sah, flog sie ihm geradezu in die Arme, ließ die Fackel fallen und küsste ihn stürmisch.

    Sein Herz hatte ganz laut gepocht, als er sie die Stufen herab rennen gehört hatte. Als sie sehr schnell um die Biegung kam, flog sie ihm direkt entgegen. Nur mit Mühe konnte er ihrem Schwung standhalten und war so unendlich erleichtert, dass sie heil geblieben war. Nach vielen Küssen und heftigen Umarmungen sahen sie sich in die Augen. Dann trat Telmy einen Schritt zurück. Bei den Göttern – sie sah aus wie ein Arbeiter in einem Kalksteinbruch. Nichts war mehr zu sehen von der goldblonden Haarfarbe, die Augen und der Mund das einzige, was an ein lebendiges Wesen erinnerte. Alles andere hatte nur eine Farbe: grau-weiß! Er nahm den alten Helm ab und sofort rieselten ihm Staubkörner vom Kopf. Der Helm war innen auch ganz grau-weiß. Schnell ließ er ihn fallen und bemerkte erst jetzt ein Knirschen zwischen den Zähnen. Dann lachte er, denn „kalkhaltige“ Küsse hatte er noch nie bekommen. Fröhlich strahlte er sie an und hielt die Goldmünze hoch.

    “Das hier habe ich hier neben der Treppe gefunden – eine sehr alte Goldmünze, denke ich. Auch habe ich nachgedacht und mir ist folgendes aufgefallen. Unten in den Gängen liegen viele Tote, schon zu Skeletten geworden. Es sind mehr Ritter in Rüstungen, als Wesen, die einmal eine Kleidung aus Fell trugen. Ich glaube, die Fellträger drangen in die Burg ein – vermutlich sogar bei offenen Burgtoren – die waren ja unbeschädigt. Die Ritter müssen völlig überrumpelt worden sein. So, wie ich die Toten vorgefunden habe, müssen diese Ritter sich auf eine ganz bestimmte Art und Weise zurückgezogen haben – einem Plan folgend. Sie kamen durch den Gang hinter der offenen Tür dort hier her und müssen dann von hier aus verschwunden sein. Wenn das Gitter dort offen ist, sind sie nach oben, was wohl auch die Münze bezeugt, weil ich glaube, sie haben von dort unten, wo die Treppe hinter dem Gitter hinführt, ihren Schatz geholt und sind damit eilig abgehauen. Sicherlich gibt es weiter oben einen Geheimgang, der nach außerhalb der Burganlage führt. Was meinst du, wollen wir nachschauen, ob wir noch was finden?“
    #116VerfasserJean-Louis23 Feb. 09, 14:52
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    Anschließend rieb er sich wieder die Wade und sah ihren besorgten Blick.
    „Ach, das ist nicht weiter schlimm. Bisschen abgeschürft und geprellt. Vergeht aber schnell wieder.“ Sein schiefes Lächeln sollte diese Worte noch verdeutlichen. Ihr dagegen war noch immer schwindelig – diesmal aber mehr von der Wendeltreppe als den Küssen. Sie sah zu seinem Bein und bemerkte die angeschwollene Wade.
    „Ich habe den schönsten Schatz, den es hier gibt, bereits gefunden. Mehr brauche ich eigentlich nicht und ob du es mit deiner Verletzung schaffst, Geheimnisse zu erforschen, ist mehr als fraglich.“

    Die Stirn runzelnd legte sie den Kopf schief und überlegte. Solche Angst um jemanden hatte sie schon lange nicht mehr gehabt. Jetzt erst wurde ihr bewusst, dass sie es nicht ertragen hätte, wenn ihm etwas zugestoßen wäre. Die Erkenntnis, wie sehr sie ihn liebte, traf sie wie ein Blitz, obwohl sie sich doch die ganze Zeit über dessen schon bewusst war. Sie schlang die Arme um ihn und vergrub ihr Gesicht an seiner Brust. Als sie den Kopf wieder hob und ihm in die Augen sah, boxte sie ihm heftig auf den Oberarm.
    „Du verrückter Kerl! Weißt du eigentlich, was für einen Schrecken du mir eingejagt hast? Nicht auszudenken, was dir alles hätte passieren können. Ich hätte das nicht überlebt, wenn du es nicht geschafft hättest. Wage es ja nur niemals, mich wieder zu verlassen.“ Das Wörtchen „wieder“ war ihr unbewusst herausgerutscht und sie nahm es gar nicht wirklich wahr. Sie konnte sich auch nicht von ihm lösen, doch gleichzeitig wollte sie auch hier weg, also musste sie ihn wohl oder übel los lassen.
    „Na gut, mal nachschauen schadet ja nicht, aber beim nächsten lauten Knacken verschwinden wir aus diesem alten Kasten.“ Ihre Augen funkelten gefährlich und zeigten ihm eindeutig, wie ernst sie ihre Worte meinte.

    Er hatte aber andere Gedanken im Kopf, als jene, welche die Ernsthaftigkeit dieses Satzes zuerst erkannt hätten. Wie versteinert stand er da, als ihre Worte in seinem Gehör noch nachschwangen. Ich bin ihr schönster Schatz – sie war so sehr erschrocken – ich darf sie nie mehr verlassen. Als würden Glockenschläge diese Worte in seine Brust hämmern, hielt er sich an ihr fest, weil ihm fast schwindlig wurde. Die Erkenntnis, dass sie ihn aufrichtig liebte, gab ihm einen süßen Stich ins Herz. Dann fasste er wieder einen klaren Gedanken bei ihrem letzten Satz. Er ging nun zu dem Gitter und rüttelte daran. Tatsächlich – die eine Hälfte schwang mit einem nervtötenden, hellen Quietschen auf. Die andere Hälfte war noch von der anderen Seite aus verriegelt.
    „Ich wusste es“, sagte er freudig erregt, „sie sind nach oben geflohen und müssen dort unten noch etwas geholt haben. Tausche bitte deine Fackel gegen eine von der Wand, die sind noch frischer – oder lass deine gleich liegen, die brennt sowieso nicht mehr lange. Komm, lass uns schauen…“

    Auch er nahm eine Fackel aus einem Wandhalter, legte die fast abgebrannte weg und zog wieder ein Schwert, um dann – so wenig wie möglich humpelnd – die breite Steintreppe hinunter zu steigen. In der Dunkelheit schien die Treppe ins Nichts zu führen. Halica war sogleich an seiner Seite und er musste sie laufend ansehen. Der grauweiße Staubüberzug tat ihrer Schönheit überhaupt keinen Abbruch. Ihr so ebenmäßiges Profil faszinierte ihn wie beim ersten Anblick und ihren Mut bewunderte er grenzenlos. Sein Großvater hatte ihm einmal gesagt, dass die Elfen ein weniger werdendes Volk waren. Und ausgerechnet er, Telmy Eventhin, hatte wohl die schönste und lieblichste im ganzen Land abbekommen. Ein leises Fiepen, lauter werdendes Geflatter und ein plötzlich aufbrausendes Geräusch, dass wie eine in die Baumwipfel fahrende Sturmböe klang, ließ ihn aufschrecken. Fledermäuse – Tausende!
    „Schnell, flach auf die Treppe legen“, rief er Halica zu und zog sie bereits mit runter.
    #117VerfasserJean-Louis23 Feb. 09, 15:37
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    Flugs lag Halica auf der Treppe, Telmy halb über ihr. Die Fledermäuse flogen über sie hinweg. Ihre Schreie und das Schlagen ihrer Flügel verursachten einen ohrenbetäubenden Lärm. Es dauerte eine ganze Weile, bis der Schwarm den Treppenaufgang passiert hatte und sie genoss solange wieder Telmys Nähe - seinen Körper eng an ihrem, der ihr auf dem kalten Boden Wärme spendete. Als endlich die letzte Fledermaus um die Ecke nach oben geflattert war, rappelten sie sich auf, klopften sich etwas den Staub ab, was aber nicht sehr von Erfolg gekrönt war und nahmen ihre Fackeln wieder in die Hände.
    „Diese lästigen Biester trifft man aber auch überall an. Bei jeder Jagd, auf jeder Reise... und nun auch noch tief unter dieser verfallenen Ruine.“ Sie nahm seine Hand und gemeinsam stiegen sie wieder weiter hinab. Er erwiderte:
    „Da hast du sehr Recht. Fledermäuse scheinen mancherorts wahrhaft zur Plage zu werden.“

    Beim Aufstehen hatte er das Schwert weggesteckt und ihre angebotene Hand gern in die seine genommen. Wäre man nicht in einem tiefen Keller gewesen, hätten sie genauso gut flanieren können. Die Steintreppe war vom Gitter an in den massiven Fels gehauen gewesen und jetzt verschwanden auch die Mauersteine. Die Treppe führte in einen aus dem Felsen gehauenen Dom – vielleicht war er auch natürlichen Ursprungs und nur etwas nachgerichtet worden. Jedenfalls konnte man die Decke nicht sehen, so hoch war er. Unten angekommen lagen nur Staub und wenig Fledermauskot auf dem Boden. Sie gingen die gesamte nahezu runde Fläche ab, die im Durchmesser immerhin so groß war, dass man die gegenüberliegende Wand im Fackelschein nicht mehr sehen konnte. Fast gegenüber dem Treppenabgang standen zwei offene, halb verfaulte Holztruhen. War das alles? Telmy leuchtete in die Truhen – leer. Er sah etwas zwischen den eng beieinander stehenden Truhen schimmern und fischte eine weitere Goldmünze hervor – die gleiche, wie die andere, mit Runen und dem Baumsymbol. Dann ging er in die Hocke und überlegte. Halica sah in fragend an, ehe er etwas sagte.
    „Mehr als seltsam ist das hier. Diese zwei lächerlichen Truhen waren niemals einen Kampf auf Leben und Tod wert. Ich denke mal, dass in einer Truhe kaum fünftausend Goldmünzen Platz hatten. Und woher kamen die Fledermäuse? Bei dieser großen Anzahl an Tieren müsste der ganze Boden vollständig und tief mit Kot bedeckt sein. Hier stimmt etwas nicht!“ Er gab Halica die Münze und kratzte sich am Kinn, während er die Fackel hochhob und nach oben sah. Halica schaute sich die Münze genau an, aber ihr kamen die Zeichen nicht bekannt vor. Schulter zuckend sah sie sich um. Sie beleuchtete wieder die Wand, ob vielleicht doch irgendwo eine Öffnung wäre und meinte:
    „Möglicherweise gibt es hier einen Geheimgang oder eine verstecke Kammer, in der etwas viel Wertvolleres steht oder stand. Wir sollten alles nach einem Mechanismus absuchen, der eine geheime Tür öffnet, oder auch weiter oben in der Wand nach Öffnungen suchen.“ Sie lief zu den Truhen und schob sie weg, um zu sehen, was darunter war, doch nichts kam zum Vorschein und sie sagte nachdenklich:
    „Es könnte auch ein loser Stein in der Wand sein, komm, wir tasten alles ab.“ Schon war sie am Mauerwerk und fuhr mit den Fingern über die kühlen, feuchten Steine.
    #118VerfasserJean-Louis23 Feb. 09, 16:17
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    Telmy erhob sich. Auffallend war in der Tat, dass in der fast kreisrunden Wand immer wieder Füllungen aus behauenen Steinen eingemauert waren. Vielleicht verbarg eine wirklich eine Geheimtür.
    „Es muss verborgene Räume oder wenigstens noch eine Art Höhle geben. Könnten wir bis zur Decke sehen, würden wir mit Sicherheit eine größere Öffnung erspähen, durch welche die Fledermäuse kamen.“ Während er dies zu Halica sagte, machte er sich ebenfalls daran, in der entgegen gesetzten Richtung die Wand abzutasten und die Fackel nahe an den Spalten entlang zu führen, um einen eventuellen Luftzug zu entdecken. Doch er fand nichts.
    „Für eine überstürzte Flucht ist es nach meinem Gefühl hier viel zu sauber und aufgeräumt und auch nachrückende Plünderer hätten irgendetwas außer den beiden leeren Truhen zurückgelassen, diese aus Wut bestimmt sogar zertrümmert. Entweder wurde der Raum schon vorher ordentlich aufgeräumt, oder es gab hier nie mehr als die beiden Truhen. Letzteres erscheint mir sinnvoller. Wohl gerade für den Fall eines überraschenden Angriffes hat man hier einen verhältnismäßig leicht zu schluckenden Köder ausgelegt. Die bis hier her gelangenden Angreifer sollten sicherlich glauben, der Schatz – falls es einen gab – sei schon weggebracht worden und die Truhen mit den Goldstücken der klägliche, übrig gebliebene Rest. Die Ritter verteidigten hinhaltend, um das ganze Gefolge mit Frauen und Kindern zu retten und verschwanden mit ihnen dann durch geheime Gänge, überließen die Münzen vielleicht den Fellträgern als Bauernopfer und hatten bestimmt vor, nach einiger Zeit zurückzukehren und den großen Schatz zu bergen. Das könnte der Plan gewesen sein und höchstwahrscheinlich konnten sie den Inhalt der Truhen sogar selber noch mitnehmen, weil hier keine Kampfspuren zu finden sind. Wenn ich aber an den Zustand der Burg denke, misslang der Plan letztlich doch. Hätten die Ritter schließlich gewonnen, wäre das Gemäuer vielleicht noch bewohnt oder mindestes in weniger schlechtem Zustand. Dann gäbe es aber keine Skelette in den Gängen, man hätte sie weggeräumt. Dies könnte aber ebenso auf die Fellträger zutreffen. Auch kam niemand dazu, die Burg zu zerstören. Beide Gruppen trafen wohl kurze Zeit später aufeinander und rieben sich gegenseitig auf. Wenn es Überlebende gab, sind sie geflohen und nicht zurückgekommen, weil sie zu wenige waren und nicht wussten, ob der Feind noch immer hier sein konnte. Daraufhin geriet die Burg in Vergessenheit. Ich denke, wir sind die ersten Besucher seit diesen geheimnisvollen Geschehnissen.“

    Inzwischen waren beide von verschiedenen Seiten bis zum Treppeneingang des Domes mit dem Absuchen der Wände vorgedrungen, der mit etwa 10 Stufen in den runden Raum hineinragte und so an beiden Seiten Ecken ausbildete. Halica hatte trotz der Suche aufmerksam zugehört, war auf ihrer Seite fertig und stand jetzt an der Treppe. Telmy betrat eine große Steinplatte, bewegte sich genau in die Ecke zu den Treppenstufen hinein und tastete weiter die Wand ab. Er fand nichts, drehte sich noch in der Ecke stehend um und lehnte sich mit einer Hand an die Seitenmauer der Treppe. Mit einem kurzen Ruck verschwand ein Stein zwei Fingerbreit tief in der Wand, es gab ein Knacken und die Steinplatte schwang nach unten weg. Telmy wollte noch zur Seite springen, fiel aber an diesem Tag zum zweiten Mal in ein finsteres Loch. Seine Fackel stürzte auf den Boden der Halle. Er kam aber schon nach einer Mannshöhe auf einer schmalen Steintreppe auf und konnte sich so abfangen, dass er nicht weiter die Treppe hinabstürzte. Im gleichen Moment gab es einen metallisch klingenden Schlag und die abgekippte Bodenplatte blieb in senkrechter Lage nach unten offen stehen. Er konnte den schwachen Schein der Fackeln über sich sehen und kroch vorsichtig die Stufen auf der Treppe nach oben, bis vor ihm nur ein Nichts war. Die Treppe hörte eine Stufe hinter der Stelle, an der er auf sie gefallen war, einfach auf. Er rief hinauf:
    „Halica, mir fehlt nichts, außer das mein Bein wieder mehr weh tut. Sei vorsichtig, leuchte erst mal hier herein. Ich glaube, da fehlt ein Stück der Treppe.“
    #119VerfasserJean-Louis24 Feb. 09, 09:06
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    Als Telmy schon wieder vor ihren Augen im Boden verschwand, staunte Halica nicht schlecht. Sie lief dennoch erschrocken zu der Stelle, wo sie ihn zuletzt gesehen hatte, aber da hörte sie ihn auch schon rufen. Erleichtert atmete sie auf, als sie seine Stimme hörte. Sie leuchtete mit der Fackel in die Öffnung und sah Telmy gar nicht mal so tief unter ihr auf Treppenstufen knien.
    „Musst du eigentlich in jedes Loch fallen, dass sich dir bietet? Wenn das jetzt zur Angewohnheit wird, dann sollten wir dir eine eiserne Rüstung besorgen und sie zum Wams zusätzlich innen noch mit Tüchern auspolstern, damit du nicht ständig verletzt wirst.“ Bei den Worten konnte sie sich ein leichtes Grinsen nicht verkneifen, der Schreck war bereits wieder vergessen. Die Fackel nun noch etwas tiefer haltend, um mehr von dem Raum zu sehen, in den Telmy gefallen war, sah sie plötzlich weit unten die Spieglung des Feuerscheins, der sich auf einer Wasseroberfläche brach und diese zum Glitzern brachte. Kurz entschlossen nahm sie seine Fackel auf und ließ beide Fackeln neben ihm auf die Treppe fallen. Dann stieg sie in die Öffnung, hielt sich am Rand fest und glitt langsam nach unten, direkt vor Telmys Nase, der sie an den Hüften festhielt und ihr so half, hinunter zu kommen.

    Er hatte sich nur geräuspert, weil ihm keine vernünftige Antwort eingefallen war. Als Halica in das Loch leuchtete, bekam er ohnehin einen Kloß in den Hals. Die Steinplatte war zwar der Eingang zu einem Gang, aber auch eine böse Falle. Wäre er nicht in der hintersten Ecke auf der Platte gestanden als sie aufklappte, läge er jetzt ziemlich tief unten in einem Wasserloch. Wer weiß, ob er da jemals wieder raus gekommen wäre. Die Falle war aber auch ein Zeichen, dass die Erbauer unerwünschte Besucher von etwas fern halten wollten. Zu weiteren Überlegungen kam er nicht, denn Halica war auch schon auf dem Weg zu ihm. Er bewunderte die Elfe immer mehr. Sie sorgte sich nur um ihn, war aber mehr als mutig und unerschrocken, wenn es um sie selbst ging. Ohne jede Angst kam sie heruntergeklettert, geschmeidig und fast geräuschlos. Sie musste eine sehr gute Jägerin sein, fiel ihm dazu ein. Er half ihr und sie rutschte ihm geradewegs in die Arme. Wie gut sich das anfühlte. Er zog sie etwas vom finsteren Abgrund weg. Grinsend meinte er:
    „Das hätte auch verdammt schief gehen können. Vielleicht schwimmt da unten in dem dusteren Wasserloch ja ein Ungeheuer rum.“

    Als er sie in den Arm genommen und etwas weiter von dem Loch weggezogen hatte, war sie hin und her gerissen, zwischen dem wohligen Gefühl, dass seine Nähe verursachte und der Neugier und dem Tatendrang, der sie gepackt hatte.
    „Ein Ungeheuer? Das wäre hier schon längst verhungert. Aber wenn du mir noch ein drittes Mal so einen Schrecken einjagst, dann werde ich zu einem Ungeheuer“, meinte sie leise lachend. Er lächelte und gab ihr einen flüchtigen Kuss, hob dann die erste Fackel auf und ging mit ihr ein paar Stufen hinunter bis zur zweiten Fackel, welche er ihr gab. Am Ende der Treppe folgte nun ein Gang. Dieser ging ein Stück geradeaus und war sorgfältig aus dem Gestein herausgehauen worden, über eine Mannshöhe hoch und einen großen Schritt breit. Auf dem Boden floss in ganzer Breite klares Wasser, wohl einen Fingerbreit hoch, das neben dem Treppenanfang hinter ihnen in einem faustgroßen Loch verschwand. Telmy ging vorsichtig voran bis zu der Ecke und bewegte zuerst die Fackel im abknickenden Gang auf und nieder. Nichts geschah, so spähte er in den Gang und sah vielleicht zehn Schritte weiter hinten eine nach oben führende Treppe, aber auch etwas Ungewöhnliches. Er trat zur Seite, damit Halica auch in den Gang sehen konnte.
    „Ich bin mir sicher, dass es noch mehr Fallen hier gibt. Würde dort nicht aus den Rissen im Fels soviel Wasser herausquellen, könnte man die in den Boden eingelassene Steinplatte gar nicht erkennen. Siehst du, wie das Wasser den ganzen Boden des Ganges bedeckt, aber an diesem vermeintlichen Riss, der viel zu gleichmäßig ist, im Boden verschwindet? Dahinter ist alles trocken.“ Er ging bis knapp vor den Riss im Boden und betrachtete sich auch die Decke des Ganges genau.
    „Bin mir zwar nicht sicher, aber es sieht so aus, als würde hier in der Decke ein eingepasster Felsbrocken stecken. Bestimmt stürzt der herunter, wenn man die Platte im Boden betritt. Da wäre man platt. Zusätzlich dürfte der Gang dann auch blockiert sein. Wir müssen über die Platte springen.“ Die Stirn runzelnd sah er Halica an und wartete, was sie dazu sagen würde.
    #120VerfasserJean-Louis24 Feb. 09, 10:28
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    Auch sie besah sich sorgfältig die Besonderheiten des Ganges und stimmte ihm zu, dass es sich wohl um eine Falle handeln musste.
    „Hm, also, ich kann da leicht rüber springen, aber ich muss gestehen, dass ich fürchte, dass du wieder in eine gefährliche Situation gerätst. Ich habe einfach Angst, du fällst beim Springen hin und löst die Falle damit aus. Das wäre dir durchaus zuzutrauen.“ Sie versuchte, die Worte so ernst auszusprechen, wie sie es konnte, doch verzogen sich ihre Mundwinkel dabei immer wieder nach oben. Ihre Augen funkelten vergnügt wie Smaragde und ihr schelmischer Gesichtsausdruck strafte jeden Versuch, ernst zu bleiben, Lügen.

    In ihm wirkten in diesem Moment noch ihre Worte von vorhin nach. Er fragte sich, was sie wohl täte, wenn sie zum Ungeheuer werden würde? Sie würde ihn bestimmt zum Fressen gern haben. Bei der Überlegung, an welchen Stellen sie ihn dann wohl anknabbern würde, nahmen seine Ohren eine rosarote Färbung an und er unterdrückte schnell weitere Gedanken daran. Es war gut, dass ihre gespielte Ernsthaftigkeit und dieser schalkhafte Ton in ihren folgenden Worten flugs seine Aufmerksamkeit wieder auf ihr Aussehen lenkten. Trotz dieses Schmutzüberzuges – oder gerade deswegen – sprühten Halicas Augen geradezu vor Abenteuerlust und ihre Heiterkeit war ansteckend.
    „So weit ich weiß, sind es doch immer die Frauen, die in Schauergeschichten jedes Mal gerade im unpassenden Moment hinfallen. Diesmal solltest du zuerst gehen, …äh, springen.“

    Mit einer einladenden Handbewegung und vergnügtem Lächeln wies er in den Gang hinein. Ehe er sich versah, war die Elfe mit zwei Schritten Anlauf über die Steinplatte gesprungen und lockte ihn mit dem Zeigefinger zu sich. Er wollte es ihr natürlich gleich tun, kam aber beim Sprung wegen des schmerzenden Beines nur bis zum gegenüberliegenden Rand der Platte und stolperte in den Gang hinein. Beim Aufprall auf die Steinplatte gab es ein Geräusch von berstendem Holz, darauf ein Schaben und ein Platschen, welches vom Eingang her aus dem Wasserloch kommen konnte. Der Felsblock in der Decke rutschte mit einem Knirschen eine Handbreit nach unten und das aus dem Felsspalt in der Seitenwand des Ganges heraus quellende Wasser nahm eine rötliche Färbung an. Schnell hatte es einen kleinen Sandhaufen in den Gang gespült – der Felsblock rutschte noch einmal eine Handbreit nach unten und blieb dann hängen. Telmy räusperte sich.
    „Aha – der Felsblock wird mit Sand in seiner Lage gehalten. Mein Tritt auf die Steinplatte muss die Sandkammer geöffnet haben. Der Sand dürfte aber nass geworden sein, deshalb ist er nicht vollständig aus der Kammer geflossen und der Felsen deswegen stecken geblieben. Wenn das Wasser aber die Sandkammer ausspült, wird sich der Felsblock trotzdem langsam absenken. Die Erbauer haben ihren Mechanismus nicht für eine so lange Zeit ohne jede Pflege gedacht. Was wird hinter der Treppe auf uns warten?“

    Als Telmy tatsächlich nicht die ganze Entfernung mit dem Sprung über die Platte schaffte, bekam sie für einen Moment schon wieder einen Schreck, denn sie befürchtete, dass, selbst wenn der Stein nicht auf Telmy fiel, doch dieser ihren Rückweg versperren würde. Mit ihm hier gefangen zu sein und zu verhungern, war nicht unbedingt die unangenehmste Art zu sterben, aber mit ihm zu leben, war ihr doch wesentlich lieber. Als, den Göttern sei Dank, nichts von alle dem passierte, war sie einfach zu erleichtert, um eine weitere Bemerkung über seine Tollpatschigkeit zu machen, denn natürlich hatte sie auch seinen schmerzlichen Gesichtsausdruck bemerkt, den er beim Stolpern hatte. Sein Bein musste ihm schon arg zu schaffen machen.
    #121VerfasserJean-Louis24 Feb. 09, 11:55
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    Wieder stärker humpelnd bewegte sich der Halbelfe anschließend die Treppe hinauf, Halica an seiner Seite. Wie zufällig fanden sich ihre Hände und abwechselnd drückten sie immer mal die andere Hand, während sie eng aneinander weiter gingen. Gespannt kamen sie durch einen Gang in einen Raum mit quadratischem Querschnitt. Gegenüber dem Eingang befand sich ein schmuckloser Torbogen mit geschlossener Tür. Der Boden war mit Staub überzogen und mit regelmäßig verlegten Steinplatten ausgelegt. Die Fugen dieser Platten waren ebenfalls vom Staub überzogen, nur nicht direkt vor der Tür. Dort zeichnete sich eine um die letzte Platte laufende feine Spalte ab, die ein jeder ohne die Staubschicht übersehen hätte. Auch Halica sah erst einen Schritt vor der Platte die Unregelmäßigkeit und hielt Telmy an der Schulter fest, ehe sie etwas sagte.
    „Da, wieder so eine Platte, bestimmt mit einem Mechanismus. Lass uns ganz außen an der Seite zu der Tür gehen.“ Sie schoben sich an der Wand entlang bis zum Torbogen. Er leuchtet das Türblatt ab.
    „Ha, einen Schmied kann man nicht so leicht täuschen. Liebes, schau dir die 16 Metallspitzen genau an, die aus dem Blech heraus stehen. Sie liegen hinten alle nicht dicht an. Das sind keine Bestandteile der Türpanzerung, sondern Speere, denke ich. Ich bin mir sicher, bei einem Tritt auf die Steinplatte werden alle 16 herausgeschleudert und verwunden oder töten nicht nur einen Eindringling, sondern fast alle, die es bis hier her geschafft haben.“

    Er drückte dann an einige der Metallspitzen und diese gaben seitlich etwas nach, da in den Führungen Luft vorhanden war, was seine Annahme bestätigte. Dann ging er in die Hocke und leuchtete zusätzlich die Unterkante der Tür ab.
    „Des Weiteren denke ich, dass das gar keine Tür ist. Siehst du, das vermeintliche Türblatt steht auf dem Boden auf – kein Spalt. Das ist alles nur eine Tarnung der Falle. Hier ist keine Tür. Wahrscheinlich sind wir an einer geheimen Tür bereits vorbei gegangen, ohne es zu merken. Gehen wir lieber wieder vorsichtig zurück.“ Er erhob sich, legte ihr die Hand auf die Schulter und deutete mit dem Kopf in den Gang, aus dem sie gekommen waren. Langsam schob sich Halica an der Wand entlang zurück zum Eingang des Raumes. Dieser Gang endete also in einer Sackgasse mit einer neuerlichen Falle. In dem kurzen Gang leuchteten sie die Wände, den Boden und die Decke aus, um vielleicht eine Geheimtür zu finden. Nichts – sie seufzte laut.
    „Ich frage mich so langsam wirklich, welche Art von Schatz so einen Aufwand verdient. So reich kann der Burgherr gar nicht gewesen sein, dass sich das lohnte. Es könnte daher auch etwas von enormer Wichtigkeit sein, denke ich.“

    „Das kann durchaus sein. Aber, vielleicht hat es mit diesen Runen zu tun? Oder es ist doch ein immenser Schatz verborgen, eventuell aus einem untergegangenen Königreich? Zu dumm, dass in diesem Gang keinerlei Anzeichen für eine geheime Tür zu finden sind. Nur noch über die Treppe wieder runter, sind wir bereits wieder bei dem Felsen in der Decke.“ Etwas enttäuscht stieg Halica zuerst über die Stufen nach unten, Telmy humpelte ihr hinterher. Zufällig war sein Blick auf die Seite der Treppe gerichtet und als Halica auf die dritte Stufe von unten trat, bewegte sich diese ein klein wenig, was er an dem sich verändernden Spalt zur Mauer hin sah. Der ganze Gang war aus massivem Stein gehauen, nur die Seitenwände der Treppe waren mit eingepassten Feldsteinen ausgefüllt. Halica blieb unten stehen und er kniete sich auf diese ganz leicht wackelige Stufe, um diesen Spalt genauer zu untersuchen, der sich über weitere Stufen hinzog.
    #122VerfasserJean-Louis24 Feb. 09, 12:49
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    „Ich muss mir die Verankerung der Treppenstufen im Mauerwerk mal genauer ansehen. Alles ist hier aus massivem Fels, nur die Seitenwände der Treppe und die einzelnen Stufen nicht – findest du das nicht auch merkwürdig? Vielleicht finden wir hier etwas. Ich schau mir die Spalten an den Seiten an und du betrittst bitte nacheinander die Stufen und schaukelst etwas darauf, dann werden wir gleich sehen, ob da nur eine zufällig etwas lose geworden ist oder mehrere absichtlich nicht ganz fest eingebaut sind.“ Er beugte sich zu der Seite der Treppe und legte den Finger in die Ecke, während Halica auf der jeweiligen Stufe stand und mit den Füßen versuchte, diese zu bewegen. Tatsächlich waren einige Stufen geringfügig locker. Er erhob sich, rieb sich die Stirn, sah sie an und begann zu lächeln. Sie hatte die Arme zum bessern Halten des Gleichgewichts erhoben und versuchte immer noch, die Treppenstufen zu bewegen. Es sah sehr elegant aus, als ob sie sich zu einem Leierspiel in den Hüften wiegen würde. Die Bewegungen ihres Beckens gefielen ihm sehr gut.
    „Applaus, Applaus, der Tänzerin. Die Stufen sind nicht fest eingemauert. Hier gibt es bestimmt einen Stein in der Wand, wie in der großen Halle an dieser einer Falltüre ähnelnden Steinplatte. Ich taste auf der Seite, du auf der anderen – aber bitte nicht auf die Stufen steigen, Liebes.“

    Sein schiefes Lächeln verdeckte etwas den neugierigen Gesichtsausdruck, mit dem er darauf wartete, dass sie sich umdrehte und von der Treppe stieg. Halica lächelte die ganze Zeit amüsiert, während sie sich leichtfüßig über die Stufen bewegte, um sie zum Wackeln zu bringen. Sie hatte Telmys Blick gesehen und es stand ihm allzu deutlich ins Gesicht geschrieben, dass er sich vorstellte, sie tanze nur für ihn. Jetzt drehte sie sich erst zu ihm um.
    „Ein anderes Mal, in einer gemütlicheren Umgebung, werde ich für dich tanzen, bis dir die Sinne schwinden“, sagte sie lachend und sprang geschickt die restlichen Stufen hinunter, wo sie direkt neben ihm aufkam und ihn überschwänglich umarmte. Wenn sie ihn nicht festgehalten hätte, wäre er wohl wieder auf seinem Hintern gelandet, weil er bestimmt nicht mit ihrem spontanen Ausbruch gerechnet hatte und wegen seines schmerzenden Beines sowieso schon auf wackeligen Beinen stand.
    „Nun? Hast du eine Vermutung wegen den lockeren Stufen?“, fragte sie ihn unschuldig blickend, als ob nichts gewesen wäre.

    „Ich denke schon“, antwortete er lachend und drückte ihren geschmeidigen Körper fest an seinen. Dann flüsterte in ihr Ohr:
    „Wenn ich Unrecht habe, mache ich morgen früh das Frühstück und du kannst noch in den Decken kuscheln. Die Treppenstufen sind beweglich, vielleicht auch wieder in einem noch funktionsfähigen Mechanismus gelagert, der sie zur Seite zieht, wenn wir den Auslöser finden. Deswegen dürfen wir nicht auf die Stufen treten, wenn wir die Wand abtasten.“ Er wollte sich schon von ihr lösen, da sagte er noch:
    „Wer den verborgenen Auslöser findet, darf den anderen küssen.“

    Er grinste dabei wie ein Lausbube, der gerade den tollsten Streich ausgeheckt hatte und Halica hatte ein viel sagendes Funkeln in den Augen. Sie hatten kurz darauf noch keine 20 Steine in den Seitenwänden abgetastet, als Halica einen hineindrücken konnte und einen kleinen Jauchzer vor Freude von sich gab. Telmy drehte sich sofort zu ihr, sah wie sie sich freute und schon begann ein Rumpeln, welches die untersten acht Treppenstufen erzittern ließ. Langsam, ruckartig, mit schlurfendem Schaben immer wieder stockend, bewegten sich die Steinstufen und verschwanden fast ganz in der linken Wand. Eine weitere nach unten führende Treppe tat sich auf und ein feuchter Moderhauch quoll aus dem finsteren Gang. Telmy blinzelte Halica an.
    „Jetzt ist wohl die Belohnung fällig?“ Er trat einen Schritt auf sie zu und machte einen Kussmund in der Erwartung ihres „Angriffes“.
    #123VerfasserJean-Louis24 Feb. 09, 14:30
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    Lachend näherte Halica sich ihm und hauchte ihm einen Kuss auf die Lippen.
    „Den Kuss habe ich zwar gewonnen, aber nun werde ich wohl das Frühstück machen müssen“, meinte sie lächelnd und dachte an die Nacht vor dem Frühstück, wie sie beide diese denn diesmal verbringen würden. Gerade wollte sie sich wieder abwenden und sich den Geheimgang genauer ansehen, da sah sie das zärtliche Glitzern in seinen Augen. Der Geheimgang war sofort unwichtig, sie schlang ihre Arme um seinen Hals und küsste ihn noch einmal, aber diesmal sehr innig und intensiv.
    „Wenn ich schon einen Preis gewinne, so will ich ihn doch noch etwas mehr genießen. Der Schatz, der dort unten möglicherweise liegt, kann auch noch ein paar Augenblicke länger warten. Nach Jahrhunderten, die er schon einsam und versteckt gewartet hat, was sind da schon ein paar kurze Momente?“, flüstere sie an seinen Lippen, ehe sie erneut in einem Kuss versank. Nachdem sie es kurz darauf doch noch geschafft hatte, ihre Aufmerksamkeit in Richtung der frei gewordenen Treppe zu lenken, nahm sie wieder seine Hand und betrat vorsichtig die Stufen.

    Seine Enttäuschung darüber, dass sie ihm zuerst nur einen Kuss auf die Lippen hauchte, verschwand sofort mit dem zweiten Kuss und den dritten genoss er dann umso mehr. Aber auch dieser fand sein Ende und so stiegen sie Hand in Hand weiter in die Tiefe. In diesem Gang befanden sich Fackeln in Wandhaltern, welche beide beim Vorübergehen anbrannten. Etwas Wasser stand auch hier auf dem Boden, alles war feucht und roch muffig. Vielleicht 20 Schritte weiter führte dann eine kurze Treppe nach oben, die sich verbreiterte und in einem breiteren Stück des Ganges vor einer zweiflügeligen Tür endete. Auch bei genauestem Hinsehen ließ sich nichts finden, was wie eine Falle wirkte. So konnten sie sich auf die große Tür konzentrieren. Auf den Türblättern waren verschiedene herrschaftliche Symbole in vergoldetem Blech angebracht und darunter in einer alten Elfenschrift mehrere Wörter künstlerisch in das Eichenholz eingeschnitzt. Da Telmy schon öfter in den Schriften seines Großvaters alte Elfenausdrücke und Schriftzeichen gesehen und entziffert hatte, versuchte er die Wörter einzeln zu lesen.

    Reichtum - nur - dem - Verstand - gehorchend, - stets - verderblich - sei,
    Verstand - dem - Herz - gehorchend, - macht - Reichtum - wahrhaft – frei


    Er sah sie nachdenklich an und begann dann zu lächeln, als er sagte:
    „Welche Weisheit hier geschrieben steht. Weißt du, mir ist es aber egal, was hinter dieser Tür auch immer verborgen sein mag. Finden wir einen Schatz, so wird das an meinen Gefühlen zu dir nichts ändern. Finden wir nur Wertloses, so ist es auch gut. Halica, Liebste, bevor wir diese Tür öffnen, will ich dir sagen, dass es nichts Wertvolleres auf dieser Welt für mich gibt, als dich! Deine Liebe kann kein noch so großer Schatz ersetzen. Ob wir arm oder reich sein werden, immer wird nur mein Herz zu dir sprechen und das sagt dir drei Worte: Ich liebe dich.“
    #124VerfasserJean-Louis25 Feb. 09, 11:03
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    Etwas verlegen, mit einer rosaroten Gesichtsfarbe und ebenso angelaufenen Ohren sah er sie an. Die Hand, welche die Fackel hielt, zitterte etwas und in seinen Augen sammelten sich Tränen. Trotz allem, was sie ihm bereits gesagt hatte, stieg in ihm eine furchtbare Angst auf, sie würde ihn nicht so sehr lieben, wie er sie. Im Magen pochte es, die Knie wurden ihm weich, weil sie nicht sofort eine Antwort zu finden schien. Er wusste nicht, dass sie gar nicht in der Lage war, jetzt etwas zu sagen. Was sie von ihm soeben gehört hatte, ließ ihr das Herz überlaufen vor Liebe und Glück. Sie war so gefangen von seinen Worten, die in ihrem Kopf immer wieder nachhallten, dass sie nur stumm da stand und ihn ansah. Aber als sie Tränen in seinen Augen glitzern sah, erwachte sie wie aus einem Traumzustand und lächelte ihn liebevoll an. Er sah immer so zum anbeißen aus, wenn er rote Ohren bekam. Sie musste erstmal schlucken, bevor sie zu sprechen begann.
    „Ich sagte dir doch bereits, dass ich den schönsten Schatz sowieso schon gefunden habe. Und dieser Schatz bist du – nur du allein. Ich hätte es nie für möglich gehalten, jemals wieder so lieben zu können, aber es ist geschehen und ich habe nie ein tieferes Gefühl empfunden.“

    Sie strich ihm sanft mit den Fingerspitzen über die Wange. Dann schloss sie kurz die Augen und atmete tief ein. Als Halica die Augen wieder öffnete, schmiegte sie sich eng an ihn und flüsterte ihm ins Ohr.
    „Ich liebe dich so sehr, dass ich es selbst nicht erfassen kann. Und jeder Moment, den ich mit dir verbringe, lässt diese Liebe noch mehr wachsen.“ Nun legte sie ihren Kopf an seine Brust und ließ sich von ihm in den Armen halten. Sie konnte seinen Herzschlag spüren, der sich bedrohlich beschleunigte, so dass sie schon Angst bekam, sein Herz würde ihm zerspringen.

    Als er sie in seine Arme schloss, war ihm, wie wenn sie beide in einem Nebel stehen würden und er merkte, dass auch sie leicht zitterte. Das flaue Gefühl im Magen wich den Schmetterlingen und eine Welle innigster Liebe überrollte seinen ganzen Körper. Sein Herz raste und er drückte sie noch fester an sich. Es wurde ihm heiß, aber dann lief ihm wieder ein kalter Schauer über den Rücken. Dieser Zustand wiederholte sich mehrmals, bis sein Verstand diese Verklärung grob durchbrach. Er erschrak und ließ seine kräftigen Arme den Druck verringern und hielt sie nur noch ganz zart in den Armen, als ob seine Liebste zerbrechlich wäre wie Porzellan. Ganz leicht drang ihr Duft noch in seine Nase. Halicas Haare waren nur noch verklebte, schmutzige Strähnen und als sich beide wieder voneinander lösten, erschien sie ihm unter all dem Staub und Dreck schöner und begehrenswerter als jemals zuvor.
    „Ich verliere den Verstand, wenn wir nicht bald einen Weg aus diesem morschen Kasten hinaus finden. Meine Gefühle spielen vollkommen verrückt. Wenn diese Türe nicht aufgeht, dann verschwinden wir von hier. Nur einen Versuch, ja?“

    Sie war innerlich so aufgewühlt, dass sie nur nicken konnte. Wieder hatte sie an eine gemeinsame Nacht denken müssen und war froh, seinen Körper nicht mehr an ihrem zu spüren, denn sonst hätte sie für nichts mehr garantieren können. So wandte er sich der zweiflügeligen Tür zu und konnte auf Anhieb kein Schloss oder eine Öffnung für einen Schlüssel daran finden. Dafür besaß die Tür auf jeder Seite in der Mitte des Türblattes fünf runde Knäufe übereinander. Alle ließen sich drehen, bewegten sich aber in die Ausgangslage zurück, sobald er sie wieder los ließ.
    „Auch das noch! Man muss bestimmt einige dieser Knäufe gleichzeitig drehen, damit die Türverriegelung aufgeht. Aber welche und wie viele?“
    #125VerfasserJean-Louis25 Feb. 09, 12:24
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    Er versuchte verschiedene Kombinationen, aber es tat sich nichts. Dann fiel ihm eine feine Rille in den Türblättern auf. Er trat etwas zurück und besah sich die ganze Tür noch einmal. Die Rille zeichnete ein großes Herz nach, dessen Mitte die Mitte der zwei Türflügel war. Telmy rieb sich die Stirn.
    „Siehst du auch diese Rille? Ein großes Herz… - der Spruch. Bei den Göttern, der Spruch ist der Schlüssel“, rief er laut und las einige Wörter erneut vor.
    “…Verstand dem Herz gehorchend… Das ist es. Die Rille läuft auf beiden Seiten durch den zweiten und den letzten, obersten Knauf hindurch. Wie müssen diese vier gleichzeitig drehen, dann wird sich die Tür öffnen. Halica, nimmst du bitte die zwei linken?“ Gemeinsam drehten sie nun jeweils die zwei Knäufe auf den Türblättern, durch welche die Rille lief. Mit vier lauten Schlägen verschwand an den Knäufen der Widerstand gegen das Drehen und die Türflügel sprangen einen Spalt weit auf.

    Eine Schatzkammer?

    Halica sah ihn freudig erregt an. Die Tür war tatsächlich aufgegangen. Neugierig warf sie einen Blick in den Raum, der zum Vorschein kam. Beide hielten ihre Fackeln hoch und traten ein paar Schritte weit hinein. Staunend sahen sie sich um. Was sie erblickten, musste einmal ein großer Schatz gewesen sein, doch bis auf ein paar Geschmeide, die sie in kleinen, morschen Holzkästchen fanden, waren die Sachen so alt, dass sie nicht mehr zu gebrauchen waren. Es standen mehrere kunstvoll gemalte, lebensgroße Gemälde an die Wände gelehnt, längst vom Schimmel befallen und nicht mehr zu retten. Wunderschön gemeißelte Statuen füllten eine Ecke des Raumes, die durch die Nässe schon sehr gelitten hatten, dazwischen einige umgefallene Vasen, seit Jahrhunderten zerbrochen. Einstmals edle Stoffe, die jetzt eher an Lumpen erinnerten. Es roch sehr muffig und abgestanden. Halica besah sich alles genau, als ihr eine Schatulle in einer Ecke auffiel, die mit roten Samtbändern umhüllt war, welche jeweils mit einem Wachssiegel verschlossen waren. Das Holzkästchen sah sehr stabil, noch immer wie neu aus und wirkte geheimnisvoll. Auch auf ihrem Deckel war ein Herz als Verzierung eingeschnitzt. Das erregte die Aufmerksamkeit der Elfe. Sie zog Telmy am Ärmel und deute darauf.
    „Sieh mal, diese Schatulle. Ich frage mich, was wohl darin sein mag. Wollen wir versuchen sie zu öffnen?“

    Auch Telmy war sehr neugierig durch den Raum gegangen und hatte sich die Sachen sehr vorsichtig angesehen. Ein Gemälde zeigt das Bildnis einer wunderschönen Frau in einem silbrig glänzenden Harnisch, hoch zu Ross sitzend mit einer Lanze an ihrer Seite, an welcher eine Fahne mit dem Wappen der Burg wehte. Er war von Gemälde zu Gemälde geschritten – immer nur Frauenbildnisse darauf. Eine Unachtsamkeit – er stieß leicht mit dem Fuß gegen den Holzrahmen eines dieser lebensgroßen Bilder, ließ dieses in sich zusammenfallen. Die Inhalte der manchmal morschen Kästchen, die zum Teil stark verrotteten Schmuckstücke, zerborstene Vasen, deren ehemaliger Inhalt aus inzwischen verschimmeltem oder hart gewordenem Pulver oder gestockten Ölen bestand – all das ließ nur einen Schluss zu:
    „Dies sind alles Dinge, wie sie Frauen schätzen und in Gebrauch haben. Sieh nur, Schmuck und allerlei Essenzen zum Pflegen der Schönheit. Die Schatulle wird wohl ganz persönliche Dinge einer Frau enthalten – vielleicht der damaligen Burgherrin?“

    Er gab ihr seine Fackel. Die Samtbänder zerfielen, als Telmy die Schatulle nahm und darüber strich. Merkwürdig war das Holz – rötlich schwarz und ohne jede Spur der Vergänglichkeit. Anders als die anderen Kästchen wirkte es tatsächlich wie neu, als hätte man es eben erst hingestellt, so sah das längliche Kästchen aus. Neben dem Herz war eine alte Inschrift in das Holz geschnitzt. Er rieb vorsichtig mit dem Ärmel den feuchten Staub von der Fläche und die Schrift wurde durch den in den Vertiefungen verbleibenden helleren Schmutz sichtbar. Eine Jahresangabe in Telmy nicht verständlichen Zeichen und folgender Spruch, den er vorlas:

    Der - Stein - des - Blutes
    Todbringend - dem - kalten - Herzen
    Erlösung - für - wahre - Liebe
    #126VerfasserJean-Louis25 Feb. 09, 12:42
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    „Was für ein seltsamer Spruch, wenn es tatsächlich so heißt. Mal sehen, ob ich diese Haken alle aufbekomme. Und hier steht noch: „Nen’Harum“. Was mag das heißen?“ Er schaute sie fragend an und versuchte, die Schatulle zu öffnen. Der Deckel wurde mit vielen Haken gehalten, welche vorher unter den Samtbändern verborgen und somit nicht zugänglich waren. Die Ösen wie auch die Haken schimmerten silbrig matt, ohne jede Verwitterung – angelaufenes Silber. Mit Druck auf den Deckel konnte er alle Haken aushängen. Zwischen dem Deckel und dem Boden war eine lederne Dichtung in einer Rille der dicken Wand eingearbeitet. In der Schatulle war es deshalb staubtrocken und ein schwarzes Samttuch, mit einer roten Schleife gebunden, verbarg den eigentlichen Inhalt.
    „Wir nehmen die Schatulle lieber mit und sehen draußen bei Licht nach, was da noch verborgen ist. Langsam mache ich mir Sorgen, wie wir rauskommen, falls der Felsen den Gang inzwischen blockiert, wenn der Sand herausgespült worden ist.“

    Halica war einverstanden und so schloss Telmy den Deckel wieder sorgfältig. Er nahm seine Fackel von ihr und sie steckte die Schatulle unter der Brust in ihren Rock, einen Knopf offen lassend. Dann gingen beide die wenigen Schritte in den hinteren Teil des Raumes, wo ein fast abgerissener Wandteppich die halbe Wand verhüllte, aber einen Türbogen nicht mehr ganz verdeckte. Bei der ersten Berührung rauschte das morsch gewordene Gewebe herab und gab eine weitere Tür frei. Diese glich der ersten, hatte aber keine runden Knäufe, sonder zwei normale Klinken. Die verrosteten Angeln ließen einen der Flügel nur schwer öffnen. Im Fackelschein wurde noch ein Raum sichtbar, der nicht sonderlich tief, dafür aber breiter war. Eine Art Pult stand links des graden Weges, der direkt auf eine dritte, wieder gleichartige Doppeltür zu führte. Rechts davon waren verschieden große Truhen und leere Säcke gestapelt. Hier war es trockener und nur leichter Modergeruch vorhanden. Auf dem Pult lagen Schreibkiele, die Tinte im Glas war längst eingetrocknet. In einem Regal an der Wand befanden sich leicht schimmelige Pergamente, manche auch brüchig. Nirgendwo war etwas auf die Blätter geschrieben und der größte Teil des Regals, wie auch die Truhen, leer.
    „Sieht aus wie die Verwalterkammer des Schatzmeisters. Die Aufzeichnungen hat man wohl mitgenommen. Was meinst du, Liebste?“

    Halica besah sich alles neugierig. Was sie hier wohl noch alles finden würden? Es interessierte sie immer noch brennend, was in der Schatulle war, aber die wollten sie ja erst draußen öffnen. An den Wänden sah sie Halterungen mit Fackeln, die noch recht gut aussahen und sicher noch brennen würden. Sie wandte sich Telmy zu und deutete an die Wand.
    „Wir sollten diese Fackeln entzünden, dann brauchen wir nicht jedes Stückchen dieses Raumes abzulaufen und in jede Ecke zu leuchten. Ich hoffe, die nächste Tür führt zu einem Weg nach draußen, denn normalerweise hat jede Schatzkammer auch einen geheimen Fluchtweg.“ Ohne auf seine Antwort zu warten, lief sie zu der ersten Fackel und entzündete sie. Sofort wurde es heller und im warmen Schein des Feuers konnte sie eine weitere Halterung mit Fackel ein paar Schritte weiter erkennen. Auch diese Fackel brannte sie noch an, dann hatte sie schon die nächste doppelte Tür geöffnet und eine weitere kleinere gleich dahinter in der Wand entdeckt, während sie rief:
    „Telmy, komm rein, dieser Raum hier nimmt ja gar kein Ende. Wie viele Schätze hier gelegen haben müssen?“ Sie schüttelte leicht den Kopf. „Oder, der Burgherr hatte noch vor, viele Schätze zu sammeln.“
    #127VerfasserJean-Louis25 Feb. 09, 13:03
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    Er kam schnell hinter ihr her und hoffte sogleich, die kleine Tür in der Wand würde endlich wieder aus diesem mehr maroden als unheimlichem Gemäuer hinausführen. Nach rechts hin tat sich vor den beiden ein Raum auf, der weitestgehend im Dunkeln lag. Fackel für Fackel in den auch hier vorhandenen Halterungen an den Wänden wurde angebrannt, bis Halica an einer Mauer ankam. Telmy dagegen war etwas zurück und fand nach der zweiten Fackel auf der anderen Seite eine Ecke – der Raum erweiterte sich nach links. Zwischen ihm und seiner Elfe wurde eine dicke, massive Steinsäule sichtbar. Auch tiefer im Halbdunkel des noch verborgenen Raumes stand eine weitere, ebenso dicke Steinsäule und – es schimmerte dort gelblich und glitzerte leicht im schwachen Schein der Fackeln.
    „Halica, sieh dort hinten – ahnst du dasselbe wie ich?“

    Langsam ging er weiter und brannte wieder eine Fackel an der Wand an, während sie es ihm gleich tat. Die Aufregung stieg ihm in den Kopf, ihm wurde ganz flau im Magen. So etwas hätte er sich mit aller Kraft niemals vorstellen können. Er nahm Halica in den Arm und so standen sie in der Mitte des Raumes, weiter hinten wieder eine Säule sehend. Nur zwei schmale Wege führten links und rechts in die immer noch im Dunkeln verborgene Tiefe, zwischen zum Teil offenen Truhen voller Goldmünzen, gefüllten Säcken und kleinen Regalen, in denen sich Schmuck, goldene und silberne Gegenstände, Geschmeide in vollendeter Schönheit und viele Kästchen und Schatullen befanden. Ein wahrhaft königlicher Schatz.

    Staunend gingen beide in diese Anhäufung edelsten Metalls und wertvollster Utensilien und Edelsteine. Was immer sie sich besahen, ob Münzen, Becher, Behältnisse – überall waren diese unbekannten Zeichen, diese Runen, darauf zu finden. Hinter der vierten Steinsäule war dann doch eine Wand zu erkennen und der schmale Weg führte wieder zurück durch den angehäuften Schatz in den leeren, vorderen Teil des Raumes. An einem der letzten Regale blieb Telmy stehen.
    „Schau, Liebes, hier sind keine Runen auf den Sachen. Ich habe kein gutes Gefühl, wenn wir etwas von den mit diesen Zeichen behafteten Dingen nehmen – daran klebt bestimmt viel Blut, weil es geraubt wurde. Man sollte nach den Nachfahren der rechtmäßigen Eigentümer suchen und ihnen alles zurückgeben, falls es Diebesgut ist. Wir nehmen nur etwas hiervon. Das Gold ist viel zu schwer, um eine ganze Truhe wegzutragen. Dort, diese kleine Truhe voller Edelsteine, die werde ich nehmen. Nimm dir vom Schmuck, den Perlen oder dieses wundervolle Kollier mit den passenden anderen Teilen – soviel du willst. Hoffentlich führt diese kleinere Tür am Anfang dieses großen Raumes uns nach draußen. Länger will ich nicht unbedingt hier drinnen bleiben, außerdem schmerzt meine Wade ziemlich, ich muss mich mal hinsetzen.“

    Er schloss eine Truhe, angefüllt mit prunkvollen Bechern, Tellern, Kannen und allerlei weiterem Hausrat aus purem Gold und setzte sich auf den Deckel, dabei seine Elfe anlächelnd und die Fackel auf den Boden legend. Zu den zwei Münzen mit dem Baumsymbol auf einer Seite, die er bereits einstecken hatte, griff er sich noch einige aus der neben ihm stehenden Truhe, um sie vielleicht später für eine Suche nach den Nachkommen der Fellträger oder Ritter verwenden zu können und steckte sie auch ein. Auch einen kleinen Sack mit anderen Goldmünzen, wie sie noch immer im Umlauf waren, stellte er neben sich auf die Truhe. Die Edelsteine würde man erst zu Gold machen müssen.
    #128VerfasserJean-Louis25 Feb. 09, 14:19
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    Halica besah sich die Kostbarkeiten staunend, die sich ihnen im flackernden Fackelschein offenbarten. Die weit aufgerissenen Augen konnte sie von dem Funkeln und Glitzern, das sie umgab, kaum abwenden. Sie nahm eine Schatulle mit Silberschmuck in die Hand und vor Freude strahlend probierte sie ein paar besonders schöne Stücke an, nachdem sie ihre Fackel zwischen eine kleine Truhe und ein Regalbrett geklemmt hatte. Eine sehr feingliedrige Kette hatte es ihr besonders angetan. Ein tropfenförmiger, geschliffener Bergkristall, ungefähr 2 Fingerbreit groß, hing als Anhänger daran. Der kühle Stein lag in ihrer Hand, als wäre er dafür gemacht. Innerhalb weniger Sekunden nahm er die Wärme ihrer Hand auf und schien leicht zu vibrieren, was sie aber ihrer Aufregung zuschrieb. Er verbreitete so ein angenehmes, gutes Gefühl, dass sie sich die Kette gleich um den Hals legte und anbehielt. Sie beschloss, die ganze Schatulle mit den Silberteilen zu behalten. Den Goldschmuck ließ sie liegen, denn das Gold nahm sie sich lieber in Form von Münzen. Sie leerte eine weitere Schatulle und befüllte sie mit Goldmünzen, genug um für viele Jahre ein unbeschwertes Leben zu führen. Dann sah sie ihren Liebsten an, der immer noch auf der Truhe saß.
    „Ich wäre bereit zum Gehen. Mehr könnte ich wirklich nicht tragen. Suchen wir den Ausgang.“

    „Ich komme. Nimm du deine Fackel, ich habe mit der Truhe voller Edelsteine und dem Sack mit Goldmünzen genug zu schleppen. Schauen wir mal, wohin die kleine Tür führt.“ Telmy stand auf, nahm sich die Edelsteintruhe und den Sack, folgte Halica, die sich das Kästchen mit dem Silberschmuck unter den Arm geklemmt hatte, mit dem sie die Fackel hielt. Die andere Schatulle im anderen Arm tragend ging sie voraus durch den schmalen Gang und dann durch die große Säulenhalle, bis nach dem Knick die kleine Tür erreicht war. Verschlossen – was tun? Er stellte seine Beute ab und ging hinaus in die Verwalterkammer vor der Schatzkammer, sah sich etwas um und öffnete dann die Pultklappe. Tatsächlich, dort lag ein großer Schlüssel bei weiteren Schreibutensilien. Er ging zurück und steckte den Schlüssel ins Schloss – er passte und Telmy konnte aufschließen. Dahinter war ein kleiner, runder Raum zu sehen, an dessen Außenmauer eine steinerne Wendeltreppe in die Höhe führte. In der Mitte hing ein dickes Seil herab, an dessen einem Ende ein Haken eine hölzerne Plattform trug, mit vier kurzen Seilen befestigt – ein Transportaufzug für die Schatzkammer, während das andere Ende lose auf dem Boden lag. Beide staunten darüber, dass in diesem alten Gebäude bereits ein Hebemittel mit Seilzug verwendet worden war. Halica ging langsam voraus die Treppe hoch, Telmy mit seiner Last knapp hinter ihr her. Den Schmerz, der bei jeder Treppenstufe durch seine Wade stach, fühlte er alsbald nur noch dumpf, hing sein Blick doch an ihrem bezaubernden Hinterteil, welches im Halbdunkel bei jeder Stufe aufreizend hin und her schwang. Dieser „schmerzlindernde“ Anblick hatte ein jähes Ende, als sie oben in einem größeren Raum ankamen und Halica etwas ratlos stehen blieb. Wohin nun weitergehen?

    „Liebes, schau, da vorn, da sind Sehschlitze in der Wand. Die Sonne scheint hindurch, es ist bestimmt eine Außenwand. Und sieh den Schein am Boden – die Sonne muss schon ihren höchsten Stand erreicht oder gar überschritten haben. Außerdem muss dies die Südseite sein, so wie die Sonne herein scheint. Mit etwas Glück können wir durch die Schlitze in den Innenhof sehen.“ Halica war sehr schnell am einem, er kam langsamer hinterher. Als sie sich umdrehte, erkannte er an ihrer Enttäuschung, dass es nicht die gewünschte Aussicht war, die man da sehen konnte. Ein Blick durch die Öffnung bestätigte dies – es war ein Sehschlitz in einem der eckigen Türme und sie sahen über eine ziemlich hohe Felswand hinunter in ein Tal.
    „Wenigstens ist es die Südseite. Weißt du noch, die Burg hatte zwei runde und zwei eckige Türme. In den zwei runden war ich, mit dir im zweiten. Von dort sind wir hinab gestiegen in den felsigen Untergrund und hier wieder herauf. Es könnte der südöstliche Turm sein.“
    #129VerfasserJean-Louis25 Feb. 09, 14:51
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    Er sah sie an und bemerkte, wie aufmerksam sie seinen Worten lauschte, mit großen Augen voller Hoffnung. Gab es etwas, das er nicht an ihr liebte? Ihm fiel nichts ein. Links von ihnen war eine sehr dicke Tür in die Wand eingelassen, wenn man davon ausging, dass sie dieselbe Dicke wie die Mauer haben würde. Die Angeln waren extrem massiv, was tatsächlich auf ein entsprechendes Gewicht hindeutete. Vor der Tür hing in eisernen Ringen gelagert ein geschälter Baumstamm unter der Decke mit einem großen Haken und einer Seilrolle daran, in der sich ein dickes Seil befand, dessen beide Enden sauber auf dem Fußboden zusammengerollt waren. War die Tür offen, konnte man den Baumstamm in den Halterungen weit genug verschieben, so dass sich vor dem Turm ein Flaschenzug befand. So wurden also die Schätze eingelagert. Dieser Raum in dem Turm hatte ganz bestimmt einen schwer zu findenden Eingang, der sich von innen aber leichter finden lassen musste. Beide gingen nun in die finstere Ecke diagonal durch den Raum, am Treppenabgang und dem Seilzug in Turmmitte vorbei. Wenige Schritte von der Ecke entfernt befand sich eine Vorrichtung, welche das Herausschwenken eines schmalen, niedrigen Mauerstückes nach innen ermöglichte. Mit viel Mühe und Kraft brachten sie gemeinsam den eingerosteten Mechanismus in Gang und konnten so einen Durchschlupf nach außen öffnen. Nachdem sie ihre Beute in den Gang dahinter gebracht hatten, entschieden sie sich, zuerst nach Links gehen. Sie kamen an eine Tür, die beim ersten Versuch des Öffnens zusammenbrach. Jetzt standen sie vor einem Wehrgang, der an der Burgmauer entlang führte. Einem von denen, die er bereits vom Burghof aus gesehen hatte und mehr als baufällig waren. Die Höhe zum Hof hinunter war beachtlich und die hinab gelassene, kleine Zugbrücke zwischen Turm und Wehrgang hatte schon heraus gefaulte Löcher. Er schüttelte den Kopf.
    „Da möchte ich nicht hinüber gehen. Das ist alles morsch. Wir müssen nach einer Treppe im Turm suchen.“

    Durch das Licht, welches jetzt in den Gang fiel, war aber auch nichts zu erkennen. So gingen sie zurück. Der Durchschlupf, durch den sie gekommen waren, konnte bestimmt fugenlos verschlossen werden, so exakt und fein waren die Flächen und Kanten bearbeitet. Ein Unwissender hätte den Zugang niemals gefunden. Am anderen Ende des Ganges fanden sie im Fackelschein einen schmalen Durchgang mit zum Glück hochgezogenen, doppelten Fallgittern. Halica leuchtete hinein und sagte, dass dahinter eine Steintreppe nach unten führen würde. Er zwängte sich auch durch den Mauerspalt und beide kamen am Ende der Treppe in einem länglichen Raum mit rund gewölbter Decke an. Überall lagen rostige Waffen – Schwerter, Hellebarden, Spieße. An den Wänden hingen verrottete Bögen und etliche Rüstungsteile lagen herum. In kurzen Abständen befanden sich in den Seitenwänden Holztüren, jeweils eine Stufe über dem gepflasterten Boden. Rechts schien die Sonne durch einige Ritzen in einem großen Tor, welches den Raum auf dieser Seite abschloss. In dem großen Tor befand sich eine kleinere Tür, die Halica mit einiger Anstrengung aufdrücken konnte. Beide blinzelten nun in die starke Helligkeit, die ihnen auf dem Burghof entgegenschlug, nachdem sie über einen halben Tag im finsteren Inneren der Burg zugebracht hatten. Erst jetzt sah man, wie schmutzig und dreckverklebt beide waren. Trotzdem lächelten sie sich überglücklich an, dieses Abenteuer mit nur einer geringen Blessur überstanden zu haben. Mia und Lia standen unweit von ihnen und schnaubten laut, als wollten sie auch ihrer Freude Ausdruck verleihen, ihre Herrin und den Halbelfen, der diese so sehr anstrahlte, zu begrüßen.
    #130VerfasserJean-Louis25 Feb. 09, 15:21
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    Die Sonne blendete Halica, als sie aus dem Burginneren ins Freie trat. Sie stellte die Schatullen ab, auch jene, die sie im Rock getragen hatte, warf die Fackel achtlos auf den Boden, dann umarmte sie freudestrahlend Telmy, der seine Beute auch schon hingelegt hatte und drückte sich fest an ihn, glücklich darüber, dass beide lebend aus dieser maroden alten Burg entkommen waren, noch dazu mit reichlich Gold und Geschmeide. Als sie sich von ihm löste und ihn ansah, musste sie über seine Erscheinung lachen. Staubbedeckt war er, seine Kleidung schmutzig und er hatte sogar Spinnweben in den Haaren. Sie lief um ihn herum und betrachtete ihn von allen Seiten. Grinsend meinte sie:
    „Telmy? Bist du auch wirklich unter diesem Staub und Dreck? Nicht das ich aus Versehen einen armen, herumirrenden Burggeist mitgenommen habe. Ich glaube, ohne dich in einen Badezuber zu stecken, werde ich es nicht herausfinden können. Aber woher nehme ich den?“ Nachdem sie an sich herabgesehen hatte, lachte sie noch mehr.
    „Ich glaube, dasselbe kannst du von mir auch behaupten.“

    Telmy besah zuerst seine Arme und sah dann an sich herab – Halica hatte völlig Recht und sie sah auch nicht sauberer aus als er. Als sie um ihn herum lief, wehte eine leichte Staubfahne von ihrer Kleidung weg. Er war genauso froh und glücklich über den guten Ausgang dieses nicht ganz ungefährlichen Abenteuers und hätte sie gerne noch mal in die Arme genommen, als ihre Worte ein Nachdenken bei ihm auslösten. Er flüsterte leise vor sich hin:
    „In einen Badezuber? Sie will mich in einen Badezuber stecken… und… und vielleicht gar selber baden! Bei den Göttern, ich kann doch nicht… nein... nicht nackt! Zusammen mit ihr?“ Jetzt war er mehr als froh, dass er unter einer dicken Dreckschicht stak. So konnte sie nicht sehen, dass sein Kopf und die Ohren ganz sicher wieder rot glühten. Ihm musste etwas einfallen, wie beide baden konnten, ohne sich zu sehen. Aber zuerst mussten sie das Badehaus finden und sehen, in welchem Zustand es war.

    Das Badehaus…

    “Weißt du, Liebes, ich bin doch in einer Burg groß geworden. Und in einer dieser Größe muss es auch ein Badehaus geben.“ Sich den Kopf kratzend, was sofort Dreck und Steinchen aus seinen Haaren rieseln ließ, schaute er sich um. Zugleich überlegte er, ob er das, was er da gesagt hatte, nicht besser hätte verschweigen sollen.
    „Dort, schau, neben dem Haupthaus beim Toreingang. Der dicke Schornstein und die kleinen Fenster im Obergeschoss, darunter das massive Steingemäuer ohne Fenster. So ähnlich sieht in Grauenfels auch das Badehaus aus. Das Dach scheint mir noch in Ordnung zu sein und wenn wie in Grauenfels darin alles auch aus bestem Eichenholz erbaut wurde, sollte es noch nutzbar und funktionsfähig sein.“

    Er nahm den Sack und die Truhe, Halica hob auch ihre Beute auf und beide gingen zum Wagen, stellten dort alles auf dem Fuhrmannsbock ab. Dann nahm sie ihn bei der Hand und er ging mit ihr etwas zögerlich, sie dagegen neugierig, zu dem vermeintlichen Badehaus. Durch einen offenen Steinbogen traten sie in das dunkle, verrußte Untergeschoss. An der Wand mit dem großen Rauchfang standen zwei kupferne Kessel auf massiven, gusseisernen Gestellen, unter denen man größere Feuer machen konnte. An der hinteren Wand befand sich ein großer Haufen Holzkohle und alles, was man zum Anbrennen brauchte. Rechts neben dem Eingangsbogen konnte man über eine steile Treppe durch eine Bodenluke zum Obergeschoss gelangen. Das Dach war ganz sicher noch dicht, denn hier unten war alles trocken und nicht einmal Schimmel erkennbar, was auch von der Durchlüftung vom offenen Steinbogen her durch den dicken Schornstein herrührte.
    „Hier ist tatsächlich alles Holz aus schwerer Eiche, wie ich vermutete, weil es der Feuchtigkeit und dem Wasserdampf standhalten muss. Es ist nichts verrottet. Wir müssen die Kessel nur mit Wasser befüllen und anheizen. Machen wir beide gleichzeitig warm, haben wir bestimmt zwei komplette Füllungen für den Zuber, der im Obergeschoss stehen muss. Die feinen Herrschaften gehen nämlich immer vom Haupthaus aus direkt oben in die Badestube, wo es durch die Feuerung im Untergeschoss selbst im Winter richtig warm ist. Durch die zwei kleinen Luken über den Kesseln lässt man Eimer an einem Seil herunter und holt das heiße Wasser damit hoch. Gehen wir mal nach oben.“
    #131VerfasserJean-Louis25 Feb. 09, 16:24
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    Er stieg voran, das schmerzende Bein noch schonend, die steile Treppe hinauf und drückte die Bodenluke auf, die durch einen das Gewicht der Luke ausgleichenden Seilzug offen gehalten wurde. Oben war es überraschend hell, die Wände und die Decke mit Eichenholz verkleidet und verhältnismäßig sauber. Bis auf wenige staubige Stellen und die unvermeidlichen Spinnweben war dies der wohl am Besten erhaltene Teil der alten Burg. In der Mitte des Obergeschoßes stand ein sehr großer Zuber, in den mindestens vier Personen gleichzeitig sitzend hinein passten. Dahinter standen Eimer neben den kleinen Bodenluken. An zweien waren fingerdicke Hanfseile befestigt, immer noch geschmeidig und fest. Im Zuber stand aber noch zwei Finger hoch eine trübe, muffige Brühe. Telmy sah Halica an.
    „Da haben wir jetzt aber Glück. Wäre der Zuber trocken, hätte er bestimmt über die lange Zeit Schwindungsrisse bekommen und wäre dadurch undicht und unbrauchbar geworden. So konnte das Eichenholz aber Wasser saugen und ist dicht geblieben. Oh, schau, da oben über dem Zuber ist ein Schwamm an der Decke gewachsen – da muss das Dach doch undicht sein und das Wasser tropfte in den Zuber, deshalb steht die Brühe da drin, die allerdings erst einmal raus muss. Ich schöpfe das aus und wische den Zuber mit einem der Tücher, die dort auf dem Tisch an den Fenstern liegen, sauber. Wenn du schon mal zwei Eimer voll sauberes Wasser vom Brunnen holst, ziehe ich sie gleich hoch. Ich öffne die kleinen Luken und lasse die Eimer runter. Mach du dann auch gleich Feuer unter den Kesseln und fange bitte schon mal an, Wasser einzufüllen. Ich glaube fast, wir brauchen die zwei Füllungen aus den Kesseln, um diesen großen Zuber auch nur halb voll zu bekommen. Na ja, dafür ist das Wasser auch schneller warm, wenn es in zwei kleineren Kesseln anstatt in einem großen warm gemacht werden kann. Sobald ich hier fertig bin, komme ich runter und helfe dir.“ Bei den letzten Sätzen lächelte er sie an und strich ihr eine verklebte Strähne aus ihrem Gesicht.

    Halica schaute in den Zuber und rümpfte angewidert die Nase. Sie dachte sich, wenn Telmy ihn unbedingt putzen wollte, dann hatte sie nichts dagegen einzuwenden. Dann nickte sie nur und machte sich gleich an die Arbeit. Sie beeilte sich, die steilen Stufen wieder hinunter zu steigen, denn sie konnte es nicht erwarten, den Schmutz von sich zu waschen. Sie nahm die beiden Eimer, als sie von oben herabgelassen waren und lief zum Brunnen, um sie zu befüllen. Während sie ihre Arbeit erledigte, dachte sie an ein schönes, entspannendes, warmes Bad und hielt plötzlich inne. Wie wollten sie das überhaupt handhaben? Nacheinander in den Zuber steigen? Aber, dann würde das Wasser doch nicht mehr schön warm sein, bis der nächste an der Reihe wäre und dazu, das Wasser zweimal warm zu machen, hatte sie nun wirklich keine Lust. Also doch zusammen baden? Ihr wurde ganz flau im Magen bei dem Gedanken. Mit einem gemischten Gefühl brachte sie die gefüllten Eimer in das Badehaus zurück und befestigte sie am Seil. Dann rief sie Telmy zu, dass er sie hochziehen konnte und bekam gleich darauf zwei leere Eimer wieder herabgelassen. Das Feuer unter den Kesseln brannte auch ziemlich schnell und sie begann nun, diese mit Wasser aus dem Brunnen zu füllen.

    Telmy hatte noch gesehen, wie Halica lächelnd entschwand und leicht wie eine Feder die steile Stiege hinunter glitt. Kaum hatte er die Bodenklappen geöffnet und die Eimer hinab gelassen, war sie auch schon mit beiden unterwegs zum Brunnen gewesen. Er richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf den großen Badezuber. Erst jetzt bemerkte der Halbelfe, dass der Zuber nicht einfach auf dem Boden stand, sondern in die schweren Eichendielen vertieft eingesetzt war. Den Grund hierfür fand er recht schnell. Eine dicke Diele, die zwischen dem Zuber und der hinteren Wand im Fußboden lag, war nicht befestigt, sondern herausnehmbar und darunter eine hölzerne Rinne für den Wasserablauf zu sehen, die ihren Anfang an einem Stopfen nahm, der in einem Loch im Zuber steckte. Er musste sich anstrengen, um diesen Stopfen, der aufgequollen war, aus dem Abflussloch herauszudrehen. Schließlich floss die stinkende Brühe ab. Mit einem Reisigbesen fegte er den schlammigen Satz auf dem Zuberboden auch durch das Loch.
    #132VerfasserJean-Louis27 Feb. 09, 19:54
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    Nun hörte er Halica rufen. An den Seilen hingen die bereits von ihr gefüllten Eimer und Telmy zog sie hoch, befestigte zwei andere Eimer an den Seilen und ließ diese sogleich hinab. Er konnte mit dem ersten Eimerinhalt alles Matschige und Übelriechende aus dem Zuber spülen. Dann schlüpfte er aus den Schuhen und stieg mit einem der Tücher, das er im zweiten Eimer getränkt hatte, in den Zuber und wischte ihn noch sorgfältig aus. Wieder raus gestiegen spülte der Inhalt des zweiten Eimers den restlichen Schmutz fort. Schnell war der Stopfen eingeschlagen und das Dielenbrett wieder eingelegt. Aus den kleinen Bodenluken stieg bereits etwas Qualm nach oben – das Feuer zum Heißmachen des Wassers in den Kesseln brannte wohl schon. Nun wollte er hinab steigen und seiner Elfe helfen. Von den oberen Stufen der Stiege aus sah er schon seine Liebste, die gerade tief gebückt vor einem Kessel das Feuer ordnete. Bei diesem Anblick schoss es ihm siedendheiß durch die Glieder. Baden, am Ende noch zusammen? Rasch schlich er wieder hoch und wurde mehr als nervös. Mit wirren Gedanken rannte er vor der Fensterseite hin und her, so gut es mit den Schmerzen im Bein ging. Was mache ich nur, was mache ich nur, ging es ihm dauernd durch den Kopf. Da erblickte er zufällig in einem Eckregal mehrere Holzfässchen mit abnehmbarem Deckel. Er kannte solche Behältnisse von Grauenfels, man hob darin Schmierseife auf. Rasch hatte er ein Fässchen geöffnet, doch oh Schreck – die Schmierseife war eingetrocknet. Mit dem Messer brach er ein Stückchen heraus und warf es in einen der beiden Eimer, in dem sich noch ein Rest Wasser befand. Mit etwas Reiben zwischen den Fingern konnte er die Seife schon im kalten Wasser auflösen.

    Jawohl, genauso würde er es machen. Schaum war die Lösung! Viel Seifenschaum im Zuber und dazu noch dichter Wasserdampf. Es war zwar nicht so kalt, wie es um diese Jahreszeit eigentlich sein sollte, doch wenn die Kessel heiß genug waren, würde schon genug Wasserdampf durch die offenen Bodenluken aufsteigen und die Badestube einnebeln, wenigsten so dicht, dass man sich rasch ausziehen und in den Zuber mit sehr viel Schmierseifenwasser und Schaum würde steigen können, ohne dass man sich schämen müsste. Er zerkleinerte hastig den Inhalt von zwei Fässchen und schüttete die pulvrigen Bröckchen in den Zuber. Erleichtert begab er sich nun erst nach unten.
    „Entschuldige, Halica, ich musste ziemlich viel Dreck herausputzen, sonst wäre ich schon eher da gewesen, um dir zu helfen. Lass mich nur das restliche Wasser holen.“ Ihr war das sehr Recht, hatte sie doch genügend mit dem Feuer zu tun. Er schnappte sich sofort die Eimer und humpelte etwas übertrieben zum Brunnen. Nach dem vielleicht zwanzigsten Gang waren beide Kessel gut gefüllt und im Untergeschoss des Badehauses breitete sich schon eine ziemliche Hitze aus. Halica war inzwischen durch die Bemühungen um das Anheizen der Kessel mit der Holzkohle zu einem Mischwesen aus hellgrauer Staubfärbung und schwarzem Holzkohlendreck geworden. Dazu schwitzte sie und strich sich einige Male mit dem Handrücken Haare aus dem Gesicht, was diesem geschwärzte Wangen verlieh. Er sah sie an und grinste immer breiter, bis er anfing zu kichern.
    #133VerfasserJean-Louis28 Feb. 09, 15:15
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    Halica sah, wie Telmy zu kichern anfing und hob eine Augenbraue. Sie musste wohl so einen erheiternden Anblick abgeben. Als sie auf ihre schwarzen Hände schaute, wusste sie, dass sie den Ruß bestimmt auch im Gesicht haben musste. Lächelnd machte sie eine Drehung und knickste dann vor ihm.
    „Wieso lacht denn der edle Herr? Bin ich denn nicht die holdeste Maid im ganzen Lande? Schaut nur, wie hübsch ich mich gemacht hab, nur für euch.“ Lachend knuffte sie ihn in die Seite.
    „Wenigsten brauchen wir keine Räuber zu fürchten. Bei unserem Anblick nehmen die gleich Reißaus.“ Sie drehte sich zu den Kesseln und hielt prüfend einen Finger in das Wasser.
    „Lange dauert es nicht mehr, bis es warm genug ist. Ich kann es gar nicht erwarten, mich von diesem ganzen Dreck zu befreien“, meinte sie dann etwas ungeduldig. Er war noch immer sehr erheitert über ihr Aussehen.
    „Oh ja, du bist wirklich die holdeste Maid im ganzen Land, da bin ich mir ganz sicher und von mir aus kannst du ruhig so bleiben, wie du jetzt bist, dann blendet mich dein Anblick wenigstens nicht so sehr.“ Telmy grinste fortwährend, bis ihm wieder das bevorstehende Bad in den Sinn kam. Sofort nahm sein Gesicht, sofern man das überhaupt richtig erkennen konnte, einen recht belämmerten Ausdruck an und er sagte, sich hastig zum Ausgang begebend:
    „Ich gehe schon mal zum Wagen und hole weiche Tücher und noch duftende Seife. Dann steige ich gleich hinauf und bereite alles vor. Ich lasse die Eimer wieder herab und schöpfe dann das Wasser hoch, wenn du meinst, es sei heiß genug. Wenn das Bad bereit ist, rufe ich dich.“

    Merkwürdig schnell lief er diesmal über den Hof und kramte eine ganze Weile im Wagen herum. Er merkte nicht einmal, dass er die ganze Zeit über barfuss unterwegs war, weil seine Schuhe noch immer oben im Badehaus standen. Ebenso schnell, wie er das Badehaus verlassen hatte, huschte er nun, nur ihr kurz winkend, die Stiege hinauf. Er wischte einen Tisch am Fenster sauber und legte die frischen Tücher und das Seifenstück dort ab. Dann musste er kaum noch warten, bis Halica ihm ein Zeichen gab. Er zog die ersten Eimer mit dem inzwischen ziemlich heißen Wasser hoch und der heraufziehende sowie sich oben sogleich breit machende Wasserdampf milderte seine immer noch vorhandene Nervosität. Mit einem Rührbrett, das er aus einer Ecke nahm, begann er die Schmierseifenbröckchen aufzulösen, nachdem er etwa den halben Zuber voll geschöpft hatte. Es war inzwischen noch mehr dunstig um ihn geworden und die letzten Eimer hatte er auch schnell eingefüllt. Hastig schlug er nun viel Seifenschaum im Zuber, zog sich dann neben dem Tisch am Fenster aus und nahm die Seife mit. Als er in den Zuber stieg, war das Wasser fast etwas zu heiß. Da hörte er aber, wie Halica schon die Stiege heraufkam und glitt schnell in das Seifenwasser hinein, leicht jammernd, weil die Wärme nur gerade so zu ertragen war. Er planschte sicherheitshalber noch etwas mehr Schaum auf das Wasser und saß dann bis zum Kinn eingetaucht still im Zuber, sogleich rufend:
    „Halica, Liebes, alles fertig, kannst heraufkommen, es ist sehr gemütlich im Zuber.“

    Er nahm langsam eine krebsrote Farbe an – halb, weil das Wasser so heiß war, halb, weil er fast blanke Angst bekam vor ihrem Erscheinen. Dennoch hatte er sich so hineingesetzt, dass er sie durch den Dunst hindurch heimlich würde beobachten können, wenn sie sich vor den hellen Fenstern auszog. Halica hatte Telmy die Stiege hinauf eilen sehen. Er brachte wirklich Tücher und Seife mit, doch etwas Entscheidendes vergaß er. Sie grinste, er hatte doch die frische Kleidung vergessen. Schnell lief sie deshalb zum Wagen und nahm alles, was noch fehlte, mit. Auf ihrem Weg zurück ins Badehaus nahm sie direkt an einem Fenster eine Bewegung wahr. Sie schaute nach oben und sah sehr deutlich, wie er sich auszog. Die Kleider im Arm wären ihr fast auf den Boden gefallen, so sehr nahm sie sein Anblick gefangen. Als er fertig mit dem Ausziehen war und sie ihn von den Hüften aufwärts nackt vom Fenster weggehen sah, setzte sie sich wieder in Bewegung und eilte schnell ins Badehaus. Sie hatte sich zwar sehr auf das warme Wasser gefreut, doch kaltes würde ihr im Moment wesentlich besser tun, kam ihr in den Sinn. Als sie dann oben ankam, saß er schon im Zuber, fast ganz im Schaum versteckt.
    „Du hast vergessen, Kleidung zum Wechseln mitzunehmen. Aber ich habe daran gedacht und uns welche mitgebracht“, sagte sie, nur um etwas Unverfängliches von sich zu geben und überlegte sich rasch, dass es auf jeden Fall besser wäre, nicht nackt in den Zuber zu steigen.
    #134VerfasserJean-Louis28 Feb. 09, 18:22
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    Sie legte die Kleidungsstücke zu den Tüchern auf den Tisch und fing an sich flink auszuziehen. Achtlos ließ sie die schmutzigen Sachen einfach auf den Boden fallen, bis sie nur noch in der Unterwäsche da stand. Mit schnellen Schritten war sie beim Zuber, stieg hinein und ließ sich in das heiße, schaumige Wasser gleiten. Im Schutz des Schaums zog sie auch die Unterwäsche aus und warf sie einfach über den Rand. Dann lehnte sie sich genüsslich zurück und seufzte.
    „Wie wundervoll das ist, nach all den erlebten Schrecken und dem Schmutz.“

    Er hatte kaum gehört, was sie sagte, als sie durch den Dunst zu dem Tisch am Fenster geeilt war. Er sah nur einen Stoß frischer Wäsche vorbeihuschen und ehe er darüber nachdenken konnte, stand sie schon fast ganz ausgezogen da, nur noch mit den feinen Seidenteilen an ihrem so formvollendeten Leib. Er musste tief durchatmen, so faszinierte ihn bereits dieser Anblick – welch schöne Beine und diese schmale Taille. Schon war sie im Zuber und die seidene Wäsche flog hinaus. Ihr Gesicht entspannte sich und er kam aus seinem Anstarren wieder heraus. Nach einer Weile, die beide nur dösend und genießend dagesessen waren, wollte er sich endlich waschen. Er bewegte sich und leicht berührte sein linkes Bein ihr rechtes. Er versuchte, es vorsichtig wegzuziehen, während er gleichzeitig mit dem linken Arm nach der Seife griff, die rechts oben von ihm aus auf einem Brett hinter dem Zuberrand lag. Bereits in dieser geringen Drehung verlor er den Halt am glitschigen Holz und machte eine volle Drehung auf den Bauch, wobei er untertauchte und in den Zuber hineinrutschte, so dass seine Füße neben Halica aus dem Wasser ragten. Rasch bemühte er sich, mit dem Kopf hoch zu kommen und sich wieder umzudrehen, planschte dabei aber nur wild im Wasser herum, bis er den Zuberrand zu fassen bekam und sich mit beiden Händen in die Höhe ziehen konnte. Laut prustend und schnaubend kam er aus dem Schaum heraus, mit dem Rücken zu Halica.
    „Du meine Güte, ist das rutschig hier drin.“ Er musste ein paar Mal husten und schielte dann über die Schulter zu der Elfe.

    Halica war sehr amüsiert über das planschende Untier vor ihr im Seifenwasser. Sie lachte und hatte zu tun, nicht plötzlich selbst unter Wasser zu rutschen, als Telmys Füße neben ihr auftauchten und wild noch mehr Schaum schlugen. Sie kicherte immer noch, als er vor ihr wieder hoch kam. Vielleicht aus Angst, er könne noch ertrinken, aber doch eher aus einer neckischen Laune heraus umschlang sie ihn von hinten mit den Armen an seinen Schultern und half ihm näher an den Rand. Dass sie ja beide nackt waren, kam ihr erst wieder in den Sinn, als ihre Oberkörper sich berührten. Es erschien ihr alles so vertraut, so selbstverständlich, dass sie es ganz vergessen hatte. Jetzt änderte sich aber schlagartig ihre gesamte Gefühlsebene. Als sie so Haut an Haut in dem Zuber neben ihm saß, begann die altbekannte Schmetterlingstanzgruppe in ihrem Bauch mit ihrem Reigen. Ihr Atem war ihr vollkommen aus dem Takt gekommen und das Herz klopfte ihr so laut in der Brust, dass sie dachte, er könne es hören. Kurz kam ihr in den Sinn, ihn loszulassen, doch bei diesem Gedanken protestierte sofort alles in ihr. Sie wollte es nicht anders und so ließ sie ihre Hände weiter zu seiner muskulösen Brust gleiten und legte ihren Kopf an seinen Nacken, auf den sie kleine Küsse hauchte, auch wenn diese etwas seifig schmeckten.
    #135VerfasserJean-Louis02 Mär. 09, 13:40
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    Ihm klappte der Mund dabei auf und nur der Schaum machte ihm dies bewusst, da er den seifigen Geschmack in den Mund bekam. Dies war die ganze Reaktion, zu der er fähig war, als sie ihn plötzlich von hinten umarmte. Dann spürte er auch noch ihre weichen Lippen in seinem Nacken, weshalb ihm der Magen in die Kniekehlen sackte. Wäre er jetzt nicht in dem Zuber gelegen, wäre er ganz sicher zu Boden gegangen, so kraftlos fühlte er sich plötzlich. Doch, was fühlte er da noch? Da war noch viel mehr Weiches, Anschmiegsames und zugleich Glitschiges, welches fast seinen gesamten Rücken berührte. Er sah sie kurz im Geiste in der Unterwäsche und auch so, wie er sie im Traum auf der Blumenwiese gesehen hatte. Es waren ihre festen Brüste, die jetzt quasi seinen Rücken streichelten. Sein Magen musste in dem Moment wohl den Körper verlassen haben, den irgendetwas begann in dieser Gegend heftig in seinem Inneren zu klopfen. Irgendwie hatte sich auch der Dunst in dem Badehaus zu einem sehr dichten Nebel zusammengeballt, denn die Fensterseite verschwamm beim Hinsehen, als er den Kopf drehte.

    Da machte sich plötzlich das verletzte Bein bemerkbar. Ein schmerzhafter Stich – Halica hatte sich wohl unbewusst auf seine Wade gekniet – ließ ihn aufstöhnen und schnell eine weitere Drehung vollführen. Er griff aber gleichzeitig nach der Elfe, hob sie etwas weg, wie er dachte und hielt sich dann an ihr fest, mit dem Ergebnis, dass er jetzt schräg im Zuber lehnte und sie auf seinem Bauch saß. Auf seinem Bauch? Oh nein, er spürte etwas, gegen das er sich nicht mehr wehren konnte. Bisher nicht gekannte Wellen eines wunderbaren Gefühles stiegen in ihm auf und er flüsterte nur noch:
    „Halica, meine Liebste, du bist so wundervoll.“ Dann schlang er seine Arme um sie und zog sie fest an sich. Seine Küsse wurden immer fordernder und wilder.

    In dem Augenblick, als er sie an sich zog, wusste Halica, dass sie ihn diesmal an nichts hindern würde. Zu groß war die Sehnsucht nach ihm und der Wunsch, sich ganz mit ihm zu vereinen wurde übermächtig. Sie erwiderte seine Küsse mit einer entbrannten Leidenschaft, wie sie sie selbst vorher nicht gekannt hatte. Die Gefühle, die über sie herein brachen, waren so intensiv und wunderschön, dass sie dachte, gleich vor Glück zu platzen. Sie hatte sich an ihn geschmiegt und spürte seinen Körper an ihrem. Dann ging sie etwas auf Abstand und mit den Händen fuhr sie ihm über den Oberkörper, strich ihm durchs Haar und presste sich anschließend wieder fest an ihn. Um es sich etwas bequemer zu machen, rutschte sie ein Stückchen weiter nach unten, wobei sie nicht aufhörte ihn zu küssen. Als sich ihre Lippen lösten, begann sie damit seinen Hals zu liebkosen und murmelte in sein Ohr.
    „Ich sehne mich so sehr nach dir, mein Liebster. Es muss jetzt geschehen, ich kann nicht länger warten.“

    Er genoss es sehr, wie sie ihn mit Zärtlichkeiten überschüttete. Sanft spülte er das Seifenwasser über ihre Haare, damit der Dreck sich löste und ihr übernatürlich schönes Aussehen wieder zum Vorschein kam. Als sie ihm ins Ohr geflüstert hatte, drückte er sie zärtlich zurück und setzte sich etwas auf. Während er in dem stärksten funkelnden Grün, welches er jemals in ihren Augen gesehen hatte, versank, glitten seine Hände unentwegt über ihren ganzen Körper, bis sie jede Stelle erforscht hatten. Ein Zeitgefühl besaßen beide nicht mehr. Seine Männlichkeit war bereit für die Vereinigung und so umfasste er ihr Becken und hob sie sanft auf sich. Halica spürte es auch und half etwas mit einem geschickten Griff. In diesem Moment versank alles um beide herum. Er saß nicht mehr im Waschzuber im Badehaus einer sehr alten Burg. Ihm war wie in dem Traum damals, als er sie nackt über die bunte, betörend duftende Wiese laufen sah, nur dass er sie diesmal fest in den Armen hielt und sie sich in der rasenden Lust, die beide ergriffen hatte, im Zentrum eines sich rhythmisch bewegenden Strudels befanden, der sich immer schneller um sie zu drehen schien.
    #136VerfasserJean-Louis02 Mär. 09, 13:54
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    Leises, nur scheinbar entfernt wahrnehmbares Stöhnen, dass sich verstärkte und in süße Schreie überging, war das einzige, was ihn in diesem Rausch der Sinne von außen erreichte und auch er begann, zuerst schwer zu atmen, dann heftig zu keuchen. Halica konnte längst nicht mehr denken, nur noch fühlen. Die Welt um sie herum hatte alle Bedeutung verloren, nur noch Telmy und sie zählten. Es war so aufregend und neu mit ihm. Nie gekannte Empfindungen durchfluteten sie, ließen sie sich seinem Rhythmus anpassen. Fest klammerte sie sich an ihn, als wollte sie ihn nie wieder loslassen. Immer wieder küsste sie ihn, während die Erregung in ihrem Innern ins Unermessliche wuchs und sich schließlich Bahn brach und wie eine gigantische Welle über ihr zusammenschlug und sie einfach mit sich spülte. Mit einem Seufzer sank sie auf ihn, mit dem Kopf auf seine Brust, schloss die Augen und versuchte ihren Atem und Herzschlag wieder zu beruhigen. Eine wohlige Entspannung machte sich in ihr breit und am liebsten hätte sie ewig so auf ihm gelegen.

    Er hatte es so empfunden, als wären sie zusammengewachsen. Unentwegt trafen sich ihre Lippen und er hielt sie fest in seinen Armen. Dann wurde er in diesen Strudel mitsamt seinen Gefühlen hineingezogen und eine rasende Fahrt mit bebendem Leib erfasste sie beide. Nur langsam fand die Wirklichkeit in seine Gedanken zurück. Er spürte, wie sie auf ihm lag und noch immer schwer atmete, genauso wie er selbst. Sanft, sehr zärtlich strich er ihr über den Rücken. Für ihn war sie nicht mehr nur die lieblichste Elfe, die er je kennen gelernt hatte, sondern ein Teil von ihm selbst geworden. Sein Herz war erfüllt mit einem Gefühl, das er bisher nicht kannte, nur seit einigen Tagen erahnte. Sie, Halica, würde fortan darin wohnen und wo immer er sich aufhalten würde, bei ihm sein. Er blickte sie an, wie sie fest an ihn gekuschelt langsam immer ruhiger wurde und so süße Seufzer von sich gab. Er wollte etwas sagen, doch dann schloss er wieder die Augen und genoss diesen so wundervollen Augenblick der innigsten Nähe, die es zwischen ihm und ihr bisher gegeben hatte.

    Ein wundersamer Besuch

    Unterdessen kam ein schmutziges, zerlumpt aussehendes Wesen aus dem Wald. Die Burg hatte es schon von weitem gesehen und natürlich hatte sie seine Aufmerksamkeit erregt. Keine Flaggen wehten auf den Zinnen. Das Wesen ging nicht den direkten Weg, der zum Tor führte, sondern hielt sich am Rand des Pfades. Zwischen die Büsche und die kleinen Bäumchen geduckt, lief es schnell auf das geschlossene Tor zu. Es war wieder einer jener Augenblicke, in dem sein Magen knurrte. Wolf, den es einfach so nannte und der es seit geraumer Zeit begleitete, jagte zwar, aber eher für sich selbst. Es konnte von Glück sprechen, wenn sein vierbeiniger Gefährte mal ein totes Tier anschleppte, sei es, weil seine Augen wieder größer gewesen waren als sein Magen oder nur deshalb, weil das Wesen einen doch zu leidenden Eindruck gemacht hatte. Vorsichtig betrat das Dunkelelfenmädchen den Innenhof, nachdem es sich mühsam durch die nicht mehr richtig schließenden Torflügel hindurchgezwängt hatte, die es gerade weit genug aufdrücken konnte, damit sein dünner, ausgemergelter Körper hindurch passte. Der Hof lag gleich hinter dem zweiten Tor, den Dolch hielt es in der Rechten, sein Körper war gespannt und fluchtbereit. Und beinahe hätte es kehrtgemacht, als es den großen Planwagen sah. Doch, nachdem das Mädchen seine Blicke kurz schweifen ließ, sah es nur die zwei Pferde, die etwas abseits grasten. Noch kurz untersuchten seine Augen die Fensterreihen der teilweise verfallenen Gebäude, wobei es die mit Dampf beschlagenen in einem Nebenbau entdeckte. Was auch immer dort vor sich gehen mochte...
    #137VerfasserJean-Louis02 Mär. 09, 14:26
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    Langsam setze es seinen Weg fort. Das Ziel war nun der Wagen, dessen Plane offen stand. Misstrauisch blickte es immer wieder an den Fuß des verdächtigen Gebäudes, doch niemand zeigte sich dort. Angekommen, kletterte das Mädchen erst in den Wagen, als es dort ebenfalls keine lebende Seele entdeckte. Aufgeräumt war das Gefährt, es sah hier eher aus wie in einem Zimmer: Truhen, sogar Kommoden, ordentlich zusammengelegte Decken. Wegen der Plane war es hier bei weitem nicht so hell wie draußen, was ihm nur entgegenkam. Vorsichtig öffnete es mehrere Truhen, auf der Suche nach neuer Kleidung und etwas Essbarem.

    Als es Telmy an den Schultern fröstelte, schlug er die Augen auf. Das Wasser war noch immer etwas warm und Halica kuschelte bis zum Hals darin an seiner Brust. Er strich ihr über die wieder goldblonden Haare und sagte:
    „Liebste, wir sollten uns noch rasch mit der Seife richtig waschen und dann raus steigen, sonst wird es kalt werden. Der Dampf hat sich schon gelegt und die Feuer unter den Kesseln wärmen bestimmt auch nicht mehr.“
    Seufzend löste sie sich von ihm. Am Liebsten wäre sie noch lange einfach so an ihn gekuschelt auf ihm liegen geblieben, hätte ihn nie wieder losgelassen, doch er hatte Recht. Es musste viel Zeit vergangen sein, wenn das Wasser schon anfing, kalt zu werden. Sie küsste ihn noch einmal, dann rutschte sie von ihm weg, tauchte kurz ganz unter Wasser, um ihr Haar wieder richtig nass zu machen, nahm sich ein Stück Seife, stand auf und wusch sich gründlich von Kopf bis Fuß, wobei er stellenweise kräftig mithalf, was sie jedes mal mit einem wohligen Stöhnen quittierte. Ein letztes Mal tauchte sie dann unter, um danach rasch aus dem Zuber zu steigen und sich in eines der kuscheligen Tücher einzuhüllen.

    Als sie sich einseifte, sah er sie nur bewundernd an. Sie bewegte sich dabei so natürlich, ohne jede Scheu oder Scham vor ihm. Er konnte leider nur wenig genau betrachten und nahm sich deshalb vor, dies bei nächster Gelegenheit nachzuholen. Stattdessen überwand er seine noch immer leicht vorhandene Scheu und seifte ihr den Rücken und dann sogar noch etwas mehr ein. Für einen kurzen Moment staunte er dann noch einmal über ihre Schönheit, als sie aus dem Zuber stieg. Anschließend beeilte er sich, schrubbte sich ebenfalls ab und entstieg dem Zuber, dabei sehr wohl ihre ebenfalls neugierigen Blicke bemerkend. Er konnte nicht anders und rubbelte seiner Elfe den Rücken trocken, bevor er sich selber abtrocknete. Während er in seine Wäsche stieg, hafteten seine Blicke an jeder noch so kleinen Bewegung, die Halica beim Anziehen machte, hatte er doch noch nie gesehen, wie sich eine Frau anzieht. Irgendwie kam ihm sein „in die Wäsche schlüpfen“ einfacher vor. Vor lauter Hinschauen verhedderte er sich prompt in den Hosenbeinen und musste auf einem Bein, zum Glück dem unverletzten, ein paar Mal umherhüpfen, damit er nicht das Gleichgewicht verlor und hinfiel. Er lachte vor sich hin.
    „Ich kann mich nicht mal anziehen, ohne dass du mich in schwindelige Verwirrung versetzt. Das ist alle für mich so neu.“ Endlich war er fertig angezogen. Da nahm er seine duftende Elfe in den Arm und meinte:
    „Wir lassen alles so, wie es jetzt ist. Vielleicht kommt ja noch mal einer vorbei, ehe die Burg zusammenfällt und freut sich dann, wenn der Zuber nicht ausgetrocknet und noch dicht ist. Übrigens, das Warme Wasser hat meinem Bein sehr gut getan – es schmerzt kaum noch.“ Sie antwortete:
    „Ich glaube, das kommt nicht nur vom warmen Wasser“, wobei ihre Augen regelrecht glitzerten.
    #138VerfasserJean-Louis02 Mär. 09, 15:15
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    Das Mädchen suchte derweil unten im Wagen. Kleidung war schnell gefunden und auch kurz die Größe überprüft. Anscheinend nutzten ein Mann und eine Frau dieses Gespann und folglich würde jedes Stück zu groß für es sein. Es hatte das, was es an Kleidung dringend benötigte, in einem kleinen Bündel verzurrt und auf den Fuhrmannsbock gelegt. Rasch hatte es dann die restlichen Sachen zusammen geräumt und in den Truhen verstaut, bevor es sich mit einem dünnen Metallstift daran machte, das einzige Schloss, in dem nicht der Schlüssel steckte, zu öffnen. Seine Ausbildung bei einem angeblichen Meisterdieb war nur von kurzer Dauer gewesen und so beherrschte es nur die Grundlagen des Umgangs mit solchen Werkzeugen. Die reine Neugierde, nicht die Gier nach Gold oder anderem Besitz, trieb das Mädchen dazu, sich noch länger in dem Wagen aufzuhalten. Das große Schloss an einer der Truhen war dann auch schnell geöffnet. Allerlei Dinge für das tägliche Leben fanden sich hier, aber auch ein kleiner Lederbeutel lag in einer Ecke, fast unsichtbar im Schatten. Trotzdem nahm es zuerst den Zunder, der ihm viel nützen würde beim abendlichen Feuermachen. In dem Beutel indes klimperte es leicht, er war nicht ganz gefüllt.

    Die kleine Dunkelelfe fühlte sich nicht ganz wohl dabei, als sie den Beutel in ihre Tasche steckte, die Truhe wieder schloss und sich noch einmal kurz umsah. Sie würde den Beutel nicht anrühren, wenn es nicht sein musste. Aber der Winter näherte sich ein weiteres Mal und sie hatte schon zwei in der Wildnis zugebracht. Selbst in der Nähe von Dörfern und Jagdgemeinschaften zählte diese Jahreszeit zu den unangenehmsten im Jahr. Geschickt kletterte das Mädchen hinaus auf den Fuhrmannsbock, strich lächelnd über die Decke, in die die Sachen eingewickelt waren. Ein Blick zu dem Gebäude, welches ihm so seltsam erschienen war, verriet ihm, dass die Fenster nun klar waren. Schnell stieg es über die auf dem Boden des Kutschbockes liegenden seltsamen Sachen und hüpfte auf der anderen Seite vom Bock hinunter. Die kleine Dunkelelfe streckte sich, um das Bündel zu erreichen und musste sogar noch einmal kurz ein Bein hochstellen, ehe sie es an sich pressen konnte. Besonders freute sie sich allerdings auf das Fleisch und das Brot, welches einen köstlichen Geruch aus ihrer Tasche heraus verströmte.

    Telmys Blick ging über Halicas Schulter hinweg in den Burghof hinunter. Er hatte eben kurz auf den Wagen gesehen, als sich dort etwas bewegte. Er wollte schon wieder wegsehen, Halicas Blick einfangen, als sich aus der Plane etwas herauszwängte. Er stutzte, sah noch mal hin und war doch sehr verwundert.
    „Dort, Halica, schau! Da, siehst du es auch – ein… ja was? Ein Junge? Nein, ein Mädchen, eine junge Frau? Der schwarze, lange Schopf – sie ist so… so dünn. Was hat sie im Wagen gewollt?“ Halica schaute jetzt ebenfalls aus dem Fenster und sah das Mädchen von dem Wagen springen, mit einem Bündel in der Hand. Sie zog Telmy am Arm.
    „Sie hat uns bestohlen. Schnell, wir müssen sie aufhalten, ehe sie mit unseren Sachen verschwindet.“
    Schon war sie auf dem Weg, geschwind die Stiege nach unten, Telmy halb hinter sich her ziehend. Fast wäre er hinter ihr gestolpert, da sie nicht an sein wehes Bein dachte, aber er fand sein Gleichgewicht schnell wieder. Sie eilte aus der Tür und wollte rufen, doch es war niemand weit und breit zu sehen – keine Person, die sich an irgendetwas zu schaffen gemacht hatte.

    Das Mädchen hatte sich im Laufen immer noch aufmerksam umgeschaut. Es war noch nicht oft in solchen großen Gebäuden gewesen. Ein kleiner Torbogen führte anscheinend in einen anderen Teil hinter dem Hof. Er lag in etwa der Zufahrt zur Burg gegenüber. Wer weiß, was es dort zu finden gab. Auf jeden Fall war es überall möglich, sich zu verstecken. Schnellen Schrittes eilte die kleine Dunkelelfe auf den anderen Torbogen zu, hinter dem es eher nach einem kleinen, abgetrennten Garten aussah. Sie war gerade eben hindurch gelaufen, als sie feststellte, dass es ein verwilderter Garten war.
    #139VerfasserJean-Louis02 Mär. 09, 15:41
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    Telmy kam gar nicht schnell genug hinter Halica her und spürte die Stiege hinab doch sein verletztes Bein wieder. Aus dem Badehaus hastig hinaus laufend, kaum merklich humpelnd, sah er die kleine Person nicht mehr.
    „Ich laufe zum Tor, damit sie dort nicht hinaus kann. Ich sehe sie auch nicht – vielleicht ist sie hinter dem Wagen?“, sagte er zu Halica und lief an der Hausmauer entlang zum Burgtor. Die Flügel waren einen kleinen Spalt weit aufgedrückt und er fragte sich, wie da überhaupt jemand hindurch geschlüpft sein konnte. Mit einer raschen Drehung suchte er den Platz hinter dem Wagen ab, sah aber dort auch niemand.
    „Hier ist niemand. Die Tore sind etwas geöffnet, aber ich sehe niemanden“, rief er zu seiner Elfe und ging zum Wagen. Auf den ersten Blick war nichts angetastet. Die beiden Schatullen, der Sack mit dem Gold und die Edelsteintruhe standen dort auf dem Fuhrmannsbock, wo er sie abgestellt hatte. Auch seine Schwerter lagen da, in ihren Scheiden steckend und unberührt.
    „Seltsam, hier ist nichts weggekommen – alles noch da. Was machen wir jetzt?“

    Halica war sogleich in den Wagen geklettert und hatte sofort gesehen, dass die Sachen in den Truhen und Schubladen durchwühlt worden waren. Sie schaute in den Korb, in dem fast die Hälfte der verbliebenen Vorräte fehlte. Ein Blick in die aufgeschlossene Truhe reichte, um zu wissen, dass der kleine Beutel mit dem Gold auch weg war. Sogar Kleidung fehlte. Sie kletterte wieder raus und sah sich ebenfalls um.
    „Nichts sonderlich Wertvolles fehlt, sie hat wohl eher aus einer Not heraus sich das Nötigste genommen. Schau mal, dort drüben, der Steinbogen mit dem Weg, der führt wohl in so eine Art Garten. Dort wird sie sich vermutlich verstecken. Lass sie uns suchen.“ Telmy zögerte einen Moment.

    „Ich weiß nicht – einerseits bilde ich mir ein, ich hätte da ein Mädchen, vielleicht noch ein Kind, gesehen – andererseits kann es aber auch eine kleine, dünne Frau sein. Was machen wir, wenn sie gefährlich ist?“ Halica stutzte. Wo war der furchtlose Blutelfenteil in ihm? Sie hatte eigentlich erwartete, dass sich Telmy jetzt zu einem witternden, gnadenlosen Jäger wandeln würde, der mit rötlichen Augen die Verfolgung aufnehmen würde. Aber – er verhielt sich wie ein ganz normaler Mensch – vorsichtig, auf Sicherheit bedacht. Er wollte vom Wagen seine Schwerter nehmen, aber sie war sich sicher, dass von einem ängstlichen Kind keine Gefahr ausgehen würde. Um ihn zu beruhigen, rannte sie zurück ins Badehaus, holte alles, was sie dort hatten liegen lassen, warf die schmutzigen Kleidungsstücke auch auf den Kutschbock und gab ihm einen von den zwei Dolchen. Den anderen befestigte sie an ihrem Gürtel.
    „Ich glaube, es ist ein Mädchen gewesen und wenn sie tatsächlich bewaffnet sein sollte, dann auch nur mit einem Dolch oder Messer. Wir sind immerhin zu zweit und auch mir ist mit einem Dolch wohler. Wenn nur keine Magie im Spiel ist. So, komm, jetzt können wir mal nachschauen.“

    Als er Halica ansah, waren seine Augen ganz normal und bernsteinbraun. Nichts darin verriet ein eventuelles Aufflammen des Blutelfen in ihm. Sie mochte es kaum glauben, aber sie hoffte inständig, Arwin möge Recht behalten, dass ihre Liebe zu Telmy den Blutelfen in ihm besiegen würde, selbst, wenn beide Seelen damit verschmelzen würden. Er war schon losgegangen. Ein klein wenig beeinträchtigt durch die nach wie vor leicht angeschwollene Wade schlich er dennoch voll konzentriert zu dem Weg, der durch einen kleinen Torbogen nach irgendwo außerhalb des Burghofes führte. Dort angekommen, schob er sich an der Mauer bis zum Durchgang und spähte vorsichtig durch den Bogen, Halica dabei winkend, sie möge nachkommen.
    #140VerfasserJean-Louis03 Mär. 09, 13:34
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    Das Mädchen war aber schon tiefer in den alten Garten vorgedrungen. Alte, knorrige Bäume und wild gewachsene Büsche überwucherten mit Gras bewachsene Wege und überall standen Gruppen von halb vertrockneten Blumen. Hinter dem kleinen Tor befand sich eine ganz andere Welt. Teile des Gartens waren licht, die Dunkelelfe konnte sogar einstige Beete ausmachen. Sie wollte sich eigentlich zuerst dorthin begeben, um eine Kleinigkeit zu essen, denn ihr Magen forderte lautstark nach Nahrung. Doch sie erstarrte, als ihre scharfen elfischen Ohren Stimmen hörten. Zuerst unschlüssig, eilte sie dann doch zu einem Gebüsch und versteckte sich hinter einer eckigen Steinsäule. Ein muskulöser Mensch, vielleicht auch ein Halbelfe, kam vom Wagen her gelaufen, in dem der Schatten einer schlanken Frau zu sehen war. Der Mann verschwand beim großen Nebengebäude aus dem Blickfeld des Mädchens, aber es würde wohl kaum genug Zeit bleiben, die Burg schnell genug zu verlassen. Also blieb nur der Ausweg, sich im Garten zu verstecken und zu hoffen, dass die Fremden sie hier nicht suchten. Das Mädchen griff zu seinem kleinen Magiefokus und war nahe daran, eine Kältebarriere am Tor zu errichten, unterließ es dann aber. Es würde sie auf jeden Fall verraten. Da kam der Mann auch schon am Torboden zum Vorschein. Die Kleine fröstelte leicht, als sie den kräftigen Körperbau sah und er der Frau winkte, die ihm nun vom Wagen aus zu dem Tor folgte. Ohne weiteres Zögern drehte sie sich um und rannte zu den dunklen Bäumen, jetzt auch mit ihrem kleinen Dolch in der Hand. Halica folgte Telmy zögernd. Leise rief sie ihm hinterher.
    „Ist es denn wirklich nötig, ihr in den Garten zu folgen? Wir verschrecken sie nur unnötig. Von dort hinten kommt sie nicht aus der Burg heraus, dafür sind die Mauern bestimmt zu hoch. Vielleicht sollten wir einfach abwarten. Irgendwann muss sie ja wieder an uns vorbei kommen.“

    Sie hielt ihren Dolch absichtlich hinter dem linken Arm verborgen, um dem Mädchen zu zeigen, dass sie ihr nichts Böses wollte. Sie wusste nicht genau, was die Kleine zu dem Diebstahl gebracht hatte, vermutete aber, dass es nur der Hunger war. Telmy runzelte die Stirn und überlegte kurz, ehe er antwortete.
    „Vielleicht hast du ja Recht – aber, ich muss erst noch was untersuchen. Siehst du, wie weich der Boden auf den alten Wegen ist – die Blätter sind schon fast zu Erde geworden. Mal sehen, ob da Fußspuren sind.“ Er war mit wenigen Schritten am Anfang des verwilderten Gartens und suchte auf den sich verzweigenden Wegen nach Spuren. Tatsächlich, zu einem Busch neben einer Steinsäule hin führten kleine Fußspuren und von dort in Richtung sehr alter, großer Bäume. Er kniete sich hin und tastete die Abdrücke mit den Händen ab.
    „Es ist bestimmt ein junges Mädchen gewesen, vielleicht noch ein Kind. Du hast recht, sie wird uns nichts antun wollen und wir sollten sie nicht erschrecken.“ Er erhob sich wieder, spähte in das Unterholz und lauschte angestrengt. Nichts zu sehen oder zu hören. Langsam ging der Halbelfe ein paar Schritte rückwärts und drehte sich dann um, lief Halica rasch entgegen.
    „Was hältst du davon, mit mir einen Spaziergang in einem wildromantischen, uralten Garten zu machen?“ Telmy blieb stehen und bot ihr den rechten Arm an.

    Xsa! Die kleine Dunkelelfe zischte den Fluch in ihrer Muttersprache hervor, als sie merkte, wie sie tiefer einsank. Es gab aber keinen anderen Weg zum Dickicht. Bei der nächsten Gelegenheit legte sie das Kleiderbündel hinter einem Busch ab, spähte einen Baum aus und zog sich auf einen tiefer hängenden Ast, gerade einmal so dick wie ihr Oberarm. Doch das Holz war stark und so konnte das Mädchen die Beine nach oben schwingen und sich zum Stamm entlang hangeln. Es würde sich nahe an den Baumstämmen halten müssen, da die Äste fast kahl waren. Eigentlich wäre es sogar besser, wenn es sich tiefer zwischen die Bäume verkroch, doch seine Neugierde auf die Fremden gewann die Oberhand. So blieb es in den Zweigen hocken, hielt sich hinter dem Baum und hatte sich noch schnell umgesehen, ob sie auch fliehen würde können. Die Kleine konnte beobachten, wie der Mann den Boden untersuchte und kurz darauf den Garten wieder verließ. Er ging zu der blonden Frau hin, die aufmerksam die Bäume betrachtet hatte. Eine klamme Stille herrschte, nicht ungewöhnlich für diese Jahreszeit, nur auf einem Beet sprangen ein paar Nebelkrähen herum und krächzten vor sich hin, während auch sie die Fremden beäugten. Das Mädchen musste einen Ausweg finden und so kletterte es in den rückwärtigen Teil des Gartens.
    #141VerfasserJean-Louis03 Mär. 09, 13:45
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    Halica nahm lächelnd Telmys Arm und lief schweigend neben ihm her in den verwilderten Garten. Ihre Gedanken waren noch immer bei seinem sanftmütigen Verhalten, was sie sehr erfreute und ihrer Hoffnung weiter Nahrung gab, er würde zu einem ganz normalen jungen Mann werden. Sie sah sich nach dem Durchschreiten des Torbogens im Garten um. Als dieser noch gepflegt worden war, musste er einen sehr schönen Anblick geboten haben. Teilweise konnte man zwischen verwachsenen Sträuchern alte Statuen erkennen. Von Moos bewachsen konnte man den weißen Marmor aber kaum noch sehen. Links des Weges lagen die Überreste einer verfallenen Laube, die wohl schon vor Jahren zusammengefallen war. Aber all das nahm sie nur am Rande wahr. Ihre Gedanken kreisten in ihrem Innersten immer wieder um das, was eben zwischen ihnen geschehen war. Ihr Herz schlug bei dem Gedanken an die innige Nähe, die sie geteilt hatten, bis zum Hals und ihre Knie wurden weich. Sie sah ihn von der Seite an und ein glückliches Lächeln machte sich auf ihrem Gesicht breit. Dann sah sie in einem Baum eine Bewegung, was ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Tatsache lenkte, dass sie ja nicht alleine waren.

    Auch er dachte bei dem Spaziergang nach. Ein bisschen hatte er sich wie ein Eroberer, aber auch etwas wie ein Forscher in dem alten Gemäuer gefühlt. Da war zuerst das Gefühl der Dankbarkeit gewesen, nichts Schlimmeres erlitten zu haben bei dem Einsturz des Küchenbereiches in der alten Burg. Dieses war dann den erregenden Gefühlen beim Baden gewichen, die er so noch nicht gekannt hatte. Nun aber hatten sich diese wiederum gewandelt in eine sehr große innere Ruhe und Zufriedenheit. Mit Halica an seiner Seite, das stand nun unerschütterlich fest, würde es nichts auf der Welt geben, was man nicht gemeinsam durchstehen könnte. Er schweifte dann von dem Vergangenen ab und dachte an das Mädchen, welches sich da vermutlich in dem verwilderten Park zu verstecken suchte. Dies erschien ihm fast wie ein Wink des Schicksals. Der Tatsache, ausgerechnet hierher gefunden zu haben, wurde neben der Einswerdung mit Halica ein weiterer Sinn dadurch gegeben, dass sie einem sicherlich hilfsbedürftigen Wesen aus einer vermutlich unangenehmen, wenn nicht gar bedrohlichen Lage helfen konnten. Er spürte auch die Tiefe Liebe, welche sich zwischen ihm und seiner Elfe eingefunden hatte und konnte sie auch in Halicas Gesicht ablesen. Wie hätten sie beide jemand anderes besser darlegen können, dass sie nichts, aber auch gar nichts Böses im Sinn hatten, als sich offen zu zeigen und zärtlich zueinander zu sein? Als ihr Blick in die Bäume abschweifte, legte er seinen Finger auf ihre Lippen. Dann nahm er sie in die Arme und küsste sie so zärtlich, wie es ihm möglich war. Er hoffte, dass dieses Zeichen der Harmlosigkeit auch bei dem Wesen ankam, welches sie beide zweifellos in diesem Moment beobachtete.

    Dieses kleine Wesen stand hinter einem Baumstamm auf einem Ast und beobachtete das seltsame Treiben der Fremden. Was mochte diese wohl dazu bewogen haben, stehen zu bleiben und sich zu küssen? Nur undeutlich hatte es vorher die Worte einer ihm zwar bekannten, aber unvertrauten Sprache vernommen. Verwirrt und fasziniert zugleich bemerkte das Mädchen nicht, dass es sich auf einen etwas zu dünnen Ast abstützte. Als es das nachgebende Holz spürte, war es bereits zu spät. Zwar konnte es sich noch abfangen, aber seine Stütze brach mit einem hohlen, knackenden Geräusch, welches ihm in den Ohren wehtat. Erschrocken schaute die Dunkelelfe hinter dem Baum hervor zu den Fremden, während der dicke Ast, auf dem sie stand, noch auf und nieder wippte. Gleich darauf sprang sie auf den weichen Boden hinab und rannte noch weiter durch das Gestrüpp. Sie wand sich durch das wild wachsende Unterholz des seit Jahren ungepflegten Gartens und hoffte, ihre Verfolger so abzuhängen. Doch hatte sie nicht bedacht, dass sich der Garten in einer Burg befand und somit im hinteren Teil von einer Mauer begrenzt wurde. Vor dieser wurde das Gestrüpp immer dichter und undurchdringlicher, so dass die kleine Dunkelelfe schon Hoffnung auf ein Entkommen schöpfte. Doch sehr schnell stieß sie auf das feste, braune Gestein, an dem sich Pflanzen zwar hochrankten, doch den oberen Rand bei weitem noch nicht erreichten.
    #142VerfasserJean-Louis03 Mär. 09, 14:51
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    Halica genoss es inzwischen so sehr, von ihm im Arm gehalten und geküsst zu werden, dass sie fast erschrak, als sie einen Ast brechen hörte. Wenig später sah sie, wie das Mädchen von einem Baum sprang und ins Dickicht flüchtete. Sie schaute ihm nach und sah dann Telmy an.
    „Sie wird wohl nicht sehr weit kommen, die Mauer ist von hier aus schon zu sehen. Gehen wir lieber zurück zum Hof, machen ein Feuer und wärmen das Essen. Vielleicht wird sie dann etwas weniger ängstlich. Aber auf jeden Fall wird sie an uns vorbei müssen, wenn sie aus dem Garten heraus will.“

    Auch Telmy hatte überrascht zu den Bäumen geschaut und einen Schatten noch im Dickicht verschwinden gesehen. Er war einverstanden mit Halicas Vorschlag und ging mit ihr wieder aus dem verwilderten, einstmals parkähnlichen Garten in den Burghof hinaus.
    „Ich denke auch, dass wir es ihr selber überlassen müssen, ob sie etwas Vertrauen zu uns fasst und sich zeigt. Jetzt kümmere ich mich um das Feuer. Ich habe da im Stall ein eisernes Dreibein mit einem kleinen Kessel gesehen. Ich baue die Feuerstelle so auf, dass der Geruch des Essens in den Garten hineinzieht. Vielleicht kommt das Mädchen heraus, wenn es Hunger hat?“ Mit diesen Worten war er auch schon in Richtung des Stalles unterwegs. Er hatte sich nicht geirrt und fand das dreibeinige Gestell mit dem angehängten Kessel, welches er bis in die Nähe des Durchganges zum Garten schleppte. Etwas Stroh aus dem Stall, Holzkohle aus dem Badehaus und schon nach kurzer Zeit brodelte heißes Wasser im Kessel. Sich Gedanken darüber machend, wie denn ein Mädchen oder vielleicht doch eine sehr junge Frau, in letzterem Fall allerdings etwas sehr dünn, hier in diesen düsteren, unheimlich wirkenden Wald gekommen sein mochte, hockte er neben der Feuerstelle und sorgte für eine gleichmäßige Glut unter dem Kessel. Sein Blick war in den Durchgang hinein gerichtet, erkennen konnte er aber nichts.

    Das Mädchen war im Dickicht stehen geblieben. Seltsamerweise folgten ihm keine Schritte. Es hatte angenommen, dass die Beiden sofort die Verfolgung aufnehmen würden. Eine Weile blieb es still stehen, horchte in die Bäume, in die Umgebung. Doch nichts, außer dem normalen Säuseln der Luft, die zwischen den Ästen sang. In der Ferne hörte es die Nebenkrähen auf ihrer Suche nach Futter. Langsam ging die Dunkelelfe zurück. Immer wieder blieb sie stehen und lauschte, ob sie die Fremden hören könnte. Den Rest der Strecke, die durch den mit abgestorbenen Blumen und Gras bedeckten Teil des Gartens führte, legte sie dagegen rasch zurück, nachdem sie keine Gefahr hatte erkennen können. Und doch wünschte sie sich, ihr Gefährte wäre hier. Doch für keinen Braten dieser Welt würde sich der Wolf auch nur in die Nähe einer Ansiedlung wagen, sei der Hunger auch noch so groß. Wieder lugte das Mädchen hinter der Säule hervor auf den Hof. Neben einem offenen Tor des großen Nebengebäudes, das wie eine Scheune aussah, zudem nahe am Eingang zum Garten, stand auf drei Stützen ein Kessel über einer Feuerstelle. Der Planwagen stand offen und es sah gerade noch, wie der Mann mit einem Korb zu der Feuerstelle lief und sich dahinter hinhockte. Da kam auch schon die Frau – eine Elfe – dazu. In der Kleinen regte sich der Hunger.
    #143VerfasserJean-Louis03 Mär. 09, 15:14
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    Von den Fremden schien ihr im Moment keine Gefahr zu drohen, trotzdem nahm sie ihren Magiefokus vom Gürtel und kühlte die Luft am Boden so weit ab, dass der feuchte Boden großflächig zu Eis gefror. Dabei musste sie allerdings zurücktreten. Der Frost hier würde sich ein paar Stunden halten. Das Hindernis stellte zwar keine Gefahr dar, aber vielleicht konnte es für sie als Warnung gelten, wenn sich jemand näherte. Das Mädchen ging zu dem Busch, hinter dem es das Bündel abgelegt hatte, nahm es auf, suchte sich einen gewundenen Baum nahe einer kleinen Hütte und kletterte hinauf, wobei es seine Last immer wieder auf Ästen ablegte. Schließlich befand es sich auf der Höhe des Daches und entnahm ihrer Tasche die guten Sachen, die aus dem Korb im Wagen stammten und legte sie auf das Bündel aus den mitgenommenen Kleidern. Sogleich breitete sich köstlicher Geruch aus, dem die Dunkelelfe nicht widerstehen konnte.

    Einmal war es Telmy so gewesen, als ob er etwas in der Nähe der Steinsäule hätte weghuschen sehen, aber dies konnte auch davon gekommen sein, weil er schon eine Weile unentwegt in den Garten gestarrt hatte. Halica bereitete so etwas wie Eintopf als Abendessen aus den verbliebenen Resten zu, die noch im Korb waren. Ab morgen früh würde es nur noch Brot, Mus und Käse geben, aber sie sollten eigentlich am späten Nachmittag im Nebelgrund ankommen, da war das nicht problematisch. Zu gern hätte er ungesehen einen Blick in den Garten geworfen und in dieser Überlegung fiel ihm die Holztreppe im Stallgebäude wieder ein. Er sagte seiner Elfe, dass er sich im Stall noch etwas umsehen wolle und begab sich in den hinteren Teil, um vorsichtig die Treppe hochzusteigen. Da hier alles ziemlich trocken war, hatte sich die Treppe gut gehalten und knarrte nur bei jedem Schritt fürchterlich. Im oberen Stockwerk sah es so aus, wie in jeder Burg. Alles, was man nirgends anders aufheben oder unterbringen konnte, war hier in Verschlägen oder offenen Böden angehäuft worden. Vom ausgesonderten Küchentisch über jede Art des Mobiliars bis hin zu allem möglichen Zubehör für Kutschen und die Reiterei, waren die Abstellflächen angefüllt. Ihn interessierten diese Dinge aber weniger. Wieder an dem Ende des Stallgebäudes angekommen, welches mit der Stirnseite zum Garten oder dem früheren Park hin lag, sah er eine Leiter, die noch einmal höher hinauf führte. Wieder sehr vorsichtig stieg er hoch und kam im sehr großen Dachboden an. Auch dort war alles Mögliche abgestellt und sehr stark verstaubt. Telmy wandte sich zu zwei Fensteröffnungen in der Stirnwand. Erstaunlicherweise war das Glas noch heil, nur recht schmutzig. Das eine Fenster lies sich nicht öffnen, das andere gab sanfter Gewalt nach. Nun konnte er hinaussehen und den Garten gut überblicken.

    Das, was er da in nicht allzu weiter Entfernung auf einem Baum entdeckte, ließ ihn zuerst stutzig werden, dann aber lächeln. Wie ein übergroßes Eichhörnchen saß das Mädchen in den Ästen und machte sich wohl gerade über etwas Essbares her, das es einem Kleiderhaufen entnahm. Ja, die Kleine war schon sehr dünn, vielleicht sogar ausgezehrt. Was musste dieses arme Wesen mitgemacht haben? Was, um alles in dieser Welt, hatte ein halbes Kind in diese Gegend verschlagen? Das Licht fiel merkwürdig auf sein Gesicht – mal erschien es heller, so wie sein eigenes, dann doch wieder mehr dunkler, fast gebräunt. Es hatte etwas zerzauste, kohlrabenschwarze Haare, hinten zusammengebunden. Seine Kleidung war bestimmt schmutzig, so fleckig wie diese aussah. Telmy konnte das Mädchen nicht recht einordnen, da es auch noch klein vom Wuchs her war. Während er vor sich hin rätselte, sah sich das kleine Mädchen um, kletterte höher, sah sich wieder um. Als er den Eindruck bekam, es müsste ihn eigentlich auch sehen, winkte er ganz sanft zu ihm hin, gespannt darauf, ob es sein Zeichen annehmen würde.
    #144VerfasserJean-Louis03 Mär. 09, 16:24
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    Nachdem die kleine Dunkelelfe ihren größten Hunger gestillt hatte, schaute sie sich erneut um. Etwas an der Mauer ganz hinten im Garten machte sie stutzig und so kletterte sie vorsichtig höher in den verzweigten Baum. Wieder hielt sie Ausschau, bemerkte aber nicht, dass sie beobachtet wurde. Und tatsächlich bestätigte sich der erste unsichere Eindruck. Die Mauer war an einer Stelle ein Stück eingerissen und zerbrochen. Pflanzengewirr hatte sich hinauf gefressen, war in kleinste Spalten gedrungen, Wasser folgte nach und Frost hatte den Stein gesprengt. Schnell kletterte sie zurück, packte das restliche Essen wieder ein und schon war sie mit ihrem Bündel weiter unten vom Baum gesprungen. Geschwind rannte sie durch den kleinen Wald, bewegte sich geschickt durchs Unterholz, kaum einmal hängen bleibend. Die Mauer und die Pflanzen bildeten eine Art Leiter. Das Mädchen dachte gar nicht mehr an die Fremden, denn hier sah sie nur noch die Freiheit winken, die sichere Möglichkeit, die alte Burg zu verlassen. Kaum hatte sie die Mauer erklommen, sprang sie auf der anderen Seite hinab und eilte davon, frei wie der Wind, wieder einer anderen Landschaft entgegen.

    Halica kochte unterdessen in dem von Telmy herbei gebrachten Kessel eine leckere Mahlzeit aus allen noch übrig gebliebenen Speisen. Bald breitete sich der Duft über den ganzen Hof aus. Noch immer hoffte sie, dass das kleine Mädchen zu ihnen kommen würde. Sicher war die Ärmste halb verhungert. Doch ihre Hoffnungen wurden jäh zerstört, als sie das Mädchen ganz weit hinten an einer mit Pflanzen überwucherten Stelle die Mauer erklimmen und von dieser nach außen hüpfen sah. Bevor Halica auch nur reagieren konnte, war die Kleine schon weg. Sie hörte auf mit dem Rühren und seufzte. Wie gerne hätte sie dem armen Ding geholfen, aber dem Mädchen war das wohl nicht recht gewesen. Sie schien einen starken Willen zu haben und Halica war sich sicher, dass sie ihren Weg schon gehen würde. Weiter umrührend sah sie sich nach Telmy um, der gerade aus dem Stall kam. Sie lächelte ihn an, als er auf sie zukam.
    „Unsere Hilfe war wohl nicht erwünscht. Die Kleine ist hinten im Garten auf die Mauer geklettert und von dieser hinaus gesprungen, aber wenigstens hat sie Nahrung, Kleidung und Gold. Das wird ihr eine Zeit lang reichen. Gönnen wir ihr die Sachen, denn ich hätte sie ihr auch geschenkt, wenn wir sie hier aufgefunden hätten. Wer weiß, ob wir ihr nicht das Überleben so ermöglicht haben. Sie tut mir doch leid.“

    Als sich das Mädchen erhoben hatte und weiter den Baum hochstiegen war, dachte er schon, dass sie ihn eigentlich sehen müsste. Doch viel schneller, als sie hochgestiegen war, kletterte sie gleich wieder hinab, nahm ihre „Beute“ mit und entschwand an einer brüchigen Mauerstelle. Er wusste, dass es keinen Zweck hatte, ihr nachzueilen. Das Bein schmerzte immer noch etwas und ehe er überhaupt im Burghof unten hätte sein können, würde das Mädchen weit davon gerannt sein. Im Stillen bewunderte er das kleine Wesen für seinen Mut und das Geschick, in der Wildnis zu überleben. Dann stieg er vom Dachboden hinab und ging zur Treppe an der anderen Seite des Gebäudes. Dort erblickte er durch ein Fenster etwas, das ihm schlagartig große Sorgen bereitete. Er beeilte sich nun, zu Halica zu gelangen. Den Duft des warmen Essens, der den Burghof erfüllte, nahm er nur am Rande wahr. Etwas aufgeregt fing er an zu sprechen, als sie mit ihrer Rede fertig war.
    „Du hast recht, Liebes, sie ist zwar klein, aber ganz sicher eine starke Persönlichkeit. Sie hat ihren Weg gewählt, hoffen wir, dass es eine gute Wahl war. Mir macht aber jetzt etwas ganz anderes Sorgen. Ich war ganz oben im Stall, auf dem Dachboden und habe das Mädchen beim Essen und Entschwinden gesehen, aber auf dem Rückweg auch den Himmel am Horizont. Was da von Westen heranzieht, habe ich so noch nie gesehen. Es scheint, als ob die Finsternis nach dem Land greifen will. Ich wollte eigentlich diese Nacht noch hier verbringen und erst beim Morgengrauen weiterfahren, aber mir ist nicht wohl, wenn wir noch länger bleiben. Das ganze Wetter scheint verrückt zu spielen. Es war noch nie so warm um diese Jahreszeit – wir müssten eigentlich jetzt im Schnee stehen und ich habe das Gefühl, dass es eher noch wärmer wird. Merkst du das auch? Da kommen Sturm und Regen und wer weiß, ob das alte Gemäuer dem stand hält oder gar in Teilen in sich zusammenbricht – da sollten wir dann nicht mehr hier sein. Wollen wir nicht gleich nach dem Essen weiter ziehen? Es ist zwar nachts nicht ungefährlich und auch unangenehm, durch unbekanntes Gebiet zu fahren, aber immer noch besser als in einem schweren Sturm hier gefangen und einer zusätzlichen Gefahr, die durch die alte Burg ganz bestimmt droht, ausgesetzt zu sein.“
    #145VerfasserJean-Louis04 Mär. 09, 12:01
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    Er nahm Halica in den Arm und zog sie fest an sich. Trotz seiner Besorgnis fühlte er immer noch eine Traurigkeit in seinem Herzen, dass kleine Wesen nicht näher kennen gelernt haben zu dürfen. Halica blickte nun ebenfalls besorgt zum Himmel, während er sie in den Armen hielt. Ein bedrückendes Gefühl machte sich plötzlich in ihr breit. Die Stille um sie herum war fast greifbar geworden, nicht einmal die Krähen gaben noch Laute von sich. Was kam da nur wieder für eine dustere, schlechte Wetterlage auf sie zu? Sie fürchtete auch, dass sie bei einem schweren Sturm in der Burg nicht mehr sicher, sonder viel eher zusätzlich gefährdet waren. Hoffentlich würden sie noch rechtzeitig aus dem auch so schon unheimlichen Wald herauskommen. Sie rechnete auch damit, länger in Telmys Heimat bleiben zu müssen, falls ein Wintereinbruch den Rückweg nach Eleanor versperren würde, es sei denn, die Wetterkapriolen würden weiterhin für diese ungewöhnliche Wärme sorgen. Doch als sie wieder in Telmys Augen blickte, wichen diese Gedanken und die Zuversicht machte sich breit, dass doch noch alles gut werden würde, weshalb sie ihn glücklich anlächelte. Mit ihm an ihrer Seite würde sie alles überstehen, komme was da wolle. Die Liebe zu ihm war Stärker als jede Bedrohung.
    „Du hast Recht. Ich glaube, je eher wir hier weg kommen, umso besser.“

    Eilig schöpfte sie das Essen auf die bereitgestellten Teller und reicht ihm einen. Zwei klein zusammengefaltete Decken dienten ihnen als Sitzplatz und sich am Feuer wärmend, es kam doch kühler Wind auf, nahmen sie schweigend hastig ihr Mahl ein. Er aß den „Resteeintopf“, der sehr gut schmeckte, mit etwas beunruhigenden Gedanken. So weit waren sie nun schon gekommen. Weit im Norden saßen sie an einem unbekannten Ort beim Essen. Was mochte nun noch auf sie zukommen? Ob im Nebelgrund noch alles in Ordnung war? Merkwürdig, wie einen in der Einöde schwermütige Gedanken erfassen konnten, wenn man ohne Nachrichten über den Lauf der Dinge war, dachte er sich. Dann blickte er auf seine geliebte Elfe und war so froh, dass sie sich gefunden hatten. Wie sehr er sie doch liebte und diese Liebe war es, die ihm die Kraft und Zuversicht gab, alles Kommende, gleich welcher Art, an ihrer Seite überstehen zu können. Er hätte ihr gerne bereits jetzt eine Frage gestellt, doch sagte ihm sein Gefühl, dass es besser sei, damit zu warten, bis man wenigstens die sicheren Mauern von Grauenfels erreicht haben würde. Hungrig nahm er sich noch eine Portion und erhob sich dann, als der Teller leer war.
    „Ich kümmere mich um die Pferde und den Wagen. Lass dir ruhig Zeit mit dem Aufräumen, du bist sowieso eher fertig als ich. Lösche bitte das Feuer, alles andere lassen wir stehen und liegen, wie es ist. Je eher wir raus sind und den Berg im Wald runter, desto besser. Solange werden wir noch Tageslicht haben.“ Bei diesen Worten heulte ein Wolf in der Nähe – nicht wie gewöhnlich, anders.
    „Seltsames Heulen, kommt mir eher vor wie ein Gruß“, sagte Telmy verwundert und machte sich kopfschüttelnd an seine Arbeit. Zuerst die Schätze aus der Burg sicher in dem Wagenkasten verstauend, legte er danach die Schwerter griffbereit seitlich hinter die vordere Bordwand, ehe er den Sack mit dem Hafer und die kleinen Portionssäcke holte und in den Wagen legte, diesen dann hinten sorgfältig verschloss und zu den Pferden ging.
    #146VerfasserJean-Louis04 Mär. 09, 12:17
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    Halica füllte die Wasservorräte auf und wusch dann die Teller in dem restlichen Brunnenwasser, das noch in einem Eimer war. Dann packte sie alles in den Korb, nahm die Decken, welche sie auf dem Fuhrmannsitz ablegte und verstaute den Korb im Wagen. Anschließend legte sie die schmutzigen Kleidungsstücke vom Kutschbock ganz hinten in den Wagen, zog sich ihren wärmenden Wollumhang an, überprüfte, ob alles sicher verstaut war und kletterte wieder nach draußen. Telmy war eben mit dem Anspannen der Pferde fertig. Sie schöpfte noch einmal Wasser aus dem Brunnen, schüttete es in den Kessel und löschte das Feuer, indem sie den Kessel auskippte. Dann drehte sie sich um und sah Telmy bereits die Tore öffnen. Noch einmal besah sie sich die Burg, denn sie fühlte tief in sich, dass dies das letzte Mal sein würde, dass sie hier sein würde. Geschwind war sie beim Wagen, stieg auf den Kutschbock und wartete auf ihren Liebsten.

    Nachdem er noch einmal den Wagen kontrolliert hatte, stieg er auf, löste die Bremse, setzte sich neben Halica und nahm die Leinen in die Hände. Mit dem Kommando „Hoh, Hoh, Mia Hoh, Lia Hoh“ setzte sich der Wagen in Bewegung. Mit gemischten Gefühlen sah sich Telmy im Vorbeifahren noch einmal die Fensterfront des Hauptgebäudes an und die des Badehauses – dahinter hatten sie endgültig zusammen gefunden und waren nun für immer ein Paar. Zum Träumen über das sehr schöne Erlebnis im Zuber mit Halica kam er aber nicht, denn mit voller Konzentration musste das steile Stück aus der Burg hinab zur Wegekreuzung gefahren werden, die Bremse leicht angezogen, damit die Pferde nicht durch Gegenhalten auf dem vom schmierigen Laub verdeckten Pflaster ins Rutschen kommen konnten. Die holprige Fahrt ließ ihm noch eine ganze Weile keine Zeit, über die jüngsten Ereignisse nachzudenken. Erst nachdem sie rechts abgebogen und auch noch die lange Gefällestrecke durch den unheimlichen Wald bewältigt hatten, konnte er den Pferden wieder freien Lauf vor dem Wagen gewähren und nachdenken.

    Es war schon ein überwältigendes Gefühl gewesen, wie sie beide Eins wurden und sich diesem Tun einfach so hingaben. Jetzt nahm er sie wieder in den Arm, nachdem er den Lederschurz eingerichtet hatte, der das übelste Wetter, falls es sie denn erwischen würde, abhalten konnte. Noch war es etwas hell – außerhalb des Waldes bestimmt noch etwas mehr, aber unter dem noch immer dichten Blätterdach wurde es bereits dunkel. Da fiel ihm der Traum ein, den er erst vor kurzem geträumt hatte.
    „Wie merkwürdig, Elflein. Kannst du dich erinnern, dass ich dir etwas von einem Traum erzählt habe, von einem Mädchen, vielleicht einer jungen Frau, einer kleinen Elfe – sie wurde von Wölfen bedroht, hatte aber einen bei sich in einer Höhle. Ich glaube, dieses Mädchen in der Burg war die kleine Elfe – auch, weil dann dieser Wolf so seltsam geheult hatte. Ich bin aber doch froh, dass sie das alte Gemäuer verlassen hat. Ein Unterschlupf in den maroden Gebäuden wäre bei einem schweren Sturm alles andere als sicher. Wenn sie aus dem Wald kam, kennt sie sich dort viel besser aus und kann einen Schutz finden.“

    Immer noch grübelnd hielt er Halica im Arm, bis sie an eine weitere Wegekreuzung kamen. Der alte Pflasterweg verlief weiter in Richtung Osten. Telmy ließ die Pferde nach links in einen nach Norden führenden Weg einbiegen und nachdem es fast dunkel geworden war, erreichten sie endlich den Rand des Laubwaldes und eine weite Ebene aus Wiesen und kleinen Wäldchen breitete sich vor ihnen aus, soweit man noch sehen konnte. Halica hatte sich schon länger eng an ihn gekuschelt, denn der Wald war ihr immer unheimlicher und die Schwingungen in der Luft immer bedrückender geworden. Sie war nicht ängstlich, aber ohne ihn an ihrer Seite hätte sie eines der Pferde genommen und wäre schnellstens aus dem Wald geritten. Die ganze Zeit über war diese Stille so beklemmend. Kein Lufthauch, der die Bäume rascheln ließ, kein Tier war zu hören. Was mochte ihnen wohl noch Schreckliches bevorstehen? Als sie das Ende des Waldes erreichten, atmete sie erleichtert auf. Sie lehnte ihren Kopf an Telmys Schulter und dachte über die kleine Elfe nach, denn diese hatte auch sie seltsam berührt. Sie hätte das Mädchen wirklich gerne kennen gelernt, aber die Götter hatten wohl anderes mit ihr vor.
    #147VerfasserJean-Louis04 Mär. 09, 12:29
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    „Ich habe das Gefühl, dass unsere Wege sich mit denen des Mädchens kreuzen mussten, als wäre es vorherbestimmt gewesen. Doch dann nahm das Schicksal einen anderen Lauf als denjenigen, der angedacht war und alles veränderte sich. Ich bin mir aber sicher, dass uns Freundschaft mit ihm verbunden hätte, wenn es zu uns gefunden hätte.“ Telmy hörte ihre Worte und eine gewisse Traurigkeit darin. Tröstend sagte er zu ihr:
    „Das ganze Leben besteht aus einem Kommen und Gehen. Nur gut, dass man nicht weiß, was aus einer zufälligen Begegnung alles hätte werden können. Nun ist es so gekommen und wir müssen uns um uns kümmern, so wie das Mädchen um sich. Wenn du willst, kannst du dich im Wagen hinlegen, falls du überhaupt genügend Ruhe findest nach diesem Tag. Mir geht so viel durch den Kopf, ich werden noch lange nicht müde und schlafen kann ich jetzt sowieso nicht.“

    Die Pferde setzten Schritt für Schritt auf den weichen Wiesenweg. Das Fahren war hier sehr angenehm, weil der Weg eben war und selbst das Geräusch der Räder nur gedämpft durch die Nachtluft drang. Telmy konnte noch viel erkennen, stand der Mond doch noch fast voll am Himmel und beleuchtete die ganze Ebene in seinem fahlen Licht. Die Zeit verging und Halica kroch ganz nah an Telmy, der noch die zwei Decken über seine geliebte Elfe legte und sie darin einkuschelte. Wohl schon längst nach Mitternacht ging es langsam bergauf und die aschgrau erscheinenden Wiesen wichen einem niedrigen Kraut – vielleicht Preiselbeere. Ab und zu tauchten nun kleine Gruppen von Nadelbäumen auf, es wurde bergig. Eine Wegekreuzung um die andere passierte das Planwagengespann, wobei Telmy immer den Weg wählte, der am nördlichsten wies. Da sich die Pferde in der Burg ausgeruht und auch gut gefressen hatten, war keine Pause nötig.

    Das sanfte Schaukeln des Wagens, das gleichmäßige Hufgetrappel, welches gedämpft zu hören war und Telmys wärmende Nähe ließen Halica einschlafen. Die Anstrengungen des Tages waren wohl doch mehr, als ihr Körper aushalten konnte, noch dazu hatten das entspannende Bad und das gute Essen die Müdigkeit verstärkt. Doch sich in den Wagen zu legen kam für sie nicht in Frage, denn sie wollte nicht einen Augenblick ohne ihn verbringen. Während sie neben ihm schlief, spürte auch er eine leichte Schwere in den Gliedern, als sich im Osten der neue Tag ankündigte. Mit zunehmender Helligkeit wurde es immer deutlicher, dass sie bereits die Berge vor dem Adlergebirge erreicht haben mussten, sich sogar schon in ihnen befanden. Nach Sonnenaufgang musste er sich eine Orientierungsmöglichkeit suchen, um auch den richtigen Weg nicht zu verpassen.

    Als sie erwachte, fing der Morgen bereits an zu dämmern und als sie sich umsah, bemerkte sie, dass sich die Landschaft verändert hatte. Die hohen Berge waren schon zu sehen und auf den Wiesen und zwischen den Bäumen waren vereinzelte Gesteinsbrocken verteilt, die sicherlich irgendwann mal ein Teil einer Gerölllawine gewesen sein mussten. Sie rieb ihre Augen, streckte sich und seufzte.
    „Oh, wir haben ja schon das Gebirge erreicht. Von hier ist es nicht mehr weit, oder?“
    #148VerfasserJean-Louis04 Mär. 09, 13:01
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    Im Wachhaus der Burg Grauenfels hängt eine große Wandkarte, die das Adlergebirge mit dem Nebelgrund und markanten Bergen mit Erläuterungen zeigt. Sie ist hier zu finden:

    Die jüngere, große Wandkarte aus dem Wachhaus
    #149VerfasserJean-Louis05 Mär. 09, 10:04
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    Auf der Fahrt nach Norden – im Adlergebirge nach der vierten Nacht

    Telmy hielt den Wagen an, kurbelte die Bremse fest und öffnete den Lederschurz. Dann stand er auf, streckte sich ebenfalls, gähnte herzhaft und sah in die vor ihnen liegenden Berge hinauf.
    „Guten Morgen, meine schöne Elfe. Diese Nacht hat ganz schön lange gedauert – aber wir haben großes Glück gehabt. Der Sturm hat uns nicht erwischt und meine Nase hat uns direkt in die Vorberge zum Adlergebirge geführt. Schau mal dort oben.“

    Er zeigte mit ausgestrecktem Arm auf eine nicht mehr weit entfernte Stelle am sehr nahen Horizont, an der sich zwischen schneebedeckten Gipfeln ein Pass abzeichnete, durch den ein breiter Weg hindurch führte. Seltsam war, dass dieser Pass nicht längst verschneit und zugeweht war. Noch nie hatte er um diese Jahreszeit so wenig Eis und Schnee auf den Gipfeln gesehen und hier, wo der Wagen gerade stand, war es direkt angenehm, trotz der vorhandenen Müdigkeit, die aber langsam wieder aus seinem Körper verschwand.
    „Das da oben ist der südliche Pass. Wenn wir dort oben sind, können wir in das große Tal des Nebelgrundes hinabblicken und sehen dann unterhalb direkt vor uns an der linken Talseite die alte Burg Grauenfels. Das Dorf dazu liegt bestimmt im Nebel, wie meistens, so dass man nichts davon sehen wird. Wir müssten bereits ganz nahe an der großen Straße nach Süden sein, die dort vorne, etwas unterhalb der Waldspitze, verlaufen sollte und dann hinauf zu dem Pass führt.“ Mit diesen Worten dehnte und streckte sich Telmy abermals, sah dabei Halica an, die sich auch noch leicht verschlafen in den Decken räkelte und bekam dabei einen schelmischen Gesichtsausdruck. Mit immer röter werden Ohren beugte er sich hinab, gab ihr einen Kuss und flüsterte:
    „Wir könnten doch in den Wage klettern, unter die Decken… ausziehen… noch mal machen… magst du?“ Sein Herz pochte bis zum Hals, als er in ihre funkelnden, smaragdgrünen Augen blickte. Halica sah ihn an und musste kichern.
    „Na, das ist ja mal eine nette Art wach zu werden. Dann bin ich wohl heute das Frühstück?“, meinte sie lachend.

    Doch als sie in seine braunen Augen blickte, die sie voller Verlangen ansahen, wurde sie augenblicklich wieder ernster. Dafür rumorten aber ganze Schmetterlingsgruppen wieder in ihrem Bauch. Ihr ging es ja nicht anders als ihm. Die Sehnsucht nach ihm war alles, was schon länger ihre Gedanken beherrschte. Sie dachte sofort wieder daran, was sie im Badezuber getan hatten, die Nähe die sie geteilt hatten. Es war so wunderschön gewesen. Sie schlang die Arme um seinen Hals und küsste ihn leidenschaftlich. Wie könnte sie nicht wollen? Sie liebte ihn aus ganzem Herzen und wollte von ihm mit Haut und Haaren in Besitz genommen werden. So, wie sie ihn umarmte, hob er sie auf und stieg mit etwas Mühe, getrieben von der aufkeimenden Lust, mit ihr in den Armen schnell in den Wagen. In Windeseile hatten beide die Decken ausgebreitet und sich die Kleidung vom Leibe gerissen. In und auf den Decken liebten sie sich mit einer ungestümen Wildheit, die wohl beiden gar nicht bewusst wurde.

    Die Pferde schnaubten öfters als sonst, vor allem dann, wenn der Wagen leicht wackelte und dieses Wackeln gar nicht enden wollte. Auch spitzten sie dauernd die Ohren nach hinten, hatten sie solche „Geräusche“ wohl noch nicht oder nur sehr selten gehört. Irgendwann war es aber ruhig im Wagen. Unter den Decken versteckt lag Halica fest an Telmy gekuschelt, der ihr zum wiederholten Male seine Liebe zu ihr ins Ohr flüsterte. Er war benommen von dem rauschenden Fest der Fleischeslust, welches sie eben durchlebt hatten und streichelte zärtlich seine Elfe, die in seinen Armen lag und glücklich lächelte. Sie genoss es sehr, wie er sie zärtlich streichelte und schmiegte sich eng an ihn. Sie strich ihm durchs Haar und lauschte seinen Worten, die ihr seine Liebe beteuerten, ehe sie selber dazu etwas sagte.
    „Hätte mir vor ein paar Tagen jemand dies alles vorhergesagt, ich hätte es nicht geglaubt. Dass meine Gefühle für dich so schnell so groß werden konnten, ist mir immer noch unverständlich. Es erscheint mir wie ein Wunder. Noch vor einer Woche saß ich in Eleanor in dem kleinen Zimmer der Taverne und dachte, mein Leben sei vorbei, mit Arwin gestorben. Und jetzt ist alles anders. Es scheint noch so viel auf uns zu warten.“ Plötzlich richtete sie sich etwas auf, sah ihn, von ihren Gedanken selbst überrascht, mit sehr großen Augen an, lächelte aber sofort wieder.
    „Wer weiß, vielleicht habe ich jetzt auch gerade dein Kind empfangen.“
    #150VerfasserJean-Louis05 Mär. 09, 13:25
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    Bei dieser Vorstellung wurde ihr ganz warm ums Herz. Sie konnte sich auch nichts Schöneres vorstellen. Im Geiste sah sie sich schon mit einem kleinen Jungen, der seinem Vater sehr glich, spielen. Er hörte ihre Worte, als würde ein kleiner Vogel ihm liebliche Töne ins Ohr flöten. Doch, als sie den letzten Satz sagte, hielt er inne mit dem Streicheln und vergaß für einen Moment sogar das Atmen. Mit aufgerissen Augen sah er sie an, warf die Stirn in Falten und wurde noch eine Spur blasser im Gesicht. Er schnaufte daraufhin laut und schlagartig änderte sich sein Ausdruck in ein freudiges Staunen, welches ihm die Tränen der Freude in die Augen trieb.
    „Du meinst… du… du könntest… wir beide… ein Kind… schon bald?“ Sein Stottern wurde von einem Strahlen begleitet, das selbst die Tränen unwichtig machte. In ihm wuchs die Liebe in seinem Herzen zu Halica ins Unermessliche und er drückte sie ganz fest an sich. Dann fragte er leise:
    „Willst du meine Frau werden? Willst du mich heiraten, meine über alles geliebte Elfe und mit mir leben?“ Sein Kopf wurde rot wie nie zuvor und die Hitze der Aufregung, welche die erhoffte Antwort auslöste, ließ ihn sehr unruhig werden. Halica setzte sich nun erstaunt ganz auf. Hatte er ihr da eben wirklich einen Antrag gemacht? Sie blickte ihm forschend in die Augen, sah die Tränen darin glitzern. Dieses warme Braun, die Liebe, die darin geschrieben stand. Wieder stahl sich ein Lächeln in ihr Gesicht, bevor sie ihm um den Hals fiel und ihn leidenschaftlich küsste, wieder und wieder. Zwischen den Küssen hauchte sie ihm immer wieder ein „Ja“ ins Ohr. Niemals wieder würde sie zulassen, dass sie getrennt werden würden. Keine Macht der Welt würde das je wieder schaffen. Sie gehörten zusammen, komme was wolle. Nachdem sie sich ein zweites Mal, diesmal langsam und zärtlich, geliebt hatten, schlief sie erschöpft mit dem Kopf auf seiner Brust ein.

    Telmy konnte das alles gar nicht so schnell erfassen, wie es geschah. Auch als sie sich erneut liebten, hörte er immerzu nur dieses eine Wort: „Ja“. Er hatte danach noch die Decken sorgfältig über seine Liebste und sich selber ausgebreitet, als er auch in einen traumlosen Schlaf fiel. Schließlich wurde er wach, als durch den Wagen ein starker Ruck ging. Er horchte, konnte aber nichts Beunruhigendes hören. Wie gerne wäre er mit Halica im Arm wieder eingeschlafen, aber die Sorge, dass es dann zu spät für die anstrengende Passfahrt werden würde, ließ ihn ganz vorsichtig von ihr weg kriechen. Er schob ihr eine zusammengerollte Decke noch unter den Kopf, schnappte sich seine Kleider und schlüpfte hinaus auf den Kutschbock, wo er sich rasch anzog, während er dabei die Gegend beobachtete. Weit und breit war kein Lebewesen zu sehen. Er löste die Bremse, nahm die Leinen und mit einem leisen „Hoh, Hoh“ ruckten die Pferde an. Es ging leicht bergab und Telmy bremste den Wagen so an, das die Pferde nur leicht ziehen mussten, damit es kein ruckartiges Fahren werden konnte. Beim Einbiegen in die Straße, welche von Süden her ins Adlergebirge führte, löste er die Bremse und ließ die schweren Stuten im Trab laufen, weil die Straße sehr eben und leicht feucht war. Nicht lange ging die Fahrt so voran, dann kamen sie in den Anstieg zum Pass. Nun ging es im Schritttempo für eine ganze Weile, wobei die Straße immer steiler und kurviger wurde.
    #151VerfasserJean-Louis05 Mär. 09, 13:35
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    Halica erwachte, merkte, dass der Wagen fuhr, blieb aber liegen, weil sie über den Traum nachdenken musste, den sie hatte. Sie war zusammen mit Telmy an einem sehr dunklen, unheimlichen Ort gewesen, an dem es außer ihnen nur grässliche Schatten gab, keine weiteren Lebewesen. Diese Schatten umkreisten sie, als aus Temlmy plötzlich Arwin heraustrat. Er hatte eine an diesem Ort schmerzhaft blendende, goldene Rüstung an und zerschlug mit einem großen, silbernen Zweihandschwert einen angreifenden Schatten nach dem anderen. Sie und Telmy hielten sich erschrocken in den Armen, als sie erkannten, dass es doch keine Schatten, sondern Werwölfe waren, die Arwin tötete. Sein Schwert fuhr den Untieren dampfend und zischend in die Glieder, zerhackte sie regelrecht. Als der letzte Werwolf tot in einzelnen Teilen dalag, zerflossen die Reste der Angreifer, sickerten in den Boden. Es wurde hell und der dunkle Boden begann zu grünen, unendlich viele bunte Blumen wuchsen in Windeseile. Arwin stand nur da und sah sie an. Als Halica etwas sagen wollte, legte er einen Finger des Eisenhandschuhes an seine Lippen und löste sich einfach so auf, noch sagend: „Deine Liebe hat alles zum Guten gewendet“. Diese Worte taten ihr so gut. Sie hatte Telmy nun alles gegeben, zu dessen sie fähig war. Ihre innigste Liebe, sich selbst und damit alle Hoffnung, dass er von seinem Blutelfenerbe befreit werden würde. Sie hoffte nun, dass dieser Großvater Almeran ihr die letzte Gewissheit darüber geben würde, dass es so war. Sie fühlte sich sehr wohl und räkelte sich deshalb genüsslich in den Decken. Mit einem Lächeln auf den Lippen setzte sie sich auf und fing an, sich anzuziehen. Sie war wie in einem Rausch. Sie war so erfüllt mit Liebe und Glück, dass sie das Gefühl hatte, die Welt umarmen zu müssen.

    Ausgiebig kämmte sie ihr Haar und flocht es zu einem langen Zopf, damit es von einem eventuell aufkommenden Wind nicht so zerzaust werden würde. Schließlich wollte sie ordentlich aussehend in diesem Grauenfels ankommen. Dann nahm sie sich ihren Wollumhang, merkte erst jetzt, dass es gar nicht kühl war und kletterte nach vorne raus, um sich wieder neben Telmy zu setzen. Er lächelte sie genauso strahlend an wie sie ihn und sie rutschte eng an ihn heran, küsste ihn und legte dann den Kopf an seine Schulter.
    „Warum hast du mich denn nicht geweckt? Ich hätte dir doch schon eher Gesellschaft geleistet. Wir müssen ja ganz schön weit gefahren sein, während ich schlief. Wenn du müde bist, dann erkläre mir den Weg und ich lenke die Pferde, so lange du dich ausruhst.“

    „Halica, Liebste, wie könnte ich jetzt müde sein und schlafen? Ich bin der glücklichste Mann im Lande. Ich fiebere von jetzt an nur noch dem Moment entgegen, wenn du dieses „Ja“ vor den Göttern wiederholen wirst. Weißt du, Vater Almeran übt auch das Priesteramt aus und er wird uns in der Schlosskapelle zu Grauenfels trauen, wenn du das auch willst. Ich kann es immer noch nicht fassen. Du wirst meine Frau - und vielleicht… vielleicht schon bald… wirst du mir ein Kind schenken. Ich könnte Bäume ausreißen und mein Glück hinausschreien.“

    Während dieser Worte hatte er seine Hand auf ihrer Schulter liegen und drehte fortwährend die Locken in ihrem seidigen, goldblonden Haar über seine Finger. Die steile Passfahrt neigte sich dem Ende zu und auf der Passhöhe öffnete sich eine fantastische Rundsicht über einen Teil des Adlergebirges. Vor ihnen lag weit unten das große Tal des Nebelgrundes mit seiner dichten Bewaldung, nur unterbrochen von einigen Wiesen und den Seen, durch die der Schleierbach floss. Es standen nur wenige Nebelschwaden über dem Bachlauf, was sehr ungewöhnlich war, wie das viel zu milde und warme Wetter um diese Jahreszeit. Man konnte sogar die meisten Häuser des Dorfes sehen, über dem links im Anstieg zum Hochgebirge die Burg Grauenfels thronte.
    #152VerfasserJean-Louis05 Mär. 09, 13:47
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    Telmy hielt an und erklärte seiner Braut all das, was man von hier aus sehen konnte.
    „Dort, am Westrand des kesselförmigen Tales vor uns, hoch oben auf dem mächtigen Felsen, siehst du die alte Wehrburg Grauenfels. Sie ist ja schon von weitem zu sehen. Um in den Nebelgrund zu gelangen, muss man über einen der zwei Pässe reisen, entweder von Süden, so wie wir, oder den da drüben, von Osten her. Von den Pässen aus macht das alte Gemäuer einen recht guten Eindruck, der sich aber schnell ändern wird, wenn wir nahe genug herangekommen sind. Kaum ein Gebäude hat die Zeiten unbeschädigt überstanden und es waren, so weit ich weiß, keine kriegerischen Handlungen, welche der Burg zugesetzt haben, nur der Zahn der Zeit. Man hat sich wenig gekümmert und wohl das fehlende Beseitigen von kleineren Schäden führte zum jetzigen Zustand. Wenn wir uns dann die ehemaligen Wehranlagen näher ansehen, wirst du feststellen, dass der überwiegende Teil so allerlei Mängel hat, aber längst nicht so schlimm verfallen ist, wie dieses Gemäuer in dem unheimlichen Wald. Nur von der Burg aus kann man das unterhalb des Burgfelsens liegende Dorf Grauenfels, welches seinen Namen von der Burg bekommen hat, vollständig überblicken, falls nicht Nebel oder dunstige Schleier das Tal verhüllen, was die meiste Zeit des Jahres aber der Fall ist. So war es wenigstens bisher immer. Ich habe so einen Tag wie den heutigen mit diesem Ausblick auch noch nicht erlebt. Selbst, wenn im östlichen Tal die Sonne scheint, weil die warmen Fallwinde, die von Osten aus über die dortigen hohen Berge gedrückt werden, den Nebel zum Teil auflösen, wird genügend feuchtwarme Luft an die Westseite des Tales gedrückt, um die Burg gespenstisch in graue Schwaden einzuhüllen. Eine heiße Quelle im nördlichen Teil des Nebelgrundes, dort, ganz hinten, wo man gerade so noch eine kleine Wasserfläche sieht, speist einen Bach, der so warm durch das Tal und die kleinen Seen da etwas rechts nach Südosten hin fließt, dass er beständig den Nebel hervorbringt, bevor er in den größten See da unten rechts mündet und das Wasser im durchlässigen Grund des Sees gleichmäßig verschwindet, so wie es zufließt. Die über dem leise plätschernden Wasser des Baches und den Seen tanzenden Schleier geben ihm seinen Namen: Schleierbach. Die Quelle des Baches befindet sich in einer senkrechten, großen Felsspalte und hatte nach den Aufzeichnungen ursprünglich gar keinen Namen. Erst die ins Tal eingewanderten Menschen, so erzählt man sich, zunächst nur raue Männer, schufen für sie die Bezeichnung „Heißes Loch“. Die gesamte Anordnung der Felsen ließ sie wohl aus einem bestimmten Blickwinkel an etwas lange vermisstes Weibliches denken, als sie den Namen prägten.“

    Als er dies sagte, konnte er sich sein schiefes Grinsen nicht verkneifen und Halica knuffte ihn ebenfalls grinsend in die Seite, daran denkend, dass Elfenfrauen in dieser Hinsicht keinerlei Unterschied zu Menschenfrauen aufwiesen. Dann erklärte er weiter.
    „Hinter dem nördlichen Gebirgszug, leider von hier aus nicht zu sehen, breitet sich die hoch liegende Fläche der Schattenebene aus – ein Ort, den ich nie betreten durfte. Die Straße vor uns windet sich nun in Schlangenkurven in das Tal hinab und in halber Höhe zweigt dann der kaum noch genutzte Weg ab, welcher hinter die Burg führt und dann zu einem Steig hinauf zu den Rotfell-Spitzen wird, den man aber außerhalb des Waldes kaum noch erkennen kann. Siehst du dort die drei deutlich am halblinken Horizont zu erkennenden, spitzen Gesteinsformationen? Das sind die Rotfell-Spitzen. Sie verdecken das weitere, sich dahinter befindende Hochgebirge. Schau dir alles genau an, meine Liebste. Diesen Anblick habe auch ich bisher nur selten genießen dürfen. Vor allem kann man nicht oft das Tal überblicken, weil es fast immer im Nebel versinkt.“
    #153VerfasserJean-Louis05 Mär. 09, 14:06
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    Strahlend sah er sie an und versank in ihrem so liebevollen Blick, dass er fast alles um sich vergaß. Sie blickte über das Tal, das freundlicher wirkte, als sie nach Telmys Beschreibung gedacht hätte. Während sie ihm zuhörte, ließ sie ihren Blick schweifen zu der Burg Grauenfels. Diese Burg war eindeutig elfischen Ursprungs. Wie sie sich mächtig und imposant aus den Felsen erhob, ganz so, als sei sie mit dem Berg verschmolzen, fügte sie sich perfekt in die Landschaft ein. Hier also war ihr Liebster aufgewachsen. Sie stellte sich vor, wie dieser Ort mit dem ganzen Nebel aussehen würde. In ihrem Kopf formten sich unheimliche Bilder von Nebelschwaden, die sich überall entlang zogen und man darin die Hand vor Augen kaum sehen konnte. Hier Kinder großziehen? Ihr lief ein Schauer über den Rücken. Halica erinnerte sich an ihre eigene Heimat und obwohl die Ereignisse um Linariel ihr unglaublich zugesetzt hatten, so hatte sie die restliche Zeit doch eine durchaus glückliche Kindheit gehabt. Seine Hand drückend sah sie ihm in die Augen und legte ihre ganze Liebe und ihr Mitgefühl in ihren Blick. Sie wollte ihm das Gefühl vermitteln, dass er von nun an nie wieder alleine sein würde.
    „Dann wollen wir uns mal beeilen, zu deinem Großvater zu kommen. Ich bin nämlich furchtbar hungrig.“

    Er war froh, dass sie nichts vom Dorf sagte und er daher nicht ganz hinunter fahren musste, sondern dem alten Weg folgend gleich bis in die Burg. Einerseits wusste er nicht, wie die Bewohner auf seine Rückkehr reagieren würden, andererseits brannte er darauf, endlich die Antworten auf die Fragen von dem alten Druiden, den er Großvater nannte, zu bekommen, die ihn schon seit den ersten Albträumen in der Taverne Felsenkeller zu Eleanor so geplagt hatten. Mit einem Seufzer gab er den Pferden das Kommando zum Anfahren. Es ging bergab und immerzu wiederholte sich die anstrengende Fuhrmannsarbeit. Vor den Kurven die Bremse anziehen, danach wieder etwas lösen und das Gespann nie schneller werden lassen als im Trab und dann wieder rechtzeitig anbremsen. Schließlich erreichten sie die Stelle, an der die alte Straße geradeaus am Berghang weiter ihren Verlauf nahm, während es ins Dorf abermals durch weitere Schlangenkurven hinab ging. Telmy ließ die Pferde den Schwung des letzten Gefällestückes mitnehmen und so galoppierten die schweren Stuten den Weg zur Burg entlang, der dann leicht anstieg und schließlich nach rechts hinauf in den Burghof führte. Die wilde Fahrt fand ihr Ende und das Gespann hielt an der Burgmauer hinter dem ehemaligen Zeughaus, in dem Telmy zuletzt bei dem Druiden Almeran gewohnt hatte. Er kurbelte die Bremse fest, sprang vom Bock und reichte Halica seine Hand.
    „Willkommen, schönste Frau des Landes, in meinem bescheidenen Gemäuer. Wenn ihr absteigen wollt, so führe ich euch in meine Gemächer.“ Dabei hatte er wieder sein liebstes, leicht schiefes Grinsen im Gesicht, welches er zustande bringen konnte.

    Angekommen in Grauenfels im Nebelgrund, Adlergebirge

    Was die beiden allerdings nicht gewusst oder auch nur geahnt hatten, war, dass im ehemaligen Zeughaus der Burg, angelehnt an die Burgmauer auf dem hohen Felsen über dem Dorf, der alte Druide Almeran schon seit den frühen Morgenstunden saß und Blatt um Blatt einer Niederschrift zusammenfügte. Mit dem Fortschicken seines Ziehsohnes Telmy Eventhin vor einiger Zeit war ihm nämlich bewusst geworden, dass all das, was er hier in seinem langen Leben bereits erlebt hatte, wert war, aufgeschrieben und für die Nachwelt erhalten zu werden. Er begann seine Aufzeichnungen, die er nicht aus seiner Sicht sondern aus dem Blickwinkel eines fremden Chronisten schrieb – man sollte später nicht unbedingt wissen, dass er es selbst geschrieben hatte - mit einem Sprung zurück in eine Zeit, in der er schon einmal vieles aufgeschrieben hatte, welches er nun zusammenfügte und in seine große Chronik einfließen ließ.
    #154VerfasserJean-Louis05 Mär. 09, 15:12
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    Mehrere Tage war Almeran angestrengt mit Nachdenken, Ab- und Umschreiben und dem Hinzufügen von neueren Erkenntnissen beschäftigt gewesen. Immer wieder ging er vor den Fenstern seiner Schreibstube, die ins Tal hinunter selten genug einen Blick freigaben, hin und her, um weitere erhaltenswerte Gedanken zu sammeln. Er fand stets noch einige kleinere Texte und Stichworte in seiner Erinnerung, die er mit festhielt. Mehr als einmal hatte er sich übermüdet dann in sein Nachtlager begeben, um am anderen Morgen schon wieder weiter zu schreiben, bis auch der nächste Tag genug voll geschriebene Pergamente gesehen hatte. Auf diese Weise hatte er die letzten Tage an seinen Aufzeichnungen gesessen und heute den ganzen Vormittag damit verbracht, diese zu ordnen und mit Nadel und Faden zusammenzufügen, damit sie nicht in einzelnen Pergamenten aufbewahrt werden mussten, weil dann die Gefahr bestand, dass manches Blatt irgendwann verloren gehen konnte. Er räumte eben seine Schreibutensilien auf, als er Hufschläge auf dem Pflasterweg zur Burg herauf vernahm. Nun wunderte er sich, weil doch schon seit langen Zeiten niemand auf einem Pferd den Weg zu dem alten Gemäuer gefunden hatte. Die Verwunderung wuchs, als die deutlichen Fahrgeräusche eines Gespannes herauszuhören waren.

    Mit Beeilung sorgte er daher für Ordnung in seiner Schreibstube und trat an die Fenster zum Burghof hin des eher schmalen, dafür aber lang gestreckten, über die ganze Breite des Zeughauses gehenden Raumes. Was für ein großes, prächtiges Gespann hielt denn da im Burghof? Er musste zweimal hinsehen, damit er in dem abspringenden jungen Mann seinen Ziehsohn Telmy wieder erkannte. Die anfängliche Freude wich auf dem Weg nach unten, den der alte Druide rasch zurücklegte, einer Besorgnis. Weshalb kam er so schnell zurück und würde das nicht wieder zu großen Problemen mit der Dorfgemeinschaft führen? Hinaustretend durch den Hauseingang verschwanden die dunklen Wolken im Denken von Almeran aber gleich wieder und seine ungebrochene Zuneigung zu dem seltsamen Halbelfen erfüllte schnell wieder sein altes Herz. Anscheinend saß da noch jemand auf dem Kutschbock, denn Telmy hielt eine helfende Hand jemandem entgegen, den Almeran noch nicht sehen konnte.

    Halica nahm eben strahlend Telmys Hand und stieg ab. Das heißt, sie wollte zunächst absteigen, ließ sich aber stattdessen einfach in Telmys Arme fallen. Sie schlang ihre Arme sofort um seinen Nacken und küsste ihn zart.
    „Wie schön, ich brenne schon darauf, deine Gemächer zu sehen“, sagte sie mit funkelten Augen, deren Ausdruck ihm schon wieder etwas Röte ins Gesicht trieb. Dann nahm sie seine Hand und sah sich suchend auf dem Hof um. Als sie den alten Mann in der Tür des wuchtigen Gebäudes stehen sah, wandte sie sich an Telmy.
    „Mir scheint, wir werden erwartet. Ist das dein Großvater?“ Sie sah ihren Liebsten fragend an.

    Telmy hatte gar nicht bemerkt, dass Vater Almeran aus dem Haus getreten war und die beiden ansah, weil ihn Halicas Kuss schon wieder betört hatte. Nun wandte er sich um.
    „Oh ja, das ist mein Großvater Almeran. Komm, gehen wir ihn sogleich begrüßen.“ Er zog sie an der Hand mit sich und rasch waren sie die wenigen Schritte dem alten Druiden entgegen gegangen. Auch Telmy strahlte vor überschwänglicher Fröhlichkeit und so brach es aus ihm heraus.
    „Großvater, Großvater, sieh nur, wen ich mitgebracht habe. Das ist meine Halica, die schönste und lieblichste Elfe im Lande. Ich habe sie in der großen Stadt Eleanor kennen gelernt und sie hat manchmal auch so merkwürdige Träume wie ich und wir müssen einfach wissen, was das alles bedeutet. Du weißt doch soviel – du musst uns darüber erzählen. Wir haben uns auf der Reise hierher ineinander so sehr verliebt und dann waren da ein Werwolf, den ich bekämpft und besiegt habe und eine alte Poststation und schließlich eine uralte, schon baufällige Burg inmitten eines großen, unheimlichen Waldes, wo wir jeweils übernachteten. Ich bin da in dem Hauptgebäude in den Boden eingebrochen und dadurch haben wir einen Schatz gefunden und etwas davon mitgenommen. Vor der Abreise von dort haben wir noch ein merkwürdiges Mädchen gesehen, das sich vor uns wahrscheinlich gefürchtet hat. Aber das schönste ist, dass Halica jetzt meine Braut ist. Wir wollen heiraten – du machst das doch mit der Trauung? Vielleicht bekommen wir sogar bald ein Kind.“
    #155VerfasserJean-Louis10 Mär. 09, 15:31
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    Almerans Staunen wurde immer größer und bei den letzten Worten legte sich ein gütiges Schmunzeln auf sein faltiges Gesicht und ein leichtes Kopfschütteln zeigte, dass er sich zwar wunderte, aber wohl nicht viel Anderes von seinem Ziehsohn erwartet hatte. Telmy wurde nun bewusst, was er da alles von sich gegeben hatte und lief knallrot an. Er wollte noch etwas dazu sagen, doch Almeran deutete ihm mit einer Handbewegung an, lieber ruhig zu sein. Dann sagte der alte Druide:
    „Wahrlich, mein Sohn, eine schönere Elfe hat dieses Tal wohl noch nie gesehen und ich bin sehr erfreut darüber, dass sie zu deinem Weibe werden will, wenn ich auch nicht ganz verstehe, wie das in dieser kurzen Zeit, die du weg warst, möglich ist. Aber, ihr werdet mir bestimmt davon erzählen. Nun, dann sage ich „Willkommen Tochter“. Ich freue mich, dass Telmys Reise so eine unerwartet glückliche Wendung genommen hat und auch darauf, dich näher kennen lernen zu dürfen. Tretet nun ein und ruht euch erst einmal aus. Drinnen spricht es sich dann besser.“

    Als Telmy einfach alles, was passiert war, derart hastig mit wenigen, aber sehr treffenden Worten Vater Almeran erzählte, wurden ihre Augen immer größer und als er schließlich auch noch das mit dem Kind erwähnte, schlug sie sich die Hand vor den Mund, wurde zuerst rot, lachte dann aber laut auf. Halica fand ihn schon wieder so niedlich und sie sah auch seinen Großvater schmunzeln, der ihr sofort sehr angenehm war.
    „Es freut mich auch sehr, euch kennen zu lernen. Telmy hat mir schon soviel von euch erzählt, dass es mir schon fast so vorkommt, als würde ich euch schon lange kennen. Ich darf doch „Vater Almeran“ sagen?" Dieser murmelte nur „natürlich, natürlich, mein Kind“, dann trat er auf die andere Seite von Halica, bot ihr den Arm an und so schritten sie mit ihr in der Mitte in das Haus hinein. Sie fühlte sich sehr geehrt durch den überaus freundlichen Empfang und spürte, dass der alte Druide seine Worte ernst meinte. Leichten Herzens ging sie zwischen den beiden Männern nach drinnen. Am Liebsten hätte sie Almeran sofort mit Fragen überschüttet, doch musste sie vorsichtig sein, was sie fragen würde, denn Telmy wusste ja immer noch nichts darüber, dass er sich mit Arwin seine Seele teilte. Sie würde darüber am Besten erst einmal alleine mit Almeran reden müssen. Es würde sicher einfacher werden, mit ihm zusammen die ganze Sache Telmy zu erklären, da der alte Druide, wie sie hoffte, die fehlenden Einzelteile dieser ganzen verworrenen Geschichte wusste. Almeran sagte noch:
    „Das glaube ich dir gern, liebes Kind, dass dir Telmy von mir erzählt hat, denn wortkarg ist er nur anfangs gegenüber Fremden. Da du aber sein Herz gewonnen hast, wird er dir immerzu etwas erzählt haben.“ Der Alte schmunzelte wieder wissend.

    Telmy ging etwas betreten neben Halica in das Haus und setzte sich neben sie auf das breite Sofa in der guten Stube, wohin sie Almeran geführt hatte. Dieser nahm ihnen gegenüber Platz in einem Lehnstuhl und sah beide prüfend an. Es war unnatürlich still und seinen flinken Augen entging nichts, weder Telmys suchende Hand, die vorsichtig nach der von Halica griff, noch die schönen, glänzenden, fast schon vor Glück sprühenden, sehr grünen Augen von ihr. Als sich beide kurz ansahen, unterbrach der Druide die Ruhe.
    #156VerfasserJean-Louis10 Mär. 09, 15:38
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    Almerans Staunen wurde immer größer und bei den letzten Worten legte sich ein gütiges Schmunzeln auf sein faltiges Gesicht und ein leichtes Kopfschütteln zeigte, dass er sich zwar wunderte, aber wohl nicht viel Anderes von seinem Ziehsohn erwartet hatte. Telmy wurde nun bewusst, was er da alles von sich gegeben hatte und lief knallrot an. Er wollte noch etwas dazu sagen, doch Almeran deutete ihm mit einer Handbewegung an, lieber ruhig zu sein. Dann sagte der alte Druide:
    „Wahrlich, mein Sohn, eine schönere Elfe hat dieses Tal wohl noch nie gesehen und ich bin sehr erfreut darüber, dass sie zu deinem Weibe werden will, wenn ich auch nicht ganz verstehe, wie das in dieser kurzen Zeit, die du weg warst, möglich ist. Aber, ihr werdet mir bestimmt davon erzählen. Nun, dann sage ich „Willkommen Tochter“. Ich freue mich, dass Telmys Reise so eine unerwartet glückliche Wendung genommen hat und auch darauf, dich näher kennen lernen zu dürfen. Tretet nun ein und ruht euch erst einmal aus. Drinnen spricht es sich dann besser.“

    Als Telmy einfach alles, was passiert war, derart hastig mit wenigen, aber sehr treffenden Worten Vater Almeran erzählte, wurden ihre Augen immer größer und als er schließlich auch noch das mit dem Kind erwähnte, schlug sie sich die Hand vor den Mund, wurde zuerst rot, lachte dann aber laut auf. Halica fand ihn schon wieder so niedlich und sie sah auch seinen Großvater schmunzeln, der ihr sofort sehr angenehm war.
    „Es freut mich auch sehr, euch kennen zu lernen. Telmy hat mir schon so viel von euch erzählt, dass es mir schon fast so vorkommt, als würde ich euch schon lange kennen. Ich darf doch „Vater Almeran“ sagen?" Dieser murmelte nur „natürlich, natürlich, mein Kind“, dann trat er auf die andere Seite von Halica, bot ihr den Arm an und so schritten sie mit ihr in der Mitte in das Haus hinein. Sie fühlte sich sehr geehrt durch den überaus freundlichen Empfang und spürte, dass der alte Druide seine Worte ernst meinte. Leichten Herzens ging sie zwischen den beiden Männern nach drinnen. Am Liebsten hätte sie Almeran sofort mit Fragen überschüttet, doch musste sie vorsichtig sein, was sie fragen würde, denn Telmy wusste ja immer noch nichts darüber, dass er sich mit Arwin seine Seele teilte. Sie würde darüber am Besten erst einmal alleine mit Almeran reden müssen. Es würde sicher einfacher werden, mit ihm zusammen die ganze Sache Telmy zu erklären, da der alte Druide, wie sie hoffte, die fehlenden Einzelteile dieser ganzen verworrenen Geschichte wusste. Almeran sagte noch:
    „Das glaube ich dir gern, liebes Kind, dass dir Telmy von mir erzählt hat, denn wortkarg ist er nur anfangs gegenüber Fremden. Da du aber sein Herz gewonnen hast, wird er dir immerzu etwas erzählt haben.“ Der Alte schmunzelte wieder wissend.

    Telmy ging etwas betreten neben Halica in das Haus und setzte sich neben sie auf das breite Sofa in der guten Stube, wohin sie Almeran geführt hatte. Dieser nahm ihnen gegenüber Platz in einem Lehnstuhl und sah beide prüfend an. Es war unnatürlich still und seinen flinken Augen entging nichts, weder Telmys suchende Hand, die vorsichtig nach der von Halica griff, noch die schönen, glänzenden, fast schon vor Glück sprühenden, sehr grünen Augen von ihr. Als sich beide kurz ansahen, unterbrach der Druide die Ruhe.
    #157VerfasserJean-Louis10 Mär. 09, 15:42
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    „Nun, dann werdet ihr erstmal hier wohnen. Ich denke,…“, er machte eine Pause, wobei er genüsslich lächelte, „…getrennte Zimmer sind nicht vonnöten, wenn ihr schon von einem zu erwartenden Kinde sprecht. Ihr bekommt das große Zimmer, in dem Telmy schon wohnte und wir werden ein zweites Bett hineinstellen. Das aber später. Es ist bald Zeit für das Abendessen. Ich werde Halica die Küche zeigen und wir werden wohl gemeinsam etwas Köstliches zaubern. Ich bin doch froh, dass du…“, sagte er auf Telmy zeigend, „…nicht draußen alleine durch die Lande ziehst, sondern unter so freudigen Umständen zurückgefunden hast. Geh du jetzt nur die Pferde versorgen und den Wagen ausräumen – ihr wollt doch bestimmt euer Hab und Gut im Haus unterbringen? Komm, liebes Kind, geh einem alten Mann in der Küche zur Hand und unterhalte mich etwas.“ Almeran erhob sich aus seinem Lehnstuhl und hielt Halica einladend die Hand hin.

    Sie hatte nicht gedacht, dass die Möglichkeit für ein Gespräch unter vier Augen so schnell kommen würde. Der Druide musste ein Gespür dafür haben, dass es viele unbeantwortete Fragen gab. Sie war gleichzeitig froh darüber, aber wusste auch nicht genau, wo sie beginnen sollte. Schnell drückte sie noch einmal Telmys Hand und folgte dann Almeran in die Küche. Als sie hörte, wie die schwere Haustür zufiel, wandte sie sich an Almeran, da sie nicht wusste, wie lange Telmy brauchen würde. Sie atmete tief durch und begann dann zu sprechen.
    „Es gibt so Vieles, über das ich mit euch reden muss, von dem Telmy nichts weiß. Dass wir beide uns getroffen haben, das war nämlich gar kein Zufall, sondern das Werk einer Hexe. Wisst ihr, ich war schon einmal verheiratet und mein Mann, Arwin, fing eines Tages an zu altern, schneller als es für einen Menschen normal ist. Wir wandten uns Hilfe suchend an eben diese Hexe und so nahm das Schicksal seinen Lauf...“ Nun erzählte sie ihm die ganze Geschichte aus ihrer Sicht, beginnend mit dem Besuch bei der Hexe bis zu ihrer Ankunft auf Grauenfels. Sie endete damit, dass sie den Kampf mit dem Werwolf noch einmal genau beschrieb und sah Vater Almeran dann fest in die Augen.
    „Sagt, wusstet ihr, dass Telmy ein Abkömmling von Blutelfen ist?“

    Der alte Druide hielt im Zusammensuchen von Dingen zur Speisenzubereitung inne, als sie zu erzählen begonnen hatte und stand die ganze Zeit, die Halica mit schnellen Worten doch so viel zu sagen hatte, wie versteinert da. Hochkonzentriert verfolgte er die Rede und nahm nahezu jedes Wort in sich auf. Als sie ihre Frage stellte, ging er zu ihr hin und legte beide Hände auf ihre Schultern, um ihr tief in die Augen zu sehen.
    „Kind, was erzählst du da? Ich sehe wohl, dass es die Wahrheit ist, kann aber fast nicht glauben, dass vor allem diese Vollmondnacht ohne jeglichen Schaden für dich ablief. Ja, schon geraume Zeit war ich mir sicher, dass in ihm ein unseliges Erbe schlummert. Es gab Hinweise genug. Die Götter müssen aber ihre Hand über dich halten – oder…“

    Almeran ließ Halica los und ging zum Fenster, um zu sehen, was Telmy gerade machte. Der war mit dem Ausschirren der Pferde beschäftigt, kam aber kaum voran, weil er deutlich sichtbar vor sich hin träumte. In der Tat dachte der Halbelfe an die bevorstehende Hochzeit und malte sich die Zeremonie in allen Farben aus. Es fiel ihm kein einziges Mal auf, dass er mehr herumstand als beim Ausschirren weiterzumachen. Almeran dachte nach und sprach seine Gedanken dabei aus, damit Halica sie hören konnte.
    „Diese Hexe, die im Grunde eine Seelenfängerin war, um sich ein nahezu ewiges Leben zu sichern, hatte also die Seele von deinem Mann Arwin in den Körper von Telmy befohlen. Dies konnte aber nur im Moment der Geburt geschehen sein – die alten Überlieferungen von den „Wissenden um die Zeit“ scheinen damit richtig zu sein, nicht nur bloße Sagen und Legenden. Es ist das erste Mal, dass ich einen Beweis für die Existenz von Überlebenden der Urahnen erhalte. Wenn aber diese Hexe – Auinaya hieß sie, wie du sagst – dies tat, dann letztlich hauptsächlich nur aus eigensüchtigen Motiven. Jetzt wird mir auch klar, weshalb es keinerlei Spuren damals gab, die Aufschluss darüber bringen konnten, woher Telmy stammte und wie er in den Wald unter den Schnee gekommen war. Natürlich, die Hexe hatte ihr eigenes Kind abgelegt, sicher aus irgendwelchen Nöten heraus und wollte es finden lassen. Daher also die zuerst in Richtung Halbelfe gehende Entwicklung des noch kleinen Telmy, die sich später aber immer mehr verlor. Ich vermutete schon lange, dass mit Telmy etwas nicht so sein konnte wie bei anderen Kindern und bekam auch später die Bestätigung, dass er ein Blutelfe sein müsste – ich sage aber extra „müsste“, weil er sich nur einmal so verhielt. Die Hexe, zweifellos eine „Wissende“, muss die Seele deines verstorbenen Mannes sehr bewusst ausgewählt haben, um mit seinen starken, guten Eigenschaften die schlechten des Blutelfenerbes unterdrücken, wenn nicht gar vernichten zu wollen. Mir scheint, dies gelingt aber vorerst nur zwischen den Vollmondnächten, während in diesen Nächten unter Umständen der Blutelfe in ihm die Oberhand gewinnt.“
    #158VerfasserJean-Louis10 Mär. 09, 15:54
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    Nun drehte er sich um und ging auf die Elfe zu.
    „Du sagtest außerdem, dass dich die Seele dieses Arwin wieder erkennt und sie dich auch dazu ermutigt hat, deine ohnehin erwachte Liebe zu Telmy noch zu vertiefen, woraufhin du dich ihm hingegeben hast. Mutig, mutig, mein Mädchen – du liebst Telmy wirklich über alles und das kann seine Heilung bedeuten. Ich weiß nicht genug über die alten Völker der Blutelfen und noch weniger über Seelenwanderung und den Einfluss, den eine Seele auf eine andere im selben Körper nehmen kann, aber allein die Tatsache, dass er dich nicht weiter bedrängt hat in jener Nacht nach dem Kampf mit dem Werwolf lässt mich Hoffnung schöpfen, dass sich der gute Teil seiner eigenen Seele mit der Seele von Arwin verbünden und das Schlechte weitestgehend wenigstens beherrschen, wenn nicht gar abtöten wird. Du musst mir einen Gefallen tun. Versuche heute Abend, ihm schonend diese Vermutung, dass da ein Blutelfenerbe in ihm schlummert, beizubringen. Erzähle ihm von der grausigen Nacht. Ich habe eben erst alles aufgeschrieben, was ich über die Jahrhunderte zu allem, was mit Telmy und seltsamen Vorkommnissen in dieser Landschaft im Adlergebirge zusammenhängt, gesammelt und in Erfahrung gebracht habe. Ihr werdet es morgen zusammen lesen und erst dann sehen wir weiter. Auch er muss wissen, was da draußen vor sich geht, wo er wieder hier ist. Erst recht, da ihr eine Familie gründen wollt und hier nach meinen Erkenntnissen aber ganz bestimmt nicht der richtige Ort dafür ist, was man ihm gar nicht erklären könnte, ohne dass er seinem Erbe gegenübertritt.“

    Almeran strich Halica über die Wange und war innerlich sehr erleichtert, dass alles so gekommen war. Er war sich sicher, dass diese junge Frau die einzige war, welche seinem Ziehsohn eine halbwegs normale Zukunft bieten konnte. Damit hatte die Hexe letztendlich Gutes bewirkt.
    „Du gutes Kind, welch ein Segen, dass er dich getroffen hat. So, heute kein Wort mehr über all diese Geschehnisse. Komm, zeig mir, wie du am Herd zu Recht kommst, denn was eine gute Hausfrau werden will, muss auch die Geheimnisse der Küche kennen.“ Seine letzten Worte wurden dabei schon vom Klappern mit Töpfen und Pfannen übertönt. Halica hatte ihm zuerst mit einem Bangen zugehört, war aber gleich von den Überlegungen des alten, liebenswürdigen Mannes sehr beeindruckt. Trotzdem war ihr erst nicht wohl bei dem Gedanken, Telmy all das gemeinsam Erlebte zu erzählen. Aber, sie vertraute Almeran und schließlich lachte sie befreit auf. Es tat gut, nicht mehr alleine über das alles bescheid zu wissen. Die Last hatte die ganze Zeit schwer auf ihr gelegen, auch wenn das Abenteuer in der Burg sie etwas abgelenkt hatte. Ihre Sorgen auszusprechen, machte es ihr leichter. Jetzt musste sie nur noch die richtigen Worte finden, um Telmy die ganze verworrene Geschichte auf sanfte Art erklären zu können.
    „Was heißt hier werden will?“, meinte sie dann viel fröhlicher gestimmt.
    #159VerfasserJean-Louis10 Mär. 09, 16:04
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    Sofort begann sie damit, Almerans Vorräte zu prüfen und bereitete dann ein Festmahl zu, das eines Fürsten würdig gewesen wäre. Sie zauberte aus den Kräutern, die auf der steinernen Fensterbank standen, eine derart würzige Marinade für den Braten, dass Almeran, als er kostete, aus dem Staunen nicht mehr heraus kam. Immer wieder sah sie beim Zubereiten aus dem Fenster und betrachtete Telmy lächelnd bei seiner Arbeit. Dieser tapste um die Pferde herum, als würde er das erste Mal in seinem Leben ein Gespann ausschirren. In seinem Kopf geisterten Bilder von Halica in einem hauchzarten, weißen Hochzeitskleid umher. Die Kinder von Grauenfels streuten die schönsten Wildblumen, die man derzeit im Tal noch finden konnte und Vater Almeran stand in einem tiefblauen Umhang eingehüllt, mit seinem gleichfarbigen Druidenspitzhut auf dem Kopf, am Eingang der Burgkapelle. Telmy sah sich selber im Festgewand der Schmiedezunft neben ihm stehen.

    Kaum hatte er Lia alles abgenommen und Mias Zuggeschirr vom Wagen abgehängt, kam er schon wieder um den Wagen herum, um Mia erneut abhängen zu wollen, obwohl er das ja eben erst getan hatte. Es sah aus, als würde er überlegen, wer denn die Stute schon abgehängt hatte. Nach einer kleinen Ewigkeit war das Geschirr im Stallgebäude untergebracht und der Halbelfe führte nun die Pferde hinein. Warum er mit den Tieren erst einmal um den Wagen ging, wusste er wohl selbst nicht. Es dauerte, bis er wieder aus dem Stall kam und vom Brunnen an der Burgmauer eimerweise Wasser in den Stall schleppte und schließlich noch den großen Sack mit Hafer und die kleinen Futtersäcke vom inzwischen geöffneten Wagen nahm, um dies alles ebenfalls in den Stall zu tragen.

    Nachdem das Stallgebäude fest verschlossen war, räumte er Etliches aus dem Wagen, darunter die geborgenen Schätze und Schatullen, aber auch die Decken und gleich die ganze Truhe mit den vielen Kleinigkeiten von Halica. Er polterte damit im Treppenhaus umher, stapfte die Treppe rauf und wieder runter, bis alles nach oben in das große Zimmer geschafft war, in dem er vor gar nicht langer Zeit einst wohnte. Dann rumpelte und schabte es oben. Er hatte ein Bettgestell und einen großen Heusack aus einer Kammer gezerrt und baute dann sofort das zweite Bett zusammen, welches er noch vollständig mit Bettzeug aus derselben Kammer ausstattete. Als endlich alles Rumoren im Obergeschoss vorbei war, rannte er schon wieder im Hof umher, räumte noch mehr aus dem Wagen und verschloss diesen dann. Er kam unter dem Wagen hervor, den er durch die Bodenklappe verlassen hatte und trug die restlichen Sachen hoch in die jetzige Wohnstube von ihm und seiner Braut Halica.

    Almeran hatte schnell das Feld in der Küche geräumt und den Herd dieser bewundernswerten, für Grauenfels sicherlich fast schon zu hübschen Frau überlassen. Genüsslich stopfte er sich eine Pfeife und saß auf der Bank am Fenster gegenüber dem Herd, von wo aus er kaum den flinken, geschickten Fingern von Halica folgen konnte, als diese nach und nach ein wahres Festtagsmenü zubereitete. Ein köstlicher Duft erfüllte alsbald die Küche, gemischt mit dem aufsteigenden, aromatischen Geruch des glimmenden Tabaks, wovon sich der alte Druide in seinen geflissentlichen Beobachtungen aber nicht ablenken ließ. Schon allein, wie die Elfe immer wieder nach ihrem Liebsten sah, wie sie jedes Mal lächelte und freudig weiter der Arbeit nachging, bestätigte Almeran in seinem ersten Gefühl gegenüber Halica. Er gewann sie mit jedem Augenblick mehr lieb und nahm sie in sein Herz auf. Er schmunzelte wieder nachdenklich und freute sich für die Beiden im Stillen.
    #160VerfasserJean-Louis11 Mär. 09, 13:00
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    Als das Essen schließlich auf den großen Küchentisch kam, war es im Haus verdächtig still geworden. Nirgends polterte oder rumpelte noch etwas, so dass der Druide eine Augenbraue hochzog, noch mal angestrengt lauschte, Halica ansah und sich dann erhob, um mit ihr nachschauen zu gehen. Sie hatten beide nicht mehr auf Telmy und sein Hin- und Herräumen geachtet. Aus der Küche tretend kamen sie nur bis zur Treppe und sahen ihn dort auf den unteren Stufen sitzen, an die Wand gelehnt und eingeschlafen. Almeran flüsterte:
    „Wecke ihn nur – ich richte noch etwas die Tafel für den Abendschmaus“, und ging gleich wieder zurück in die Küche. Halica betrachtete den friedlich schlafenden Telmy und ihr ging fast das Herz über vor Liebe zu ihm. Sie brachte es nicht über sich, ihn einfach so aus seinen nun hoffentlich schönen Träumen zu reißen, also setzte sie sich neben ihn und strich ihm das Haar aus dem Gesicht. Sie streichelte seine Wange sanft mit dem Handrücken, lehnte sich sacht gegen ihn und roch den Duft der Seife in seinem Haar. Die Hände um seinen Oberkörper schlingend küsste sie sein ganzes Gesicht. Die Stirn, die Nase, die Wangen und zum Schluss den Mund. Dabei strich sie ihm über den Rücken.
    „Aufwachen mein Liebster. Das Essen ist schon fertig.“

    Wieder küsste sie ihn auf den Mund, solange, bis sie merkte, dass er ihren Kuss erwiderte.
    „Hmmmm…“ war der einzige Laut, den er von sich gab. Nach einem ebenso langen wie innigen Kuss standen beide auf und gingen Hand in Hand zurück in die Küche. Dort war alles bereits aufgetafelt und ein herrlicher Duft nach köstlichen Speisen zog durch die Luft. Telmy hatte einen Bärenhunger und gab sich erst nach der dritten Portion zufrieden. Beim Essen wurde kaum etwas gesprochen und auch beim Aufräumen gab es nur ein paar beiläufige Bemerkungen über die Reise. Es war schon spät und Vater Almeran vertröstete seinen Ziehsohn auf den nächsten Tag, als dieser nun wissen wollte, was denn Halica und der Großvater inzwischen besprochen hatten. Almeran ermahnte Halica vorsichtig noch einmal, Telmy eine Andeutung auf das Blutelfenerbe zu geben, damit der morgige Tag mit dem Studium der Niederschrift aus Almerans Hand verbracht werden konnte. Dann schickte er die beiden frisch Verliebten hinauf ins Obergeschoss und zog sich in seinen Schlafraum zurück.

    Telmy war etwas verwundert, was denn Halica mit Almeran zu tuscheln hatte, ging aber ohne zu Murren mit ihr nach oben, wo er ihr stolz das eingerichtete, große Zimmer zeigte. Schon beim Eintreten nahm Halica Telmys Hand und setzte sich mit ihm auf das Bett, als sie sich angesehen hatte, was er inzwischen aufgebaut und eingeräumt hatte. Sie wusste noch nicht, wie sie beginnen sollte. Was würde er wohl zu all dem sagen, wie würde er reagieren? Es würde nicht leicht für ihn sein. Sie sah ihm in die Augen und wollte gerade beginnen, da versank sie wieder in seinem liebevollen Blick. Seufzend sank sie in seine Arme und küsste ihn zärtlich. Nur einen Kuss, dachte sie, doch dieser eine Kuss wollte einfach nicht enden und wurde immer inniger und leidenschaftlicher. Sie genoss seine Nähe so sehr, aber schließlich musste sie sich von ihm lösen, sonst würden sie sich gleich wieder lieben und dann würde sie alles um sich herum vergessen. Sie schob ihn sanft von sich und begann dann zu sprechen.
    „Liebster, hast du irgendeine Erinnerung an das, was nach deinem Kampf mit dem Werwolf geschehen ist? Weißt du, wie du versucht hast, in den Wagen zu kommen?“

    „Hm… Oh ja – ich weiß, dass ich dich gefragt habe, ob ich zu dir in den Wagen darf und du hast gesagt, dass ich gar nicht verletzt bin und draußen bleiben soll. Ich bin dann auf diesen hohen Felsen geklettert und habe Wache gehalten – war ja richtig unheimlich in dem weiten Bergtal. Am Morgen war dann meine Lederrüstung zerrissen und blutig. Ach, war das Wasser beim Waschen kalt gewesen – so kalt.“ Telmy lachte und zeigte mit Daumen und Zeigefinger einen kurzen Abstand an. Vergnügt schaute er seiner Liebsten in die Augen, welche aber mehr ernst und sorgenvoll blickten.
    „Was bist du denn so betrübt? Hat dir der Großvater etwas Schlimmes gesagt?“
    #161VerfasserJean-Louis11 Mär. 09, 13:06
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    Sie kaute etwas unsicher auf ihren Lippen, ehe sie sich dazu durchringen konnte, ihm weiter zu erzählen.
    „Du hast in dieser Nacht den Werwolf nicht nur besiegt, du hast ihn förmlich abgeschlachtet und du hast sein Blut getrunken. Deine Kräfte gingen über die eines normalen Wesens weit hinaus. Deine Augen leuchteten unheimlich rot, so wie die des Werwolfes. Und als du in den Wagen wolltest, hattest du nicht den kleinsten Kratzer. Weil ich dich nicht rein ließ, hast du den Wagen geschüttelt, sogar ein Stück hochgehoben.“ Sie nahm seine Hand und sah ihm eindringlich in seine ungläubig schauenden Augen.
    „Du hast etwas in dir, mein Liebster. Deine Vorfahren müssen Blutelfen gewesen sein. Hast du von diesem Volk schon einmal gehört? Weißt du was Blutelfen sind?“ Sie sah, dass er nach einer Antwort suchte, sprach aber so schnell weiter, dass er noch nicht zu Wort kam.
    „Bevor du dich jetzt erschreckst, muss ich dir sagen, dass es da noch mehr in dir gibt. Die Blutelfen waren ein böses Volk, sie tranken am liebsten das Blut von anderen Elfen - aber es gibt viel mehr Gutes in dir als nur deren Erbe. Das Gute in dir selber und das Gute einer zweiten Seele, die in dir ist und dir hilft, dein Erbe zu unterdrücken, vielleicht sogar unschädlich zu machen.“ Sie hoffte inständig, dass dies nicht zu viel auf einmal für ihn war.

    Er schaute sie mit immer größeren Augen an, jegliche Fröhlichkeit war aus seinem nun fast kalkweißen Gesicht gewichen. Mehrmals wollte er etwas sagen, blieb aber stumm. Es dauerte eine ganze Weile, ehe er vor sich hinmurmelte.
    „Abgeschlachtet? Aber… aber… das war doch ein Traum, wie so viele andere, ähnliche Träume, die ich vorher auch schon hatte. Du meinst wirklich, dass habe ich nicht geträumt? Du sagst, es sei passiert?“ Er stand auf und ging hin und her, redete dabei leise mit sich selbst. Schließlich blieb er stehen und sah sie traurig an.
    „All meine Albträume, ob die alle wohl auch immer wahr geworden sind? Nein, das kann nicht sein, das will ich nicht glauben. Ich weiß doch nicht, wer meine Vorfahren sind, ich bin doch ein Findelkind. Und du meinst auch, dass all das, was mich schon als Kind von den anderen unterschieden hat, von diesen Vorfahren kommt?“ Als Halica nur nickte, überlegte er sichtlich angestrengt, was das alles zu bedeuten hatte.
    „In mir ist eine zweite Seele? Ich weiß nicht, ob das damit zu tun hat, aber manchmal dachte ich, mir würden ein paar Augenblicke von etwas fehlen, dass ich gerade tat. Dann dachte ich aber auch immer, das hätte ich mir nur eingebildet. Ach meine Liebste, mein Kopf ist so schwer, ich fühle mich so müde. Lass uns ins Bettchen kriechen, dann kannst du mir alles erzählen.“

    Er begann schon, während er dies sagte, sich wie abwesend auszuziehen. Seine Gedanken waren so wirr in seinem Kopf, dass er nicht einmal verlegen wurde, als ihn Halica nackt sah und er sich wie in einem Nebel einfach vor ihr an der Nachtkommode wusch. In ihm tauchten Erinnerungen auf, die er eigentlich nicht haben konnte. Jetzt wurde ihm klar, weshalb er Bilder aus einer Vergangenheit vor seiner Zeit sah und er ahnte nun zum ersten Mal, warum er von Halica in seinem Innersten mehr wusste, als er sich unter normalen Umständen je hätte erklären können. Das Muttermal unter ihrer linken Brust – es war nicht seine Erinnerung gewesen, die ihm dies verriet, noch ehe er seine Liebste kaum verhüllt sah. Erst als er sich abtrocknete, bemerkte er ihren etwas verschämten Blick und hielt sich das weiche Tuch vor den Körper, um schnell in das zweite Bett zu schlüpfen, welches direkt neben demjenigen stand, in dem die Elfe noch immer saß. Er sagte nur:
    „Komm auch ins Bett. Ich muss noch nachdenken.“
    #162VerfasserJean-Louis11 Mär. 09, 15:14
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    Halica entkleidete sich rasch bis auf die Unterwäsche, wusch sich schnell und ließ dann ihr Bett unbeachtet, um zu Telmy unter die Decke zu schlüpfen. Sie schmiegte sich gleich eng an ihn und wärmte sich an seinem Körper, wobei sie ihre kalten Füße zwischen seine Waden schob. Er gab etwas erschrocken einen Laut von sich und sie musste plötzlich kichern. Dann war es wieder still und längere Zeit lagen sie so eng beieinander und genossen einfach nur ihre Zweisamkeit. Schließlich fasste Halica Mut und drehte sich auf die Seite um ihn besser ansehen zu können.
    „Ich weiß gar nicht, wo ich beginnen soll“, meinte sie seufzend und erzählte ihm dann die ganze Geschichte um Arwin, Auinaya und was alles passiert war. Sie erzählte ihm auch, dass Arwin durch ihn Kontakt zu ihr aufgenommen hatte. Fast hielt sie den Atem an, als sie seine Reaktion abwartete, aber bevor er antworten konnte, fiel ihr noch etwas ein, dass er auch unbedingt wissen musste.
    „Du darfst aber auf keinen Fall denken, dass meine Liebe zu dir nur deshalb erwacht ist, weil die Seele Arwins in dir ist. Ich habe dir doch auch erzählt, dass auch ich schon immer Träume hatte, die sich auf irgendeine Art erfüllten. Schon als kleines Mädchen träumte ich von einem lieben Mann, der so etwas wie mein Seelengefährte sein sollte und als ich Arwin traf, da dachte ich, er sei es. Aber er war es nicht. Ich weiß heute, dass er mich nur zu dir führen sollte. Ich habe ihn schon über alles geliebt, aber es waren uns nur 25 Jahre vergönnt. Vor ein paar Tagen habe ich wieder diesen Traum von meinem Seelengefährten geträumt und da sah ich ihn zum ersten Mal deutlich. Du warst es und bist es. Und meine Liebe zu dir..., ich..., wie soll ich es dir nur richtig beschreiben? Ich habe so starke Gefühle vorher nicht gekannt, du musst mir glauben, auch wenn ich damals dachte, das höchste Glück bereits erlebt zu haben.“

    Der Halbelfe hörte vieles in der Erzählung mit Staunen, einiges mit Entsetzen, was Halica ihm da sagte. Er unternahm nur einige wenige Versuche, etwas dazu zu sagen, weil Halica erst gar keine Fragen zuließ. Sie war selber sehr froh, dass endlich alles gesagt werden konnte. Nach ihren so lieben Schlussworten küsste er sie und hielt sie fest in den Armen. Halb auf ihm liegend schlief sie schließlich ebenso ein wie er auch. Die Nacht verging mit Dutzenden von Träumen, an die aber am Morgen keine Erinnerung mehr da war. Telmy hörte nur ein leises: „Tok, Tok, Tok“ und rief im Schlaf:
    „Nein, der Wagen bleibt zu.“ Das Geräusch hörte aber nicht auf, es wurde sogar lauter und so wurde er doch munter, vernahm erneut ein Klopfen an der Türe und Vater Almerans Stimme.
    „Aufstehen, Kinder, aufstehen. Es ist Zeit. Der Morgen hat längst begonnen und das Frühstück ist auch schon fertig. Hört ihr? Aufstehen!“

    „Ja, ja doch, wir kommen gleich“, antwortete er dem alten Druiden und wurde erst jetzt richtig wach. Gleich pochte sein Herz lauter und schneller, als er den Blondschopf auf seiner Brust entdeckte. Langsam schob er sich unter Halica aus dem Bett, küsste sie auf die Stirn und deckte sie noch mal zu. Dann beeilte er sich mit der Morgentoilette und als er fast ganz angezogen war, weckte er seine Liebste. Er legte sich neben sie, schob seine Hand unter die Decke und kraulte ihren Bauch. Auf ihre Nasenspitze drückte er gleichzeitig kleine Küsschen. Halica murmelte erst vor sich hin und zog Telmy plötzlich mit erstaunlicher Kraft, die ihr wohl niemand zugetraut hätte, neben sich und legte gleich wieder einen Arm und ein Bein auf ihn, dann seufzte sie zufrieden und schlief weiter. Sie wurde nach einer kurzen Weile doch wach, als Telmy sich lachen zu befreien versuchte. Aber, sie hielt ihn fest.
    „Wirst du wohl hier bleiben und mich gebührend wach küssen?“, flüsterte sie mit immer noch geschlossenen Augen. Erst, nachdem sie sich ausgiebig von ihm küssen ließ und sich gestreckt hatte, blinzelte sie ein wenig und öffnete die Augen dann ganz. Sie schlug die Decke zurück, stand auf, warf die Unterwäsche von sich und fing an sich zu waschen und anzukleiden, während er auf dem Bett lag und ihr zusah.
    #163VerfasserJean-Louis11 Mär. 09, 16:34
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    Zum ersten Mal sah er sie bei hellem Licht ganz nackt, wagte aber nicht, sich zu dem was er sah, lüsterne Gedanken zu machen. Dann sah er zum zweiten Mal, wie sie sich anzog und wieder überlegte er, wie sie es wohl schaffte, das Brusttuch so zu richten und zu binden, dass ihre ohnehin wunderschönen Brüste noch betont wurden. Während er noch grübelte, war sie bereits fertig und sah wie immer fantastisch aus. Jetzt merkte er erst, dass er selber gar nicht ganz angezogen war und schlüpfte deshalb rasch in die fehlenden Sachen. Zusammen gingen sie dann frohgemut nach unten und setzten sich an den Küchentisch, auf dem vom gekochten Ei bis zum aufgeschnittenen Brot alles bereit lag. Almeran wartete bereits ungeduldig. Er erklärte beiden dann beim Essen, dass sie in der Wohnstube nach dem Frühstück sich an den Tisch am Fenster setzen und dort zusammen die gebundenen Pergamente mit seinen Aufzeichnungen lesen sollten, nachdem er sich vergewissert hatte, dass Halica mit Telmy über das gesprochen hatte, was er ihr aufgetragen hatte. Er sagte noch, dass es später, wenn er wieder da sei – er müsse dringend ins Dorf hinunter – noch Einiges zu Besprechen gebe, vor allem deswegen, weil er selber nicht viel über die möglichen Vorfahren Telmys, die Blutelfen, herausgefunden hatte. Doch, sie sollten erst einmal das lesen, was er zusammengetragen und an Vermutungen zu Papier gebracht hatte, ehe man sich anderen Dingen, die vielleicht doch noch mehr Licht in die Angelegenheit bringen konnten, zuwenden würde.

    Noch ehe Halica und Telmy mit dem Frühstücken fertig waren, erhob sich Almeran und machte sich nach einer kurzen Verabschiedung auf den Weg. Telmy sah Halica an und meinte:
    „Du hast mir gestern noch so viel Verwirrendes gesagt. Ich glaube es dir, was du mir da alles mitgeteilt hast. Hoffentlich steht in den Aufzeichnungen vom Großvater nichts Schlimmes über mich – ich will doch nichts weiter als dich zur Frau und mit dir unsere Kinder großziehen.“ Mit einem etwas ängstlichen Gesichtausdruck nahm er ihre Hand und streichelte sie mit beiden Händen. Seine bernsteinfarbenen Augen waren groß und blickten tief in das Smaragdgrün von ihren Augen. Bei diesem liebevollen Ausdruck in seinen Augen schmolz Halica fast dahin. Der Gedanke war auch einfach zu schön, zusammen eine Familie zu haben, ein glückliches Leben, frei von Hexen, Blutelfen, Werwölfen und einstürzenden, alten Burgruinen. Sie lächelte ihn zuversichtlich an und war fest entschlossen, diese Sache jetzt gemeinsam mit ihm durchzustehen und dann diesen wunderbaren Traum Wirklichkeit werden zu lassen.
    „Ich weiß, das alles ist nicht leicht zu verstehen, auch für mich nicht, geschweige denn, wir könnten einfach so damit klar kommen, aber ich bin immer an deiner Seite. Ich werde mit dir dieses Rätsel lösen und wir werden heiraten und Kinder haben und für den Rest unseres Lebens zusammen sein, das verspreche ich dir. Wenn wir nur zusammenhalten, dann können wir alles schaffen.“

    Mit ihren Worten erhellte sich seine Miene wieder und er trank noch etwas Milch aus seinem Becher. Dann schob sie ihren Teller von sich, stand auf, ging zu ihm und setzte sich auf seinen Schoß. Gleich umarmte und küsste sie ihn, damit ihm alle trüben Gedanken vergingen. Aus dem einen Kuss wurden viele, aus der Umarmung ein Drücken und Schmusen. Die Küche war erfüllt von leisem Lachen und Gekicher – wie gut, dass Vater Almeran nicht da war. Nach einer ganzen Weile nahm er sie einfach hoch, als er aufstand und trug sie in seinen Armen hinüber in die gute Stube. Durch die Türen zu kommen, war gar nicht so leicht, aber schließlich konnte er seine kostbare Fracht auf einem bequemen Polsterstuhl neben dem Tisch am Fenster absetzen. Beide staunten nicht schlecht, als sie den gebundenen Stoß an Pergamenten auf dem Tisch liegen sahen. Auf das Deckblatt stand mit großen, schwarzen Buchstaben geschrieben:
    #164VerfasserJean-Louis12 Mär. 09, 11:41
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    ADLERGEBIRGE, IM DEZEMBER 557 NACH DEM BÜRGERKRIEG

    Jetzt wurden beide von einer kribbeligen Neugierde und Aufregung erfasst. Telmy rückte einen Stuhl ganz nah an den Halicas und setzte sich neben sie. Einen Arm auf der Lehne liegend um sie geschlungen gab er ihr einen Kuss auf die Wange und blätterte einmal um. Dann fingen sie an zu lesen.

    Rückblende: Adlergebirge, Winter 428/429 nach dem Bürgerkrieg

    Es war still in der Stube, nur das Feuer im Kamin knisterte leise vor sich hin. Manchmal aber prasselte es deutlich hörbar, wenn die Flammen wieder eine harzreiche Tannenstreu fraßen. Im wechselnden Schein des wärmenden Feuers saß ein älterer Mann in einem Schaukelstuhl. Leicht wippte er hin und her, sah dabei in die gelbroten Flammen. Es war Meister Almeran, der ältere Druide, welcher nachdachte. Ihn soll es nach dem Reden der Leute im Dorf Grauenfels schon immer in der gleichnamigen Wehrburg gegeben haben und er wird noch da sein, wenn alle Leute in der harten, rauen Gegend gestorben sind – so sagte man.

    Almeran dachte zurück an die Zeit, in der er selber in diese Gegend kam. Damals befand sich eine uralte Wehranlage auf der großen Felsnase über dem heutigen Dorf. Dort fand der zugewanderte, junge Druide als Schriftgelehrter und Helfer des Priesters eine Bleibe. Die burgähnliche Anlage, über deren Eingangsportal das Wort „Grauenfels“ in den durch die Verwitterung tatsächlich grau aussehenden Granit eingemeißelt war, beherbergte damals gut 500 Bewohner, fast nur alte Elfen. Woher der Name der Burg kam, wusste niemand mehr. Vielleicht vom Farbton des verwitterten Gesteins? Aber eher wohl vom grauen Nebel, der den Talkessel, umgeben von hohen Bergen, sehr oft im Jahr erfüllte.

    Zunächst studierte er alte Schriften, die aus einer Zeit stammten, von der er vorher noch nie etwas gehört hatte. Darin war aufgezeichnet, dass es eine Epoche gab, die aber so lange zurück lag, dass kaum mehr etwas darüber berichtet werden konnte, in der eine Harmonie zwischen allen Rassen und Bewohnern des Landes bestand, weil diese eine einzige Abstammung hatten. Gut und Böse kannte man damals noch nicht. Auch hatten bestimmte „Familien“ dazumal auf geistigem Niveau einen Austausch, um die Geschicke und den Fortbestand dieses Landes zu gewährleisten. Die Mitglieder solcher Familien nannte man daher die „Wissenden“. Aufgrund der dann folgenden Entwicklungen zum Schlechten hin ging diese alte Epoche unter. Viel Wissen ging verloren, die Menschen breiteten sich aus und die alten Völker starben fast aus. Auch die „Wissenden“ wurden immer weniger und konnten den immer mehr verrohenden Rassen keinen Frieden mehr bringen. Dieser historische Hintergrund war zwar sehr interessant für den Gelehrten, verlor aber rasch an Bedeutung, als er auf andere Schriften stieß.

    Der Priester, den er unterstützen sollte, war sehr alt und starb überraschend. Zwar wussten die „Burgherren“, dass Almeran ein Druide und kein reiner Priester war, doch die Not zwang sie, ihn zum geistlichen Führer zu ernennen – es gab niemand anderen! So bekam er nicht nur Pflichten auferlegt, sondern auch besondere Rechte, darunter auch die Schlüsselgewalt zu den geheimen Räumen des Erbes des alten Elfengeschlechts. Die weltlichen Räume, welche die Reichtümer in Gold, Geschmeide, Perlen und Edelsteinen enthielten, blieben ihm verborgen, dafür hatte er nun Zutritt zu dem geistigen Erbe, einem geheimen Raum mit vielen Pergamentrollen. Neben den vielen Listen mit Namen anderer Elfengeschlechter, alten Abkommen mit anderen Rassen und Beschreibungen zu Gebetsritualen für verschiedene Gottheiten fand sich eine Truhe unter einem Stapel von Unterlagen, die verschlossen und zu der kein Schlüssel aufzutreiben war. Nicht einmal der Graf selbst hatte je von dieser Truhe gehört und legte es in das Ermessen des Druiden, diese von einem Handwerker aufbrechen zu lassen.
    #165VerfasserJean-Louis12 Mär. 09, 13:08
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    Almeran aber zögerte, hatte kein gutes Gefühl, vor allem, weil die Truhe aus einem merkwürdig rötlich-schwarzen Holz gefertigt war und in einer alten Elfenschrift auf dem Deckel gerade noch zu lesen war: „Tel’Runyara / Nen’Harum.“ In einer Lederrolle, an einen Truhengriff gebunden, befand sich ein Pergament, auf dem noch zu lesen war: „Geborgen im Jahre (unleserlich) an den „Rauchenden Wassern“, die zu den „Toten Seen“ fließen. Unterschrift (unleserlich).

    Die Truhe schien nie geöffnet worden zu sein und so beschloss Almeran nach einigem Abwägen, diese erst dann zu öffnen, wenn er mehr über diese Namen in Erfahrung gebracht haben würde. Als er über seine Entdeckung anschließend vor dem Rat von Grauenfels sprach, verstummte jedes Gespräch im Burgsaal und die Minen der Ratsmitglieder verfinsterten sich. Niemand wollte sich äußern, ja es hieß sogar, darüber dürfe nicht gesprochen werden. Lediglich das zusätzliche Studium der Landkarten über das nordwestliche Gebiet im Adlergebirge wurde dem Druiden erlaubt, um sich ein Bild von der gesamten Landschaft machen zu können, in der er nun leben und arbeiten werde. Also begab er sich in die Kartenstube des Hauptmannes der Burgwache, welcher die vorhandenen Karten der Region verwahrte. Allerdings gab es zum Adlergebirge selbst nur eine große Wandkarte. Sie zeigte in grober Darstellung, wie sich das Adlergebirge ausdehnte, wo es ein Hochgebirge war, wo sich bergiges Land befand, ob es sich um Wälder, eine Hochebene, einen Sumpf oder Seen handelte oder Grasland angrenzte. Die Karte war in Quadrate aufgeteilt, welche eine Nummerierung besaßen, hatte aber keinerlei Datumsangabe.

    Die Grenzen des Adlergebirges las er von links unten im Uhrzeigersinn:
    C:11 – C:10 – D:9 – C:8 – C:6 – D:5 – E:4 – F:4 – G:5 – H:4 – J:4 – K:3 – L:2 – L:3 – M:4 – M:6 - L:7 – L:12 - G:12 – F:11 und zum Anfang C:11. Als nächstes interessierten ihn die neben dem Kartenteil stehenden Beschreibungen:

    J:9 – In diesem waldreichen Tal liegt die Wehrburg Grauenfels mit einigen zugehörigen Waldhäusern. Das Tal heißt Nebelgrund, weil sehr oft im Jahr der aus der Quelle Heißes Loch entspringende Schleierbach mit seinem warmen Wasser, das nicht zufriert, das ganze Tal und den Wald in dichten Nebel taucht. Die über dem Bach tanzenden Nebelschleier gaben ihm seinen Namen.
    H:8 – Die Rotfell-Spitzen im Hochgebirge. Drei markante, spitze Gesteinsformationen. Dort oben fand man schon öfter umgekommene, große Wölfe mit einem merkwürdig rötlich gefärbten Fell.
    J+K:7 – Buschiges Hochland, genannt Schattenebene. Wenige Bäume, nahezu undurchdringlich. Niemand sollte dort hingehen, weil nie jemand von dort zurückkam.
    F:6 – Ruinen / Höhlen von Nen'Harum der Tel'Runyara. Verfallene Kult- und Wohnstätte, vermutlich eines untergegangenen Blutelfenvolkes. Heiße, salzige Quellen (Rauchende Wasser), die in die umgebenden Salzseen münden (Tote Seen - E:6).
    F:4+5 und G:5 – Vermutlich vom Blutelfenvolk angelegte Fischseen. Süßwasser, künstlich angelegte Dämme, terrassenförmige Anordnung – werden zum Gebirgsareal gezählt.


    Die jüngere, große Wandkarte aus dem Wachhaus
    #166VerfasserJean-Louis12 Mär. 09, 14:12
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    Das war nicht sonderlich viel, was er da zu lesen und zu sehen bekam. Natürlich war aus den Waldhäusern inzwischen ein Dorf geworden, welches mit der heutigen Burgruine den Namen Grauenfels trug. Aber wenigstens wusste Almeran nun, wo diese alte Stätte lag, deren Name in die Truhe geschnitzt war. Nur, wie man dort hinkam, war nicht aus der Karte zu ersehen. Es fehlten Wege und Stege, nur die Straßen über den Ost- und den Südpass waren eingezeichnet. Seltsam! Vom Hauptmann bekam er dazu die Antwort, dass man noch nie Verbindungen zu verschiedenen Punkten im Adlergebirge eingezeichnet hätte, weil sich die Wege immer mal änderten, durch Lawinen und Steinschläge hin und wieder verschüttet wurden. Überall im Gebirge waren Wege und Pfade zu finden, sehr alte bis erst vor kurzem neu gefundene. Wer hier reisen wollte, musste sich eben befragen.

    Nun gut. Mehr konnte der Druide zur damaligen Zeit nicht in Erfahrung bringen. Am Meisten beunruhigte ihn die Angabe, dass in diesem Gebirge ein „Blutelfenvolk“ gelebt haben soll, kannte er doch nur Sagen und Legenden über solche Wesen, die mehr einem Märchen glichen, mit dem man ungehorsame Kinder erschreckte. Und diese „Ausrede“ des Hauptmannes zu den fehlenden Wegen gefiel ihm auch nicht. Die Truhe blieb daher zunächst verschlossen und geriet bald wieder in Vergessenheit, weil ein anderes Problem immer größer wurde. Die vielen alten, größtenteils sehr alten Elfen starben, ohne dass genügend Nachkommen die aufgehenden Lücken hätten ausfüllen können. Die wenigen Jungen packten eines Tages auch ihre sieben Sachen und verschwanden über Nacht mitsamt den „weltlichen Schätzen“. Da musste Almeran für sich eine Entscheidung treffen. Er entschloss sich, zu bleiben und den wenigen verbliebenen alten Elfen wenigstens ein würdiges Abtreten zu ermöglichen. Von den Einrichtungen der Wehrburg wurde immer weniger genutzt und so verkamen die Gebäude – eines nach dem anderen. Schließlich erlebte er dann den Tag, an dem er das vorerst letzte Elfen-Grab schaufeln musste und seine Pflicht als Geistlicher tat. Die letzte, vermutlich auch älteste Elfe, einst Köchin gewesen, hatte ihm noch das Mittagsmahl zubereitet, setzte sich dann an den Tisch und stand nicht wieder auf.

    Ganz allein war Almeran zu dieser Stunde aber nicht. Inzwischen hatten sich in wenigen Hütten Menschen, meistens Fallensteller, Jäger und Abenteurer, aber auch zwielichtige Gestalten, im Nebelgrund angesiedelt und zwar direkt unterhalb des Burgfelsens bis hin zum Schleierbach. Diese Lage hatte ihren Grund. Das einzige Wasser, welches beständig, auch in den kältesten Wintern, durch das Tal im Schleierbach floss, war zu warm, um es als wirksamen Durstlöscher und zum Kochen zu verwenden, weil sehr viel Kleingetier darin umher wimmelte. Deshalb wurde kurzerhand in den Burgfelsen ein niedriger Stollen gehauen, womit der Burgbrunnen angezapft werden konnte. Den nicht ungefährlichen Durchstich des restlichen Felsstückes im Stollen zur Brunnenkammer musste seinerzeit, noch unter Aufsicht der Elfen, ein erwischter, verurteilter Dieb vornehmen, der erst kürzlich in den Nebelgrund gekommen war und dabei prompt ertrank. Nachdem sich der Wasserspiegel im Brunnen etwas gesenkt hatte, der Stollen war geringfügig zu tief angelegt worden, konnten die restlichen Arbeiten gefahrlos beendet werden. Von nun an floss das kühle Nass über hölzerne Rohrleitungen auch zu den Häusern der neuen Siedler.

    Der Druide kümmerte sich natürlich auch um das entstehende Dorf, gab bereitwillig alles noch brauchbare Werkzeug und die verwendbaren Waffen aus den verfallenden Burggewölben an die Bewohner heraus und wandte sich hauptsächlich dem Erhalt des Bethauses im Burghof zu, welches die Menschen der Siedlung später Schloss- oder Burgkapelle nannten. Auch erweiterte Almeran sein Wissen über die Heilkunst und half bei Erkrankungen und Verletzungen, wo immer er nur konnte. So verdiente er sich schnell ein hohes Ansehen, nachdem ihm die ersten Siedler zuerst ebenso vorsichtig begegnet waren wie den Burgherren. Dass er keiner dieser oft zur Hochnäsigkeit neigenden Elfen war, wusste man schon bald, aber man misstraute ihm doch, weil er in ihren Diensten stand. Dieser Argwohn legte sich aber rasch, nachdem die jungen Elfen urplötzlich Grauenfels verlassen hatten und die übrig gebliebenen ausgestorben waren. Der Druide wurde als geistlicher Führer des entstehenden Dorfes anerkannt und sein Wort hatte ein großes Gewicht in den Bürgerversammlungen der wachsenden Dorfgemeinschaft.
    #167VerfasserJean-Louis12 Mär. 09, 15:39
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    Es dauerte aber eine Weile, bis aus den einzelnen Häusern ein nennenswertes Dorf geworden war. Die erste Mühle am Schleierbach war eine Kornmühle, in der die Bewohner ihr Getreide zu Mehl mahlen ließen. Nicht lange darauf siedelte sich ein Schmied an, der, bevor er eine Familie gründete, eine Hammerwerksschmiede ebenfalls am Schleierbach erbaute. Das Wasserrad trieb den großen Schmiedehammer und den Blasebalg für die Schmiedeesse an. In dieser Zeit wurde es langsam auffällig, dass immer wieder einmal Bewohner, beunruhigender Weise aber vor allem Knaben, spurlos verschwanden. Selten geschah dies bei Neumond, sehr oft am Vorabend des Vollmondes oder direkt in dessen Nacht. Dass sich so mancher Mann nach einer gewissen Zeit aus dem Nebelgrund verabschiedete, war für einen Kenner der Herkunft der meisten Einwohner schon erklärbar, hatten die meisten dieser Kerle doch anderen Ortes Dreck am Stecken und tauchten manchmal im einsamen Adlergebirge nur eine Zeit lang unter. Hier fragte man nicht nach Vergangenheiten, sondern war froh über jede weitere, helfende Hand. Aber Knaben? Warum sollten Knaben das Dorf verlassen, um mit Sicherheit in der Wildnis umzukommen?

    Das ganze westliche und nördliche Gebirge war schon immer Jagdgebiet von mehreren darin umherstreifenden Wolfsrudeln gewesen. Diese Tiere waren aber sehr scheu und das seltene Erscheinen von Menschen in ihren Gebieten ängstigte die Wölfe mehr als die Menschen selber. Das änderte sich erst, als sich die Menschen in immer größerer Zahl immer weiter in die wilde Natur vorwagten. Damals schon hegte der Druide einen Verdacht. Er wusste nämlich als einziger, dass die ehemaligen Bewohner der Wehrburg, also die Angehörigen des uralten Elfengeschlechtes, diese nie um die Zeit des Vollmondes verließen und auch ihre Reisen, soweit sie das Gebiet des Adlergebirges betrafen oder noch berührten, ausschließlich und ausnahmslos immer, auch zwischen den Vollmonden, nur bei Tageslicht unternahmen. Man hatte sogar Schutzhütten aus dicken Steinmauern mit wuchtigen Dächern und Türen aus geschälten Baumstämmen in den Abständen einer Reiseentfernung bei Tageslicht am Rande des Gebirges errichtet, die aber längst verfallen waren und die Menschen fragten nicht danach, was oder wie es früher war. Für Almeran stand fest, die Burgherren hatten Angst, nachts im Freien sein zu müssen und er hatte auch nie erlebt, dass sich jemand aus dem Elfengeschlecht nach Einbruch der Dämmerung oder vor dem Sonnenaufgang außerhalb eines Gebäudes aufhielt, nicht einmal im Burghof. Die Schutzmaßnahmen dienten also der Vorbeugung vor einer möglichen Gefahr, die aus der Dunkelheit der Nacht kam. Es konnte daher nur so sein, dass es Geschöpfe der Nacht sein mussten, die vor allem gehäuft zum und am Vollmond jagen gingen und auch nicht vor Menschen halt machten, die sich in den Abend- und Nachtstunden um den Vollmond außerhalb des Dorfes bewegten. In unmittelbarer Nähe um die Wehrburg und das Dorf gab es aber, soweit er wusste, nie ernsthafte Probleme mit wilden Tieren. Wenn also Männer und manchmal auch Frauen weiter hinaus gingen als ratsam war, konnten sie durchaus Opfer von Nachtraubtieren werden. Aber, da war wieder diese merkwürdige Tatsache, dass auch und vor allem Knaben spurlos verschwanden, obwohl deren Verschwinden bald genug bemerkt wurde, ehe sie sich weit genug hätten entfernen können. Natürlich machten die Einwohner die Wolfsrudel für solche Vorfälle verantwortlich. Nur, es ließ sich nicht erklären, warum um den Vollmond herum sich über eine längere Zeit betrachtet das Verschwinden von Einwohnern häufte. Die Opfer zwischen den Vollmonden schrieb er den unvermeidlichen Begegnungen mit Raubtieren zu, die überall vorkamen, weil es auch am Tage geschah. Was für Ungeheuer sollten aber am Vollmond in der Nacht ihr Unwesen treiben und sich bevorzugt auf Kinder stürzen? Und warum gingen diese Kinder, eben meist Knaben, freiwillig in ihr Verderben? Es gab keine Antworten auf die Fragen.
    #168VerfasserJean-Louis13 Mär. 09, 20:34
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    Als viel später eines Tages in einem harten Winter gleich drei halbwüchsige Geschwister, ein jüngerer und ein etwas älterer Knabe, das Mädchen vom Alter her dazwischen liegend, in der Nacht des Vollmondes verschwunden waren, bat die verzweifelte Dorfgemeinschaft den Druiden, er möge doch eine Suchmannschaft anführen. Am frühen Morgen des Tages nach dem Vollmond gingen die Männer den am nordwestlichen Talausgang noch nicht verwehten Spuren der Kinder nach, die eindeutig ins Gebirge hinauf in Richtung der Rotfell-Spitzen wiesen. Weit oben auf dem Pass durch die erste Bergkette, unmittelbar am Fuße der nahesten der drei Rotfell-Spitzen, verlor sich plötzlich in einem starken Wind die Spur, der sie doch zugeweht hatte. Die Männer berieten sich zunächst und schwärmten dann aus, entdeckten die Kinderspuren glücklicherweise erneut an windgeschützten Stellen, geradewegs hart am Fuße der Rotfell-Spitzen vorbei weiter nach Westen führend. Sie mussten nun nicht mehr weit gehen, da fanden sie die Überreste von den zwei Knaben. Deren zerfetzte Kleidung lag verstreut umher, von den Körpern der Kinder war nichts zu sehen, aber überall Blut und zwei große Lachen davon im Schnee. Unzweifelhaft wurden die zwei Kinder von wilden Tieren gefressen. Wo war aber das mitgegangene Mädchen abgeblieben, deren Kleidung man nicht fand? Mit großem Erstaunen, dann größer werdender Angst, wurde noch mehr entdeckt. Spuren von Wolfspfoten, aber um einiges größer als die bisher größten bei einer Jagd gesehenen Abdrücke – und das Tier, es war mit Sicherheit nur eines gewesen, war zwar auf allen vieren überall umhergelaufen, hatte den grausigen Schauplatz aber nur auf zwei Beinen gehend wieder verlassen, nicht auf allen vieren. Zusätzlich fand man Fellreste in einer in der Nähe beginnenden Schleifspur – rötliches Fellhaar. Wolfsfell, aber eben seltsam rötlich. Und die Schleifspur zeigte eine deutliche Vertiefung, die dem Körper des vermissten Mädchens durchaus entsprechen konnte. Noch dazu führte sie in jene Richtung, aus der die großen Abdrücke gekommen waren, was man durch das Verwischen der herführenden Abdrücke durch die Schleifspur feststellte. Den Männern wurde unheimlich zumute.

    Nach einer kurzen Verschnaufpause und Beratung war man sich einig, der Schleifspur so weit zu folgen, bis man nicht mehr weiter gehen konnte, weil es zu spät werden würde, oder das Mädchen gefunden hatte. Es ging an den Rotfell-Spitzen zunächst etwas zurück, dann nach links in ein Tal, das vor den Bergspitzen nach Norden führte. Niemand aus der Gruppe war je dort gewesen, weil es da nichts außer Schnee und Eis geben sollte. Almeran dachte bei der Suche angestrengt nach und erinnerte sich auch daran, was er vor langer Zeit über die Gegend um die Rotfell-Spitzen im hohen Gebirge auf der großen Wandkarte im ehemaligen Wachhaus der Wehrburg gelesen hatte – „umgekommene große Wölfe mit rötlichem Fell“. Er behielt diese Erinnerung aber für sich, um die Männer nicht noch mehr zu beunruhigen. Weit nach Mittag erreichte man endlich eine steile Felswand in der linken Talseite mit vielen größeren und kleineren Höhleneingängen. In einen davon führte die Schleifspur hinein. Nur wenige Schritte innerhalb der Höhle, die nur zur Hälfte natürlichen Ursprungs schien, lag das Mädchen, warm eingehüllt in mehrere rötliche Wolfsfelle auf einer aus dem Felsen heraus gemeißelten Steinbank. Das Kind wurde sogleich geweckt und war auch nicht weinerlich, obwohl es ein paar leichte Bissstellen am rechten Oberarm hatte, sondern eher nur schwach und geschockt. Als man es aus den Fellen gezogen hatte und eines davon vor der Höhle ausbreitete, erschraken die Männer. Noch nie hatten sie ein so großes Fell eines Wolfes gesehen. Darüber hinaus war es ein bereits sehr altes Fell, wie die anderen auch, in denen das Mädchen gelegen hatte, denn die Haare fielen büschelweise aus. Man fragte sich, wie groß das Tier zu Lebzeiten gewesen sein musste und warum derart alte Felle hier in der Höhle lagen, die einmal einem Zweck gedient haben musste, aber niemand konnte dazu etwas sagen.
    #169VerfasserJean-Louis15 Mär. 09, 16:43
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    Einige Männer packten augenblicklich die Felle zusammen und so ging es im Eilmarsch zurück zum Dorf, wo man erleichtert bei Einbruch der Dämmerung ankam. Nicht nur der Druide hatte bemerkt, dass die Gruppe auf ihrem Weg zurück von einem Wolfsrudel in einiger Entfernung begleitet, wenn nicht sogar beobachtet worden war, so unglaubhaft das auch klingen mochte. Auffällig waren mehrere größere Tiere unter den Wölfen in eben dieser rötlichen Färbung, die sich allerdings immer etwas von dem übrigen Rudel abseits hielten, aber auch immer zusammen blieben. Kurz vor Erreichen des Waldrandes im Talkessel am Fuße des Gebirges war der Spuk dann plötzlich verschwunden. Im Dorf angekommen, nahmen die Eltern ihr Kind in die Arme, glücklich, das Mädchen wieder zu haben, zugleich aber zu Tode betrübt über den Verlust der Söhne. Almeran versuchte, den sehr verzweifelten Leuten Trost zu spenden und versorgte in den kommenden Tagen die Bisswunden des Kindes. In den ersten Tagen waren die Schwellungen und Blutverkrustungen nichts Ungewöhnliches, die Kräutersalben taten ihre Wirkung. Doch, viel zu schnell heilten nach Almerans Vorstellung diese Wundmale, noch dazu mehr oberflächlich, als aus der Tiefe heraus, wie es für eine gesunde Wundheilung notwendig war. Er versuchte, die seiner Meinung nach zu rasche Hautbildung durch abtupfen mittels warmen Kernseifenwassers zu verhindern, aber die Haut war bereits wieder völlig geheilt und fest geschlossen.

    Unerklärlich war das für ihn, blieben doch die teilweisen Abdrücke des Gebisses als dunkle Spuren der Wolfszähne unter der neuen Haut sichtbar. Erst jetzt konnte man die Größenordnung des Gebissabdruckes richtig sehen – zu groß für jeden noch so großen Wolf. Schlimmer als das noch war aber, dass die dunklen Flecken anfingen, unter der Haut zu wachsen, nicht irgendwie, sondern so, dass sich langsam ein ovaler Ring deutlich abzeichnete. Durch die Beobachtung des Wachstums über mehrere Tage hinweg war sich der Druide ziemlich bald sicher, dass sich der Ring beim nächsten Vollmond schließen würde. Was das bedeutete, hatte er bisher nur für Angst machende Geschichten gehalten, welche neugierige Kinder davon abhalten sollten, abends allein in der Gegend umherzulaufen. Almeran hatte die bevorstehende Umwandlung eines Menschen zu einem Werwolf direkt vor Augen. Er versuchte dann, herauszubekommen, warum denn die drei Kinder am letzten Vollmond das Dorf in Richtung der Rotfell-Spitzen verlassen hatten, aber das Mädchen konnte sich nur noch daran erinnern, dass es der ältere Knabe war, der zuerst allein losging und sie nur deshalb nachfolgte, weil der jüngere ihrer Brüder seinem großen Bruder hinter rannte. Der Ältere ließ sich durch nichts von seinem Vorhaben, hinauf ins Gebirge zu gehen, abbringen und so ging auch das Mädchen mit, weil sie sich vor allem um den kleinen Bruder sorgte. Je näher nun der nächste Vollmond kam, desto weniger war das blasse Mädchen ansprechbar und verfiel zunehmend in eine stummes Starren zum Fenster hinaus. Verzweifelt bemühte sich Almeran die nächsten Tage, die Eltern dazu zu bewegen, das Kind rechtzeitig vor dem kommenden Vollmond einzusperren. Natürlich glaubte ihm niemand, er wurde sogar des Hauses verwiesen und durfte es nicht mehr betreten, selbst dann nicht, als das Mädchen in der Nacht vor dem Vollmond von schweren, fiebrigen Albträumen befallen wurde. Almeran konnte für das bedauernswerte Kind nichts mehr tun und verbrachte die Vollmondnacht, die zur Nacht des Grauens wurde, in der noch fast neuen, kleinen Dorfschänke. Es war das erste Mal in seinem Leben, dass er sich betrank, seinen Kummer hinunterspülen musste.
    #170VerfasserJean-Louis17 Mär. 09, 14:05
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    Am Morgen des folgenden Tages nach dem Vollmond war alles zu spät. Da der Winter mit voller Wucht in diesen Tagen ohnehin den Nebelgrund heimsuchte und ein scharfer Ostwind große Schneemassen vor sich her in das Tal trieb, wagte sich auch in dieser Nacht kaum jemand aus dem Haus und der Druide blieb deshalb in der Schänke bis zum Morgen. Erst recht verrammelten die Bewohner alle Türen und Fenster ihrer Häuser, als ein Wolfsrudel sich immer weiter in die Siedlung hinein wagte. Das Heulen und Knurren war schaurig und die Bewohner saßen unruhig bei Kerzenlicht in ihren Räumen, hoffend, diese Nacht möge recht bald ohne einen Schaden für irgendjemanden vorüber gehen. Die Tiere streunten aber nicht planlos durch die Ansiedlung, sondern hatten ein ganz bestimmtes Ziel – das Haus der Leute, in dem das gebissene Mädchen in ihren schweren Fieberträumen lag. Die Dorfgemeinschaft machte am nächsten Tag, nachdem das Furchtbare bekannt geworden war, ausschließlich die gesehenen Wölfe für die schreckliche Tat in der Vollmondnacht verantwortlich – sowohl für den furchtbaren Tod der Eheleute, als auch das Verschleppen der Leiche des sicherlich tot gebissenen Kindes. Die Leute waren aber kopflos, viel zu erschrocken und aufgebracht, als sie die teilweise zerfetzten Leichen der Eheleute in der über und über mit Blut besudelten Wohnstube auffanden, um sich ein klares Bild von den tatsächlich abgelaufenen Geschehnisse in der Nacht machen zu können. Die aufkommende Wut über die Untiere tat ihr übriges dazu und damit war der Ablauf mitsamt der Schuldfrage schnell geklärt.

    Natürlich traf das nicht auf Almeran zu. Er hätte sich für sein sinnloses Betrinken nachts über in aller Frühe selbst ohrfeigen können, als die Schreckensnachricht durch einen Dorfbewohner bis zu ihm in die Schänke gebracht wurde. Der Druide war nicht in der Lage, sich gleich hinaus zu begeben und vor allem war sein Magen nicht fähig, ein Besichtigen eines Gemetzels auszuhalten. So wurde es Mittag, ehe sich Almeran wieder fest auf den Beinen halten und aufmachen konnte. Die Leichen der umgebrachten Eheleute hatte man schon draußen in den Schnee gelegt, als er sich die Stätte des Grauens näher besah und alsbald erkannte, dass nichts darauf hinwies, dass das Mädchen auch verletzt oder gar getötet und verschleppt worden war. Auch waren die nicht zu übersehenden Kampfspuren in den Räumen, hauptsächlich aber in der großen Wohnstube des kleinen Holzhauses zu finden, nicht mit den Verwüstungen vergleichbar, die ein eingedrungenes Wolfsrudel hätte anrichten müssen. Und wie hätten die Wölfe denn überhaupt ins Haus gelangen sollen? Die Haustüre war zwar aus den Angeln gerissen worden, aber doch eindeutig von innen nach außen! Auch die Verletzungen an den Leichen waren nicht typisch für Angriffe von Wölfen, die ihre Opfer in Stücke reißen. Der Mann hatte zwar einige Bisse an den Armen, die von der vergeblichen Abwehr herrührten, ansonsten war aber beiden Menschen lediglich die Kehle zerfetzt worden. Wölfe hätten sich an beiden Körpern gleichermaßen in ihrer Fressgier ausgetobt, die Frau war aber fast schon schonend umgebracht worden. Und letztlich gab es nur eine blutige Trittspur, die von einem Wolf stellenweise zu finden war, der höchstwahrscheinlich auf zwei Beinen lief, aus der Hütte heraus in Richtung des nördlichen Gebirges zu der dahinter liegenden Schattenebene, die aber meistens fast vollständig von den anderen Pfotenabdrücken der Wölfe des Rudels überdeckt war.

    Für den Druiden stand damit unumstößlich fest, dass das Mädchen zum Werwolf geworden war. Die Eltern mussten alles versucht haben, die nicht mehr aufzuhaltende Verwandlung doch noch zu verhindern. Es war dadurch dann zu spät gewesen, um sich selber zu retten. Es konnte aber auch sein, zumindest bei der Mutter, dass sie sich in der Erkenntnis, nun auch ihre Tochter für immer verloren zu haben, einfach ihrem Schicksal ergab, was durch die fehlenden Merkmale einer erfolgten Abwehr wahrscheinlich war. Welche Tragödie hatte sich da abgespielt? Almeran setzte daraufhin mit einem nicht unberechtigten Hinweis darauf, die Leichen könnten durch die Bisse mit Krankheiten verseucht sein, durch, dass man diese sogleich verbrannte. Natürlich wollte er in Wahrheit damit verhindern, dass die Möglichkeit einer Wiederkehr der dann zu Untoten werdenden, als neue Werwölfe vielleicht, entstehen konnte. Auch solchen ebenso nur aus Schauergeschichten bisher bekannten Geschehnissen maß der Druide im Angesicht des Erlebten eine neue Bedeutung bei und hätte kein gutes Gefühl bekommen, wenn man die Leichen nur begraben hätte. Anschließend zog er sich zum Studium der alten Schriften und Karten zunächst zurück, um irgendwo eine Bestätigung seiner Vermutungen zu finden. Lange stand er vor der großen Wandkarte im Wachhaus und erinnerte sich an das Gespräch mit dem damaligen Hauptmann der Burgwache. So sehr er auch in den verfügbaren Pergamenten suchte, er fand nicht mehr, als auf der Karte auch schon stand. Dann kombinierte er seine Beobachtungen. Das, was er gesehen hatte verband er damit, wohin die Spuren des umgewandelten Mädchens wiesen und mit der dürftigen Beschreibung der Schattenebene. Dort musste das Gebiet dieser Untiere sein. Er sah es direkt vor sich, wie ein argloser Wanderer nur einige Schatten bemerkte, ehe ihn der Tod ereilte. „Schattenebene“ – dies war die undurchdringliche Ebene der Werwölfe. Und ihm wurde jetzt auch bewusst, dass die Wölfe mitsamt ihren rötlich gefärbten, widerlichen Brüdern nur deshalb ins Dorf gekommen waren, um ihr neues Mitglied abzuholen, das nun bei diesen Schreckensgestalten weiterleben müssende Mädchen. Zwar schworen einige Bewohner, nur normale graue Wölfe in der Nacht gesehen zu haben, aber er glaubte zwei anderen, die auch wenigstens einen größeren mit rötlichem Fell im Rudel gesehen zu haben glaubten.
    #171VerfasserJean-Louis17 Mär. 09, 14:49
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    Was das Ganze nun mit dem Vorhaben des älteren Knaben, zu den Rotfell-Spitzen zu gehen und seinen Beobachtungen bei der Heimholung des Mädchens auf sich hatte, blieb Almeran damals verborgen. Er vermutete zwar, war sich eigentlich bereits sicher, dass das rötliche Fell eben einen Werwolf kennzeichnete, der sich anscheinend sowohl auf zwei Beinen als auch wie ein ganz normaler Wolf bewegen konnte. Allerdings fand er keine Erklärung, weshalb diese „Kreaturen“ am hellen Tage nach dem Vollmond zu sehen gewesen waren, wenn doch der Werwolf nach allen Geschichten, die über ihn verbreitet wurden, eine Ausgeburt der Vollmondnacht sein sollte. In diesen Tagen wurde dann auch noch von den Dorfbewohnern die Legende vom „Wolfsziegel“ geboren. Bei einer besonderen Wetterlage mit einem besonders starken, gleichmäßigen Ostwind, der so nur in sehr strengen Wintern wehte, fing eine Öffnung an einem schiefen Dachziegel im Dach des ehemaligen Zeughauses, in welchem inzwischen Almeran wohnte, weil das Haus des Priesters unterdessen baufällig geworden war, zu heulen an. Der Heulton glich in täuschender Weise dem Geheule von Wölfen. Eine alte Frau sagte bei der Verbrennung der Leichen der getöteten Eheleute, sie hätte in der Nacht wieder den Ziegel heulen hören und es sei deshalb kein Wunder, dass dadurch die Wölfe angelockt worden waren. Es musste ja einmal so weit kommen. Bis zu diesem Tage wurde das Heulen des Ziegels nur immer als dienliche Vorwarnung für einige aufkommende besonders strenge Wintertage gedeutet, was auch völlig richtig war. Fortan schlich sich die Angst in die Menschen, dass die Wölfe wiederkommen würden, wenn der Ziegel heulte. Dass dies nicht geschah und Wolfsrudel allerhöchstens einmal bis nahe an den Dorfrand kamen, verwunderte den Druiden nicht. Für ihn stand fest, dass solange keine Wölfe bis in das Dorf hinein kommen würden, wie nicht etwas anderes als ganz normale Beute - Wild gab es in dieser Gegend ja mehr als genug - vorhanden war, was sie zu einem Eindringen veranlassen würde. Die Wölfe würden erst dann wieder mitten ins Dorf kommen, wenn sie abermals ein neues Mitglied der Werwölfe abholen konnten.

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    Der Druide erhob sich nun aus seinem Schaukelstuhl und ging in die Küche, der Hunger trieb ihn. Eine Scheibe Käse und zwei Stücke Brot legte er auf einen Holzteller, dazu ein Messer. Vom Ofen nahm er eine Kanne und goss sich heißen Tee in einen Becher. Dann trug er alles hinüber in die Stube und stellte es auf den Tisch neben dem Kamin. Während er kurz darauf wieder im Schaukelstuhl sitzend immer wieder Käse- und Brotstücke abschnitt, diese genüsslich aß und einen Schluck Tee dazu trank, erinnerte er sich daran, wie es damals weiter ging, in der Entwicklung des Dorfes Grauenfels im Nebelgrund.

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    #172VerfasserJean-Louis17 Mär. 09, 15:37
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    Nach einer Weile des Trauerns und der Lähmung erhoben sich die Angehörigen der unselig zu Tode gekommenen Familie und erklärten öffentlich, sie würden nicht eher ruhen, bis der gesamte Nebelgrund frei von jeglicher Art Raubgetier sei, welches vor allem einem Kinde gefährlich werden konnte. Die Leute folgten diesem Ruf mit einer gewissen Begeisterung, gegen die der Druide nichts unternehmen mochte, weil es nicht schaden konnte dafür zu sorgen, dass man wenigstens vor Raubtieren im Tal Ruhe hätte. So zogen die Männer des Dorfes in regelmäßigen Abständen fortan los und brachten an wildem, gefährlichem Getier alles zur Strecke, was ihnen im Nebelgrund über den Weg lief. Es war allerdings kein einziger Wolf darunter, was doch etwas enttäuschend für manchen war. Selbst dann nicht, wenn der „Wolfsziegel“ tagelang geheult hatte. Es zeigte sich aber über einen längeren Zeitraum, dass zwischen den Vollmonden kaum noch ein Einwohner verschwand. Obwohl Almeran dennoch immer wieder vor den Werwölfen warnte und auch davor, nicht leichtsinnig zu werden, glaubte man ihm deren Vorhandensein nach wie vor nicht. Dies war umso bedauerlicher, da auch weiterhin ab und an Kinder verschwanden. Diesmal jedoch nur Knaben, aber immer um den Vollmond. Doch dafür wurden wieder nur die Wölfe, die außerhalb des Tales wie eh und je ihr Unwesen trieben und die Abenteuerlust heranwachsender Knaben, verantwortlich gemacht.

    Der Druide zeichnete derweil alle Vorkommnisse sorgfältig auf und konnte schließlich aus seinen Aufzeichnungen noch etwas anderes herauslesen. Nicht nur, wann Kinder verschwanden in dieser unseligen Häufung um den jeweiligen Vollmond herum und dass es meistens Knaben waren, war deutlich erkennbar. Es war seltsamerweise immer das dritte geborene Kind, welches verschwand, sofern es ein Knabe war, was aber auf eine wundersam Weise nicht so oft vorkam. War das dritte in Folge geborene Kind dagegen ein Mädchen, geschah nichts. Almeran vermutete, dass dies mit Sicherheit kein Zufall sein konnte. Auf dem Nebelgrund lag ein Zauber – an einen „Fluch“ wollte er erstmal nicht denken. Es musste etwas geben, welches in einem Knaben, der im Alter noch nicht zu weit fortgeschritten war, einen Drang entstehen ließ, unmittelbar um den Vollmond die sichere Dorfgemeinschaft zu verlassen. Waren wirklich Werwölfe zum Wirken eines derart starken, dauerhaften Zaubers in der Lage? Diese Frage blieb noch lange ungeklärt. Auch die fast regelmäßigen Geburten von zwei Mädchen hintereinander, die stets auf die Geburt eines Knaben folgten, konnte er sich nicht erklären. Irgend etwas wollte verhindern, dass die Zahl Drei in der Abfolge von Neugeborenen auf einen Knaben fiel, der dann stets aus dem Dorf verschwand, solange man keine Abhilfe fand. Es war immer nur ein an dritter Stelle geborener Knabe, der dem Zauber anheim fiel, am Vollmond zu den Rotfell-Spitzen zu gehen, währen andere Knaben, die Mädchen ja sowieso, nichts davon verspürten. Auf dem Nebelgrund lastete also ein zweiter Zauber, der dem ersten entgegen wirkte und keinen an dritter Stelle geborenen Knaben zulassen wollte.

    Almeran konnte mit diesen Erkenntnissen über verborgene Magie nichts verändern und suchte deswegen nach einer durchführbaren Lösung, wie er es verhindern konnte, dass einer dieser Dritten, ein „auserwählter“ Knabe, das Dorf heimlich verließ und dann den Werwölfen zum Opfer fiel. Alles, was er bisher an Beschwörungen formulierte, hatte nicht geholfen. Auch in den alten Schriften fand sich keine direkte Hilfe, nur ein hilfreicher Hinweis: „Willst du Gefährliches bekämpfen, gehe nicht zu ihm, sondern bereite dich vor und lasse es zu dir kommen!“ Nun, die Werwölfe ins Dorf zu locken, war gewiss nicht seine Absicht. Ihm fiel etwas anderes ein. Er ließ sich vom Schmied nach alten Zeichnungen eine besondere Hippe anfertigen, mit sehr langem und kräftigem Stiel. Diese seltene Waffenart, die es sowohl als eine Art Zweihand-Krummschwert gab als auch in Form einer Stangenwaffe, war ähnlich einer dickeren Sichel, nicht ganz so weit gebogen und dadurch sehr viel stabiler. Die ideale Waffe, um mit einem ziehenden Schlag einem Gegner den Kopf abzutrennen und durch den langen Stiel auch noch selber aus der unmittelbaren Gefahrenzone heraus bleiben zu können.
    #173VerfasserJean-Louis17 Mär. 09, 16:29
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    Der Druide übte anschließend einige Zeit mit den besten Kämpfern im Dorf den sicheren, vernichtenden Umgang mit diesem Tötungsinstrument im Burghof und bat seine Lehrmeister, nichts davon zu erzählen. Mit ein paar Goldmünzen wurde die Bitte untermauert und so wurde kaum etwas über Almerans merkwürdiges Verhalten bekannt. Schließlich stand wieder ein Vollmond am Himmel und ein Knabe, der in das Opfermuster passte, schlich sich unbemerkt aus seinem Elternhaus. Almeran kannte aber schon lange den uralten Steig, den all die glücklosen Opfer genommen hatten oder nehmen wollten, sehr genau und wartete geduldig am Waldrand nordwestlich des Dorfes darauf, dass sich ein Kind auf den Weg machen würde. Kurz nach Mitternacht, so schien es ihm, hörte er kurze, leichte Schritte auf dem steinigen Weg. Da kam ein Knabe gelaufen, welcher im Halbschlaf Schritt für Schritt unbeirrbar in Richtung der Pässe oben an den Rotfell-Spitzen gehen wollte. Der Druide ging ohne etwas zu sagen leise nebenher und band vorsichtig im Gehen einen Strick um den Knaben, der in seiner Länge so gewählt war, dass das Kind immer in Reichweite der scharfen, gefährlichen Stangenwaffe des Druiden blieb, welche dieser an einem Trageriemen auf dem Rücken trug. Nach einer Weile des schweigsamen Gehens erreichten sie den anderen Waldrand, von dem aus es ins Hochgebirge hinauf ging und Almeran nahm seine Waffe zur Hand, jeden Moment einen Angriff fürchtend.

    Kurz vor dem Ende des Waldes huschte plötzlich ein Schatten nahezu lautlos durch die äußeren Bäume. Dann kam ein Grollen und Knurren näher, das Kind ging aber davon unbeeindruckt stur weiter. Almeran blieb jetzt stehen, brachte die Stangenwaffe in eine günstige Kampfstellung und beobachtete nur die Umgebung des Knaben, der ebenfalls stehen bleiben musste, als sich der Strick zwischen ihm und dem Druiden spannte. Der Druide befürchtete keinen Angriff auf sich. Er war sich sicher, der Werwolf wollte nur das arme Kind. Ein kurzes Fauchen, knackende Äste, ein Absprung und Almerans Hippe rauschte hörbar durch die Luft. Mit einem kräftigen Schwung, knapp über den Kinderkopf hinweg, flog die sehr scharfe Klinge dem Werwolf entgegen, traf ihn am Hals, der sich in der eigenen, schnellen Vorwärtsbewegung in der sichelförmigen Krümmung der Hippenschneide selbst durchtrennte. Der Rumpf des Untieres fiel hinter dem Kind krachend auf den Boden, der Kopf des Werwolfes flog seitlich weit weg. Eine Weile blieb Almeran noch lauschend stehen, doch nur der säuselnde Wind im Geäst war zu hören. Dann führte der Druide das Kind zurück zu seinem Elternhaus, mahnte die Leute dort zur Stille und brachte den Knaben ebenso leise zu Bett, wie er sich weggeschlichen hatte. Die Familie war bestürzt und sehr dankbar zugleich. Doch Almeran lehnte jedes Wort zu den Geschehnissen in dieser Nacht schroff ab, verpflichtete die Familie zum Stillschweigen, vor allem dem Kind gegenüber und ging sofort zurück in die Wehrburg. Am nächsten Tag hatte der Knabe keinerlei Erinnerung an den Vorfall.
    #174VerfasserJean-Louis18 Mär. 09, 09:10
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    So rettete der Druide von einem Vollmond zum anderen in größeren Zeitabständen die von dem magischen Drang zum Gang in ihr eigenes Unglück befallen Knaben. Manche davon natürlich mehrmals, denn auch die Geretteten versuchten es immer wieder einmal aufs Neue. Da es aber durch die gelungenen Rettungsmaßnahmen immer mehr Kinder wurden, die diesen nächtlichen Drang am Vollmond verspürten, eine unselige Reise ins Hochgebirge in Richtung der Rotfell-Spitzen zu unternehmen, konnte Almeran letzten Endes doch nicht alle schützen. Es stellte sich heraus, dass erst mit dem Einsetzen der Mannwerdung sich dieser Drang in einem an dritter Stelle geborenen Knaben endgültig verlor. Bis dorthin versuchten es die Unglücklichen in unregelmäßigen Abständen und verschieden oft aber immer wieder. Konnte der Druide einmal ein Kind nicht retten, weil er zufällig in dieser Nacht auf ein anderes zur gleichen Zeit aufpasste, gab es am nächsten Tag wieder eine dieser großen Suchereien, die nur die Gewissheit des Todes des Kindes anhand von blutigen Kleidungsresten einbrachte, die man mal noch am Waldrand, dann wieder erst oben im Gebirge in der Nähe der Rotfell-Spitzen fand. Die Männer entdeckten bei der Suche darüber hinaus aber ab und zu im nordwestlichen Waldgebiet diese rötlichen, großen Wolfskadaver, denen jeweils der Kopf abgeschlagen war. Die Schnitte im Hals waren so glatt und sauber, dass der Schmied und einige erfahrene Kämpfer sich einig waren, dass dies nur mit einer Hippe geschehen sein konnte. Natürlich war den Männern, die Almerans Waffenübungen kannten, dadurch sofort klar, wer das gewesen sein musste, denn nur der Druide besaß eine solche Waffe. Inzwischen waren aber genügend Familien Almeran gegenüber in Dankbarkeit der Rettung ihres Sohnes verpflichtet und so schwieg man sich auch darüber aus. Man vergrub die Kadaver, hielt sie nach wie vor für ungewöhnlich große, allerdings normale Wölfe und Almeran beließ es dabei. Die übrige Dorfbevölkerung war trotz aller Gerüchte ohnehin der Meinung, dass einer, der Schriften studierte und die Anbetung der Götter leitete, nicht zum Kämpfen gegen große Wölfe taugte. Das Ergebnis der aufkommenden und wieder verschwindenden Gerüchte war ein Name für diese Gegend am Ende des Waldes, von dem aus der uralte Steig hinauf zu den Rotfell-Spitzen führte: „Hippenrain“.

    In den kommenden Jahrzehnten aber regulierte das eher eintönige, alltägliche Leben im Nebelgrund seinen Fortgang selber. Die Dorfgemeinschaft wuchs langsam, aber stetig und alles, was in dieser Gegend noch an Unglücken oder Unaufklärbarem geschah, wurde als unabwendbar und von den Göttern so gewollt hingenommen, manchmal mit langem und lautem Wehklagen, manchmal in stiller Trauer. Beinahe geriet vieles von dem, was die Untersuchungen des Druiden Almeran ans Licht gebracht hatten, wieder in Vergessenheit, wäre da nicht der strengste Winter seit 100 Jahren über die Bewohner des Nebelgrundes und somit Grauenfels gekommen.

    Adlergebirge, Winter 307/308 nach dem Bürgerkrieg

    Ein wirklich ungewöhnlicher Winter mit monatelangem Frost, unterbrochen von sehr starken Schneefällen. Es schneite nun schon ununterbrochen sechs Tage lang. Die Schneehöhe wuchs über eine Mannshöhe hoch an und ein Ende war nicht in Sicht. Die Häuser ächzten und stöhnten unter den Lasten bereits und die Bewohner begannen gezwungenermaßen, ihre tief verschneiten Dächer abzuräumen. Das ganze Dorf war auf den Beinen, auch die älteren Kinder mussten mit helfen, so dass in diesen Tagen der Schulbetrieb ruhte. Ob dies nun Glück war, dass die Schule geschlossen blieb, oder dieser Umstand dazu führte, dass man dem Dach des kleinen Gebäudes zu wenig Aufmerksamkeit schenkte, sei dahingestellt. An einem Vormittag barsten urplötzlich die Dachbalken des Schulgebäudes und das Dach sackte nach unten. Nun eilten viele herbei, besahen sich das Unheil und begannen sofort mit dem Aufräumen. Schnell war klar, dass neue Dachbalken und Bretter benötigt wurden, aber auch, dass kaum etwas vorrätig war. Da es zum großen Glück nun endlich nicht mehr schneite, gingen am nächsten Tag mehrere Männer mit Äxten und Sägen in den Wald, um die erforderlichen Bäume zu fällen. Der Druide war dabei, um die richtigen Bäume auszusuchen, welche von den Göttern gesegnet sein sollten, um zukünftig ein ähnliches Unglück abzuwenden. Doch, gerade solche Bäume zu finden, die nicht unbedingt einen göttlichen Segen in sich trugen, sondern eher gerade und möglichst ohne Äste im unteren Teil sein mussten, waren nicht leicht zu finden.
    #175VerfasserJean-Louis18 Mär. 09, 11:36
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    Der verschlungene Weg durch den Wald führte die Holzfäller zu einer hohen, steilen Felswand im nordöstlichen Teil des Nebelgrundes, weil in deren Schutz an diesem Ort die Bäume schon seit jeher besonders gerade und auch in der Faser dicht wuchsen. Nachdem Almeran, der dies wusste, einige Bäume mit wenigen Axthieben markiert hatte, spürte er eine magische Strömung, eine ihm uralt scheinende Energie, die er zunächst als einen Wink der Götter ansah, gerade für den neuen Firstbalken des Schulhausdaches einen besonders geeigneten Baum zu finden. Er folgte diesem feinen, magischen Fluss zu einer Stelle, an der allerdings nur einige junge Fichten standen, als sein Blick zufällig auf einen kleinen Schneehaufen fiel, der sich ganz leicht hob und senkte. Ohne weiter zu überlegen, wischte der Druide mit den Händen den Schnee beiseite und fand ein fast neugeborenes Kind in einem Bündel edler Tücher. Das Kind schien bereits unter der Kälte gelitten zu haben, weshalb er die Männer rief, schnell noch einen Baum markierte, sich einen der Pferdeschlitten ausbat und sich auf diesem eiligst ins Dorf fahren ließ, dass Kind unter seinem weiten Mantel vor der Kälte schützend.

    Nachdem die gefällten Bäume nach Grauenfels gebracht waren und das Kind wohlauf war, beriet man in einer Bürgerversammlung über das Schicksal des Findlings. Die Alten sahen gleich einen Dämon oder ein Wolfskind in ihm, weil es ausgeschlossen werden konnte, dass eine Frau aus der Gegend das Kind heimlich zur Welt gebracht und im Wald abgelegt haben konnte. Es gab keine Schwangerschaft zu dieser Zeit in Grauenfels. Aufgrund des Wetters der vergangenen Tage gab es auch keine Wahrscheinlichkeit, dass das Kind von außerhalb heimlich in den Nebelgrund gebracht worden sein konnte. Es wäre nun die Aufgabe eines Priesters gewesen, über Leben oder Tod des kleinen Knaben zu entscheiden. Gegen die Befürchtungen der immer noch nur Unheil witternden älteren Leute sprachen für das Kind die blauen Augen, das hellblonde Haar und die helle Haut des Kleinen. Der Druide sah sich daher außerstande, eine Entscheidung mit solch einer Tragweite herbeizuführen, welche aber sogleich auf wundersame Weise unnötig wurde. Den Eheleuten, welche damals die Schmiede betrieben, war durch den strengen Frost erst kurz vorher ihr Säugling genommen worden. Sie nahmen das Kind auf. Die Frau war durch den Verlust ihres Kindes vorübergehend um den Verstand gekommen, der Mann mehr als betrübt über diese doch ungerechte, doppelte Strafe. Niemand vermochte vorher der Gattin des Schmiedes auszureden, dass ihr Kind gar nicht gestorben sei, sonder nur gefunden werden musste, da man es ihr in der Nacht nur weggenommen hatte. Bei der Versammlung kam nun diese Frau in den Saal gestürmt, riss das Findelkind an sich und gab es nicht wieder her. Nach einigem Hin und Her und wirrem Gerede waren die Dorfbewohner allerdings froh, dass die Frau einerseits urplötzlich zu normalem Verhalten zurückfand und andererseits das neue Kind den Tod des Knaben der Schmiedeleute ausglich, was auch für das Dorf insgesamt vorteilhaft war. So überließ man dem Schmied, der auch mehr als glücklich über diese Wendung des Schicksals war, gern den gefundenen Knaben. Die Schmiedeleute nannten ihn dann „Telmy“.

    Das Kind wuchs sehr langsam heran, weil es höchstwahrscheinlich ein Halbelfe war, was man anfangs durch einen nicht zu übersehenden Anteil elfischen Aussehens – spitzere Ohren mit einem Haarbüschel an der Spitze – gut erkennen konnte. Später verlor sich dieses Erbe einer alten Rasse aber mehr und mehr. Schnell war klar, dass es mehrere oder viele Menschengenerationen dauern würde, ehe aus dem Knaben ein Mann geworden sein würde. Die Schmiedeleute, die ihn als Säugling seinerzeit aufgenommen hatten, bekamen noch weitere Kinder und versprachen, auch über die Nachkommen hinweg den Halbelfen in ihrer Familie aufziehen zu wollen. Es wurde wieder ruhig im Nebelgrund und in Grauenfels. Der Druide sah immer wieder mal nach dem ungewöhnlichen Kind und stellte mit dessen damaligen Zieheltern nach ungefähr 40 Jahren zum ersten Mal fest, dass der Knabe anscheinend Fähigkeiten entwickelte, die über die eines normal heranwachsenden Menschenkindes hinausgingen. Im Alter von zehn Menschenjahren – gut 100 vergangenen Jahren für das Dorf, war Telmy zum Außenseiter geworden.
    #176VerfasserJean-Louis18 Mär. 09, 11:43
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    Kaum noch ein anderes Kind im entsprechenden Menschenalter wollte ihn zum Spielkameraden haben. Er war immer schneller als sie, kletterte besser, sprang weiter und höher als jeder andere Knabe. Das Versteckspiel mochte niemand mehr mit ihm spielen, weil er jedes andere Kind in Windeseile fand – mit seiner Nase, wie er sagte und dadurch noch mehr verspottet wurde. So verbrachte er immer mehr Zeit bei dem alten Druiden, den er von Anfang an „Großvater“ – später auch „Vater Almeran“ - nannte. Der brachte ihm zunächst seine bescheidenen Grundkenntnisse im Schwertkampf bei. Nach weiteren 20 Jahren veränderte sich Telmy in kurzer Zeit sehr stark. Nicht nur, weil für ihn die Mannwerdung begonnen hatte, er verlor auch die blaue Augenfarbe, die zuerst in ein dunkles, dann bernsteinartiges Braun wechselte. Auch seine elfischen Merkmale verschwanden fast vollständig und er bekam immer mehr Albträume. Zunächst unregelmäßig, dann aber stets um die Vollmondzeit. Diese Veränderungen waren insgesamt so unheimlich, dass sich die Zieheltern aus der Schmiede weigerten, den Halbelfen noch länger nachts unter ihrem Dach wohnen zu lassen. Auch wollten sie nicht mehr, dass der inzwischen ungeliebte Jüngling weiter deren Familiennamen trug und erwirkten, dass er fortan den Mädchennamen seiner ersten Ziehmutter tragen musste – „Eventhin“. Almeran schrieb des Friedens im Dorf wegen die Eintragungen im Geburtenbuch um und war sehr beunruhigt über diese Vorkommnisse, wiesen sie doch in eine schreckliche Zukunft, falls sich die Vorahnungen des Druiden als wahr erweisen würden. Er war sehr froh, dass er Telmy fortan in seine Obhut nehmen und so vor allem in der bedenklichen Zeit über ihn wachen konnte.

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    Nachdem Almeran seine Speisen verzehrt hatte, stand er aus seinem Schaukelstuhl auf und ging zum Fenster. Sein Blick wanderte über das wieder einmal tief verschneite Tal. Schon seit drei Tagen hatte es ununterbrochen sehr dicht geschneit und es war keine Wetterbesserung zu erwarten. Die Männer des Dorfes mussten den ganzen Tag die Wege frei schaufeln. Überall lag bereits brusthoch der Schnee. An dieser Stelle endete das Zurückdenken des Druiden und alles Weitere wurde nicht aus dem Gedächtnis heraus aufgeschrieben oder von kleinen Notizen wieder hergeleitet, sondern zeitnah Ereignis für Ereignis auf Pergament festgehalten, so wie es sich zugetragen hat. Die Rückblende bewegt sich damit in die damalige Gegenwart zurück.

    Adlergebirge, Winter 427/428 nach dem Bürgerkrieg

    Wie Almeran es schon lange befürchtet hatte, bekam der Halbwüchsige vor allem in der Nacht vor und am Vollmond selbst jeweils stärkste Albträume. Der Halbelfe wurde nur so von fiebrigen Anfällen geschüttelt und versuchte sogar öfter, im Schlaf das Haus zu verlassen, doch der Druide hielt die wenigen schweren, gepanzerten Türen des ehemaligen Zeughauses schon seit einiger Zeit sorgfältig verschlossen und alle Fenster waren ohnehin vergittert. Am nächsten Morgen wusste Telmy jedes Mal von all dem nichts mehr. Der Druide schrieb all seine Beobachtungen auf, konnte aber das ganze folgende Jahr über keinerlei Anzeichen für eine Umwandlung, im schlimmsten Fall zu einem Werwolf, erkennen. Almeran war längst nicht mehr im Zweifel, ob es sich bei den Geschichten und Sagen um die Werwölfe nur um Märchen handelte, sondern sah sich einer grauenhaften Gewissheit gegenüber, dass es einen wahren Gehalt in den meisten Erzählungen über diese Untiere gab. So hatte er bald befürchtet, dass es sich bei dem Findelkind um einen gezeugten Nachkommen von Werwölfen handeln konnte, weil seine körperlichen Fähigkeiten und Kräfte die eines „normalen“ Halbelfen auf unnatürliche Art überstiegen. Froh darüber, dass er sich getäuscht hatte, rätselte der Druide nun daran, was es sonst sein konnte, das Telmy so anders machte. Besonders die so auffallend helle Hautfarbe und der doch einem Wolf gleichkommende Geruchssinn irritierten Almeran sehr.
    #177VerfasserJean-Louis18 Mär. 09, 12:51
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    Als erneut der Winter kam, war es fast schon Gewohnheit, dass Telmy in der Zeit zwischen den Vollmonden, wie jeder andere Junge in seinem Alter auch, in die Schule ging. Den Nachmittag und Abend verbrachte er aber nur selten im Dorf, sondern meist „Vater Almeran“ helfend oder sogar in dessen Schriften studierend. Allerdings drängte es ihn immer wieder einmal weiter hinaus und so war er, leichtsinnig wie Halbwüchsige eben sind, trotz strengem Verbot auch eines Tages kurz vor Vollmond über die nördliche Bergkette hinaus bis zu den Steilhängen hinauf zu der ihm verbotenen Schattenebene verträumt vorgedrungen. Erst als er noch in der Dämmerung, aber schon im Mondschein, die dunklen Umrisse eines Wolfes sah, der in einiger Entfernung auf einer Anhöhe angestrengt eine Witterung aufnahm, erschrak er und rannte so schnell es ging nach Grauenfels zurück und nach Hause. Der Wolf war ihm entweder nicht gefolgt, oder Telmy war zu schnell für ihn, jedenfalls war nichts zu sehen und zu hören. Von dem Vorfall erzählte er dem Großvater aber vorerst nichts.

    Es fing wieder stark an zu schneien, der scharfe Ostwind trieb abermals dunkle Schneewolken in den Nebelgrund und der „Wolfsziegel“ heulte in den schaurigsten Tönen schon den ganzen Tag. Schließlich kam die Vollmondnacht und mit ihr plötzlich die Wölfe ins Dorf, seit langem wieder einmal. Die Alten erzählten gleich das Märchen vom Wolfsziegel und, man höre und staune, von dem „Werwolfmädchen“, welches seinerzeit geholt worden war. Wieder, ebenso wie damals, war alles verriegelt und verrammelt worden. Almeran dagegen stand oberhalb des Dorfes am Fenster und blickte im hellen Mondlicht in der kaum nebeligen Nacht auf die Häuser hinunter und sah sie kommen, die anscheinend ziellos umherstreunenden Wölfe, in einer Zahl, wie man es sich bis dahin nicht vorstellen konnte – mehrere Rudel zugleich? Der Druide war sich nicht sicher, doch bekam er mehr und mehr den Eindruck, als ob die wilden Tiere etwas suchen würden. Sie witterten überall, richteten keinerlei Schaden an und bewegten sich immer weiter auf den Burgfelsen zu. Dann waren sie auf ein Mal verschwunden.

    Doch kaum war Almeran zu einem anderen Fenster gegangen, um aus einem aufkommenden Gefühl heraus in den alten Burghof zu blicken, war in unmittelbarer Nähe das Knurren aus vielen Wolfskehlen zu hören. Der Burghof wimmelte nur so von ihnen. Schließlich wichen die Wölfe aber wieder zurück und über die an einigen Stellen etwas verfallene Mauer zur Gebirgsseite hin sprangen mehrere sehr große Tiere. Diese kamen nahe ans Haus und setzten sich im Halbkreis davor in den Hof. Die anderen, normal großen Wölfe, waren wieder weg, nur einige saßen auf der Mauer. Das einsetzende Geheule und Gejaule war das Fürchterlichste, was man in Grauenfels je gehört hatte. Die großen, wie jetzt zu sehen war, rötlich gefärbten Wölfe begannen regelrecht zu toben und erhoben sich auf die Hinterpfoten. Sie griffen wie im Wahn das Haus an, verbissen sich in die Gitterstäbe und sprangen an die schwere, gepanzerte Tür, scharrten auf dem Blech herum. Almeran war entsetzt und ruhig zugleich, vertraute er doch auf die massive Festigkeit des ehemaligen Zeughauses, in das er vor vielen Jahren umziehen musste, weil das ehemalige Priesterhaus dem Zahn der Zeit nicht standhalten konnte. An sich waren diese grauenhaften Geschöpfe der Nacht faszinierend. Während die „normalen“ Wölfe im Licht gelblich leuchtende Augen hatten, glühten die Augen dieser großen Wölfe, die ohne jeden Zweifel Werwölfe sein mussten, rot von innen heraus. Die Kraft dieser Untiere war enorm und auch die Bewegungen waren elegant, nie plump. Vor dem Morgengrauen löste sich das gespenstische Geschehen genauso schnell auf, wie es gekommen war. Nur die vielen Spuren im Schnee bezeugten, dass dies alles harte Wahrheit gewesen war.
    #178VerfasserJean-Louis18 Mär. 09, 15:43
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    Telmy lag derweil in seinen Fieberträumen und bekam von diesen Dingen zum Glück nichts mit. Almeran indessen war vom angestrengten Nachdenken in einen wahren Gedankenrausch geraten. Diese Vielzahl an Unerklärlichem, an Rätseln und grauenhaften Vorkommnissen ließ seinen Verstand zur Höchstform auflaufen. All das in seinem Gedächtnis vorhandene Wissen um das Adlergebirge kroch aus seinen Nischen, in denen es die Jahre überdauert hatte und ballte sich zu einem Karussell aus Fragen, denen aber die möglichen Antworten noch immer fehlten. Seine Überlegungen kreisten unentwegt, als er am sehr frühen Morgen im Wachhaus vor der großen Wandkarte stand, wie schon so oft in der Vergangenheit.

    - Da war die Schattenebene, wo sie hergekommen waren, wo sie seiner Meinung nach lebten, die Werwölfe und wohin gebissene Überlebende nach der Verwandlung ganz sicher verschwanden. Ebenso sicher wurden auch die eher selten verschwindenden Mädchen und jungen Frauen dorthin verschleppt. Nur, warum?
    - Hier war der Nebelgrund mit Grauenfels. Zuerst nur eine starke Wehrburg, die von vielen alten und wenigen jungen Elfen bewohnt wurde, welche die Gefahr der Vollmondzeit genau kannten. Ein Talkessel, in dem es fast nie richtig hell wurde, die Sonne nur sehr selten einmal strahlend hinein schien. Fortwährender Nebel, aufsteigend aus dem warmen Schleierbach, welcher aus dem „Heißen Loch“ entsprang. Hatte das vielleicht eine ursächliche Bewandtnis?
    - Dort war der Hippenrain, von ihm selbst geschaffen, an dem er die angreifenden Bestien hinweg mähte, die jedes dritte Kind umbringen wollten, sofern es ein Knabe war. Ursache war der Drang solcher Knaben, sich in der Vollmondnacht aus dem sicheren Haus und hinauf zu den Rotfell-Spitzen zu schleichen. Der Grund wiederum hierfür war seiner Meinung nach dieser eine Zauber, der den Drang verursachte, aber wozu eigentlich? Doch bestimmt nicht nur, um den Werwölfen leichte Beute zuzuspielen. Dann kam dieser zweite Zauber ins Spiel, der eben dies verhindern sollte, wie es den Anschein hatte, indem er dafür sorgte, dass mit wenigen Ausnahmen auf einen Knaben immer zwei Mädchen geboren wurden und damit der erste Zauber nicht zum Zuge kam. Was steckte dahinter? Wer hatte diese Zauber gewirkt?
    - Dann waren da zudem noch die Rotfell-Spitzen, drei hohe, markante Gesteinsspitzen, an deren Fuße man auf der Hochebene schon damals die getöteten Knaben fand. Dort befanden sich auch noch die von irgendjemandem noch nachträglich bearbeiteten, natürlichen Höhlen. In einer davon lag zu jener Zeit das gebissene, verschleppte Mädchen. Dazu diese sehr alten Wolfsfelle, von zu großen, rötlichen Wölfen – den Werwölfen. Hatte der Name der Bergspitzen geradewegs mit den rötlichen Fellen der Werwölfe zu tun? Zu welchem Zweck dienten einst diese Höhlen? Warum wollten die Knaben unbedingt zu den Rotfell-Spitzen? Oder, wollten sie gar noch weiter gehen? Wohin? Auf der Karte waren nur noch die Ruinen / Höhlen von Nen'Harum der Tel'Runyara eingezeichnet. Die verfallene Kult- und Wohnstätte eines untergegangenen Blutelfenvolkes, wie vermutet wurde. Aber, der Weg dorthin war einfach zu weit. Ohne sichere Rast und Verpflegung hätte selbst ein harter Mann diesen langen Weg nur mit Mühe lebend im Winter bezwungen. Wieder keine Antworten.
    #179VerfasserJean-Louis19 Mär. 09, 08:33
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    Almeran ging in dem kleinen Raum hin und her, immer wieder und dachte dabei sehr oft, was soll das alles bedeuten. Es musste einen Zusammenhang zwischen all diesen Dingen geben. Und irgendwo musste auch der Schlüssel zu diesem großen Zusammenhang zu finde sein. Irgendwo! Er warf einen letzten Blick auf die Wandkarte, las noch einmal die Beschreibungen und ging zurück in das alte Zeughaus. Dort betrat er seine Stube, setzte sich in seinen Schaukelstuhl und schlief kurz darauf mit dem Gedanken an die „Blutelfen“ ein. Der Druide erwachte aber schon bald, als ihm der Duft von heißem, würzigem Tee in die Nase fuhr, den Telmy inzwischen in der Küche gebrüht hatte. Almeran hörte gerade noch die letzten Schritte auf der Treppe nach oben und das Schließen der Tür. Wie an jedem Morgen nach einem Vollmond seit geraumer Zeit war der Halbelfe ziemlich verstört und noch blasser als ohnehin aufgestanden und hatte sich einen Tee zubereitet. Almeran wusste, dass Telmy sich noch bis Mittag wieder zurückziehen würde und knüpfte an seine Überlegungen erneut an, als er sich in die Küche begab, um sich ein kleines Frühstück zu richten. Wie schon einmal stand für ihn fest, dass die Wölfe nur deshalb ins Dorf gekommen waren, um etwas zu holen, welches sie vermutlich als ihr Eigentum ansahen. Da sich diesmal aber, zum ersten Mal überhaupt, seit der Druide nach Grauenfels gekommen war, derart viele Tiere zur Wehrburg schlichen, konnte dies nur eines bedeuten: nur Almerans Ziehsohn Telmy kam als Anlass dafür in Betracht. War Telmy doch ein Werwolf? Dies verneinte der Druide aber sofort in Gedanken. Er wog verschiedene andere Möglichkeiten ab und kam zu einem aber nicht weniger beunruhigenden Schluss. Es war auch denkbar, dass der Halbelfe getötet werden sollte, wie all die anderen Knaben am Vollmond. Dies ergab aber sofort eine neue Frage: Warum gab es dann nicht schon früher Versuche, Angriffe, dies zu vollbringen?

    Den Druiden beschlich eine Unwohlsein hervorrufende Ahnung. Er ging hinauf in das Zimmer von Telmy, weckte ihn und fragte in strengem Tonfall nach, warum dieser vor ein paar Tagen erst so spät nach Hause gekommen war und ob es ein Vorkommnis an diesem Tag gab, das er verschwiegen hatte. Er bat sich absolute Ehrlichkeit aus, obwohl dies im Grunde nicht nötig war, denn Telmy hatte noch nie gelogen. So erfuhr Almeran von dem Ausflug seines Ziehsohnes über die nördliche Gebirgskette hinaus bis an den unteren Rand des Steilhanges der Schattenebene und dem eine Witterung aufnehmenden Wolf. Der Druide zog sofort seine Schlüsse daraus. Sie hatten ihn nicht eher entdeckt! Die Wölfe, oder eher die Werwölfe, wussten schlicht und einfach nichts von Telmys Anwesenheit in Grauenfels im Nebelgrund. Das zufällige Zusammentreffen von ihm mit dem Wolf am Rande der Schattenebene musste aber etwas ausgelöst haben. Der Beweis war das Erscheinen der Wölfe und Werwölfe und deren Toben im Burghof. Aber, was war an seinem Ziehsohn für diese Untiere so gewichtig, dass es dieses Tun begründete?

    Es dauerte einige Tage, ehe der Druide sich in diesem Zusammenhang erinnerte, dass sich die Sehnsucht bestimmter Knaben, an Vollmond hinauf zu den Rotfell-Spitzen zu gehen, mit dem Einsetzen der Mannwerdung verlor. Jetzt wurde es ihm schlagartig klar, bei Telmy musste es gegenteilig sein. Die Wölfe witterten vorher seine Anwesenheit nicht, weil er eben erst in die Phase der Mannwerdung eingetreten war. So, wie sich der Körper des Ziehsohnes in dieser Zeit veränderte, wandelte sich auch sein Körpergeruch. Ein Mann riecht nun einmal nicht mehr wie ein Knabe! Der Wolf musste also etwas aufgenommen haben, was diese nächtliche Heimsuchung für die Untiere unumgänglich machte. Das konnte aber nur etwas Außergewöhnliches sein, was die Wölfe und vor allem die Werwölfe in solch einen noch unerklärlichen Aufruhr versetzte, um in noch nie da gewesener Anzahl hier zu erscheinen und einen offenen Angriff zu wagen. Aus menschlicher Sicht rechtfertigte solch ein Verhalten nur eine ernsthafte Bedrohung. Doch, wie sollte Telmy eine Bedrohung für ein ganzes Rudel von Werwölfen darstellen? Sicher, er verfügte über körperliche Fähigkeiten, die über die eines jeden Menschen oder Elfen hinausgingen. Doch, damit allein würde er sich allenthalben vor einem Werwolf retten, aber ihn doch nicht bedrohen können. Es schien, die Rätsel wurden immer größer, ohne dass eine Auflösung in Sicht kam.
    #180VerfasserJean-Louis19 Mär. 09, 11:33
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    An den nächsten drei Vollmonden wiederholte sich das schauerliche Spiel. Seltsamerweise blies auch immer der scharfe Ostwind schon Tage vorher, jedes Mal fiel sehr viel Schnee. Die Leute von Grauenfels hatten nun endgültig ihre Legende, die sich bewahrheitete. Der Wolfsziegel kündigte jetzt nicht mehr nur schlechtes Wetter an wie früher, sondern auch die Wölfe. Für die Dorfbewohner blieb es aber nur ein Überfall der Wölfe, weil keiner von ihnen das sah, was sich innerhalb der Burgmauern darbot. Almeran hütete sich, auch nur ein Wort von den Werwölfen zu sagen. Stattdessen beobachtete, besser gesagt, studierte er regelrecht die grauenhaften Untiere.

    Ab dem einsetzenden Frühjahr blieben die Überfälle plötzlich aus. Almeran rettete trotz der Belagerung der Burg wieder einem Knaben das Leben, indem er einem Werwolf mit seiner Hippe das seinige nahm. Anscheinend hatten die Werwölfe dadurch Respekt bekommen oder es gab noch einen anderen Grund, warum sie den Sommer über auch am Vollmond nicht erschienen, der ausgesprochen schönes Wetter zu bieten hatte. Der Druide dachte viel nach, kombinierte, verwarf und stellte neue Thesen auf, kam aber keinen Schritt weiter. So wurde es wieder Herbst, dann bald Winter und schließlich heulte der Wolfsziegel erneut in einem schweren Schneesturm vor dem Vollmond. In dieser Nacht waren sie wieder da. Wie aus dem Nichts erschienen sie im Dorf, diesmal aber schon in der Siedlung angriffslustiger, in Schaf- und Hühnerställe eindringend, etliche Schafe und viele Hühner tot beißend. Almeran, der alle seine Beobachtungen notierte, zählte fast wieder ebenso viele rötliche, größere Tiere, wie letzten Winter – eines von ihnen fehlte. Es musste jenes sein, welches er noch im Frühjahr getötet hatte. Sie waren weniger geworden. Waren sie deshalb auch grimmiger geworden? Versuchten die normalen Wölfe gar, Dorfbewohner aus den sicheren Häusern zu locken um den Werwölfen ein Opfer beschaffen zu können, damit man nach einem Biss etwas später ein neues Mitglied holen konnte? In diesem eher milden Winter, 429/430 nach dem Bürgerkrieg, gab es dann zum großen Glück der Bewohner nur noch einmal die bedrohliche Wetterlage und die Einwohner hatten sich durch das warnende Heulen des Wolfsziegels gut auf einen weiteren Überfall vorbereitet. Die Hühner- und Schafställe waren befestigt worden. An Stelle von vermeintlich arglosen Opfern fanden die Wölfe darin bewaffnete Krieger, Jäger und Wehrbauern vor und ließen durch die heftige Gegenwehr reihenweise ihr Leben.

    Der gleichzeitig stattfindende Angriff auf das Zeughaus in der Burg verlief dagegen zunächst wie die vorherigen auch, nur kam es dann zu einem vorzeitigen Abbruch, als die wenigen wachenden Wölfe auf den Mauern das Gemetzel im Dorf erkannten. Almeran hatte in dieser Nacht in derart glühende Augen der Werwölfe gesehen, wie nie zuvor. Wutentbrannt zogen die Ungeheuer ab. Telmy lag, wie sonst auch, in seinem Bett und träumte in diesen Stunden Furchtbares, ohne sich am nächsten Morgen daran zu erinnern.

    Im Sommer des Jahres 430 gab es eine ungewöhnliche Wetterlage im Nebelgrund, die in dieser starken Ausprägung dem Talkessel sicher einst seinen Namen gegeben hatte. Es war tagelang derart neblig, dass man den Tag kaum von der Nacht unterscheiden konnte. In der Nähe des Schleierbaches und erst recht am „Heißen Loch“ sah man die ausgestreckte Hand nur noch als verschwommenen Umriss vor den eigenen Augen. Der Vollmond stand unmittelbar bevor und es geschah in dieser Nacht. Diesmal kamen nur die großen, rötlichen Wölfe – und sie kamen leise, schlichen sich weit um das Dorf herum und näherten sich im Waldstreifen am westlichen Gebirgshang von Norden her der alten Burganlage. Sie lauerten versteckt in dunklen Ecken und in Nischen innerhalb des Burghofes, hofften sicherlich, die Anstrengung des ungewöhnlichen Angriffes würde Erfolg haben. Doch welchen Erfolg, fragte sich Almeran?
    #181VerfasserJean-Louis19 Mär. 09, 11:43
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    Der Druide war nämlich auf der Hut und ließ sich nicht überraschen. So oft, wie er schon seine Aufzeichnungen und jedes Stück Pergament zur Geschichte des Nebelgrundes und von Grauenfels durchgegangen war, fand er darin jede noch so kleine Auffälligkeit und mancher scheinbare Zufall bekam plötzlich eine grauenhafte, aber sinnvolle Einordnung. Seine frühere Meinung, dass das Verschwinden von Dorfbewohnern und vor allem Kindern außerhalb der Winterzeit auf wilde Tiere im Talkessel schließen ließ, war nur bedingt richtig, wie er aus den Zusammenhängen entnehmen konnte. Sicher gab es über viele Jahrzehnte gesehen seltene Todesfälle auch an den schönsten Sommertagen, die tatsächlich auf Raubtiere wie Bären zurückzuführen waren. Die Häufung aber an sehr schlechten, vor allem sehr nebligen Tagen, im Winter wie im Sommer und wieder hauptsächlich am Vollmond, bestätigte aber auch das Wirken der Werwölfe über das ganze Jahr hinweg. Mädchen verschwanden spurlos und Knaben, die auf diese unselige Wanderschaft zu den Rotfell-Spitzen gingen, wurden ohne Schutz grausam getötet. Das war Almeran mehr als bekannt, doch neu war für ihn die Erkenntnis, dass an den wenigen Vollmonden, an denen offenes, klares Wetter herrschte und es entsprechend hell war, nichts dergleichen geschah. Warum war das so? Warum schlichen die Werwölfe das ganze Jahr über nur in den sehr schlechten, nebligen Zeiten, nie aber bei schönem Wetter, umher? Auch die Belagerung der Wehrburg fand seit Telmys Mannwerdung nur an Vollmonden mit schlechtem Wetter statt. Es musste auch dafür einen Grund geben.

    Während Almeran diese vielen Überlegungen anstellte, die er etwas später niederschrieb, hatte er die herankommenden Werwölfe längst bemerkt, da er durch seine neue Erkenntnis nicht mehr nur an Vollmonden in der Winterzeit sehr viel wachsamer sein musste, sondern zukünftig in allen Vollmondnächten, die eine schlechte, die Werwölfe begünstigende Wetterlage verzeichneten, also auch in dieser Nacht. Für den Druiden war dadurch aber auch die Entscheidung einfacher geworden, in allen in Frage kommenden Vollmondnächten, in denen er zunächst auf weggehen wollende Knaben achten musste, sich entweder auf den Weg zum Schutze eines Kindes zu machen oder in der Burg zu bleiben. Mit den Zählungen der Werwölfe war für ihn nämlich deutlich geworden, dass sich stets alle diese Untiere in der Burg versammelten, wenn sie sie belagern wollten. Daher konnte ein Knabe in so einer Nacht unbehelligt in das Gebirge gehen, wo man ihn alsbald bei der Suche einholte und gesund zurück brachte. Umgekehrt war Almeran ohne eine Belagerung beim Hippenrain rechtzeitig zur Stelle, um einen wandernden Knaben zu beschützen. Dieses Verhalten bewies aber auch, dass Telmy den Untieren wichtiger war als das Töten eines Knaben. Das Lauern der Werwölfe dauerte noch nicht lange, da öffnete sich die Tür zum Zeughaus und Almeran trat hinaus, blieb kurz stehen, ging nur einen Schritt nach links, dann wieder nach rechts und wurde von einem mächtigen Schatten niedergerissen. Dass grauenvolle Gebiss zerfetzte in einem Augenblick den Kopf mitsamt dem Hut – der Puppe. Im nächsten Moment zischte eine scharfe Klinge durch die Luft, der Kopf des Werwolfes rollte über den Hof und der sterbende Rumpf fiel klatschend auf das uralte Pflaster. Die Tür zum Zeughaus schloss sich wieder. Der Druide stand dahinter und rieb sich freudig die Hände. Am Morgen wollte er den Kadaver untersuchen.

    In der Frühe vertrieb die Sonne ziemlich rasch den Nebel und Almeran trat neugierig aus dem Haus. Er sah sich nach dem toten Werwolf um und erschrak bis in die Knochen. Mit zitternden Gliedern näherte er sich dem Körper. Er sah den Rumpf einer jungen Frau vor sich. Sie war nackt und sehr schmutzig, vielleicht gerade einmal 20 Menschenjahre alt. Der Kopf fehlte, lag sauber abgetrennt nur etwa 8 Schritte weiter entfernt. Der Druide ging hin, hockte sich nieder und drehte das Gesicht so, dass er es sehen konnte. Ein Stich fuhr ihm ins Herz. Er erkannte sofort das kleine Mädchen darin, welches er vor fast 180 Jahren mehrere Wochen lang gepflegt hatte, bevor es seine Eltern umbrachte und zu den Werwölfen verschwand. Er musste sich setzten und blickte in die starren, wasserblauen Augen. Sie war gealtert, aber sehr langsam – Werwölfe altern also! Und sie nehmen nach ihrem Tod ihre ursprüngliche Gestalt wieder an, dachte er einen Augenblick lang. Nein, das konnte so nicht richtig sein, denn all die Werwölfe, die er am Hippenrain niedergemäht hatte, waren in ihrem Wolfskörper geblieben. Almeran rieb sich die Stirn und bedauerte das tote Mädchen sehr, sah sich zugleich einer neuen Frage ohne Antwort gegenüber.
    #182VerfasserJean-Louis19 Mär. 09, 11:57
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    Während er seinen Überlegungen nachhing, ließ ihn ein leises Weinen hinter sich blicken. Telmy saß im Schmutz des Pflasters und hielt den Mädchenkörper fast zärtlich an seine Brust gedrückt. Unaufhörlich rollten Tränen über seine Wangen und er schluchzte immer wieder heftig. Mit erstickender Stimme sagte er:
    „Ich habe sie heute Nacht im Traum gesehen, habe sie unter Wölfen leben und ihren Tod heute Nacht gesehen. Ihr habt sie erlöst, Vater Almeran.“ Nachdem noch am Vormittag die sterblichen Überreste der jungen Frau begraben waren, kümmerte sich der Druide um seinen traurigen Ziehsohn und betrank sich am folgenden Abend zum zweiten Mal in seinem Leben. Von diesem Tag an hatte Telmy dann auch noch Tagträume und konnte manchmal davon etwas wiedergeben, auch von seinen Albträumen vor einem Vollmond. Da aber immer alles schon geschehen war, wenn er berichtete, konnte Almeran es nur aufschreiben und später studieren, um daraus weitere Schlüsse ziehen zu können, wie er hoffte. Es gab da allerdings eine Ausnahme. Immer öfter erzählte Telmy von einer Elfe, die er im Traum gesehen hatte, deren Gesicht er aber nicht richtig erkennen konnte. Almeran nahm auch diesen Traumbericht ernst, konnte ihn aber nicht mit den anderen, schrecklichen Albträumen in Verbindung bringen und einordnen. Auch deshalb nahm er Telmy aus der Schule, um ihn noch besser behüten zu können und verpflichtete zudem die besten Kämpfer im Dorf, den Jungen im Schwertkampf zu unterrichten. So sollte er wenigstens einen zusätzlichen Schutz durch den Umgang mit einer Waffe erhalten.

    Es mussten weitere 28 Jahre vergehen, ehe mehr Licht ins Dunkel kam. In diesen einfach so dahin rinnenden Jahren kam es nicht zu besonders erwähnenswerten, zusätzlichen Vorfällen. Gekennzeichnet war diese Zeit durch die sich immer wieder gleichartig wiederholenden Abläufe, fast schon beständig und vorhersehbar. Almeran rettete Knaben, Werwölfe starben durch seine Hippe. Mädchen verschwanden, Knaben wurden leider doch getötet. Wölfe kamen, kämpften manchmal gegen die Dorfbewohner und die Werwölfe wollten hartnäckig immer wieder ins Zeughaus eindringen oder lauerten auf ihren Moment, ohne einen Erfolg verbuchen zu können.

    Adlergebirge, Sommer 458 nach dem Bürgerkrieg

    Im entsprechenden Alter von 15 Menschenjahren entdeckte Telmy in diesem Jahr etwas bis dahin völlig Neues – das andere Geschlecht. Umgekehrt geschah es allerdings genauso. So wurde er immer öfter in der Begleitung mehrerer ungefähr gleichaltriger Mädchen im Dorf gesehen, wenn er dort zu tun hatte oder seine Langeweile vertreiben wollte und dies nicht mehr, wie all die vorausgegangenen Jahre, allein tun wollte. Almeran beunruhigte dieser Umstand, vor allem weil der Halbelfe immer mehr Zeit im Dorf unter den Mädchen verbrachte, was aber der männlichen Dorfjugend gar nicht passen wollte. Man glaubt es kaum, aber im Verlauf des Sommers kam es sogar zu handfesten Auseinandersetzungen unter den Mädchen, weil sie sich seine Anwesenheit gegenseitig nicht mehr gönnen mochten – die Eifersucht regierte plötzlich unter der weiblichen Dorfjugend. Telmy war zu einem makellos gut aussehenden, für junge Frauen sehr anziehenden Jüngling geworden, gegen den kein anderer Bursche im Dorf bestehen konnte – in den körperlichen Fähigkeiten schon seit je her nicht, nun auch nicht im Aussehen und der Wirkung auf das andere Geschlecht. Das war fast schon verhängnisvoll, weil er dadurch gerade jetzt, wo es den Halbelfen stark in die Dorfgemeinschaft zog, aus dieser hart ausgestoßen, manchmal sogar von wutentbrannten Burschen vertrieben und verfolgt wurde, da die Mädchen nur noch Augen für ihn hatten, sobald er auftauchte. Almeran hielt es daher für das Beste, Telmy schnellstens einen Beruf erlernen zu lassen, der ihn Tag für Tag körperlich stark fordern würde. So war er tagsüber beschäftigt und abends zu müde, um noch Schwierigkeiten mit den Dorfschönheiten heraufbeschwören zu können.
    #183VerfasserJean-Louis24 Mär. 09, 12:09
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    Nun war die Zeit gekommen, dass die Familie des Schmiedes die Gefälligkeit zurückgab, die der Druide dem Vater des jetzigen Schmiedemeisters vor 30 Jahren erwiesen hatte, als er den damals ungeliebten Halbelfen ganz bei sich aufnahm. Die neuerlichen Vorbehalte der Schmiedefamilie verschwanden aber rasch, da die außerordentliche Körperkraft des Jünglings eine Arbeitsleistung ermöglichte, die der von zwei, manchmal auch drei Gesellen entsprach. Auch in der Geschicklichkeit und der Auffassungsgabe war Telmy anderen in nichts nachstehend, ganz im Gegenteil. So kam er gut voran und erlernte in den folgenden 50 Jahren nicht weniger als drei verschiedene Richtungen der Schmiedekunst. Mit einem entsprechenden Alter von 20 Menschenjahren schloss er die Lehren nicht nur ab, sonder erwarb sich in allen drei Richtungen die Titel des Jungmeisters gleich mit. Belastend blieben aber die Probleme mit dem weiblichen Geschlecht trotzdem, da sich an ihnen nichts Wesentliches änderte. So hatte der Halbelfe immer wieder mit erzürnten, weil eifersüchtigen Menschenjünglingen zu tun, ohne wirklich selber etwas dafür zu können. Jahr für Jahr stand er weiterhin im Mittelpunkt des Interesses von heiratswilligen jungen Frauen und inzwischen schon so mancher erwachsenen Frau, die ihn gern in ihrem Bett gesehen hätte. Nur der Beharrlichkeit des Druiden, der besonders auf heikle Situationen in dieser Hinsicht ein Auge hatte und nicht davor zurückschreckte, losen Frauenzimmern ins Gewissen zu reden oder gar mal einem ahnungslosen Ehemann einen Hinweis zu geben, womit sich die scheinbar treue Ehefrau denn einsame Stunden zu verschönern hoffte, war es zu verdanken, dass es zu keinen ernsthaften Verstimmungen innerhalb der Dorfgemeinschaft kam. Auch Telmy verstand es inzwischen, sich Annährungsversuchen auf charmante Art und Weise zu entziehen und missverständliche Situationen möglichst zu vermeiden.

    In all diesen Jahren änderte sich am täglichen Ablauf der Dinge im Nebelgrund und in Grauenfels wiederum kaum etwas. Die Wölfe kamen im Winter wie eh und je bei entsprechendem Wetter, die Werwölfe trieben ihr Unwesen, manchmal verschwanden Kinder, vor allem jene Art „besonderer“ Knaben. Selten dagegen verschwand ein Erwachsener, noch seltener kam die Heimsuchung außerhalb der Winterzeit über das Dorf. Almeran „erntete“ mit seiner Hippe, die Leute jagten immer wieder Wölfe, meist ohne Ergebnis.


    Es war totenstill im Zimmer und Halica las mit großem Staunen Almerans Aufzeichnungen. Nun wusste sie es, las es schwarz auf weiß, dass es kein Zufall und daher von der Hexe Auinaya so vorherbestimmt war, dass sie beide sich gefunden hatten. Er hatte schon damals von ihr geträumt und auch seine von Vater Almeran beschriebenen Veränderungen konnte sie sich erklären. Die Seele Arwins hatte bestimmt mit dem Zurückdrängen der elfischen Merkmale zu tun. Doch mit der Mannwerdung erwachte das Blutelfenerbe in ihm, welches sie mit allem, was sie tun konnte, bekämpfen würde. Immer wieder hatte sie beim Lesen Telmys Hand aufmunternd gestreichelt und war entsetzt darüber, wie einsam er aufgewachsen war. Als sie den Absatz über die weiblichen Dorfbewohner und ihre Schwäche für ihn las, konnte sie diese Mädchen gut verstehen, wurde aber trotzdem kurz von Eifersucht gepackt. Besitz ergreifend küsste sie ihn schließlich, bevor sie schmunzelnd zu ihm sprach.
    „Na, diese Frauen sollten jetzt aber kein Problem mehr darstellen. Käme dir eines dieser wollüstigen Weibsbilder zu nahe, sie bekäme meine Dolche zu spüren.“ Leise lachend wandte sie sich wieder den Aufzeichnungen zu.

    So wie Halica las auch er gebannt die Worte, welche der Großvater geschrieben hatte. Es war sehr still in der Stube geworden, nur manchmal ein Seufzer, ein Murmeln. Er kam sich vor, als würde er die Lebensgeschichte eines anderen lesen, obwohl im jede Einzelheit, an die er sich erinnern konnte, natürlich bestens bekannt war. Ihre Hände fanden sich immer wieder und für Telmy völlig überraschend gab ihm Halica am Ende dieses Blattes einen Kuss. Bei ihren Worten nickte er heftig und meinte:
    „Du meine Güte, ich hätte das nie gedacht, welche Wirkung ich auf Mädchen habe… äh, hatte. Manches hatte ich auch schon wieder vergessen, weil es mir doch sehr unangenehm war.“ Er legte seine Hand wieder auf ihre und drückte sie zärtlich, während er umblätterte.
    #184VerfasserJean-Louis24 Mär. 09, 14:44
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    Adlergebirge, Sommer 508 nach dem Bürgerkrieg

    In den vergangenen Jahrzehnten trat fast schon eine Gewöhnung an die Vorfälle mit den Wölfen bei der Dorfbevölkerung ein. Selbst die schlimm erscheinenden Überfälle durch die Werwölfe gehörten für Almeran inzwischen fast zum täglichen Leben. Er hatte natürlich nicht aufgehört, die Vorkommnisse aufzuschreiben und seine Studien und Überlegungen wieder aufgenommen. Über die vielen Jahre verfügte er jetzt über Aufzeichnungen, die ihn über alle merkwürdigen Ereignisse in diesem Teil des Adlergebirges bestens ins Bild setzten. Noch fehlten dem Druiden aber handfeste Beweise, um weitere Vermutungen in sicheres Wissen überführen zu können. Bis es eines Tages zu einem Zwischenfall kam, der ihn nun dazu veranlasste, endlich den Dingen wirklich auf den Grund zu gehen. Am ersten Vollmond dieses Jahres im Winter wollte sich wieder ein Knabe auf die Wanderschaft zu den Rotfell-Spitzen machen und der Druide rettete ihn, indem er beim Hippenrain einen angreifenden Werwolf tötete. Zufällig wagten sich zwei der Fallenstellerei nachgehenden Dorfbewohner am nächsten Morgen genau an diese Stelle und fanden einen geköpften Frauenkörper. Die sterblichen Überreste wurden ins Dorf gebracht, aber niemand kannte diese Frau, die vielleicht um die 40 Menschenjahre alt gewesen sein mochte.

    Almeran erinnerte sich sofort an das von ihm im Burghof vor vielen Jahren in Gestalt eines Werwolfes getötete Mädchen, das damals die Puppe angriff und welches er dann rasch begrub, damit im Dorf niemand etwas erfuhr. Nun gab es zum zweiten Mal eine Rückverwandlung im Tode, während alle anderen rötlichen Wölfe ihre große Wolfsgestalt behalten hatten, die von Almeran zwischenzeitlich getötet wurden. Die Dorfgemeinschaft erwartete nun Erklärungen, wieso da eine auf diese Art zu Tode gekommene Frau am Hippenrain lag und was das mit den Wölfen zu tun hatte. Almeran forderte nun die Familie des in der letzten Nacht geretteten Jungen auf, darüber öffentlich zu berichten. Anschließend erklärte er, dass er derjenige war, der seit Entstehung der Gerüchte um den „Hippenrain“ dort jene großen, rötlichen Wölfe erlegte, welche die immer wieder ausreißenden Knaben angreifen und töten wollten. Dies wurde auch noch von weiteren Familien bestätigt, deren Knaben ebenfalls durch den Druiden gerettet worden waren. Abermals predigte er den Dorfbewohnern, dass diese großen Wölfe nicht normal seien, sondern Werwölfe. Er erzählte die Geschichte von dem umgewandelten Mädchen, die inzwischen fast schon zu einer halb vergessenen Sage geworden war und versicherte den verstörten Einwohnern, dass es sich bei dieser unbekannten Frau um nichts anders handeln konnte, als auch um einen zum Werwolf umgewandelten Menschen. Aber, wieso sich nicht alle getöteten Werwölfe zurückverwandeln würden, konnte er auch nur vermuten. Er sah eine Erklärungsmöglichkeit nur darin, dass es anscheinend zwei Arten von Werwölfen gab. Verwandelte Menschen, die sich im Tode zurück verwandelten und andere Werwölfe, vielleicht die Nachkommen von ihnen selbst, die sich im Tode dann zu nichts zurückverwandeln konnten, weil sie ja stets nur Werwölfe waren und daher keine andere Gestalt besaßen. Mehr mochte er aber nicht dazu sagen, war das schon für manchen Einwohner zu viel an Grauenhaftem. Dem sofortigem Verbrennen des Leichnams stimmte man zu und war damit zufrieden, dass der Druide weitere Nachforschungen dazu auch außerhalb des Adlergebirges anzustellen versprach.
    #185VerfasserJean-Louis24 Mär. 09, 15:51
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    Almeran hatte sich vor den Dorfbewohnern bereit erklärt, sein eigenes Wissen um das, was in den Bibliotheken oder Archiven der nächsten, größeren Städte des nordöstlichen Gebietes, in dem es nach Überlieferungen schon immer die Plage der Werwölfe gegeben hatte, darüber zu finden sei, zu erweitern und dann dem Dorfrat seine Erkenntnisse vorzutragen. Da es aber eine größere Reise werden sollte, bereitete er sich sorgfältig vor und für Telmy war rasch gesorgt. Dem scharfen Ritt auf einem Pferderücken fühlte er sich nicht mehr gewachsen, war er doch schon fortgeschritten im Alter. Deshalb bat er den Müller, ihm seinen Einspänner mitsamt Pferd auszuleihen und für ein kleines Säckchen voller Goldstücke war man sich auch schnell einig. Nachdem der Druide alles bereitgestellt hatte, lud er am sehr frühen Morgen des zweiten Tages nach Vollmond seine wenigen Gepäckstücke in die kleine Kutsche, verabschiedete sich von Telmy mit ermahnenden Worten und fuhr in der aufgehenden Sonne hinauf zum Pass, der nach Süden aus dem Nebelgrund hinausführte. Zunächst ein Stück nach Süden reisend, dann nach Osten abbiegend und im Städtchen Drakona übernachtend, erreichte Almeran ohne irgendwelche Schwierigkeiten am Abend des dritten Reisetages die Stadt Collonias Varis und nahm sich dort ebenfalls ein Zimmer in der Taverne. Den Abend genoss er unter friedliebenden Bewohnern, die sich angeregt mit ihm über allgemeine Dinge, vor allem Glaubensfragen, unterhielten. Gestärkt fand er eine ausgezeichnete Nachtruhe und war nach einem köstlichen Frühstück der erste Besucher in der dortigen Bibliothek, wo er sogleich nach Schriften zu Werwölfen suchte. Zuerst fand er ein Pergament in einer Mappe, in dem die vermutete Entstehung dieser Untiere beschrieben wurde.

    Es hieß: „Zur Herkunft des wolfsähnlichen Lykantropen“. Darin stand: „Einst lebte in einem nordischen Land ein König namens Lykaon. Er war ein größenwahnsinniger Tyran, der noch nicht einmal Respekt vor den Göttern hatte. Der zu dieser Zeit höchste Gott ging daher zu ihm, um ihn zur Rede zu stellen. Doch Lykaon machte sich lustig über den Göttervater und wollte den Beweis seiner Gottheit, indem er ihn hinrichten durfte. Sollte er es überleben, so würde ihm geglaubt werden, dass er der Göttervater sei. Der höchste Gott willigte ein, um zu beweisen, wer er sei. Der König lud den Gott aber vorher zu einer Henkersmahlzeit ein und dachte sich ein grausames Verbrechen dafür aus. Eigenhändig brachte er seinen siebenjährigen Sohn um und bereitete ihn als Mahlzeit für den Gott vor. Nachdem Lykaon das Essen servieren ließ, entdeckte der Göttervater, woraus der Braten bereitet war und sprach donnernd seine Strafe über Lykaon: „Unmensch, mit Recht nennst du dich selbst einen Wolf und das wirst du auch fortan sein. Ein Wolf unter Wölfen. Das soll deine Strafe sein, dir auferlegt vom Göttervater, den zu missachten du dich erdreistet hast. Der Tod wäre eine zu geringe Strafe für dich!“ Mit diesen Worten verwandelte sich Lykaon zu einem bösartigen Wolf und musste umherziehen, um seinen Blutdurst zu stillen“.
    Diese Sage über die generelle Entstehung der Werwölfe kannte Almeran bereits. Auch wusste er, dass mit dem Begriff „Lykantropen“ eigentlich die Sammelbezeichnung für eine Gruppe von Gestaltwandlern gemeint war. Nur, was es da noch geben sollte an Geschöpfen der Nacht, war ihm nicht bekannt.
    #186VerfasserJean-Louis24 Mär. 09, 16:14
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    In derselben Mappe lag ein weiteres Blatt. Es war von einem gewissen Joseph Claudius Rougemont vor 800 Jahren verfasst worden, seines Zeichens Tierheiler und beschrieb in groben Zügen die Verwandlung eines Menschen in einen Werwolf, der von einem solchen gebissen worden war, was dieser Mann damals anscheinend jedoch nicht wusste. Das Pergament hatte den Titel: Hundswuth.
    „Das Unheil beginnt mit dem Biss eines Wolfes. Geraume Zeit später zeigen sich an dem Opfer die ersten Symptome. Die Unglücklichen scheuen plötzlich das Tageslicht ebenso wie die Wasseraufnahme und fangen bei Vollmond an, wie in Raserei um sich zu schlagen, zu beißen und zu treten. In ihrem eigentümlich starren Gesicht ziehen sich die Lippen zurück und lassen Zunge und Zähne weit hervortreten, Geifer und Schaum quellen aus dem Mund und von der gequälten Kreatur sind schreckliche, kehlige Laute zu vernehmen. Dann beginnt sehr schnell eine Verwandlung, wie sie schlimmer nicht sein kann. Die Vorgänge sind derart schauerlich, dass eine Beschreibung unmöglich scheint. Jedenfalls hat man es am Ende mit einer großen, wolfsähnlichen Bestie zu tun, die gleich in Stücke gehackt und schnellstmöglich verbrannt werden muss.“

    Beides half Almeran nur wenig weiter. So suchte er eifrig nach anderen Unterlagen und fand im angrenzenden Stadtarchiv sehr alte Protokolle von beeideten Aussagen über Menschen, die zu Werwölfen geworden sein sollen. Es waren sechs Stück in nummerierter Reihenfolge mit weit zurück liegenden Datumsangaben, welche die aufgeschriebenen Ereignisse viele hundert Jahre in die Zeit vor den Bürgerkriegen zurück verlegten, als über dem ganzen Land noch ein finsterer Aberglaube herrschte. Die Inhalte waren daher nicht ohne Zweifel zu lesen.

    1. Erklärung an Eides statt, gezeichnet von Baron Vincent zu Rauhenstein, in Rauhenstein.
    „Ich befand mich vor drei Tagen am Abend des Vollmondes auf der Jagd im nordwestlichen Kiefernwald, als ich wie aus heiterem Himmel heraus von einem Wolf angefallen wurde. Ich konnte dem ersten Angriff entgehen, da ich mich sofort zu Boden warf und das Tier über mich hinweg sprang. Im folgenden Kampf hieb ich ihm eine Pfote ab und steckte sie als Andenken und Beweis in meinen Rucksack, nachdem das doch große Tier geflohen war. Auf dem Rückweg machte ich bei meinem Nachbarn, dem Müller der Kornmühle, Rast und holte die Trophäe aus dem Rucksack. Es war aber jetzt eindeutig eine Frauenhand, sogar mit einem goldenen Ring an einem Finger, den mein Nachbar sofort als den seiner Ehefrau erkannte. Er eilte sogleich hinauf ins Schlafgemach seiner Frau und fand sie, wie sie gerade versuchte, den blutigen Stumpf ihrer rechten Hand zu verbinden. Ich weiß das, weil ich ihm nachging, nachdem er nicht zurückkam. Für mich ist die Frau des Müllers ein Werwolf und muss unschädlich gemacht werden. Auch sollte der Müller selbst einem peinlichen Verhör unterzogen werden, um sicher zu gehen, dass er nicht ebenfalls befallen ist.“

    2. Erklärung an Eides statt, gezeichnet vom Bürgerrat des Dorfes Borles.
    „Wir, die Mitglieder des Bürgerrates des Dorfes Borles, gaben unsere Einwilligung zu der Jagd auf einen mutmaßlichen Werwolf, nachdem man viele Kinder tot und teilweise aufgefressen in den Waldrändern um das Stadtgebiet herum gefunden hatte. Nach mehreren Hinweisen, die sehr wohl geprüft und für glaubwürdig befunden worden waren, jagte man Hilbertus Somar, einen Einsiedler. Zwei Monate vergingen ohne jedes Ergebnis. Dann hörten die Dorfbewohner im nördlichen Teil am Vollmondabend Schreie eines Kindes und das Knurren eines Wolfes. Sie fanden ein schwer verletztes Mädchen am Waldrand und sahen einen großen, rötlichen Wolf davoneilen. Sechs Tage danach verschwand ein 10 Jahre alter Junge beim Beerenlesen im gleichen Waldstück. Die jetzt verständlicherweise sehr aufgebrachten Dorfbewohner überfielen die Hütte des Einsiedlers und warfen ihn und seine Frau ins Gefängnis. Somar legte daraufhin zwei Geständnisse ab, schwieg aber zu weiteren Anschuldigungen. Er wurde deswegen im März des folgenden Jahres lebendig verbrannt. Seine Frau musste frei gelassen werden und verschwand sofort. Es wird vermutete, sie sei ein weiblicher Werwolf gewesen, weil sie sonst nicht mit Somar hätte zusammenleben können.“
    #187VerfasserJean-Louis25 Mär. 09, 12:49
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    3. Erklärung an Eides statt, gezeichnet vom Gendarm der kleinen Stadt Balgers.
    „Am zweiten Tag dieser Woche erschienen bei mir fünf Jäger in der Frühe des Tages. Sie hatten einen Woche lange die Wälder um die Stadt Balgers durchstreift und schon auf dem Weg zurück in die Stadt die zerrissene Leiche eines Jungen gefunden. Da sie noch Geräusche im Unterholz hörten, näherten sie sich vorsichtig dem Körper und sahen dabei noch zwei Wölfe im Dickicht verschwinden. Die Jäger folgten ihnen unerschrocken, aber sie fanden keinen Wolf, sondern einen hageren, großen Mann mit verwahrloster Kleidung, verwilderten Haaren und klauenartigen Fingernägeln, zwischen denen Fleischfetzen hingen. Der Mann war ein Landstreicher namens Ronaldo Sengat und man stellte ihn kurze Zeit später in Balgers vor Gericht. Dort wurde geprüft, ob er, wie er selber sagte, ein Werwolf oder schlicht ein Geisteskranker sei. Man sperrte ihn viele Jahre ein um ihn beobachten zu können. Es ergaben sich aber keine Besonderheiten. Man ließ in schwerkrank frei und er verstarb noch im selben Jahr.“

    4. Erklärung an Eides statt, gezeichnet vom Wanderpriester Johann Miller.
    „Im Frühsommer dieses Jahres suchte ich die Kalkberge nördlich von Schwarzberg auf, um den dort verstreut in Hütten lebenden Arbeitern der Kalkgruben den Glauben zu stärken und einen Gottesdienst auszurichten. Ich traf auf einige verängstigte Familien und konnte den Grund ihrer Angst nach mehreren Gesprächen herausfinden. Einhellig wurde ein gewisser Paul Andillus beschuldigt, mit finsteren Mächten in Verbindung zu stehen. Er war ein einfacher Landarbeiter niedrigen Verstandes, der in den Kalkbergen in flüchtig aufgebauten Lagern mal hier, mal dort lebte. Anders, als die ansonsten meistens durch Hunger abgemagerte Bevölkerung dieser sehr ärmlichen Gegend schien es ihm aber gut zu gehen, sah er doch bestens genährt aus, war aber furchtbar dreckig, zerlumpt und verlaust, als ich ihn aufsuchte. Ich wollte den Anschuldigungen nachgehen, dass dieser Mann mit Hexen zu tun haben sollte und gar an einem Hexentanz in Wolfsform teilnahm. Ich fand ihn in seinem Lager bei einem derart hässlichen Weibe liegend, dass ich die Götter sogleich um Beistand bitten musste, denn so konnte nur eine leibhaftige Hexe aussehen. Sie verkroch sich sofort und Andillus fing an, wütend zu werden. Ich machte mich schnellstens davon und konnte noch einen schwarzen Vogel wegfliegen sehen. Am nächsten Tag kam ich mit mutigen Männern, fand aber nur noch ein leeres, ausgeräumtes Lager vor. Seltsam war, dass im über Nacht durch einen Regenschauer aufgeweichten Boden am Lagerplatz hauptsächlich nur Wolfsspuren zu finden waren. Der Mann ist mir kein zweites Mal untergekommen.“

    5. Erklärung an Eides statt, gezeichnet von Landvogt Jester Baltur anlässlich einer Gerichtsverhandlung in Collonias Varis.
    „Über einen Zeitraum von zwanzig Jahren verschwanden im Gemeindewald bei den nördlichen Sümpfen knapp fünf Dutzend Kinder, ohne dass man eine glaubhafte Erklärung dafür fand. Am Ende des Frühlings kam ein bis dahin unbekannter Junge in die Siedlung und redete wirr und durcheinander. Es war der 14 Jahre alte Schafshirte Noah Raiszek aus einem Dorf hinter den nördlichen Sümpfen. Er sagte vor dem Gendarm, dass ein großer Hund ihn durch die Wälder um den Sumpf geführt hatte und gab freimütig zu, 50 Kinder ermordet zu haben. Der Hund habe ihn auch dem „Lord des Waldes“ vorgestellt, der ihm eine Salbe und ein Wolfsfell gab. Das ganze soll sich allerdings vor mehr als zwanzig Jahren abgespielt haben und seither konnte er nach einer Einsalbung wie ein lebendiger Wolf unter dem übergeworfenen Fell sein Unwesen treiben. Nun war die Salbe aufgebraucht und er wollte wissen, wie er wieder zum „Lord des Waldes“ finden könnte. Es gab daraufhin eine Untersuchung und ein Gericht trat zusammen. Mit dem Wiederholen seiner Geschichte brachte er den Gerichtssaal aber nur zum Lachen. Das Gericht bescheinigte ihm einen sehr niedrigen Geist und schickte ihn in eine Betstätte, wo er völlig stumpfsinnig wurde und noch heute lebt.“
    #188VerfasserJean-Louis25 Mär. 09, 12:59
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    6. Erklärung an Eides statt, gezeichnet von Lycantropenjäger Simplicus Hart zu Gerding.
    „Ich wurde nach Gerding gerufen und erfuhr von folgenden Vorkommnissen, welche mir der Dorfrat mitteilte. Seit drei Jahren sollte sich dort eine Bestie herumtreiben. Die meisten der friedliebenden Einwohner des Dorfes Gerding waren Bauern und Schafshirten und schon über drei Jahre sollte sie die Bestie in Angst und Schrecken versetzt haben. Das erste Opfer war ein 14jähriges Mädchen, das grausam entstellt wurde. Der Dorfälteste war der Meinung, dass es sich um einen besonders großen Wolf handelte, der das Mädchen angefallen hatte. Die Bestie griff nur die Schwächsten an - Frauen, Kinder und alte Männer, die ihre Herde alleine auf die Weide trieben. Die Menschen schlossen sich in ihren Häusern ein und vermieden es, allein das Vieh zu hüten oder in den Wald zu gehen. Im nächsten Jahr wurde dann ein Wolfsjäger in die Gegend geholt, doch die Bestie war klug und kannte sich sehr gut aus. Sie versteckte sich in Schluchten und schüttelte die Verfolger immer wieder im Dickicht des Waldes ab. Auf der wilden Flucht vor ihren Häschern zerfetzte sie alle, die sich ihr in den Weg stellten. Nun wusste man, dass es ein besonders großer Wolf war und hatte nach den Treibjagden tatsächlich eine Zeit lang Ruhe. Als wieder ein Jahr später der große Jahrmarkt stattfand, hielt man die Bestie bereits für tot, bis sich am Dorfesrand die Leiche einer Frau fand, deren Kehle durchbissen worden war. Der Priester sprach vom „Boten der Dämonen“, der die Menschen für ihre Sünden bestrafte. Im Herbst hielt das Morden an, im Winter jedoch verschwanden weniger Menschen und man dachte, die Bestie sei umgekommen. Das Morden ging aber im Frühling erneut los, schlimmer denn je. Nun rief man mich, da bereits der Gedanke an einen Werwolf aufgekommen war. Ich nahm die Spur auf und verfolgte die Bestie fast zwei Jahre lang, konnte sie vor mir hertreiben und verhindern, dass sie nach Gerding zurückkam. Vor einer Woche stellte ich sie in einer Höhle und konnte sie mittels geweihter Silberwaffen töten. Das Fell, welches ich hier bringe, ist der Beweis.“

    Es gab zwar nun einige Übereinstimmungen zu seinen eigenen Aufzeichnungen, aber leider keine weiteren Dokumente dieses Inhaltes. Viele Beobachtungen, ähnlich den geschilderten, hatte er selbst dokumentiert, doch Erklärungen fand er hier nicht. Almeran verlor daher keine Zeit und reiste kurzerhand weiter in östliche Richtung. Er gelangte nach weiteren zwei Tagen in die Stadt Ilkos-Kolis, der nach seiner Kenntnis so weit im Nordosten gelegenen Stadt wie keine andere. Wenn es dort, wo dahinter nur die reine Wildnis sich ausbreitete, in der sich allerhand Sagen und Legenden über Lykantropen abgespielt haben sollen, auch keine erhellenden Hinweise gab, dann wohl nirgends. Der Druide durchsuchte nun das Archiv des Ratsgebäudes von Ilkos-Kolis. Er fand sogleich wesentlich mehr Schriften und Dokumente als in Collonias Varis, aber nichts, was ihm zusätzliche Informationen gab. Natürlich hatte er auch unter dem Stichwort „Blutelfen“ in beiden Städten gesucht und nur wenig Ähnliches gefunden. Da waren zwar Berichte zu „Blut saugenden Nachtwesen“ nieder geschrieben, die aber nie zu mehr als nur ein paar Überstimmungen mit den Eigenschaften von Telmy führten. Almeran verglich seine kleine Liste immer wieder mit Angaben in den Pergamenten. Er hatte notiert: Sehr schnelles Bewegen, körperliche Stärke, Schönheit, blasse und kühle Haut, Augen mit wechselnden Farben. Es wollte aber nichts passen, vor allem nicht, weil weitere in den Aufzeichnungen als wichtig angesehene Merkmale, wie Bluttrinker, erträgt kein Sonnenlicht, nahezu unsterblich und Feind des Werwolfes, sich gar nicht zuordnen ließen.
    #189VerfasserJean-Louis25 Mär. 09, 13:07
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    Die letzte Angabe „Feind des Werwolfes“ hingegen brachte den Druiden aber zum Nachdenken. Was wäre, wenn die Wölfe und Werwölfe in seinem Fall nicht etwas holen wollten, was ihnen zu gehören schien, sondern kamen, um etwas zu bekämpfen, was sie als ihren Feind betrachteten? Vielleicht deswegen so massiv, um den „Feind“ nicht erst erstarken zu lassen, sondern, um ihn zu töten, solange er noch jung und unerfahren war? Konnte Telmy ein „Feind“ von Werwölfen sein? Waren seine Fähigkeiten darauf ausgerichtet, den Kampf mit so einem Ungeheuer zu überstehen? Aber warum sollte er überhaupt diesen Kampf wagen – er schien doch zum größten Teil ein Mensch zu sein, mit nur etwas Elfenblut. Auch waren diese Feinde der Werwölfe allesamt nur nachts umher schleichende, Blut trinkende Elfenabkömmlinge, wie er da las. Sein Ziehsohn aber lebte – am Tage – in der Sonne. Kaum war der Druide einer Erklärung nahe, taten sich neue Fragen auf. Gab es tatsächlich keine Antworten? Es war zum Haareraufen.

    Almeran war etwas enttäuscht und zornig darüber, auch hier nichts Wesentliches gefunden zu haben. Abends saß er in der Taverne, nachdem er sich erneut ein Zimmer genommen hatte, als der Stadtarchivar eintrat und sich zu ihm setzte. Nach einigen Worten zu der ergebnislosen Suche fragte der Mann, der ebenfalls ein Schriftgelehrter war, ob denn sein Besucher auch beweisen könne, nicht nur ein Forscher, sondern auch ein Priester zu sein. Almeran horchte auf. Nun, er war kein reiner Priester, wenigstens nicht was die Ausbildung in jungen Jahren anging – damals befasste er sich lieber zusätzlich mit der geheimen Magie, aber er war sicherlich inzwischen zu einem Priester in seinem Dorf Grauenfels geworden, wenn man die lange Dauer seines dortigen Wirkens bedachte. Zum Glück hatte er sich nicht als Druide zu Erkennen gegeben und seine Antwortet auf die Frage des Mannes lautete daher „Ja“. Der Beweis, den der Archivar haben wollte, war einfach zu erbringen. Dieser sagte nacheinander jede ihm einfallende Gottheit auf und Almeran sollte die Einleitung der Gebetsformel dazu sagen, was er natürlich konnte. Das reichte und so erhob sich der Mann mit dem Hinweis, Almeran möge um die elfte Stunde in dieser Nacht wieder im Archiv erscheinen, dann sei man vor ungebetenen Augen und Ohren sicher.

    Nach dem Essen blieb dem Druiden noch reichlich Zeit, um seine Aufzeichnungen erneut grob durchzugehen und zu entscheiden, was er als wichtige Hinweise, die er nun zu erhalten hoffte, unbedingt würde notieren müssen. Mit einer Tasche unter dem Arm, in dem sich Pergament und Schreibzeug befanden, erschien der Druide pünktlich vor dem Gebäude beim Archivar. Der erklärte, es gebe noch einen kleinen Raum, dessen Inhalt nur Priestern zur Einsicht gestattet sei und ging voran durch das Haus zu einer schmalen, eisenbeschlagenen Tür in der hintersten Ecke des Raumes im Archiv, in dem Almeran schon den ganzen Tag über mit der Suche nach Neuem angespannt beschäftigt gewesen war. Er ging durch die aufgeschlossene Tür, dann sperrte der Archivar den Druiden in der Kammer hinter der Tür ein, mit der Ermahnung, dass zum Ende der vierten Stunde des Morgens die Tür wieder aufgeschlossen würde und Almeran gehen müsse, gleich, was er gefunden hätte oder nicht. Die Tür war fest verschlossen und die zwei vorher angebrannten Öllampen erleuchteten erstaunlich hell einen kleinen, fensterlosen Raum. Links ein Tisch und zwei Stühle, rechts ein Regal, dicht gefüllt mit Pergamentrollen und über dem Tisch eine quadratische Lüftungsöffnung unter der nicht allzu hohen Decke.
    #190VerfasserJean-Louis25 Mär. 09, 14:09
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    Die Lampen schnell noch etwas günstiger aufgestellt, besah sich Almeran so rasch er konnte ein Pergament nach dem anderen. Viel heikles Priesterwissen sah er, manchmal das Wort „Verrat“ lesend, Fehden und Feindschaften zwischen geistlichen und weltlichen Fürsten, aber nichts, worauf er so gehofft hatte. Er arbeitet sich von unten her hoch – sollten doch normalerweise die ältesten Dokumente dort liegen. Ungefähr in der Mitte des Regals angekommen, machte er eine Pause und sah in der Ecke neben dem Tisch eine kleine Truhe, die auf einer größeren stand. Er nahm eine Lampe und untersuchte diese Truhe, weil ihr rötlich-schwarzes Holz ihm bekannt vorkam. Doch erst als er einige Fragmente der Aufschrift „Te…unya… / Nen’Har…“ entziffern konnte, fiel ihm die alte Truhe ein, die er als junger Mann in den geheimen Gewölben der Wehrburg Grauenfels gefunden und vollkommen vergessen hatte. Kein Zweifel, beide Truhen gehörten zusammen. Die andere, große und einfache Holztruhe in der Ecke und auch die Pergamente waren jetzt unwichtig. Er musste einen Blick in diese geheimnisvolle, kleine Truhe werfen.

    Sie war aber verschlossen und es fand sich kein Schlüssel. Die Zeit drängte, aber was konnte er tun? Er stellte die kleine Truhe auf den Tisch – aufbekommen würde er sie nicht, aber… Sein Blick wechselte zwischen der Truhe und der Lüftungsöffnung und schon war der Gedanke ausgereift. Er stieg vorsichtig auf den Stuhl, dann auf den Tisch und sogleich war die Truhe im Lüftungsloch, in welches sie gerade so hineinpasste, verschwunden. Erleichtert setzte sich Almeran, nachdem er wieder vom Tisch gestiegen war, wischte seine Fußabdrücke sorgfältig weg und wartete, bis sich die Tür wieder öffnete. Eiliger als er gekommen war, verließ er das Archiv mit einer kurzen Verabschiedung, nachdem er sich nochmals bedankt hatte – der Archivar stellte keine Fragen. Hastig umrundete der Druide dann das Gebäude und suchte sich eine Leiter, nachdem er sah, wie hoch oben die Öffnung von außen war, direkt unter dem Dachvorsprung. Er fand eine Leiter, barg die Truhe, stellte die Leiter wieder zurück und ging raschen Schrittes zurück in die Taverne, durch den Hintereingang sofort in sein Zimmer.

    Da er auch jetzt keine Möglichkeit sah, die Truhe ohne Schaden anzurichten zu öffnen, welche bei Licht betrachtet vier komplizierte Doppelschlösser mit inneren Zuhaltungen besaß – ein sehr deutlicher Hinweis auf den sicher wertvollen Inhalt, gleich welcher Art, beschloss er, beim ersten Hahnenschrei abzureisen und sich daheim um dieses Problem zu kümmern. Die Nacht verging quälend langsam, der sinnierende Druide fand nur wenig unruhigen Schlaf und war schon vor dem Morgengrauen reisefertig. Der Wirt der Taverne war verständlicherweise etwas erbost über das seiner Meinung nach viel zu frühe Begehren nach einem Frühstück, machte sich aber trotzdem grummelnd an die Arbeit, so dass Almeran mit den ersten Sonnenstrahlen durch das Stadttor von Ilkos-Kolis in westliche Richtung fuhr. Spät abends, nach nur viereinhalb Tagen mit der allernötigsten Rast, welche das Pferd brauchte und sehr anstrengender Fahrt erreichte er den Hof der Burg Grauenfels. Telmy half beim Gepäck und versorgte die Pferde, während der alte Druide seinen Schatz verwahrte und todmüde ins Bett fiel.
    #191VerfasserJean-Louis25 Mär. 09, 16:08
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    Am nächsten Tag brachte Telmy den Einspänner zum Müller zurück und frühstückte danach mit Vater Almeran, ehe er hinunter zur Schmiede ging und dem Meister eine Botschaft des Druiden überbrachte. Der Schmiedemeister ging in sein Haus, kam mit einem schweren Rucksack wieder heraus und verließ die Schmiede in Richtung Burg. Dort angekommen, fand er den Druiden an einem schweren Tisch im Innenhof, auf dem eine kleine Truhe stand, die geöffnet werden sollte, wie der Schmied aus der Nachricht wusste und dementsprechendes Werkzeug dabei hatte. Almeran verbat sich aber den Einsatz von grobem Meißel und Hammer. Daraufhin besah sich der Schmied die Schlösser genau und versuchte mit einem speziellen Dietrich das Öffnen, was aber nach vielem Probieren aufgegeben werden musste. Es wurde vermutet, dass es hochfein gearbeitete, sichere Schlösser mit jeweils vier Verrastungen seien und der Schmied meinte, dass ihm das Feingefühl fehle, mit dem mitgebrachten Spezialschlüssel, der einen viergeteilten Bund besaß – jeder Teil einzeln beweglich – die Rastungen in der richtigen Reihenfolge ausschnappen zu lassen.

    Almeran schickte den Schmiedemeister wieder fort, behielt aber diesen besonderen Schlüssel da. Dann ging er bis zum Dorfrand den Weg hinab und schickte einen Knaben nach dem jetzigen Mann der vormaligen Kesselschmiedwitwe, einem ehemaligen Dieb, der jedoch aufgrund der besonderen Lebensumstände im Nebelgrund – es gab zu viele Frauen und Mädchen, durch die Heirat die Bürgerrechte und den Verbleib als freier Mann in Grauenfels erworben hatte. Der vermutete Zauber, welcher nicht ganz verhinderte, dass ein drittes geborenes Kind ein Knabe war, führte nämlich zwangsläufig zu einem höheren Anteil des weiblichen Geschlechts an der Bevölkerung, weshalb jeder Mann willkommen war, der in diese Gegend einheiraten wollte, solange es kein Schwerverbrecher war – hieß es offiziell. Wieder weggeschickt oder eingesperrt war allerdings noch nie einer geworden, solange er im Tal ehrlich blieb.

    Der Mann kam sogleich herbei und war sehr überrascht, als von ihm verlangt wurde, er möge seine alten Kenntnisse noch einmal bemühen und die Schlösser öffnen. Die geschickten Hände hatten kaum etwas an Fingerspitzengefühl verloren und so waren nach wenigen Versuchen die Klickgeräusche der aufschnappenden Verriegelungen zu hören. Der Deckel ließ sich aufklappen. Mit einer kleinen Belohnung bedankte sich der Druide beim neuen Kesselschmied und schickte ihn wieder fort. Der Knabe, welcher als Bote gedient hatte, brachte daraufhin den „besonderen Schlüssel“ zum Schmiedemeister zurück, ebenfalls entlohnt.

    Adlergebirge, Sommer 508 nach dem Bürgerkrieg – Erste Feststellungen

    Der offene Truhendeckel brachte zunächst Erstaunen. Die für die kleine Größe doch ziemlich schwere Truhe war bis obenhin mit einem feinen, rötlichen und staubtrockenen Sand gefüllt. Der Deckel war von vier in ihn greifenden, kräftigen Haken fest auf eine umlaufende Lederdichtung gezogen worden, wodurch das Eindringen von Feuchtigkeit zuverlässig verhindert worden war. Die Scharniere waren an der Truhenrückwand etwas verschiebbar, wodurch das Niederziehen des Deckels beim Verschließen nicht behindert wurde. Welch ein Aufwand. Der Druide fuhr nun mit einer dünnen Dolchklinge vorsichtig durch den Sand und stieß auf etwas Festes. Anschließend nahm er mit einem Löffel Proben des Sandes und untersuchte mit verschiedenen Flüssigkeiten und magischen Beschwörungen diese auf eventuelle Giftstoffe, konnte aber keine Anzeichen feststellen. Dann stellte er die Truhe schräg auf Hölzer und strich den Sand Schicht um Schicht aus der Truhe, bis eine längliche Hartlederrolle auftauchte. Diese war sehr stak gefettet worden, weil der Sand ringsum festgebacken war. Etwas tiefer tauchte noch eine flache Blechdose auf, aus reinem Gold gefertigt. Mehr war nicht in der Truhe zu finden.

    Nachdem Almeran behutsam den Lederbehälter gereinigt hatte wurde sichtbar, dass auf einer Stirnseite ein versiegelter Deckel vorhanden war. Vorsichtig öffnete er diesen und konnte ein zusammengerolltes, gut erhaltenes Pergament herausnehmen. Die Dose ließ sich einfach öffnen und enthielt vier aufwändig gearbeitete Schlüssel aus einem silbrig glänzenden Metall, eingebettet in gepresstes, getrocknetes Moos. Nun rollte der Druide neugierig das nicht vertrocknete Pergament auseinander, beschwerte die Ecken mit Steinen und war überaus beeindruckt von dem, was er sehen und in einer alten Schrift lesen konnte.
    #192VerfasserJean-Louis26 Mär. 09, 14:46
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    Die kleine, ältere Karte aus der in Ilkos-Kolis gefunden Truhe, welche Angaben des Volkes der Tel’Runyara enthält. Sie ist hier zu finden:

    Die ältere, kleine Karte aus der Truhe
    #193VerfasserJean-Louis26 Mär. 09, 14:59
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    Es war eine exakte Verkleinerung der großen Wandkarte vom Adlergebirge, wie sie seit seinen ersten Tagen dort im Wachhaus von Grauenfels hing, aber mit den wahrscheinlich alten Wegen durchs Gebirge und weiteren Eintragungen versehen. Auch die Angaben der Ordnungslinien waren vorhanden. Ein Datum der Anfertigung war zwar auch vorhanden, aber eine solche Benennung war dem Druiden gänzlich unbekannt.

    Die Grenzen des Adlergebirges waren im Uhrzeigersinn gesehen übereinstimmend:
    C:11 – C:10 – D:9 – C:8 – C:6 – D:5 – E:4 – F:4 – G:5 – H:4 – J:4 – K:3 – L:2 – L:3 – M:4 – M:6 - L:7 – L:12 - G:12 – F:11 und zum Anfang C:11.
    Aber die Beschreibungen zu denselben Orten auf der großen Karte unterschieden sich:
    F:6 – Nen’Harum, die Stadt unseres Volkes, der Tel’Runyara, an den heiligen Quellen der rauchenden Wasser und der toten Seen - jetzt Ruinen, nach der großen Karte.
    F:4+5 und G:5 – Süße Wasser der Gaumenfreuden - doch vom Blutelfenvolk angelegte Fischseen. Ob Fisch damals als Leckerbissen galt?
    F:8 – Tempel der Mitte – ein bisher völlig unbekanntes Bauwerk.
    H:8 – Höhlen der Wächter unter den drei Türmen am Tal des Feindes - dies mussten jene Höhlen am Fuße der Rotfell-Spitzen sein, in denen man damals das verschleppte Mädchen fand, welches sich später zum Werwolf verwandelt hatte. Sie waren als schwarzes Rechteck eingezeichnet. Die Rotfell-Spitzen bekamen ihren Namen also erst später.
    J+K:7 – Brutstätten des Feindes – die Schattenebene.
    J:9 – Ort der Erneuerung unseres Volkes am heiligen Wasser – jetzt befand sich hier Grauenfels im Nebelgrund, am Schleierbach gelegen.

    Dazu die Wege:
    Alter Ostweg, aufgegeben – nördlich des Nebelgrundes über die Schattenebene nach Westen führend bis Nen’Harum, gestrichelt eingezeichnet.
    Neuer Ostweg, nach der verlorenen Schlacht – weiter südlich in den Nebelgrund über den heutigen Ostpass führend zur Kreuzung mit dem Südweg, hinter der Wehrburg am Felshang entlang zum „Hippenrain“ – der Nordwestecke des Nebelgrundes, dann nach Westen an den Höhlen der Wächter vorbei südlich der Rotfell-Spitzen über diesen Tempel der Mitte, anschließend nach Norden bis Nen’Harum. Der noch immer benutzte Weg über den Ostpass in den Nebelgrund. Der weiter verlaufende Weg entsprach in einem Teil genau dem Pfad zu den Rotfell-Spitzen, den die „besonderen“ Knaben gehen wollten.
    Südweg – von der Kreuzung mit dem Ostweg aus dem Nebelgrund über den heutigen Südpass nach Süden führend und auch noch immer benutzt.
    Westweg - von Nen’Harum zunächst an den warmen, toten Salzseen entlang, dann kurz nach Süden einen Bogen schlagend, um ein weiteres Seengebiet herum nach Westen führend. Heute unbekannt.
    Sehr interessant war auch eine zusätzliche Angabe auf der Karte, mit welcher der Wegabschnitt des neuen Ostweges zwischen dem Ort der Erneuerung, also Grauenfels, und Nen’Harum als „Pfad der Opfer“ bezeichnet wurde.
    #194VerfasserJean-Louis26 Mär. 09, 15:15
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    Almeran ging zunächst etwas hin und her, setzte sich aber bald in die warme Sonne und begann aufzuschreiben, was ihm sogleich an Zusammenhängen auffiel, um sich ein deutliches Bild seiner Vermutungen anzufertigen, aus dem er weitere Schlüsse würde ziehen können. Zuerst dachte er über die Bezeichnung „Ort der Erneuerung unseres Volkes am heiligen Wasser“ für das heutige Grauenfels nach, oder besser, die an dieser Stelle entstandene Wehrburg gleichen Namens, wozu ihm auch gleich etwas einfiel. Das alte Blutelfenvolk – wenn es eines war, denn einen Beweis für diese Bezeichnung oder gar eine Vorstellung, was hinter diesem Begriff stecken mochte, hatte der Druide noch immer nicht - musste sich also hier „erneuert“ haben, was immer damit auch gemeint war. Da es schon damals, erst Recht heute, nur noch Ruinen waren, musste dieses Volk der Tel’Runyara diesen Ort Nen’Harum schon vor langer Zeit verlassen haben. Oder wurden sie dazu gezwungen? Vielleicht waren sie auch ganz einfach ausgestorben, wie die ehemaligen Bewohner der Burg Grauenfels. Fest stand für Almeran, dass diese alten Elfen, denen er noch gedient hatte, mit Sicherheit Nachfahren dieses Volkes namens Tel’Runyara waren, allerdings auf Almeran einen fast normalen Eindruck machten, wenn man davon absieht, dass die Bewohner der Burg diese damals nie um den Vollmond herum verließen und sich in diesem meist grauen, so oft nebligen Tal sehr wohl fühlten. Seltsam war daran aber wiederum, dass die Werwölfe diese Nachkommen nicht angegriffen hatten, obwohl sie doch auch deren Feinde sein mussten. Und hier fand er einen Denkfehler. Die Werwölfe hätten diese Elfen bestimmt auch angegriffen, wenn sie auch eine Gefahr für die Werwölfe dargestellt hätten. Diese „Erneuerung“ musste daher bedeuten, dass in Grauenfels Elfen lebten, die eben keine Blutelfen mehr waren, sich also vom Bluttrinken vor langer Zeit befreit und damit „erneuert“ hatten. Dennoch hatten sie die Angst vor den Werwölfen nie verloren und hatten wohl auch noch Probleme mit dem hellen Sonnenlicht, weshalb ihnen die Wetterlage im Nebelgrund sehr entgegen kam. Vielleicht war mit „heiligen Wassern“ gar der Schleierbach gemeint, der diesen beständigen Nebel hervor brachte. Dann musste auch die Todfeindschaft zwischen den richtigen Blutelfen und den Werwölfen wahr sein. Allerdings wollten diese Untiere schon seit Almerans Anwesenheit jeden Knaben töten, der sich in Richtung der Rotfell-Spitzen zum Vollmond aufmachte, also diesen „Pfad der Opfer“ beschreiten wollte und das in einer Art geistiger Abwesenheit. Diese Knaben mussten folglich gefährlich für die Werwölfe sein, ebenso wie Telmy. Bei ihm gab es Anzeichen für einen in ihm steckenden Blutelfen, aber, was wollten die Werwölfe von Knaben, Kindern von Menschen? Dies blieb im Moment offen. Almeran ahnte nun, dass Telmy, das Findelkind, von Wesen abstammte, die wiederum selber von Blutelfen abstammten oder gar welche waren, da manche Eigenschaften bei der Vererbung ganze Generationen übersprangen.

    Der Blick des Druiden fiel nun auf diesen „Pfad der Opfer“. „Höhlen der Wächter“ konnte nichts anderes heißen, als dass hier jemand auf etwas aufgepasst, dieses be- oder überwacht hatte. Da diese Höhlen direkt neben dem „Pfad der Opfer“ lagen, musste es eine Bewachung des Pfades, besser des damaligen Hauptweges zwischen Nen’Harum und dem „Ort der Erneuerung“, wie die Karte zeigte, gewesen sein. Wahrscheinlich war es ursprünglich tatsächlich nur eine Art Pfad, der beide Orte miteinander verband. Aber, nachdem der zuerst vorhandene Weg von Osten her über die Schattenebene – die „Brutstätten des Feindes“ – aufgegeben werden musste, nach einer nicht näher benannten Schlacht, die verloren ging, wurde der Pfad ganz bestimmt ausgebaut und verbreitert. Jetzt wurde dem Druiden auch klar, warum hinter der Burg der Pflasterweg in voller Breite weiter am Berghang in Richtung Norden führte, um am nahen Waldrand zu einem Steig zu werden – der Weg war nur zugewachsen, unter Laub und Erde verschwunden, weil er nicht mehr voll umfänglich gebraucht worden war. Seit den Zuständen, die auf dieser kleinen Karte abzulesen waren, musste sehr viel Zeit vergangen sein. Und noch weiter zurück lag die Nutzung dieses alten, irgendwann aufgegebenen Ostweges. Anscheinend gab es dort zuerst keine Werwölfe auf der Schattenebene, wie diese „Brutstätte des Feindes“ heute genannt wurde und dieses Blutelfenvolk konnte den einstigen Weg ungehindert passieren. Aus irgendeinem Grund musste es später aber dann ein massiertes Auftreten von Werwölfen in dieser Hochebene gegeben haben, die den Weg letztlich blockierten, vielleicht durch immer mehr Überfälle. Kein Wunder, wenn da eine Todfeindschaft im Spiel war. Das könnte dann zu einem Kampf, einer Schlacht, geführt haben, welche das Volk der Tel’Runyara verlor. Almeran hatte schon oft von den Berggipfeln des Hochgebirgskammes zwischen dem Nebelgrund und der Schattenebene auf diese hinabgeblickt und in der ganzen Ebene einen undurchdringlichen, üblen, niedrigwüchsigen Urwald festgestellt. Sollte diese Art des Bewuchses, der sicherlich von entsprechenden Boden- und Witterungsverhältnissen, vor allem wenig Regen, herrührte, dort schon immer vorhanden gewesen sein, war es für ihn nicht weiter verwunderlich, dass dort selbst eine ganze Armee keine Gewinnaussicht gegenüber einem entschlossenen, hinterhältig schleichenden und so fürchterlichen Gegner wie Werwölfe haben konnte, selbst wenn diese in einer Unterzahl waren. Durch den Verlust der Kontrolle über die Schattenebene musste das Blutelfenvolk gezwungen gewesen sein, einen neuen Weg nach Osten zu finden, der sicherlich weiter östlich wieder auf den alten Weg stieß, was man heute aber bestimmt nur noch feststellen konnte, wenn man diese Tatsache kannte und den alten Weg suchte.
    #195VerfasserJean-Louis26 Mär. 09, 15:27
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    Den neuen Weg dann durch den Nebelgrund zu führen und damit den „Ort der Erneuerung“ nicht nur mehr durch einen Pfad, sondern einen befestigten Weg mit Nen’Harum zu verbinden, war dann wohl die günstigste Lösung, obwohl man von der Wehrburg aus ab dem nordwestlichen Rand des Talkessels ziemlich steil hinauf musste, ins Hochgebirge. Zur Entstehung des nach Süden abzweigenden Weges, den es zu Zeiten des alten Ostweges wahrscheinlich noch nicht gab, konnte Almeran gar nichts herauslesen. Er verfolgte nun mit dem Finger den „Pfad der Opfer“ weiter und kam zum „Tempel der Mitte“. Er schätze die Wegstrecken unter Berücksichtigung ihm bekannter Geländeverläufe, insbesondere von Höhenunterschieden, ab und kam zu der Überzeugung, dass der Weg vom Nebelgrund nach Nen’Harum zwei Tage dauern müsste und an diesem Tempel seine Mitte der Gehzeit hatte, also dies ein Ort sein musste, an dem sich sowohl ein Wanderer als auch eines dieser „Opfer“ zur Nachtruhe begeben konnte. Ein klug gewählter Ort, der seinerzeit mit Sicherheit unterhalten und bewirtschaftet wurde. Almeran bekam Respekt vor diesem alten Volk. Auch die „Höhlen der Wächter“ lagen günstig, zog sich doch ein großes Tal von dort nach Norden, durch dieses man von der Schattenebene her ohne große Mühe zu dem neuen Weg gelangen konnte. Wahrscheinlich fanden an dieser Stelle Übergriffe der Werwölfe auch auf Reisende auf dem neuen Weg statt und deshalb wurde dort eine Wache eingerichtet, welche eben dies verhindern sollte. Natürlich, dies würde auch die Funde der alten, rötlichen Wolfsfelle erklären. Die Wächter töteten immer wieder die angreifenden Werwölfe und deren Felle überdauerten die Zeit in der meist kalten, schneebedeckten Landschaft, begraben von Schnee und Eis. Mit Sicherheit gab es dort oben sehr viele Felle zu finden, die man hätte bergen können, wenn man bedenkt, dass es auch eine Schlacht zwischen den Tel’Runyara und den Werwölfen gegeben hatte und diese danach sich bestimmt nicht mit dem Besitz und der Kontrolle der Schattenebene zufrieden gaben. Merkwürdig war nur, warum man bisher nie etwas von den Blutelfen fand – Rüstungsteile, verrostete Waffen oder ähnliches. Sie mussten alles mitgenommen haben, als sie eines Tages verschwanden.

    Jetzt wandte sich Almeran dem Ort Nen’Harum zu. Nie war er dort gewesen, nicht einmal in der Nähe, nie hatte er irgendetwas von den alten Elfen darüber gehört. Das Vorhandensein dieser Höhlen/Ruinen war ihm ausschließlich von der großen Wandkarte her bekannt. Also konnte er auch nur so viel schlussfolgern, wie er aus den Karten entnehmen konnte. Gut, solche Fischteiche wurden auch von Menschen zu genau denselben Zwecken angelegt, sich köstliche Speisen darin heranzuzüchten, das war nichts Besonderes. Aber diese bereits auf der großen Wandkarte im Wachhaus genannten „heiligen Quellen des rauchenden Wassers“ und dazu die „toten Seen“ beflügelten sein Nachdenken. „Rauchend“ hieß dampfend, vermutlich ebenso dampfend wie der Schleierbach und das „Heiße Loch“ – also heißes Wasser, wie er bereits wusste. Grauenfels, oder der „Ort der Erneuerung“, lag an einem heiligen Wasser, während Nen’Harum an den heiligen Quellen lag. War warmes Wasser diesem Volk heilig? Wenn ja, nur aus geistlichen, rituellen Gründen, oder war es schlicht lebensnotwendig? Wenn das Wasser der heiligen Quellen in tote Seen fließt, musste folglich in diesen Seen kein Leben sein. Auch dazu wusste er schon, dass es sich um Salzwasser handelte, fragte sich aber sofort, ob und wenn ja, was diese toten Seen dann für einen Nutzen hatten. Brauchten die Blutelfen nur die Wärme – diese hatten sie an beiden Orten, Nen’Harum und Grauenfels, aber einmal als Süß- und einmal als Salzwasser? Oder war es beide Male der Nebel, der dem warmen Wasser entstieg? Lag Nen’Harum auch die meiste Zeit im Jahr unter Nebelschleiern? Oder war dieser Ort so ideal, weil er nicht nur Nebel sondern auch Salz bot, das man sicher am Rande dieser Salzseen gewinnen konnte? Salz war schon immer lebenswichtig. Er vermutete, dass es das Salz und der Nebel waren, welche dem Volk sozusagen als göttliches Geschenk erschienen und dadurch der Begriff „heilig“ ins Spiel kam. Die Wärme des Wassers war es eher nicht, denn sonst hätte man in Grauenfels keinen Brunnen anlegen müssen – dem konnte man nur kaltes Wasser entnehmen. Almeran hatte nun weitere Mutmaßungen, aber kaum einen Beweis.
    #196VerfasserJean-Louis26 Mär. 09, 18:00
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    Er besah sich wieder die kleine Karte. Der Süd-, wie auch der neue Ostweg waren nach wie vor in Gebrauch, vom Nebelgrund aus über Pässe nach Süden und Osten. Der Abschnitt des „Pfades der Opfer“ war dagegen nur noch ein Waldsteig durch den Hippenrain hinauf zu den Rotfell-Spitzen und von dort aus unter dem Schnee nicht mehr zu erkennen gewesen. Wollte man ihm heute folgen, müsste man den Spätsommer abwarten, um nach der Schneeschmelze den Weg zu finden. Jetzt kam der Druide zu einem Punkt, an dem seine Überlegung fast schon aberwitzig wurde. Er hatte schon einmal vermutet, dass es sein konnte, dass diese zum Wandern bei Vollmond verdammten Knaben nicht nur zu den Rotfell-Spitzen gehen wollten, sondern weiter, darüber hinaus und nun hatte er auch den Weg vor Augen mitsamt der Unterkunft, dem „Tempel der Mitte“, der diesen Marsch überhaupt erst möglich machte. Man würde also nur einem dieser Knaben folgen müssen, der aufbrach bei Vollmond, um diesen alten Weg, den „Pfad der Opfer“, gehen und somit finden zu können. Almeran war jetzt überzeugt, so ein Kind würde den Weg von allein finden, selbst im Schneesturm, denn ihm war bereits vor längerem klar geworden, dass hier im Nebelgrund zwei starke Zauber gegeneinander wirkten. Der Schutzzauber, der verhinderte, dass so ein auserwählter Knabe überhaupt geboren wurde, als drittes Kind in Folge und derjenige Zauber, der gerade so einen Knaben zu dieser Wanderschaft zwang. Letzterer musste aber etwas stärker sein, weil doch immer wieder einmal das dritte geborene Kind ein Knabe war, den es dann zu beschützen galt.

    Jetzt dämmerte dem Druiden etwas. Diese Kinder waren die eigentlichen Opfer, welche „ihrem Pfad“ folgten. Dies bedeutete in direkter Folge, sie sollten sich für etwas opfern. Als Fraß für die Werwölfe? Nein, ganz sicher nicht, dann hätte man sich die Wächter und auch den „Tempel der Mitte“ sparen können, weil kein Knabe je so weit gekommen wäre. Die Opferung selbst musste in Nen’Harum stattgefunden haben! Jetzt kam auch ein Sinn in all die Vorgänge im Nebelgrund. Vorausgesetzt, Almerans Überlegungen waren richtig, lebten die Tel’Runyara zur gleichen Zeit an beiden Orten, in Nen’Harum und in der Wehrburg, heute Grauenfels. An der einen Stätte taten sie das sicherlich in althergebrachter Weise, mit all diesen schauerlichen Riten und Blutopfern, die dem Druiden nur aus Sagen und Legenden bekannt waren. In Grauenfels dagegen in einer anderen, eben dieser erneuerten Form, die wohl genau diese Opferung der Knaben nicht mehr vollzog und wollte. So musste es gewesen sein. Aus irgendeinem Grund waren die „Erneuerten“ gezwungen, eher dazu verdammt, jedes dritte Kind, wenn es ein Knabe war, als Opfer nach Nen’Harum ziehen zu lassen. Der Aufwand, diese Opfer zu schützen, muss groß gewesen sein, was auch dieser Tempel der Mitte bezeugte. Die Opferung musste für die Tel’Runyara, welche noch in Nen’Harum lebten, deswegen ein lebenswichtiger Vorgang gewesen sein. Vielleicht sogar überlebenswichtig? Vielleicht sind sie ja deshalb verschwunden, weil die „Erneuerten“ mit dem Gegenzauber das Überleben der Blutelfen in der traditionellen Form mit ihren grässlichen Riten verhindern wollten. War diese Erneuerung eine Abkehr vom Blutopfer, eine Wandlung zu einem Leben, ohne Blut trinken zu müssen? Aber, warum wollten heute immer noch Knaben zu diesem unheimlichen Ort? Waren die Werwölfe nur deshalb noch da, um dies zu verhindern? Neue Fragen.
    #197VerfasserJean-Louis26 Mär. 09, 20:13
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    Almeran hatte nun viele Einsichten gewonnen, aber weder richtige Beweise noch befriedigende Ergebnisse aus seinem Nachdenken. Er legte die Schlüssel in die Dose und mit ihr die Karte im Lederbehälter in die Truhe zurück und schloss diese in einen Schrank ein, damit Telmy sie nicht finden konnte. Den Sand verstreute er und verwischte so die Spuren der Truhenöffnung. Vom Schmied und dem Kesselmacher erbat er sich Stillschweigen, untermauert durch jeweils ein paar Goldstücke. Über die kommenden Jahre hinweg verfolgte der Druide nun noch gezielter seine Gedankengänge und suchte nach weiteren Beweisen seiner Annahmen. Eine Expedition zu den Rotfell-Spitzen brachte in den Höhlen der Wächter keine Funde. Nichts, aber auch gar nichts konnte dort geborgen werden. Allerdings verrieten Befestigungslöcher für Holzeinbauten, steinerne Türstöcke, gehauene Treppen und Schlaf- wie Sitzpodeste, dass diese Höhlen vielleicht einmal einen natürlichen Ursprung hatten, dann aber von geschickten Händen ausgebaut worden waren. Die Vermutung lag nahe, dass alles Hölzerne irgendwann einmal nach Grauenfels geholt und dort beim Aufbau des Dorfes genutzt worden war.

    Dann erhärteten sich aber die Schlüsse des Druiden. Immer mehr rötliche, große Wolfsfelle wurden gefunden, die meisten noch im vom Norden her kommenden Tal. Jeder Fundort wurde in einer extra dafür angefertigten Karte verzeichnet und alsbald konnte man eine halbkreisförmige Häufung der Funde erkennen. Im nächsten Jahr wurde eine weitere Expedition zu dieser Stelle im Spätsommer durchgeführt und es fanden sich im abgeschmolzenen Restschnee die Überreste einer gewaltigen Sperranlage, auf einem Wall errichtet, mit ehemals hohen Holzpalisaden. Dieses Sperrwerk konnte nur der Abwehr angreifender Wolfs- und Werwolfrudel gedient haben. Die im dahinter liegenden, geschützten Gebiet um den nun auch in Resten sichtbaren Weg vereinzelt zusätzlich gefundenen Felle ließen auf einzelne Angreifer schließen, welche das Sperrwerk vermutlich umgangen hatten oder gleich von woanders her gekommen waren.

    Inzwischen gab es aber mit Telmy immer größere Probleme. Seine Albträume wurden immer mehr, auch in den Tagen zwischen den Vollmonden. Er mochte nicht mehr nur arbeiten und seine Freizeit hauptsächlich in der alten Burg verbringen. Er wurde unruhig, sprach immer mehr von Träumen, in denen ihn Frauen besuchen würden. Wenn es Gelegenheit dazu gab, versuchte er, sich den jungen Frauen stärker zu nähern als vorher, was die alten Vorbehalte der Burschen des Dorfes ihm gegenüber wieder hervorbrachte, weil sich die Mädchen nach wie vor direkt darum rissen, mit ihm zusammen sein zu können, da er inzwischen etwas männlicher und deshalb noch anziehender für die Mädchen geworden war. Almeran konnte seine geplanten Forschungsreisen deswegen nicht durchführen und so wurden neue Erkenntnisse über das Geschehen vor langer Zeit im Adlergebirge zunächst unterbunden. Auch kam der Druide nicht weiter, wenn es um den Halbelfen selber ging. Sein Verhalten konnte sich Almeran nur in Anlehnung und dem Hinblick auf die alten Blutelfen erklären. Schließlich stammte der Junge nicht aus dem Nebelgrund und vor seiner Mannwerdung gab es nie Schwierigkeiten. Er konnte daher nicht, auch nicht zufällig durch die Geburt in diesem Tal, ein auserwählter Knabe sein, weil bei ihm alles umgekehrt verlief und so blieb nur die Erklärung, dass er ein Erbe aus der Zeit der Blutelfen in sich trug.
    #198VerfasserJean-Louis27 Mär. 09, 09:17
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    Adlergebirge, 557 nach dem Bürgerkrieg

    Der Druide hatte sehr große Mühe in den vergangenen 48 Jahren, die Ruhe im Dorf aufrecht zu erhalten. Die Anfeindungen gegenüber Telmy waren immer größer geworden. Die Dorfbuschen rotteten sich zusammen und gingen in Gruppen auf den Halbelfen los, damit dessen körperliche Überlegenheit nicht zum Tragen kommen konnte und ihm nur die Flucht blieb, denn schneller als ein jeder dieser Burschen war er selbst in stockdunkler Nacht oder bei dichtem Nebel. Doch manchem dieser eifersüchtigen Heißsporne war es nicht genug, ihn in die Flucht zu schlagen. Es gab immer wieder eine Art „Jagd“ auf Telmy, die ihn aggressiv machte, mehr, als er es jemals war. Von verschiedenen Seiten angegriffen, dezimierte er wiederum seine „Feinde“ durch seine plötzlichen, schnellen Gegenangriffe aus dunklen Verstecken heraus und mit hohem Einsatz seiner Kraft, was mancher dieser übellaunigen „Spaßvögel“ mit Knochenbrüchen büßen musste. Verantworten wollte sich nach solchen Vorfällen niemand, doch die schlechte Stimmung gegen Telmy wuchs.

    Dies änderte sich erst, als sich ein Mädchen tatsächlich in ihn verliebte. Diese junge Frau wollte ihn nicht zur Zierde, zum Angeben gegenüber den anderen, sondern begann, ihn aufrichtig zu lieben. Schlagartig wurde der Halbelfe ruhiger, auch gaben die Dorfburschen die Feindseligkeiten auf, waren doch nun die Grenzen zu anderen jungen Frauen abgesteckt. Almeran war froh, dass sich die Liebe dieses Mädchens auf Telmy so wohltuend auswirkte. Er erlaubte ihr sogar, dass sie ihn abends besuchte, weil die schlimmen Albträume dadurch auch weniger wurden. Immer, wenn Telmy in der ungefährlichen Zeit zwischen den Vollmonden erst spät abends nach Hause kam, schlief er besonders ruhig. Einzig der Traum von der unbekannten Elfe blieb, wie er seinem Großvater verriet. Der Sommer wie auch der Herbst verliefen in angenehmer Harmonie, im Dorf war der Frieden wieder eingekehrt. Dann kam der Winter sehr früh und mit ihm wie schon so oft der Ostwind über den Nebelgrund. Der Wolfsziegel heulte Tag und Nacht wieder in besonders lauten, schauerlichen Tönen und jede Nacht schien es, als würden die Wölfe in der näheren Umgebung ihm antworten. Der Schnee fiel und fiel, stellenweise mehr als mannshoch. Zwischen den Häusern des Dorfes gab es nur noch schmale, hohe, freigeschaufelte Gänge. Die Dächer mussten wieder abgeräumte werden und Almeran verbot Telmy wie immer um die Vollmondzeit, die Burg zu verlassen.

    So stand der Halbelfe betrübt am Fenster und sah am Vorabend des ersten, ungewöhnlich klaren und hellen Vollmondes dieses Winters hinab ins Dorf, zum Haus des Schneiders, dessen Tochter es war, die ihm die Liebe gestanden hatte. Ebenso war es im Haus des Schneiders. Unruhig und immer wieder schaute die junge Frau von ihrem Fenster hinauf zum Burgfelsen - vielleicht konnte sie ihn doch mal kurz sehen – nur winken, einmal nur winken. Almeran hatte ihr natürlich gesagt, dass es Tage und Nächte gab, wo sie ihn nicht sehen durfte. Sie ehrte und respektierte den alten Druiden, doch das Feuer der Liebe raubte ihr in diesen Tagen fast den Verstand. So traf sie am Abend zuvor einen verhängnisvollen Entschluss. In der nächsten Nacht würde sie sich hinauf schleichen und bei ihm bleiben, bei ihrem Liebsten, trotz des Verbotes, egal was passieren würde – ausgerechnet in der Vollmondnacht. In der kleinen Dorfschänke erzählte man sich an diesem Abend des Vollmondes die neuesten Geschichten, welche von den Jägern, die länger fort gewesen waren, vorgebracht wurden. Seit diese üble Schlechtwetterlage über das Adlergebirge gekommen war, waren etliche Wolfsrudel gesehen und auch manch gerissenes Tier gefunden worden. Da aber bei so einer extremen Witterung immer Wolfsrudel durchs Gebirge nahe am Nebelgrund streiften, maß man den Beobachtungen keine übergroße Bedeutung zu. Lediglich die doch ziemlich nahe beim Dorf gefundenen Tierkadaver waren ungewöhnlich. Die Einwohner wussten sich für einen eventuellen Überfall durch die Wölfe gut gerüstet und so saß die heitere Gesellschaft in der warmen Stube bis in die Nacht, während draußen eine furchtbare Begebenheit ihren Anfang nahm, unterdessen der Druide Almeran nichts ahnend in seinem Studierzimmer saß und Telmy in seinem Zimmer wähnte. Auch Almeran sah für diesen Vollmond keinen Grund der übermäßigen Beunruhigung, war es doch nach seinem Wissen in derart klaren und hellen Nächten vorher nie zu Überfällen gekommen.
    #199VerfasserJean-Louis27 Mär. 09, 09:33
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    Die Tochter des Schneiders ertrug die Sehnsucht nach ihrem geliebten Telmy nicht mehr länger, machte ihren tragischen Entschluss vom Vortag schließlich wahr und stieg aus einem Fenster ihres Elternhauses, um durch die unübersichtlichen Schneegassen hinauf zur Burg zu laufen. Sie kam aber nur bis an die Stelle am Ende des Dorfes, von wo aus eine weitere Gasse hinauf zum Burgfelsen geschaufelt war, als sie nach der Ecke erschrocken stehen blieb. Kaum fünf Schritte vor ihr stand ein Wolf in der Gasse, der wohl zuerst ebenso erschrocken war und unterwürfig seinen Kopf auf den Boden legte, dabei aber schrecklich knurrte. Das Mädchen bekam sofort Angst, löste sich aus seiner kurzzeitigen Starre, drehte um und schrie aus voller Lunge. Sie rannte wieder in Richtung Dorf zurück. Dieser Schrei löste eine ganze Zahl von ihm folgenden Vorgängen aus. Die anderen Wölfe wurden jetzt aufmerksam und hetzten zu der Stelle, von der sie den Schrei gehört hatten. Der einzelne Wolf nahm schließlich die Verfolgung auf und Telmy wurde das erste Mal zu etwas verwandelt, das so noch nie jemand erlebt hatte.

    Almeran hatte nicht bemerkt, dass auch den Halbelfen die zu starke Sehnsucht nach seinem Mädchen heimlich aus dem Haus getrieben hatte, trotz des Verbotes und der Gefahren, welche am Vorabend des Vollmondes lauern konnten. Wie wenn er es geahnt hätte, dass sein Mädchen zu ihm wollte, war er schon den halben Weg hinunter zum Dorf gelaufen, als auch er ihren Schrei hörte. Aus dem nahesten Haus am Dorfrand schaute in diesem Moment der Kesselschmied heraus, jener ehemalige Dieb, der Almeran schon einmal zu Diensten war, weil er auch den Schrei gehört hatte. Er sah im hellen Licht des Vollmondes was sich abspielte und berichtete dies dann dem Druiden, der ihn zum strengsten Stillschweigen darüber verpflichtete. Der Mann beschrieb die Geschehnisse folgendermaßen:
    „Ich sah den Ziehsohn Almerans, Telmy, der eben auf dem Weg von der Burg herab ins Dorf war, weil er an einer Stelle des Weges plötzlich stehen blieb und zusammenzuckte, die nur wenig schneebedeckt war. Sicher hörte er ebenso wie ich nun auch das einsetzende Heulen und Knurren der herannahenden Wölfe, angelockt durch den Schrei der Schneiderstochter, wie ich später erfuhr. Ein jeder wusste, dass sie mit Telmy zusammen war und so kam es mir vor, als ob er die Angst seiner Liebsten fast körperlich spürte, so einen gepeinigten Eindruck machte er in diesem Moment auf mich. Er sah sich hastig laufend um und innerhalb weniger Augenblicke flammten rötliche Ringe in seinen Augen auf. Dann kauerte er sich auf den Boden, fletschte wie ein Hund die Zähne und erhob sich mit wildem Knurren. Jetzt waren seine Pupillen vollständig rötlich, glühten von innen heraus gespenstisch in der Nacht. Mit gerade zwei Schritten Anlauf sprang er aus der niedrigen Schneegasse heraus, landete im weichen, höheren Schnee und rollte den restlichen Steilhang einfach hinab. An einer Felsnase stieß er sich ab und sprang mehr als 5 Mannshöhen in die Tiefe, geradewegs neben die Stelle, an der das Wolfsrudel das Mädchen schon eingekreist hatte. Er tauchte aus dem tiefen Schnee mit diesen rot glühenden Augen auf und packte den direkt daneben stehenden, fast erstarrten Wolf mit bloßen Händen, um ihn weit in die Dunkelheit zu schleudern. Das lang gezogene Jaulen dieses Wolfes war noch in der Luft, als er den zweiten ansprang und ihm den ganzen Hals mit nichts anderem als vermutlich scharfen Zähnen aufriss, da er überhaupt nichts bei sich trug, was einer Waffe auch nur ähnelte. Das Tier kam noch einige Schritte weit und brach dann zusammen. Doch der Halbelfe war bereits über die Gasse gesprungen, in welcher die junge Frau in Todesangst kauernd weinte, und verbiss sich in den nächsten Wolf, der sich verzweifelt wehrte. Auch Telmy war gebissen worden, blutete, wie ich an den Flecken im Schnee um ihn herum erkennen konnte. Dem Wolf war ein Vorderlauf abgerissen, er wollte sich wegschleppen, blieb stehen und fiel zur Seite, verendete an dieser Stelle. Nun erwischte der Halbelfe in seiner Raserei wahrscheinlich den Rudelführer, einen besonders großen Wolf und ein grausamer, tödlicher Kampf begann. Der Wolf schien mir dabei der Zögerlichere zu sein, was ich mir nicht erklären konnte. Telmy wurde schwer verwundet, aber mit einem lahm gebissenen Arm ließ er auch dieses Tier zerfetzt liegen, was die anderen nun zum Rückzug veranlasste. Nur das eine Tier, welches innerhalb der Gasse vor dem Mädchen noch immer knurrend und zähnefletschend stand, war noch da. Telmy sah fürchterlich aus, als er sich über den Gassenrand rollte und auf den Boden fallen ließ. Der Wolf drehte sich um und sprang seinen Gegner sofort an. Nach einem kurzen Kampf am Boden hatte er Telmys Zähne im Hals und blutete anscheinend gelähmt aus, während der Halbelfe gierig das warme Blut trank. Nach ganz kurzer Zeit waren Telmys Verletzungen wie durch ein Wunder geheilt, nur sah er immer noch furchtbar aus, völlig blutig mit zerrissener Kleidung. Das Mädchen traute seinen Augen nicht, fand ihren Mut wieder und rannte angsterfüllt davon.“ Soweit die Aussage des Kesselschmiedes.
    #200VerfasserJean-Louis27 Mär. 09, 20:59
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    Almeran erfuhr dann etwas später vom Schneider, dass seine Tochter in dieser Nacht wie von Furien gehetzt zuhause ankam. Noch im Flur brach die junge Frau zusammen und fieberte die restliche Nacht in schlimmen Albträumen. Telmy konnte sich lediglich daran erinnern, dass ihn niemand sonst sah und er sich doch nur zum Haus des Schneiders geschlichen hatte, um sich zu überzeugen, dass es seiner Liebsten gut gehe, wie er sagte, als ihn Almeran am Dorfrand auf dem Rückweg aufgriff. Der Druide war auch ins Dorf geeilt, als dieses in heller Aufregung war und man sich die schauerliche Kampfesstätte bei Fackelschein besah, was von der Burg aus nicht zu übersehen war. Erst am nächsten Morgen wurde das ganze Ausmaß sichtbar und sofort wurde das Gerücht laut, die verschiedenen Wolfsrudel würden sich gegenseitig um die Beute raufen. Nur Almeran und der Kesselschmied wussten, dass es völlig anders war, denn beide hatten Telmy in diesem fürchterlichen Zustand gesehen. Almeran hatte seinen Ziehsohn auf der Stelle in die Wehrburg zurück begleitet. Dort schlief dieser dann sogleich friedlich ein, während der Druide sofort die blutverschmierte, zerfetzte Kleidung verbrannte und auch eilends weitere, verräterische Spuren beseitigte. Der Halbelfe hatte später keinerlei Erinnerung an das, was vorgefallen war, während das Mädchen am nächsten Tag alles wahrheitsgemäß erzählte, aber nur für vor Angst verrückt geworden gehalten wurde.

    Almeran dagegen hörte sich auch die Geschichte des Mädchens sehr genau an, befragte sie zusätzlich unter vier Augen, erfuhr dadurch, dass allein die Sehnsucht dieses unglücklichen Mädchens die Ursache war und da wusste er, dass sich in Telmy etwas verändert hatte. Telmy musste eine schreckliche Bedrohung für die Wölfe sein, also waren auch die Wölfe seine Feinde geworden und somit vor allem auch die Werwölfe, die ihn schon seit seiner Mannwerdung nicht holen, sondern töten wollten. Da sein Ziehsohn das Blut des Tieres getrunken hatte und die Verletzungen daraufhin sehr schnell von selbst verschwanden, musste in ihm eine ähnliche Kreatur stecken, wie sie die Werwölfe selber sind. Dem Druiden fiel nur ein solches Wesen ein – ein Blutelfe. Telmy war auf irgendeine Weise ein Nachkomme von solchen Blutelfen, vielleicht sogar des Volkes der Tel’Runyara. So ließen sich in diesem Zusammenhang auch jetzt all die Vorkommnisse erklären, deren Zeuge der alte Druide in den vergangenen 250 Jahren geworden war. Die außergewöhnlichen Eigenschaften des Halbelfen genauso wie seine Albträume und die Bedrohungen durch die Werwölfe. Es gab aber wieder neue Fragen: Warum geschah dies alles nicht früher? Was hielt den Jüngling auch nach seiner Mannwerdung solange zurück, das vermutete und jetzt bestätigte Erbe der Blutelfen erst jetzt bei diesem schrecklichen Vorfall auszuleben?
    #201VerfasserJean-Louis28 Mär. 09, 15:47
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    Almeran war fassungslos und etwas ratlos, denn nun hatte Telmy nicht nur getötet, sondern bereits Blut getrunken. Obwohl der Druide nichts weiter von den Blutelfen wusste, hielt er dies für ein sehr böses Zeichen. Die nächste Nacht verlief zu seiner weiteren Überraschung aber kaum anders als all die vorherigen, in denen die Wölfe ins Dorf und die Werwölfe in den Burghof gekommen waren. Telmy hatte nur seine fiebrigen Albträume, aber in den nächsten Tagen erlebte er einen großen Schmerz besonderer Natur. Die Tochter des Schneiders wusste ganz genau, was sie gesehen hatte - ihn, sich schlimmer gebärdend als diese grausigen Wölfe und hatte nur noch furchtbare Angst vor ihm. Sie wollte ihn nie mehr sehen und ließ sich verleugnen, wann immer Telmy nach ihr fragte. Der Schneider und seine Frau bedauerten diese völlige Ablehnung des jungen Halbelfen durch ihre Tochter sehr und verwiesen immer wieder auf deren vermeintlich verlorenen Verstand. Telmy saß zu Tode betrübt nur noch zu Hause, was wiederum Almeran mehr als gut fand. Die Tage bis zum nächsten Vollmond vergingen und Almeran sah ihnen mit Besorgnis, aber doch zuversichtlich entgegen, war doch ein solches Ereignis nicht wieder zu erwarten und so sollten weitere Vollmonde doch auch auf übliche Weise überstanden werden. Er wurde aber eines anderen belehrt.

    Die Trägheit, welche den Halbelfen durch den Liebeskummer so sehr befallen hatte, ließ rasch nach und wandelte sich in immer stärke Unruhe, aber wieder von urplötzlichen ruhigen Phasen unterbrochen, als würde er mit sich selbst um etwas ringen. Dieses Hin und Her hörte auf, als die Belagerung durch die Werwölfe erneut einsetzte. Almeran sah mit wachsendem Entsetzen, wie sich sein Ziehsohn verwandelte. Das Knurren und Grollen aus seiner Kehle, das Zähnefletschen und die Angriffshaltung gegenüber den sich auf der anderen, vergitterten Fensterseite im Burghof ebenso furchtbar verhaltenden Werwölfe veranlasste ihn, den Raum zu verlassen und Telmy einzusperren. Als die Werwölfe gegen Morgen verschwanden, legte der Halbelfe sich friedlich schlafen und wusste nach dem Aufwachen wieder von nichts.

    Da der Druide keine Gegenmittel gegen etwas, das er so noch nie gesehen hatte, kannte, entschloss er sich, Telmy fortzuschicken. In einer Gegend, in der es keine Werwölfe geben würde, konnte sein Ziehsohn vielleicht zur Ruhe kommen, seine innere Zerrissenheit überwinden und ein normales Leben führen, was im Nebelgrund mit Sicherheit niemals möglich sein mochte. Almeran bereitete alles vor und hörte in den nächsten Nächten mit Verwunderung, dass Telmy im Schlaf selber davon sprach, dass er weggehen müsse, um die Elfe zu suchen. Am Tage war dann aber keine Rede mehr davon, auch nicht auf Nachfrage wusste der Halbelfe von einer solchen geträumten Suche. Schließlich kam der Augenblick des Abschiedes und Almeran schickte seinen Ziehsohn schweren Herzens fort, weil er ihn nun nicht mehr behüten konnte. Auf einem Fuhrwerk verließ Telmy den Nebelgrund, damit es keine Spuren geben konnte, denen die Werwölfe unter Umständen gefolgt wären.
    #202VerfasserJean-Louis28 Mär. 09, 16:19
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    Beim Lesen der letzten Seiten fingen immer mehr Tränen an, auf Telmys Wangen hinab zu rinnen und tropften auf die Tischkante. Nun las er es in geschriebenen Buchstaben – in ihm steckte ein Blutelfe, dessen ärgste Feinde Werwölfe waren. Was aber noch schlimmer war, er konnte zum blutrünstigen Monstrum werden, so wie es seine geliebte Elfe bereits erlebt hatte. Mit unendlich traurigen Augen sah er sein Elflein an. Was würde sie nun von ihm denken, wie konnte sie ihn nun noch lieben? In der letzten Vollmondnacht hatte er sie, nein – Arwin, noch unbewusst beschützt, doch was sollte in der nächsten und den folgenden ihn davon abhalten, sich gegen seine Elfe zu wenden? Er war sich plötzlich bewusst, dass er allein ein reiner Blutelfe geworden wäre und nur die Seele dieses Arwin ihn davon abhielt. Er betete, dass Arwins Seele stark genug sein würde, ihn nie endgültig zu einem solch bestialischen Untier werden zu lassen. In diesen Überlegungen veränderte sich seine Augenfarbe wie schon so oft und mit strahlend blauen Augen entließ er folgende Worte aus seinem Mund, an Halica gerichtet:
    „Meine geliebte Frau, du musst sehr stark sein und an ihn glauben. Sag ihm, dass du es ganz fest in dir spürst, dass sich seine dunkle Seite niemals gegen das richten wird, was er aufrichtig liebt. Unsere Seelen haben sich verbündet – der gute Teil in ihm mit mir und so sind wir nun endlich stärker als das finstere Erbe. Er wird aber dennoch viele seiner Stärken nicht verlieren und auch bei einer Lage, die sein oder ein geliebtes Leben bedrohen wird, wahrscheinlich nicht mehr vollständig zurückfallen in das Blutelfendasein, aber trotzdem stark genug bleiben, um einen jeden Gegner zu bekämpfen. Ansonsten wachen wir über das, was ihn einerseits so stark aber andererseits auch so gefährlich macht, nur eine Heilung können wir auch zusammen nicht bewirken. Sorge dich nicht, aber bleibe vor allem um den Vollmond gleichwohl wachsam. Die Hexe Auinaya wusste sehr genau, was sie getan hat, doch das Blutelfenerbe ist sehr stark. Auch wenn du ihn jetzt mehr liebst, als du mich je geliebt hast, bin ich für immer ein Teil von ihm und kann diese Liebe von dir mit genießen. Ich hätte dich auch ohne diese verfluchten drei Seelen nicht mehr lange begleiten dürfen und so ist es für uns alle besser. Nur was sterblich war, ist gegangen, aber das Unsterbliche von mir, von Arwin, wird dir bis zum Ende erhalten bleiben. Lebe wohl, geliebtes Elflein und gib ihm all deine Liebe, vielleicht führt das zu einer Heilung. Ich werde nun mit seiner Seele eins und kann nicht mehr mit dir sprechen, aber, wenn du genau hinhörst, wird er dir manches sagen und wenn du aufmerksam bist, wird er einiges tun, welches du nur von mir kanntest.“ Telmys Augen wurden glasig und langsam wich die Farbe aus ihnen, bis sie nur noch schwarz waren. Gleichzeitig sank sein Kopf langsam auf den Tisch und er verlor das Bewusstsein.

    Halica hatte Telmys Tränen gesehen und wollte ihn gerade fest in den Arm nehmen, um ihm zu versichern, dass dies alles an ihrer Liebe zu ihm nichts ändern werde, als seine Augen wieder das vertraute Blau annahmen und Arwin mit ihr sprach. Ihr stockte der Atem bei seinen Worten und sie hatte die ganze Zeit über einen dicken Kloß im Hals. Er erzählte ihr nichts wirklich Neues. Sie wusste bereits, dass Telmy ihr niemals etwas antun würde, es aber dennoch besser sein würde, an einem Vollmond sich selber zu schützen. Keine Sekunde seit ihrer ersten Begegnung hatte sie echte Angst vor ihm gehabt. In ihrem Herzen spürte sie, dass von dem Halbelfen keine richtige Gefahr für sie ausging, wenn auch ein leicht ungutes Gefühl blieb. Ein wenig traurig lächelte sie Arwin an, wusste sie doch, dass es jetzt das letzte Mal war, dass er sie direkt ansprach. Aber der Gedanke, dass er auch in der Zukunft immer da sein würde, war sehr tröstlich für sie. Als Telmy dann bewusstlos niedersank, nahm sie seinen schlaffen Oberkörper in ihre Arme, bettete seinen Kopf an ihrer Schulter und streichelte ihm zärtlich durch das Haar. Jetzt rannen auch aus ihren Augen Tränen – Tränen der Erleichterung, weil sie beide nun Bescheid wussten, Tränen der Bekümmernis, weil dieses unselige Erbe eine Bestätigung fand und noch ein paar Tränen der Trauer um Arwin.
    #203VerfasserJean-Louis29 Mär. 09, 18:42
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    Einen Augenblick später fiel die Haustür zu und im Flur hörte Halica Schritte. Almeran war wieder zurück, zog seinen Mantel aus, warf einen Blick in die Küche und begab sich dann in die Stube. Kurz hielt er inne, als er Halica mit Telmy in den Armen sitzen sah, bemerkte aber sofort, dass etwas nicht in Ordnung war und half der Elfe sogleich, den Bewusstlosen auf das große Sofa zu legen. Nachdem er sich davon überzeugt hatte, dass sein Ziehsohn regelmäßig atmete, drehte er sich zu Halica um und sprach sie an.
    „Was ist geschehen? Was hat ihn so sehr aufgeregt, dass er ihn Ohnmacht viel?“

    Sie setzte sich seufzend neben Telmy auf einen herangerückten Stuhl und nahm seine Hand, um sie zu streicheln, während sie Almeran antwortete.
    „Als er die ganze, schreckliche Wahrheit erkannte, hat es ihn wohl zu sehr mitgenommen. Er war sehr aufgewühlt und traurig. Dann hat Arwin wieder durch ihn zu mir gesprochen, zum letzten Mal, wie er sagte und mir mitgeteilt, dass der böse Blutelfenteil in ihm wenigstens zwischen den Vollmonden unter Kontrolle sei und ich mich in diesem Zeitraum nicht fürchten müsste, weil er mir im Grunde nie etwas zu leide tun würde. Aber das wusste ich bereits. Nur, ich müsse um den Vollmond wachsam bleiben und mich doch in der Vollmondnacht besser von ihm fernhalten. Ich könnte heulen. Es sieht doch so aus, als ob selbst meine aufrichtige, tiefe Liebe zu Telmy nicht ausreicht, um ihn endgültig zu heilen von diesem elenden Drang nach Blut. Nach Arwins Worten sank er dann in sich zusammen, aber sein Atem geht ruhig und das Herz schlägt kräftig.“ Sie stand auf und lief in die Küche um Telmy etwas Wasser zu holen, falls er aufwachen und danach verlangen würde.

    Almeran rieb sich das Kinn und ging ein paar Mal hin und her, bis Halica zurück war. Dann ging er zum Fenster und blickte noch eine Weile schweigsam hinaus.
    „Das ist schon gut, sogar besser, als ich zunächst hoffte. Ich hätte nämlich überhaupt kein Mittel gewusst gegen seinen Drang, zum echten Blutelfen zu werden. Ich denke, wir können uns in dieser Hinsicht wenigstens sicher sein, dass dieser Arwin – die Götter mögen ihn selig haben – weiß, wovon er spricht und zukünftig tatsächlich keine Gefahr für andere Wesen von Telmy ausgeht, solange diese friedlich sind und bleiben und, leider, kein Vollmond bevorsteht. Mir fällt ein Stein vom Herzen, zwar nur ein kleiner und dir, liebes Kind, geht es sicher ebenso.“

    Der alte Druide ging zu der Elfe hin, die am Tisch stand und legte ihr eine Hand auf die Schulter, während sie zu dem Halbelfen blickte.
    „Ich denke schon, dass es noch besser werden kann, denn die Seelen müssen sich erst richtig zusammenfinden. Ich war im Dorf und habe noch einmal die Tochter des Schneiders befragt. Es geht ihr wieder gut und sie sagte das Gleiche wie du, dass sie nie das Gefühl gehabt hätte, Telmy würde ihr etwas tun. Nur der Anblick und der Gedanke, dass er so sein kann, seien ihr für immer unerträglich. Damit dürfte das bestätigt sein, was du gehört und gesehen hast. Außerdem habe ich sogleich ein Hochzeitskleid für dich bestellt und eure Hochzeit bekannt gegeben. Aus dem Dorf geht nun wohl keine Gefahr mehr für Telmy aus, doch vor den Werwölfen werden wir ihn auf Dauer nicht schützen können – es sind einfach zu viele. Deshalb müsst ihr so bald wie möglich den Nebelgrund verlassen, da auch ein Angriff zwischen den Vollmonden nicht auszuschließen ist. Auch wenn es mir im Herzen weh tut, euch beide zu verlieren, es geht nicht anders. Je eher, desto besser – und denke daran, liebe Halica, hier wird es nie Frieden für euch und euer Kind geben. Deswegen müsst ihr nach der Hochzeit weiter ziehen, diese Gegend verlassen.“
    #204VerfasserJean-Louis29 Mär. 09, 18:52
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    Almeran ging erneut zum Fenster und sah nachdenklich zu den teilweise eingestürzten Gebäuden hinten im Burghof an der westlichen Burgmauer.
    „Aber, da ist noch etwas. Ich hege doch noch eine gewisse Hoffnung, dass wir etwas mehr zu dem Volk der Tel’Runyara und vielleicht zu dem Dasein eines Blutelfen erfahren werden. Wenn wir nur etwas mehr über das Leben eines Blutelfen erfahren könnten, wäre vielleicht das Wirken eines Zaubers möglich, welches Telmy doch noch heilen oder zumindest die guten Seelen in ihm sehr unterstützen könnte, damit er zu einem halbwegs normalen Leben ohne Beeinflussung durch den Mond finden kann. Mit ist eingefallen, wie du auch lesen konntest, dass dort drüben, in einem Kellergewölbe unter dem verfallenen Gesindehaus, sich eine Truhe befindet, die aus dieser Heimstatt Nen’Harum des Volkes der Tel’Runyara stammen muss. Ich hätte sie abermals fast vergessen, aber jetzt soll sie Telmy bergen. Vielleicht erfahren wir dann noch etwas mehr über all das, was hier einmal vor sich gegangen ist und können ihm damit helfen. Dies wird ihn auch beschäftigen und ablenken von seinem großen Kummer.“ Wieder ging er zu Halica und flüsterte ihr ins Ohr:

    „Wir sollten ihn darüber hinaus auch aufmuntern und bei ihm erst gar kein betrübtes Nachdenken zulassen. Wenn du in den kommenden Tagen mit ihm einmal ganz allein sein willst, dann lasse dich zum „Heißen Loch“ von ihm führen. Dort gibt es Stellen, an denen man völlig unbeobachtet baden kann – aber, achte darauf, dass es kein Tag ist, an dem im ganzen Tal Nebel herrscht und sei auf dem Weg auf der Hut. Dass er nicht irgendwo anders hin will, um dir etwas zu zeigen, wirst du schon zu verhindern wissen.“ Mit einem plötzlichen, schelmischen Funkeln in seinen wachen Augen tätschelte er ihr die Wange und verließ dann die Stube, um hinaus zu gehen und sogleich den Zugang zu den unterirdischen Gewölben zu suchen, den er schon seit Jahrhunderten nicht mehr benutzt hatte.

    Halica durchlebte ein durchdringendes Wechselbad der Gefühle, zwischen Niedergeschlagenheit und aufkeimender, großer Hoffnung, als sie Vater Almeran zuhörte. Ungläubig, fast verlegten schüttelte Halica schließlich den Kopf über seine letzten Bemerkungen. Hatte er das wirklich gesagt? Sie mochte den knorrigen, klugen und gutmütigen alten Mann bereits jetzt schon sehr. Lächelnd überlegte sie sich, dass dies tatsächlich ein guter Vorschlag war und als sie endlich von Telmy leise Geräusche hörte, nahm sie den Krug mit Wasser und setzte sich wieder neben ihn.
    „Mein Liebster, geht es dir gut? Setz dich vorsichtig auf und trink etwas.“ Besorgt sah sie ihn an. Ob er sich an Arwins Worte diesmal erinnerte?

    Telmy schlug die Augen auf, aus denen ein so strahlendes und weiches Bernsteinbraun leuchtete wie nie zuvor und er lächelte seine Elfe überglücklich an.
    „Elflein, meine geliebtes Elflein“, sagte er, setzte sich auf, um gleich etwas zu trinken und danach hastig zu erzählen.
    „Ich hatte so einen langen Traum. Der Mann in der goldenen Rüstung hat eine weite Reise mit mir gemacht. Wir sind zusammen durch die Wolken geflogen an einen Ort, an dem ich ein Kind war und eine Schwester hatte – Alivia hieß sie. Dann kam etwas Fürchterliches vom Himmel herab und hat alles zerstört – alle waren sie tot – alle, die zu meiner Familie gehörten. Ich lief davon, wurde gefangen und so schrecklich behandelt, bis ich ausbrechen konnte, noch einmal zuhause war und danach nach Hohenerzberg kam. Damals war die Stadt so, wie ich sie später immer wieder in Bildern gesehen hatte. Und ich habe dich getroffen, stell dir vor, dich, auf dem großen Übungsplatz. Wir haben uns Küsschen gepustet und ganz schnell ineinander verliebt. Und du hattest damals schon eine Bognerwerkstatt und mich bei dir einziehen lassen. Wir waren so glücklich in unserem Heim und haben dort…“, jetzt liefen seine Ohren und sein ganzes Gesicht rot an, „…ein Kind gezeugt, unsere Tochter Maya. Ach, wie war die Zeit mit dem kleinen Mädchen doch so schön – viel zu schnell war sie erwachsen und ist in dieses so weit entfernte Land gegangen. Dann waren wir viel auf Reisen. Ich weiß sogar noch den Namen einer weit im Südosten liegenden Stadt, die wir besuchten: Schwarzberg. Danach waren wir einige Zeit in verschiedenen Städten, zuletzt in Eleanor und dann bin ich urplötzlich alt geworden. Ich habe im Traum alles erlebt, was sich mit dieser Hexe Auinaya abgespielt hat und auch, wie ich von dir fort gegangen bin. Du hast noch einmal gewunken. Ich weiß sogar, wohin.“
    #205VerfasserJean-Louis31 Mär. 09, 09:36
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    Nun wurde sein Blick traurig, seine Stimme leise und er sah zum Boden.
    „Nicht wahr, es war dieser Arwin, dessen Leben ich nicht nur geträumt sondern so gesehen habe, wie er es erlebt hat, auch mit dir. Er ist gestorben, damit ich nicht zum Blutelfen werde und nun trage ich drei Seelen in mir: seine gute und meine gute und die schlechte aus dem Erbe.“ Mit großen, fragenden Augen blickte er jetzt in ihre grünen, endlos tiefen Augen.

    Sie nahm seine Hand und sah ihn niedergedrückt an. Er wusste wohin Arwin gegangen war, als er starb, was er in seinen letzten Momenten gefühlt und gedacht hatte. Ihr wurde plötzlich übel, sie musste sich sehr beherrschen und presste die Lippen fest aufeinander, denn sonst hätte sie geschluchzt, danach gefragt und sie wollte Telmy doch nicht noch mehr aufregen. Es war sicher nicht leicht, die Gedanken, Gefühle und Erinnerungen einer anderen Person in sich zu haben. Sich an ein ganzes Leben mit einer Frau zu erinnern, die man zwar liebt, aber erst kennen gelernt hat. Die Liebe in ihren Augen zu sehen, die für einen anderen Mann bestimmt war. Sie musste sich abermals sehr zusammenreißen, ihn nicht doch noch über die letzten Stunden von Arwin auszufragen. Es war still und das wurde ihr immer unangenehmer.
    „Ja, das war das Leben von Arwin, das du gesehen hast. Es sind seine Erinnerungen, die du da in dem Traum erlebt hast. Das war unser Leben. Aber, gräme dich nicht, du warst nicht die Ursache für seinen Tod und du trägst auch keine Schuld daran, auch wenn er zu früh starb. Mehr als ein paar Jahre waren es nicht gewesen und du und ich... uns bleibt die Ewigkeit, nur das zählt jetzt noch.“

    Sie führte seine Hand an ihr Gesicht und rieb zart ihre Wange daran. In ihm dagegen war noch immer alles in Aufruhr, obwohl er äußerlich ganz ruhig wirkte. Die Erinnerung eines ganzen Menschenlebens suchte in seinem Gedächtnis ihren Platz, ohne die seine beeinträchtigen zu wollen. Bilder, so viele Bilder sah er in ihren Augen, als sie mit ihm sprach. Die Liebe zu Halica stand über Allem, was er an neuen Gefühlen hinzubekommen hatte und nun war ihm, als sei nie etwas anderes da gewesen, als diese Liebe. Er zog sie an seine Schulter und nahm den Duft ihres Haares wahr. Ein Gefühl durchströmte ihn, als ob er seit langer Zeit schon diese Elfe in den Armen gehabt hätte und dann tat er etwas, was er für ganz natürlich hielt: er nahm ihr langes, goldblondes Haar beiseite und küsste sie zärtlich in den Nacken. Halica erschauerte, denn diese Berührung hatte sie schon immer in Arwins Armen willenlos werden lassen und es füllte sie mit einem tiefen Glücksgefühl aus. Sie hatte Arwin wieder und Telmy noch dazu.

    Almeran hatte inzwischen nach einigem Suchen den geheimen Eingang in einer Nische eines Mauerbogens gefunden, der eigentlich so etwas wie ein Notausgang aus den unterirdischen Gängen war. Der einstige Zugang lag in einem Teil des Haupthauses, den er nicht mehr zu betreten wagte. Zu viel war dort in den vergangenen Jahrhunderten dem Verfall preisgegeben worden. Es dauerte etwas, doch dann erinnerte er sich an den Öffnungsmechanismus. Er betätigte ihn und das Wandstück schnappte zwar einen Spalt weit auf, ließ sich von ihm aber nicht weiter öffnen, da die Angeln wohl doch zu stark verrostet waren. Daher ging der alte Druide zurück zum Zeughaus und sah kurz durch das vergitterte Fenster in die Stube. Er lächelte, als er die beiden eng umschlungen beim Austausch von Zärtlichkeiten sah und ging schnell zum Wagen, mit dem Telmy und Halica angefahren gekommen waren. Er besah sich ausgiebig und staunend den so meisterhaft gebauten Wagen und ging dann ins Haus zurück, als er meinte, die jungen Leute hätten nun genug Zeit zusammen gehabt. Absichtlich laut bewegte er sich durch den Flur und rief dann, man möge sich doch in der Küche einfinden.
    #206VerfasserJean-Louis31 Mär. 09, 09:44
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    Nur schwer konnten sich beide voneinander trennen, folgten dann aber der Aufforderung von Vater Almeran. Telmy respektierte das, was er vom Großvater gesagt bekam schon immer und war ein gehorsamer Ziehsohn, so dass er sogleich mit Halica in der Küche erschien. Almeran stand am Fenster und sah in den Burghof hinaus.
    „Mein lieber Telmy, liebe Halica, ich habe eine Aufgabe für euch. Wir werden jetzt zu einem geheimen Eingang in die unterirdischen Gewölbe des Haupthauses gehen, auf der anderen Seite des Burghofes am Ende der Mauer. Ihr bekommt von mir einen großen Schlüssel für eine Türe und eine goldene Dose mit einem Inhalt von vier Schlüsseln, die sicherlich zu einer Truhe aus schwarzrotem Holz passen. Außerdem nehmt ihr Fackeln, einen großen Holzlöffel aus dem Waschhaus und ein Brecheisen mit, weil es ungewiss ist, ob es überall einen freien Weg geben wird. Wenn es euch gelingt, am Ende der nach unten führenden Treppe nach rechts gehend bis zu einer Tür zu kommen, die mit der Aufschrift „Archiv des Wissenskabinetts“ beschriftet ist, öffnet ihr sie mit dem großen Schlüssel und geht in dem Raum in die linke hintere Ecke. Dort sollte unter inzwischen vermoderten Schriftrollen und allerlei Krimskrams diese Truhe stehen, zu der die vier Schlüssel passen. Schaut euch die kleine Truhe da auf dem Küchentisch an – die große trägt die gleiche Inschrift, welche vollständig lautet: „Tel’Runyara / Nen’Harum“. Wenn diese Truhe sehr schwer sein sollte, zu schwer, um sie wegzutragen, dann öffne sie, Telmy. Sie wird voller feinem Sand sein. Zuerst fährst du vorsichtig mit der Klinge deines Messers in gleichmäßigen Bahnen durch diesen Sand, um sicher zu sein, dass keine verborgenen Gefahren darin lauern. Findest du nichts, nimmst du den großen Holzlöffel und schaufelst den Sand aus der Truhe, bis du vermutlich auf Lederrollen stößt, welche Pergamente enthalten. Leere die Truhe ganz aus und bringt mir alle Lederrollen. Wenn ich recht habe, finden wir darin noch mehr Aufzeichnungen über das Blutelfenvolk und das Adlergebirge.“

    Nun drehte er sich zur Seite und zeigte auf den Küchentisch. Der Halbelfe besah sich die darauf stehende kleine Truhe und die auf ihr nicht mehr vollständig erhaltene Inschrift ebenso genau und wissbegierig wie Halica.
    „Da ich mir sicher bin, dass deine liebe Elfe dich bestimmt nicht allein gehen lassen wird, was ich für durchaus klug von ihr halte, sollten wir nun alle drei zu dem Eingang gehen. Hole du bitte die Fackeln, das Brecheisen und den großen Holzlöffel, Telmy, du weißt ja, wo du alles findest. Und du, liebes Kind, kommst sogleich mit mir.“ Almeran ging mit zügigen Schritten voraus und nahm Halica draußen gleich beim Arm, als Telmy unterwegs war, um die notwendigen Dinge heranzuschaffen. Auf dem Weg zum Ende des Burghofes sagte der Druide zu ihr:
    „Du hast ja bereits eindringlich erlebt, dass er ein gewisses Geschick in sich trägt, ungewollt in unangenehme Situationen zu geraten. Pass mir ja gut auf ihn auf. Wenn es zu gefährlich wird und er nicht hören will, sage ihm in einem scharfen Ton, dass ihr umkehrt, dann wird er nachgeben. Ich hoffe, dass nichts eingestürzt ist und ihr mit den Schriftrollen bald zurück seid. Wenn ich diese dann studiere, könnt ihr ja mal ins Tal hinunter gehen. Es wird heute ein ausgesprochen schöner Tag und selbst die Nebel scheinen es mit euch gut zu meinen.
    #207VerfasserJean-Louis31 Mär. 09, 13:35
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    Mit diesen Worten tätschelte der Alte wieder eine Wange von Halica und Telmy kam auch schon angerannt, zwei Fackeln, das Brecheisen und den großen Holzlöffel dabei. Almeran gab Halica die Dose und den großen Schlüssel und zeigte dann Telmy die aufgeschnappte, aber nicht zu öffnende Steintür. Der Halbelfe versuchte es zuerst mit Aufdrücken, musste aber dann schon das Brecheisen zu Hilfe nehmen, womit er die Türe etwas weiter öffnen und schließlich erst dann endgültig aufdrücken konnte. Man sah nun eine nach links unten führende, feuchte Steintreppe über welcher der gleiche muffige, modrige Geruch in der Luft hing, wie in der alten Burg in dem großen unheimlichen Wald. Während die Männer bereits mit den angebrannten Fackeln die Treppe etwas ausleuchteten, stand Halica noch neben der Tür und schmunzelte immer noch über Almerans Bemerkung wegen Telmys Ungeschick, in irgendwelche Löcher zu fallen und in ungeplante Abenteuer zu gelangen. Sie hoffte inständig, dass dieses Mal sämtliche Böden und Decken standhaft blieben und sie nicht wieder durch irgendwelche Gänge und Verliese irren musste, um ihren Liebsten zu finden. Almeran trat aus der Tür heraus und Halica ging zum Anfang der ins Dunkle führenden Treppe. Sie nahm Telmys Hand und lächelte ihn an.
    „Ich bin wirklich sehr Neugierig auf den Inhalt dieser Truhe.“ In diesem Moment fiel ihr wieder der mitgebrachte Schatz aus der Burg ein.
    „Liebster, die Schatulle aus der Burg! Erinnerst du dich? Da war doch auch dieser Name zu dem Spruch eingeschnitzt. Wir sollten sie gleich öffnen, wenn wir wieder zurück sind. Vielleicht hat der Spruch eine Bedeutung.“

    „Ja, wir schauen dann gleich nach, was in der Schatulle ist, wenn wir das, was wir hoffentlich finden werden, Vater Almeran gegeben haben.“ Der alte Druide wurde sofort hellhörig, als er die beiden miteinander reden hörte. Er fragte, ob sich Halica wirklich sicher sei, dass es sich im einen Schatulle aus dem Besitz der Tel’Runyara handeln könnte. Sie bejahte das und er meinte, dass er sich diese Schatulle, den Spruch und den Inhalt genau ansehen werde. Dann erst gingen Halica und Telmy zusammen die wenigen Stufen hinab, bis sich die Treppe nach links wandte. Hinter dem Knick war es nun stockdunkel und nur noch die Fackeln erhellten flackernd das nähere Umfeld. Anders als in der Burg im Wald war es hier recht einfach, sich zu Recht zu finden. Das Ende der Treppe mündete in einen Quergang, der nach links irgendwohin führte, während rechts bereits die erste Türe zu sehen war, wie es Almeran gesagt hatte. Außer, dass es beständig von der Decke tropfte, war nichts zu erkennen, was auf Einstürze oder Beschädigungen hinwies. Auf der fünften Türe links befand sich dann die gesuchte Aufschrift. Schon durch die Spalten roch es sehr modrig und faulig.

    Halica konnte das Schloss tatsächlich mit dem großen Schlüssel öffnen, die Türe aber nur zur Hälfte mit viel Kraft aufdrücken. In dem Raum dahinter sah es wüst aus. Etliche Steinbrocken lagen auf dem Boden, Pergamente waren zu einer schimmligen, stinkenden Masse verfault, Regale zusammengebrochen. Sie leuchtete hinein und man sah, dass in der Decke einige lose Steine hingen, die Telmy sicherheitshalber mit dem Brecheisen losschlug, damit sie nicht zufällig herabfallen konnten. In der hinteren linken Ecke angekommen, standen sie vor einer halb verschütteten Truhe. Es dauerte eine ganze Weile, ehe diese soweit frei geräumt war, dass man an die Schlösser und den Deckel heran kam. Ein großer Deckenstein hatte eine Ecke der Truhe zertrümmert und das überall durchgesickerte Wasser ließ zunächst nichts Gutes erwarten. Mit den Schlüsseln aus der Dose konnten sie drei Schlösser aufschließen, aber das vierte Schloss war beschädigt. Nur mit Hilfe des Brecheisens konnte der Halbelfe den Deckel von der noch verschlossenen Seite absprengen und die Truhe öffnen. Er war nun vorsichtig, wie es der Großvater gesagt hatte und leerte den Sand erst mit dem großen Holzlöffel aus, als er mit dem Messer keine versteckten Fallen finden konnte. Er stieß dann im nassen Sand auf zwei Lederrollen oder das, was davon noch übrig war. Die Nässe hatte das Leder schimmeln und brüchig werden lassen, so dass er sie gar nicht im Ganzen herausnehmen konnte – sie zerfielen ihm in den Händen. Die andere Hälfte der Truhe war aber noch recht trocken geblieben. Darin fanden sich weitere drei Lederrollen, die in einem erstaunlich guten Zustand waren – ansonsten fand sich nichts weiter in dieser Truhe.
    #208VerfasserJean-Louis31 Mär. 09, 13:41
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    Halica und Telmy verließen vorsichtig den Raum und gingen sofort zurück. Vater Almeran wartete schon ungeduldig und legte seine Stirn in Sorgenfalten, als er die Reste der zwei vermoderten Schriftrollenbehälter sah, welche Halica in der Hand hatte. Zum Glück kam Telmy mit drei wesentlich besser erhaltenen Behältern hinterher. Auf dem Tisch vor dem Haus untersuchte er kurz die Stücke der beschädigten Lederrollen, wobei diese in viele kleinere Teile zerbrachen. Der Inhalt war ohnehin nur schleimig und verfault gewesen. Die anderen drei Rollen enthielten dagegen nahezu einwandfreie Pergamentrollen, welche der alte Druide sogleich in seine Kammer trug, während er Halica bat, sie möge sich doch um Telmy kümmern, da er erst die Dokumente alleine studieren wolle.

    Telmy ging mit Halica hinter dem Großvater her nach oben in das große Zimmer. Almeran verschwand in seiner Studierstube und räumte sogleich den Tisch am Fenster frei, um das erste Pergament vorsichtig zu entrollen. Wieder waren oben Zeichen zu sehen, die das Datum der Aufzeichnung angeben sollten, aber dem Druiden nach wie vor unbekannt waren. Nachdem er die Überschrift gelesen hatte, öffnete er noch die zwei anderen Rollen und bekam durch deren Titel Gewissheit. Die zwei zerstörten Schriftrollen waren jene, welche die Vergangenheit des Blutelfenvolkes dokumentiert hatten. Nur der dritte Teil davon war noch übrig.

    Wir, das Volk der Tel’Runyara - dritter Teil unserer Aufzeichnungen

    So machte sich jener Teil, der nicht mehr den alten Göttern dienen und die blutigen Riten des Menschenopfers ausführen wollte, in Nacht und Nebel auf in ein fernes Land, um sich dort niederzulassen und in Frieden mit anderen Geschöpfen zu leben. Wir gaben uns den Namen „Tel’Runyara“ (Volk der Zukunft) und zogen mehr als 300 Monde lang, immer nur nachts und mit größeren Pausen im Winter, durch das Land, bis wir am Rande eines Gebirges auf ein sehr großes Höhlensystem stießen, welches ideal für unsere neue Heimat schien. Als hätten uns wohl gesonnene Götter geführt, erhielten wir nicht nur Unterkünfte, die im Laufe der Zeit zu richtigen Wohnstätten ausgebaut werden konnten, sondern auch noch heißes, salziges Wasser, um den brennenden Durst nach dem warmen, salzig schmeckenden Blut unterdrücken zu können. Auch schmeckte dieses Wasser ebenso nach dem Eisen, wie es das Blut tat. Fortan konnten wir dem Gott des rauchenden Wassers huldigen und nannten unsere neue Stätte Nen’Harum – geweiht dem großen Harum, Gott der heißen Quellen. Welch großes Glück uns widerfuhr, erkannten die Priester weiterhin daran, dass wir, die wir keine kalte Speise mehr vertrugen, nun eben jenes durst stillende Wasser besaßen, ohne es erst mühsam erhitzen zu müssen. Allerdings reichte dieser Ersatz für das uns ernährende Blut allein nicht aus, so dass wir immer noch gezwungen waren, nachts Jäger auszusenden, die Wild lebend fangen mussten, damit dessen Blut frisch getrunken werden konnte. Doch es war schwierig, genügend lebendes Fleisch zu fangen und so wurden wir langsam schwächer.
    #209VerfasserJean-Louis31 Mär. 09, 13:48
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    Dazu kam, dass unser großes, stolzes Volk trotz fleißigem Arbeitens an der Vergrößerung der Höhlen nicht genügend Platz in Nen’Harum finden konnte und wir sehr gedrängt unser Dasein fristen mussten. Durch die zunehmende Schwächung gingen auch die Ausbauarbeiten immer langsamer voran. Ein Priester, der den unruhigen, jüngeren Mitgliedern unseres Volkes vorstand, schickte daher, zuerst heimlich, Späher aus, um eine andere Zuflucht für einen Teil unseres Volkes zu finden. Doch, er hegte nicht seine Pflichterfüllung damit, unserem Volke zu dienen, sondern dem Wunsch, selbst Anführer einer eigenen Sippe zu werden. Er schmiedete Intrigen und Verschleierte seine wahren Absichten, führte die anderen Priester trotz deren Weisheit im Alter in die Irre und bemächtigte sich auch unseres Reichtums. Zu spät merkten wir, dass es ihm hauptsächlich darauf ankam. Er zog mit seinen Anhängern in einer Nacht- und Nebelaktion fort, stahl unser aller Goldschätze, gekennzeichnet mit dem Lebensbaum und der Rune des Blutes. Mit ihm gingen sehr viele der Jüngeren, vor allem der Jäger, so dass wir uns nicht wehren konnten. Aber, wir konnten ihnen noch Verfolger hinterher senden, welche den Ort ihres Versteckes fanden. Weit im Südosten, in einem sehr finsteren, uralten Wald gelegen, bauten sie eine Burgruine wieder auf, um fortan dort zu leben. Wir beschlossen, uns vielleicht einmal später um diesen Betrüger zu kümmern, da wir selber genügend Probleme hatten und die Häscher der alten Blutelfengeschlechter immer noch im Lande nach solchen wie uns, den Abtrünnigen, suchten.

    Wir hatten es nun etwas leichter, weil mehr Platz da war und weniger zu stopfende Mäuler. Aber, auch die besten Jäger waren fort. Aufgebrachte Mütter, deren Kinder durch zu wenig erlegtes Wild und dem damit fehlenden Blut krank und anfällig wurden, nicht mehr gesund heranwachsen konnten, waren es schließlich, die dieses elendige Leben nicht mehr hinnehmen wollten und die Wiederaufnahme der alten Riten forderten. Allein die jetzt zu geringe Zahl unseres Volkes verbot aber die Opferung genügend „Geweihter“. Man hätte auch bereits unreine, aber noch sehr junge Frauen „weihen“ müssen, was aber von den Priestern als großer Frevel und Heraufbeschwörung sehr großen Unheils angesehen wurde. Um die Erzürnten beider Lager – sowohl jene, die das Menschenopfer wieder wollten als auch jene, die es ablehnten - zu besänftigen, wurde eine weise Übereinkunft getroffen. Zu jedem Vollmond sollte fortan ein noch „reiner Knabe“, welcher weit genug von der Mannwerdung entfernt war, geopfert werden und die Priester und die Herrscherin würden stellvertretend dessen Blut trinken, um auch die alten Götter uns zugeneigt zu stimmen. So geschah es und alle hofften und beteten, es möge sich eine rasche Verbesserung der Lage einstellen.

    Bereits nach den ersten Opfern kam auf wundersame Weise eine merkwürdige Wetterlage über Nen’Harum, welche für viele Wochen den Himmel auch am Tage beständig verdunkelte und viel Nebel brachte. Wagemutige Männer gingen tagsüber ins Freie und kamen nicht in der grauen, dämmrigen Helligkeit ums Leben. Sie hatten zwar gerötete Haut und ein Brennen darauf, konnten nur durch dunkle Stoffhauben, welche die Augen bedeckten, etwas sehen, erholten sich aber über Nacht von den Qualen. So wurde entdeckt, dass es hinter den Hügeln in nordöstlicher Richtung weitere Seen gab, gespeist von Bächen aus dem Gebirge, in denen es von Fischen nur so wimmelte. Diese konnten sehr leicht noch lebend in die Höhlen gebracht und dort geschlachtet werden. Deren frisches Blut wurde mit dem heißen, salzigen Wasser vermengt und getrunken. Die Götter hatten also das Opfer angenommen und den Tel’Runyara eine neue Lebensgrundlage gegeben. Wir lernten, uns so zu verhüllen, dass der auf das Nötigste beschränkte Aufenthalt in der mit Wolken verhangenen Sonne nicht mehr für uns schädlich, ja gar tödlich wirkte. Die Zucht der schwarzen Schafe, welche die Wolle für die verhüllenden Gewänder lieferten, vor allem für die Schleier zum Schutz der empfindlichen Augen, gelang dadurch auch sehr viel besser und schon nach wenigen Generationen konnte sich unser Volk in der Verhüllung fast den ganzen Tag im Freien aufhalten. Die Fischseen waren bald zu klein, um die Menge an erforderlicher Nahrung zu liefern und so legten wir in Terrassen so viele Seen an, wie wir zur Ernährung brauchten. Inzwischen konnten wir uns sogar aus gekochtem Fisch und Fleisch stärken, das Bluttrinken war nicht mehr lebensnotwendig, eher ein Genuss, den sich nur noch eine Gewisse Schicht der Bevölkerung als Luxus gönnte.
    #210VerfasserJean-Louis01 Apr. 09, 10:50
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    Viele Generationen später waren die meisten Männer und Frauen wieder so weit an das Licht und die Sonne gewöhnt, dass die Verhüllung nach und nach abgelegt werden konnte. Wir lebten wie einst die Ur-Vorfahren unter freiem Himmel, solange dieser bedeckt war und die Sonne nicht direkt unsere Augen und unsere Haut erreichte, was immer noch unangenehme Rötungen und Schmerzen bedeutete, die aber heilbar waren, außer man war zu lange ungeschützt. Leichtsinnige erblindeten oder litten sehr lange unter gar grausamen Qualen. Jetzt wurde der ursprüngliche Wunsch, ganz dem Blutopfer zu entsagen, weshalb wir uns von unseren Vorfahren getrennt hatten, wieder sehr stark. Dadurch spaltete sich aber langsam unser Volk in zwei Linien. Die einen wollten so weiterleben, wie es die Götter nach den Beteuerungen der Priester vorbestimmt hatten und uns nur deshalb auch diesen Ort und die Lebensgrundlagen schenkten, weil sie ihren Anteil an Blut durch ihre Stellvertreter, also die Priester selber, erhielten. In Wahrheit waren es aber mächtige Familien, die im Verborgenen selbst vor der Opferung ihrer eigenen Nachkommen nicht zurückschreckten, und deshalb die Spaltung verstärkten. Dazu zählten nahezu alle wieder wohlhabend gewordenen Schichten, welche sich das Bluttrinken zumeist als nutzlosen Überfluss erhielten und nach wie vor Gefallen am regelmäßigen Opfern unschuldiger Knaben fanden. Dann gab es aber jene, welche jegliche Art von Bluttrinken strikt ablehnten und auch den Göttern, die dieses scheußliche Ritual nach den Worten der Priester verlangten, gänzlich abschworen und damit natürlich auch dem zu jedem Vollmond notwendigen Opfer eines „auserwählten Knaben reinen Blutes“. Unser Volk wäre wohl schon eher zerfallen in zwei feindliche Lager, vielleicht wäre es gar zu einem blutigen Aufstand gekommen, wenn da nicht eine viel größere Gefahr von außen entstanden wäre.

    Waren wir den Verfolgungen unserer eigenen Vorfahren, die uns als abtrünnige Verräter an den widerlichen uralten Riten und Gottheiten angesehen und gejagt hatten, gerade noch entkommen, hielt dieses Glück doch nicht für immer. Die alten Völker gingen zwar unter, wie von den Sehern vorhergesagt, doch nicht deren Irrglaube, welcher von wenigen Überlebenden weiterhin ausgeübt wurde. Der Hass trieb diese verblendeten Seelen dazu, selbst vor einem Pakt mit den Todfeinden ihrer eigenen Ahnen nicht zurückzuscheuen, nur um die Überlebenden der Abtrünnigen letztlich zur Strecke zu bringen. So streiften wieder Blutelfenjäger durch die Landschaft, diesmal aber verbündet mit den Werwölfen, wie es schien, weil ihre eigene Zahl zu gering war, um Erfolge erzielen zu können.

    Wann diese Untiere der Nacht, von welcher Sorte auch immer, entdeckten, dass im Raum des Adlergebirges ein ehemaliger Teil des Blutelfenvolkes lebte, ob mit Verrat durch Angehörige unserer eigenen Rasse oder nur durch Zufall, sei dahingestellt. Der Schrecken begann durch Überfälle auf unseren Handelsweg nach Osten. Die Art, wie die Umgekommenen zugerichtet waren und der Umstand, dass diese Angriffe nur nachts stattfanden, gehäuft um den Vollmond, ließ unsere Herrscherin und die Priester eine schreckliche Ahnung bekommen – der alte Feind trieb sein Unwesen. Als dann Überlebende von Wolfsrudeln und den großen rötlichen Tieren berichteten, gab es keinen Zweifel mehr - Nen’Harum selbst war zwar noch nicht entdeckt, aber vielleicht zum Ziel von Werwölfen geworden. Wir, die Tel’Runyara durften zukünftig nicht mehr in Frieden leben. Während früher ein einzelner Werwolf keine Gefahr für einen ursprünglichen Blutelfen darstellte, war dies inzwischen anders geworden. Unsere Männer und Frauen verfügten längst nicht mehr über alle außergewöhnlichen Körperkräfte, die aus dem Bluttrinken erwuchsen und die Werwölfe kamen nicht einzeln, sondern stets zu mehreren, unterstützt von ihren Brüdern, den echten Wölfen. Manch ein Kämpfer war noch mit alten Kräften gesegnet und erwuchs zum Helden, was aber leider eine Ausnahme blieb. So beschlossen die Herrscherin und die Priester, eine mildere Art des alten Blutopferkultes wieder einzuführen, um zukünftig stärkere Kämpfer gebären zu können und gleichzeitig den Handelsweg nahe dem westlichen Ende der Hochebene am Eingang in die Berge abzuriegeln.
    #211VerfasserJean-Louis01 Apr. 09, 10:55
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    Geschickt verstand es inzwischen unser alter Feind, sich rasch zu vermehren, indem er nur die Männer, Knaben und alten Frauen tötete, deren er habhaft werden konnte, aber die Mädchen und Frauen im gebärfähigen Alter verschonte und sie durch Umwandlung zu den Seinigen machte. Als dann auch noch die östliche Hochebene durch die höchst undurchdringlichen Buschwälder zu seinem Siedlungsgebiet wurde, konnte niemand mehr ohne starken Schutz den östlichen Weg bereisen – es kam der Gedanke auf, einen neuen Weg zu suchen, welcher dann durch ein entdecktes Tal mit einer idealen Witterung für uns geführt werden sollte. Die heiße Quelle und der warme Bach in diesem Tal sorgten für einen sehr beständigen Nebel, welcher das Sonnenlicht genügend dämpfte, um uns, die wir nach wie vor empfindlich auf zuviel Sonne und Licht reagierten, ausreichend zu schützen. Aus diesem Grunde wurde dort eine starke Wehranlage zum Schutze des neuen Weges errichtet und Quelle und Bach zum Heiligtum erklärt.

    Über all diese Vorgänge darf man aber nicht die Zweiteilung unseres Volkes vergessen. Diese führte nämlich dazu, dass sich fast ausschließlich Verweigerer der alten Götter und des unter ihnen verpönten Bluttrinkens in die Burg des grauen Nebels auf dem hohen Felsen begaben, froh darüber, endlich der für sie unerträglichen Nachbarschaft zu althergebracht Denkenden entronnen zu sein. Ein Priester überwachte in der Burg, dass die Sitten nicht ganz aus der Linie gerieten und diejenigen, die sich in einer Erneuerung von Geist und Körper sahen, trotzdem den Wachdienst und die Kämpfe zum Schutz der Reisenden ausübten. Für die Gunst, sich ein eigenes Leben unter neuen Regeln aufbauen zu dürfen, musste aber von den „Erneuerern“ ein hoher Preis bezahlt werden. Um dem wieder zunehmend in alter Tradition verhafteten Teil des Volkes in Nen’Harum ihre Dankbarkeit zu beweisen, mussten die Fortgegangenen einen mächtigen Zauber über sich ergehen lassen und zukünftig erdulden. Sie mussten bis in alle Ewigkeit jedes dritte Kind, sofern es ein Knabe war, ihrem Muttervolk an einem Vollmond überlassen, aber nicht um es über dem Opferbecken zu töten. Das Volk brauchte es dafür, um stets neue Blutlinien bilden zu können und nicht der Gefahr ausgesetzt zu werden, durch den Verlust der halben Bevölkerung in eine Vermehrung nur unter sich selbst gezwungen zu werden, welche zu einem raschen Ende geführt hätte. Leider ließen die Angriffe auf die östliche Wegstrecke kaum nach, nur wurden sie zunächst seltsamerweise weniger gefährlicher. Es kehrte sogar eine Zeit lang etwas Ruhe ein, welche die Werwölfe aber nur dazu nutzten, um sich weiter zu vermehren und neue Möglichkeiten zu finden, um unser Volk zu dezimieren. Inzwischen wurde in höchster Eile ein neuer Weg mitten durchs Hochgebirge von Nen’Harum aus zu der neuen Wehrburg gebaut, um vor allem auch die Versorgung mit dem lebenswichtigen Salz, welches in Nen’Harum ganz einfach mit dem warmen Salzwasser getrunken wurde, in Grauenfels aber als Beimischung zum Süßwasser erforderlich war, zu gewährleisten.
    #212VerfasserJean-Louis01 Apr. 09, 11:01
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    In einem Winter kam es dann erstmals zu Überfällen auf diesem neuen Weg durchs Hochgebirge, welche sich rasch zu einer ernsthaften Bedrohung auswuchsen. Während man in Nen’Harum betete und überlegte, den Weg gänzlich um das Gebirge herumzuführen, entschloss man sich in Grauenfels, wie die Wehrburg von sich dort unterdessen vereinzelt angesiedelten Menschen genannt wurde, den offenen Kampf zu suchen. Dies auch deshalb, weil man von diesen mutigen, zugewanderten Menschen inzwischen sehr viel über neuartige Waffen und Kampfmethoden gelernt hatte. So marschierten an einem frühen Morgen alle kampffähigen Elfen aus Grauenfels zunächst nach Osten auf dem inzwischen ebenfalls begonnenen, neuen Weg ab, um dann nach Norden abbiegend am Rande der Berge entlang das östliche Ende der Hochebene mit dem alten Ostweg zu erreichen, wo sie in den dortigen Wäldern die Nacht verbrachten. Noch in dieser Nacht am nächsten Tag geschah das Gleiche von Nen’Harum aus auf dem alten Ostweg zur Hochebene hin. Wahrscheinlich hatten die Werwölfe sehr früh nur die von Westen herankommende Blutelfengruppe erspäht – Verrat wurde nach der Schlacht ausgeschlossen, weshalb sich die männlichen Tiere im westlichen Bereich der Hochebene versteckten, wo die Unübersichtlichkeit auch am Größten war. Die Elfenkämpfer der „Erneuerten“ dagegen wurden nicht entdeckt und konnten ihrerseits das große Lager der Wehrwölfe am frühen Vormittag finden, die zur Überraschung der meisten Kämpfer, die zum ersten Mal ein solches zu Gesicht bekamen, in runden Zelten wie einfache Völker in der alten Zeit lebten – noch dazu allesamt in Menschengestalt. Aufkommende Zweifel, ob man sich nicht getäuscht hatte, wurden rasch beseitigt, als sich entgegen rennende, junge Männer und selbst Kinder im Sprung in Wölfe verwandelten und sofort angriffen. Das Gemetzel unter ihnen war grauenhaft – es gab keine Überlebenden unter Frauen, Kindern und den Alten der Werwölfe. Bemerkenswert war, dass sich zwar alle männlichen Wesen, aber nur wenige der weiblichen in angreifende Werwölfe verwandelten. Auch jene Frauen, die in Menschengestalt vor Angst wimmert um Gnade flehten, wurden nicht verschont. Im Handumdrehen brannten ein halbes Dutzend Scheiterhaufen lichterloh, wodurch viele verdammte Seelen erlöst wurden.

    Am anderen Ende der Hochebene kam es laufend zu einzelnen Kämpfen Blutelfe gegen Werwolf, weil die Untiere aus ihren Verstecken im Dickicht heraus die angreifende Gruppe in einem sehr unübersichtlichen Abschnitt der Hochebene aus dem Hinterhalt überfielen und fast gänzlich aufrieben. Nachdem der Schlachtenlärm abgeklungen war, die überlebenden Verlierer geflohen und die jeweiligen Sieger zurückgekehrt waren, befanden sich nur die glücklich heimgekehrten Erneuerten in Grauenfels in einer vorteilhaften Lage. Die Feinde hatten keine Möglichkeit mehr, Nachkommen zu zeugen. Die Blutelfen in Nen’Harum sahen sich in einer ähnlichen, schlimmen, nur unwesentlich besseren Lage, denn ihnen fehlten jetzt die meisten Männer. Die Kraft für eine weitere Schlacht fehlte auf beiden Seiten, aber auch der Schutz der Reisenden auf dem Ostweg war nicht mehr zu gewährleisten, weshalb er endgültig aufgegeben und der Bau des neuen nochmals vorangetrieben wurde. Die Überfälle in den folgenden Jahren durch die Werwölfe beschränkten sich auf das Rauben von Frauen und Mädchen.

    Der neue Weg war schließlich fertig gebaut und im Hochgebirge wurde eine Übernachtungsstätte mit Bethaus errichtet – der „Tempel der Mitte“. Jeder Reisende oder Pilger, der in Grauenfels am frühen Morgen aufbrach, erreichte vor der Abenddämmerung – nicht immer im Winter – diesen Ort des Schutzes und von dort aus in ebenfalls einer Reise bei Tageslicht Nen’Harum. Ab jetzt waren außerhalb der Winterzeit kaum noch Opfer durch Werwölfe zu beklagen. Im Winter war es umgekehrt – kaum jemand kam am Ziel an, aber viel schwerer wog, dass die Versorgung mit dem lebenswichtigen Salz aus den toten Seen durch die Überfälle unterbrochen wurde. Leider konnte man niemals Salz längere Zeit lagern, da es schnell unbrauchbar wurde in dem Talkessel mit seiner sehr feuchten Luft. So wurde der Weg fortan bewacht, wie schon einmal der alte Ostweg. Nach kurzer Zeit war der Zugang aus einem Seitental gefunden worden, durch den die Werwölfe in wieder steigender Anzahl vordrangen. An einer verhältnismäßig engen Stelle in diesem Tal gab es auch viele Höhlen, so dass sich dort eine sehr gute Position ergab, um einerseits die Feinde abzuwehren, andererseits ein Lager mit Wächtern zu errichten. Eine ausgeklügelte Palisade ermöglichte dann vergleichsweise wenigen Wächtern eine sichere Sperrung des Zuganges aus dem Seitental und die Vernichtung vieler Angreifer.
    #213VerfasserJean-Louis01 Apr. 09, 13:10
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    Derweilen waren doch einige Generationen vergangen, als sich führende Köpfe in der Wehrburg Grauenfels zu geheimnisvollen Treffen zusammenfanden. Sie berieten darüber, dass noch die Gelegenheit günstig sei, sich ein für alle Mal vom Muttervolk zu trennen. In Grauenfels gab es bereits etliche Halbelfen, die Zahl der Menschen hatte stark zugenommen und durch deren Handel nach Süden sah man auch die Unabhängigkeit von der Salzversorgung aus Nen’Harum gekommen. Das gemäßigte Blutelfenvolk dort kümmerte sich mehr um die Anbetung der Götter und längst unsinnig gewordener Riten, als um die Sicherung der Zukunft und so war bereits eine beängstigende Überalterung eingetreten, an der auch die regelmäßige, widerwillige „Opfergabe“ aus Grauenfels, die reinen Knaben, wenig ändern konnte. Die „Erneuerten“ sahen sich nicht mehr als Teil dieses überkommenen Volkes und so wurde der wachsame Priester halb überzeugt, halb gezwungen, dem unseligen Zauber, der jedes dritte Kind dazu zwang, wenn es denn ein Knabe war, zur Not auch allein den Weg nach Nen’Harum anzutreten, einen wirksamen Gegenzauber entgegenzusetzen. Allerdings vergaßen die Elfen beim Wirken dieses ebenfalls sehr mächtigen Zaubers, dass inzwischen viele Menschen im Talkessel lebten und so wurden diese mit in die Magie hineingezogen. Während die Elfen vom Opferzauber befreit und ihnen fortan auf jeden Knaben zwei Töchter geboren wurden, kam das ganze Tal sowohl unter den Zauber als auch den Gegenzauber. Viele Menschengenerationen später wirkten beide Zauber bei den Menschen nahezu gleichermaßen, der Gegenzauber funktionierte bei ihnen aber nicht zuverlässig. Anstatt eines Elfen begab sich fortan bei Vollmond immer wieder einmal ein Menschenkind auf die verfluchte Wanderschaft.

    Natürlich traten Vertreter des Muttervolkes auf den Plan, um zunächst dem Ausbleiben der Elfenknaben, dann dem Erscheinen eines Menschenkindes auf den Grund zu gehen und dieses zurück zu bringen. Die Menschen erfuhren natürlich von all diesen die Elfen betreffenden Vorgängen absolut nichts. Es ging sie noch nichts an. Da es aber stets keine Priester waren – diese gaben sich nur mehr mit ihren törichten, feierlichen Handlung ab, mussten die Vertreter ohne Ergebnis, lediglich mit der bitteren Erkenntnis, das es so ist, wie es ist, nach Nen’Harum zurückkehren. Die Wächter im Gebirge verließen alsbald die Höhlen an der großen Palisade, alles Brauchbare wurde mitgenommen und in Grauenfels verwendet. Vor allem im Winter gingen nunmehr sämtliche Reisenden, welche unbedingt nach Nen’Harum oder von dort nach Grauenfels wollten, auf eigene Gefahr. Die Werwölfe trieben natürlich trotz allem weiter ihr Unwesen, wurden aber von den unerschrockenen Menschen, die sie nicht kannten, ebenso gejagt wie ihre nahesten Verwandten, die Wölfe und so aus dem Talkessel weitestgehend ferngehalten, welcher inzwischen Nebelgrund hieß. Die heiligen Quellen wurden von den Menschen aber nicht mit gebührendem Respekt behandelt, gaben sie ihnen doch den Namen „Heißes Loch“, weil die große Felsspalte in der Anordnung mit den seitlichen Steinblöcken, aus welcher der Hauptteil des Baches entsprang und zunächst einen kleinen See bildete, eine bestimmte Vorstellung in ihnen hervorrief.
    #214VerfasserJean-Louis01 Apr. 09, 13:31
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    Dann kam es in einem schrecklich strengen Winter um den Vollmond zu einem entscheidenden Ereignis, welches den Untergang des Blutelfenvolkes in Nen’Harum und das Ende des großen Werwolfrudels einläutete. Ein Menschenkind brach wieder einmal auf, zum ersten Mal ohne Schutz, gezwungen von dem verdammten Zauber, um dem alten Weg über den Tempel der Mitte nach Nen’Harum zu folgen. Der Junge wurde von den ihn dann suchenden Menschen zerfetzt in der Nähe der Höhlen der Wächter gefunden, von denen die Menschen allerdings nichts wussten. In der Wehrburg nahm man davon kaum Notiz. Es waren zu dieser Zeit die meisten verbliebenen Elfen im Nebelgrund bereits in einem fortgeschrittenen Alter, da die jüngeren, vor allem die Halbelfen, regelmäßig nach Süden gegangen waren, weil sie kaum noch Probleme mit dem Sonnenlicht hatten. Zwar beunruhigt durch den Vorfall beobachtete man aber viele Jahre nur die weitere Entwicklung. Die Menschen erzählten, dass sie immer weiter nach Westen ins Gebirge gehen mussten, um die Überreste der Knaben zu finden. Es zeichnete sich ab, dass die Werwölfe auf diese Weise nach Nen’Harum gelangen würden und man warnte das ehemalige Muttervolk. Doch dort war man nicht mehr in der Lage, eine schlagkräftige Truppe gegen den Todfeind der Blutelfen aufzustellen, um die Brutstätte in der Schattenebene auszuheben. Aber, man sah schon den Ernst der Lage. Anders als auf dem alten Ostweg, den die Werwölfe anscheinend nur als Handelsstraße betrachtet hatten und auf diesem nie ernsthaft versuchten, nach Westen vorzudringen und so Nen’Harum direkt zu gefährden, war ein wanderndes Kind eine regelrechte Aufforderung, ihm zu folgen.

    So wurde in aller Eile ein Plan geschmiedet, der ein Menschenkind als Lockvogel benutzte, um die Werwölfe bis nahe an den Tempel der Mitte zu bringen, in dem dann die letzten wehrhaften Kämpfer der Blutelfen warten würden, während die doch noch kampfkräftigeren Elfen aus der Wehrburg dem Kind in größerem Abstand folgen sollten, um den Werwölfen in den Rücken zu fallen und sie so zu einem offenen Kampf auf deckungsloser Schneefläche zu zwingen. Der Plan gelang, nur waren es wesentlich mehr Gegner als erwartet, dazu unterstützt von einem zufällig dazu kommenden Wolfsrudel. Die zuvor schneeweiße, große Ebene vor dem Tempel der Mitte war am Ende des Kampfes rot gefärbt, blutbesudelt und mit Leichen und Kadavern übersät. Die überlebenden Elfen zogen sich rasch nach Grauenfels zurück, die wenigen noch am Leben sich befindenden Blutelfen schleppten sich mit letzter Kraft nach Nen’Harum, was ein großer Fehler war. Die Werwölfe hatten nämlich mehrere Überlebende, von denen sich jene Verletzten, die nicht gebissen worden waren, zur Schattenebene, wie die Menschen die Hochebene mit dem alten Ostweg nun nannten, durchschlugen. Ein gänzlich unverletzt gebliebener Werwolf folgte aber den Blutelfen und so wurde Nen’Harum von unseren Todfeinden entdeckt.

    Das vollständige Ende meines Volkes, der Tel’Runyara, kam dann nach wenigen Jahren der Erholung – aber auch für das Rudel der Werwölfe. Es müssen wohl alle noch verbliebenen Werwölfe und einige Wolfsrudel gewesen sein, welche an einem Vollmond unsere alte Wohnstätte Nen’Harum überfielen. Der Kampf, das Schlachten und Wüten, dauerte bis zum Morgengrauen. Wenige Werwölfe blieben übrig, die bei Sonnenaufgang ebenso schnell verschwunden waren, wie sie kamen. Kaum ein Blutelfe war unverletzt geblieben, die meisten tot oder starben noch am selben Tag. Nicht viel besser erging es den noch lebenden, aber verletzten und gelähmten Werwölfen. Sie verendeten jämmerlich. Nach dem Tagesanbruch wurden neben den großen, rötlichen Werwolfkadavern fast ebenso viele tote Menschenfrauen in verschiedenem Alter gefunden – alles arme Menschen, die geraubt und der Umwandlung zum Opfer gefallen, aber nun erlöst waren.

    Es gab jetzt keine funktionierende Gemeinschaft mehr und so suchte jeder überlebende Blutelfe des Volkes der Tel’Runyara sein Heil im Weggang von diesem für alle Zukunft nicht mehr sicheren Ort, um vielleicht nach vielen Nächten der mühseligen Reise doch noch irgendwo unterzukommen. Ich selbst schrieb alles auf und sorgte dafür, dass die Aufzeichnungen gut geschützt die Zeit würden überdauern können. Ich nahm die kleine Truhe und die eine große, in der ich die aufgeschriebene Geschichte meines Volkes aufbewahrte, sein Wissens über den Todfeind und ein gerettetes Pergament mit einer Inschrift, welche die einzige Möglichkeit aufzeigt, vom Bluttrinken geheilt zu werden, mit nach Grauenfels, wo ich die große Truhe meinen Brüdern und Schwestern zur Aufbewahrung anvertraute, während ich die kleine mit auf die Reise weiter nach Osten nehmen werde, wohin auch immer mich der Weg noch führen wird. Wenn es die Götter so wollen, wird man eines Tages die Geschichte meines Volkes erforschen und durch die Karte in der kleinen Truhe zu den Aufzeichnungen und den Orten finden, an denen die Tel’Runyara einst lebten.
    #215VerfasserJean-Louis02 Apr. 09, 09:47
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    Almeran lehnte sich zurück, schloss die Augen und ging das Gelesene in seinen Gedanken noch einmal durch. Jetzt lösten sich etliche noch immer rätselhafte Vorgänge im Nebelgrund und um den Weg an den Rotfell-Spitzen vorbei nach Nen’Harum auf. Wie er schon vermutet hatte, war jeweils ein starker Zauber schuld daran, dass kein drittes geborenes Kind ein Knabe sein sollte und wenn es dann doch einer war, dass dieser sich auf diese unselige Wanderschaft zur alten Stätte des Blutelfenvolkes begeben musste. Ja, Verrat war vermutlich im Spiel – eine uralte Plage, die sogar schon die alten Elfenvölker kannten. Den Feind sich zum Freund zu machen, nur um Andersdenkende aus den eigenen Reihen los zu werden – welch ein schändliches Tun. Doch, es kam dann so, wie es sich fortwährend wiederholte im Lauf der Geschichte und immerwährend wiederholen wird. Jene, die mit Kreaturen der Dunkelheit paktierten, wurden von diesen selbst ausgelöscht. Es erfüllte Almeran mit einem sehr wohltuenden Gefühl, bestätigt zu bekommen, dass sich das Gute auf der Welt und mit ihm die anständigen und aufrechten Wesen letztendlich doch durchsetzen und über die Finsternis triumphieren konnten. Fast alles wäre bestens gewesen, wenn da nicht diese Brut der Werwölfe als übrig gebliebenes Erbe dieser üblen Vorgänge um Blutopfer und Bluttrinken nach wie vor ihr Unwesen trieb. Telmy würde an diesem Ort weder Ruhe noch ein langes Leben finden, darüber war sich der alte Druide sicher. Je schneller er seine Halica heiraten würde, um so eher konnten beide weiter ziehen und zu einem Ort ohne diese andauernde tödliche Bedrohung finden. Ja, so bald wie möglich würde er alles vorbereiten und dafür sorgen, dass beide zu einem Ehepaar werden würden. Dann dachte Almeran über die Teilung des Blutelfenvolkes nach. Derjenige Teil, welcher den anderen um seine Reichtümer gebracht hatte, war in einer alten Burg untergekommen, die wieder aufgebaut wurde und zwar in einer Gegend, durch die Halica und Telmy gereist waren. Sollten sie diesen Schatz gefunden haben? Wenn die Schatulle, von der Halica sprach, tatsächlich von den Tel’Runyara stammen sollte, musste dies so sein. Jetzt drehten sich seine Gedanken nur noch um die mögliche Heilung seines Ziehsohnes.

    Er blickte daher wieder auf die Schriftrolle und las den letzten Absatz erneut durch. Dieser unbekannte Schreiberling nannte ein Pergament, in dem stehen sollte, wie man einen Blutelfen von diesem widerwärtigen Blutdurst heilen konnte. Almeran hatte die Überschriften der beiden anderen Schriften bereits gelesen und wusste daher, dass er dieses Pergament vor sich liegen hatte. Unterdessen hielten sich Halica und Telmy im großen Zimmer auf. Die Elfe war furchtbar neugierig, was wohl in den Schriftrollen stand. Sie setzte sich, stand wieder auf, ging im Zimmer hin und her und in ihr wuchs die Unruhe, vielleicht endlich Antworten zu erhalten. Sie biss sich auf die Lippen und sah Telmy nachdenklich an. Der saß auf der Bettkante, den Kopf in beiden Armen abgestützt, die Ellenbogen auf den Knien. Ihr war ganz flau im Magen und sicher ging es ihm ähnlich. Sie ging zu ihm hin, nahm seine Hand und setzte sich neben ihn. Dann lächelte sie und versuchte, sich selber und ihn aufzumuntern, wobei sie sich an ihn kuschelte. Sie dachte über die Reise hierher nach, wie sie begann und wie sie Telmy fand. Sie wusste, ihr Schicksal war kurz davor, sich zu erfüllen. Sich eng an ihn schmiegend malte sie sich schon ihre Hochzeit mit ihm aus, um sich abzulenken. Ein glückliches Strahlen huschte dann über ihr Gesicht.
    „Was denkst du, werden wir noch alles erfahren? Ob wir auf alles Antworten erhalten? Ich weiß nicht, manchmal denke ich, es wäre vielleicht besser, wenn wir einfach gehen, all dies hinter uns lassen und ein neues Leben beginnen. Ich will einfach nur mit dir zusammen glücklich sein. Aber dann ist dieses quälende Gefühl, etwas Wichtiges nicht zu wissen, dass immer ein Stück fehlen wird, was uns Unglück bringen könnte“ Sie stand wieder auf und lief zum Fenster. Der schöne Tag verlor seinen Kampf gegen die Nebelschwaden, die langsam durch das Tal zogen und eine etwas bedrückte Stimmung machte sich in Halica breit.
    #216VerfasserJean-Louis02 Apr. 09, 11:44
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    „Ach, meine Liebste. Ich denke, Vater Almeran wird uns noch die Schriften lesen lassen oder uns sagen, was vielleicht wichtig ist. Er weiß ganz bestimmt, was für uns gut ist. Mach dir doch keine solchen Sorgen. Komm lieber in meine Arme und lass uns noch etwas kuscheln, bevor uns der Großvater ruft. Ich möchte dich jetzt ganz nahe bei mir haben.“ Sie ließ sich nicht lange Bitten. Mit einem aufkommenden Lachen hüpfte sie sogleich neben Telmy ins Bett und dann begann ein Schmusen und Kuscheln, als wenn es nichts anderes auf der Welt gäbe. Für einen etwas kurzen Moment waren doch alle Sorgen wie weggewischt. Schließlich rief der Druide die beiden in seine Studierstube und ließ sie das Pergament lesen, welches von einem Schreiber des Blutelfenvolkes aufgezeichnet worden war. Er selbst legte die Schrift zur Heilung eines Blutelfen erst einmal zur Seite, um sich die Schriftrolle über die Werwölfe vorzunehmen. Auch das sollten die beiden dann noch zu lesen bekommen, mehr aber nicht, denn dann würde es bereits abends sein. Morgen früh sollte dann der Zeitpunkt sein, um sich mit Telmys Heilung zu beschäftigen, mit frischen Kräften. Während nun Halica und Telmy ganz aufgeregt den erhaltenen Teil der Geschichte der Tel’Runyara lasen, widmete sich der alte Druide der Schrift über deren Todfeinde.

    Unsere Todfeinde – die Werwölfe

    Um es vorab zu sagen – unser jetziges Wissen über den größten Feind aller Blutelfen ist gering gegenüber dem, was unsere Vorfahren wussten. Leider konnten keine Aufzeichnungen in die neue Heimat Nen’Harum mitgenommen werden und das große Wissen ist sicherlich mit den alten Völkern untergegangen. Dennoch versuchte ich, so viel zusammenzutragen und aufzuschreiben, wie an einigermaßen verlässlichen Angaben noch ermittelbar war. Danach lasse ich unser neues Wissen über die Werwölfe einfließen, welches ich zum Teil selber gesammelt habe.

    Woher sie kommen, wer sie wirklich geschaffen hat, wusste niemand mehr. Die Menschen aber glaubten, was einer der ihren aufgeschrieben hatte, dass ein König namens Lykaon dem obersten Gott – wer immer das auch war, Menschenfleisch als Speise vorsetzte, weshalb ihn darauf der Göttervater zur Strafe in einen Wolf verwandelte, der fortan heulend durch die Wälder ziehen musste. Damit hätten die Götter aber ein Vorrecht, das sie bisher nur für sich selbst in Anspruch nahmen, die Gestaltwandlung, auch den Menschen zuteil werden lassen. Dies mochte glauben, wer es wollte.

    Die Ältesten unseres Volkes, der Tel’Runyara, erzählten dagegen von Sagen und Legenden, die sich weit im hohen Norden, jenseits des Meeres abspielten, wo das Leben begonnen haben soll. Vor der Zeit soll es viel weniger Wasser in den Meeren gegeben haben, so dass man trockenen Fußes an Orte gelangen konnte, die nun durch tiefes Wasser voneinander getrennt sind. Alles war noch düster und das Leben entstand erst, als das Sonnenlicht die dunklen Schleier durchdringen und den Boden erwärmen konnte. Es waren geisterhafte Wesen, welche die ersten lebendigen Kreaturen erschaffen hatten. Diese das Leben schaffenden Wesen wurden dann die Götter unserer Urahnen. So, wie sich danach die Welt veränderte, entstanden nach und nach die verschiedenen Rassen, welche auch heute noch diese Welt bevölkern.
    #217VerfasserJean-Louis02 Apr. 09, 11:48
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    Da die große Zeit der alten Götter unaufhaltsam ihrem Ende entgegen ging, schufen diese als Strafe dafür, dass die Urvölker sie nicht mehr achteten, böse Wesen und brachten auch die Schlechtigkeit in das Denken der Urahnen. Diese hatten inzwischen die Magie entdeckt und nutzten sie nun, da es auch böse denkende Magier gab, nicht nur zu guten Zwecken. Aus den Versuchen, Kreaturen zu erschaffen, welche solch machtgierigen Magiern als Kämpfer dienen sollten, entstanden sehr gefährliche Abkömmlinge von Wölfen. Ihnen wurde die Gabe der Gestaltwandlung durch wirksame Zaubersprüche gegeben, damit sie sich unerkannt unter der anderen Bevölkerung bewegen konnten, bis der Augenblick ihres Zuschlagens gekommen war – dann verwandelten sie sich in große, reißende Bestien und töteten die Widersacher ihres Herrn. Diese Herren hatten aber übersehen, dass sich die Weibchen, welche diese bösartigen Kämpfer zu versorgen hatten, auch mit den Männchen paaren konnten. So entstanden Nachkommen, welche nicht mehr an die Magie der ursprünglichen Herren gebunden waren – der echte Werwolf hatte sich selber entwickelt.

    Dass der Biss dieser Untiere ein Gift in den Körper des Opfers brachte, war gewollt, damit sich die Armee der Herren von selbst vergrößern konnte. Der Schlüssel dazu war der Vollmond, denn seine Kräfte bewirkten die Umwandlung gebissener Überlebender. So entstanden die unechten, geraubten Werwölfe. Allerdings waren die Auswirkungen des Giftes auf Menschen und Elfen unterschiedlich. Die Menschen kannten die Magie noch nicht und standen so schutzlos der Verwandlung nach einem Biss gegenüber. Elfische Magier versuchten, einen Gegenzauber zu finden, was aber nicht vollständig gelang. Gebissene Elfen konnten zwar vor der Verwandlung gerettet werden, behielten aber den Bluttdurst der Werwölfe. Deshalb wurde nach einer gewissen Zeit, welche diese Erkenntnis brauchte, jedes nun „Blutelfe“ genannte, überlebende Opfer aus den Kreisen der Elfen aus den Gemeinschaften ausgeschlossen. Gezwungenermaßen fanden sich die Verstoßenen zusammen und gründeten zunächst neue Familien, aus denen später Sippen und letztlich ein ganzes Volk entstand.

    Soweit zu den Sagen und Legenden der Entstehung von den Werwölfen aus dem Wissen der Elfenvölker. Das Wort „Werwolf“ bedeutete in vielen alten Sprachen „Mannwolf“ - ein Wolf, der eigentlich ein Mann ist. Anderswo nennt man ihn auch „loup-garou“, „fáelad“ oder „Orborot“. Nach dem Glauben der Menschen verwandelt sich ein Mensch vorübergehend bei Vollmond in einen Wolf. Als blutrünstige Bestie fällt er wahllos über seine Opfer her, tötet oder verschlingt sie. Kommt sein Opfer nur mit einer Verletzung davon, wird es ebenfalls zum Werwolf. Es sei denn, der Fluch wird gebannt, indem der Verursacher vor dem nächsten Vollmond getötet wird. Weiterhin glauben die Menschen auch, die Verwandlung ermöglicht ein Ring aus Menschenhaut (vorzugsweise die Haut eines Selbstmörders oder Ermordeten), durch die man dreimal kriechen muss. Anderorts ist die Sprache von einem Gürtel aus dieser Haut, den man anlegen oder ein Tierfell, das man sich überwerfen muss. Bei der Rückverwandlung muss man wiederum dreimal durch den Ring kriechen, beziehungsweise den Gürtel oder das Tierfell ablegen. Der Werwolf wird durch Verwundung entweder sofort zur Rückverwandlung gezwungen oder doch später dadurch erkannt. Durch den Tod wird der Zauber unter allen Umständen gebrochen. Der Verwandelte kann auch vorzeitig aus seinem tierischen Zustand erlöst werden, wenn man seinen Namen nennt oder ihm aus Mitleid einen Bissen Essen schenkt. In bestimmten Gegenden glaubte man an eine Verwandlung durch bestimmte Umstände bei der Geburt. Wenn eine schwangere Frau etwa durch eine Fohlen-Eihülle kriecht, wird sie zwar ohne Schmerzen gebären, aber das Kind wird, wenn es erwachsen ist, fast jede Nacht zum Werwolf werden und schwangere Frauen überfallen. Auch heißt es, die Vernichtung eines Werwolfes kann angeblich nur durch silberne Waffen und Geschosse erfolgen. Nur die Reinheit dieses Metalls soll ihm Schmerz zufügen können, ihn schwächen und sogar töten.
    #218VerfasserJean-Louis02 Apr. 09, 11:54
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    Die Menschen glauben nur zu gern, alles was auf der Welt vorkommt, müsse in irgend einer Weise mit ihnen zu tun haben, weshalb sie von ihrem Aberglauben, der allerdings auch viele wahre, aber doch zusammen gemischte Bestandteile enthält, nicht abrücken wollen und den echten Wehrwolf, wie er durch diese gewissenlosen Magier entstanden ist, ihrerseits als Märchen betrachten. Sie glauben, es gibt nur arme, verwandelte Opfer. Unser Volk weiß dagegen sehr wohl, dass es gezeugte und umgewandelte Werwölfe gibt und zwar beiderlei Geschlechts. Männliche Tiere sind stets Nachkommen zweier Werwölfe, also gezeugt, wobei es keine Rolle spielt, ob die Eltern ihrerseits echte oder umgewandelte Werwölfe sind. Dies ist deshalb so, weil jedes männliche Kind theoretisch später ein Rudelführer werden kann und somit die Eigenschaft besitzen muss, sich jederzeit in den Wolf zu verwandeln, was umgewandelten Artgenossen nur in der Nacht des Vollmondes möglich ist. Weibliche Tiere werden meist geraubt, bevorzugt schon im Kindesalter, dabei nur gebissen, worauf sich schon beim nächsten Vollmond die Umwandlung vollzieht. Jeder echte Werwolf kann sich stets in eine menschliche Gestalt zurück verwandeln, wobei die Umgewandelten dies nur bis zum Ende des dem Vollmond folgenden Tages selbst vollbringen können, weil sich am Ende dieses Tages von allein ihr ursprüngliches Aussehen wieder einstellt, welches sie bis zum nächsten Vollmond behalten müssen. Wird ein Werwolf getötet, was später beschrieben wird, so verbleibt der echte Werwolf immer und ausschließlich in seinem wolfsartigen Körper und er verwandelt sich sogar in den Wolf im Sterben zurück, wenn er in Menschengestalt den Tod antrifft. Durch Verletzungen, meist die schon genannten Bisse, umgewandelte Menschen verlieren ihre Wolfsgestalt im Zeitpunkt ihres Todes und nehmen stets ihre ursprüngliche Gestalt wieder an, die sich aber im Laufe der Zeit ändert, was am zwar verlangsamten, aber dennoch fortschreitenden älter werden liegt.

    Der umgewandelte, nur in wenigen Ausnahmefällen nicht weibliche Werwolf kann in seiner Menschengestalt an nichts erkannt werden. Lediglich die Fieberanfälle mit Albträumen in der Nacht vor dem Vollmond können ihn verraten. Der echte, gezeugte Werwolf verliert aber nach der Annahme einer menschlichen Gestalt niemals gewisse verräterische Anzeichen, die nun aufgelistet werden, aber meistens nicht alle auf einmal vorkommen:
    - ungewöhnlich starke Körperbehaarung, - zusammengewachsene Augenbrauen, - Narben von großen Bisswunden, - Ohren, die extrem anliegen, - blutunterlaufene Fingernägel, - auffallend lange Mittelfinger und rötliche Zähne, - extreme Wutausbrüche und eine hohe Aggressivität, - Berührung mit Silber löst Verbrennungen aus, - ungewöhnlich schöne Augen, die auch in der Nacht leuchten, - trübsinniger Einzelgänger, - hat immer Durst, Mund und Augen sind trocken, - unfähig zu weinen, - meistens nicht in greller Sonne unterwegs.

    Getötet werden kann ein Werwolf auf die meisten Arten, wie andere Untiere auch, nur müssen die Wunden entsprechend groß sein. Jede Art von Stich- oder Hiebwunde, die einen Elfen töten würde, schwächt den Werwolf nur kurz, weil sich solche Wunden nahezu sofort wieder innen wie außen schließen. Eine abgeschlagene Gliedmaße dagegen behindert und schwächt ihn bereits erheblich, tötet aber nicht unbedingt. Am Sichersten ist es, den Kopf abzuschlagen, den Rumpf zweizuteilen oder zu spalten. Auch mehrere schnell beigebrachte große Schnittwunden lassen ihn ausbluten, da seine Fähigkeiten der Wundschließung begrenzt scheinen. Allerdings wurde schon berichtet, dass ein Werwolf, dem ein Kämpfer den Leib in einem Hieb von der Brust bis in den Schritt aufgeschnitten hatte, laut jaulend seine heraus gequollenen Gedärme zusammenraffte und jämmerlich heulend wegrannte – ob er überlebte, ist aber nicht bekannt geworden.
    #219VerfasserJean-Louis02 Apr. 09, 13:16
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    Unumstritten ist dagegen die Wirkung von Silber, welches stets giftig für den Werwolf ist. Ein silberner Bolzen, ein Pfeil mit Silberspitze oder eine silberne Klinge muss allerdings tief genug in seinen Körper eindringen, damit das Untier das Teil mit der Giftwirkung nicht selber wieder entfernen kann und daher dann nur geschwächt wird. Es braucht eine Zeit, bis die Giftwirkung eintritt. Der Silberdolch sollte daher bevorzugt zwischen die Schulterblätter gestochen werden, um das Verbleiben in dem Werwolfkörper abzusichern. Auch bewährt hat sich das Stechen mit silbernen Klingen, wenn man schnell genug eine zweite und dritte in den Körper des Untieres treiben kann, ehe es die erste wieder entfernt hat.

    Wie erwähnt, ist der echte Werwolf grundsätzlich nicht an den Vollmond gebunden und könnte in jeder Nacht angreifen. Am Tage blendet ihn die Sonne aber zu sehr und in der finsteren Nacht sieht er nicht so gut wie sein engster Verwandter, der Wolf, weil wohl das rötliche Leuchten seiner Augen einen Teil des vorhandenen Lichtes schluckt. Trotzdem kann er natürlich für jeden zur plötzlichen Gefahr werden. Es hat lange gedauert, bis herausgefunden wurde, warum der Vollmond seine bevorzugte Zeit ist, abgesehen davon, dass umgewandelte Artgenossen ohnehin nur in dieser Nacht zum Wolf werden können. Der Werwolf scheint um seine doch vorhandene Verletzlichkeit zu Wissen und mag anscheinend daher nur bei für ihn günstigen Verhältnissen jagen gehen, während er sich in der auch für ihn unsichereren Zeit mehr um das Rudel kümmert. Diese „Vorsicht“ (manche meinen, es sei auch Feigheit) zeigt sich auch darin, dass es nur aus besonderen Anlässen zu Angriffen einzelner Werwölfe kommt, wenn das Opfer als sichere Beute erscheint, während sonst nur im Rudel angegriffen wird, um eine sichere Überlegenheit zu haben. Ergibt sich aber ein Zwang, um als Beispiel weiblichen Nachwuchs rauben zu müssen oder den Todfeind, also einen Blutelfen am besten erledigen zu können, wagen sich die Untiere auch zwischen den Vollmonden auf die Jagd, aber wieder nur, wenn sie im Vorteil sind, also vielleicht gerade das Wetter die Beute stark benachteiligt.

    Während es nach dem Reden der Alten früher öfter passierte, dass Werwolfrudel in beliebigen Nächten angriffen, hat sich das Bild mit dem Vordringen der Menschen verändert, welche gnadenlos auf die Untiere jagt machen. Früher sollen die Rudel größer gewesen sein, also mit mehr gezeugten, männlichen Tieren. Jetzt, so scheint es, müssen die Weibchen mit auf die Jagd gehen, weil die Rudel zu klein sind und dies kann eben nur in der Vollmondnacht geschehen, weil nahezu alle weiblichen Werwölfe umgewandelte Menschenfrauen sind und nur in dieser Nacht in Wolfsgestalt unterwegs sein können. Dazu kommt, dass der Leitwolf sich alle 36 Monde ein neues Hauptweibchen erwählt und mit der Auswahl bereits am vierundzwanzigsten Mond beginnt. Vom vierundzwanzigsten bis zum sechsunddreißigsten Mond muss daher das Rudel stets zum Vollmond jagen, denn nur dann erkennt der Rudelführer die erforderlichen, vererbbaren Fähigkeiten als Wolf in seinem möglichen zukünftigen Hauptweibchen. Die Veränderungen und Gebräuche scheinen nun dazu geführt zu haben, dass die Werwölfe nur noch zum Vollmond jagen.

    Das ein Werwolf ewig lebt, wenn ihn nicht ein gewaltsamer Tod ereilt, ist auch nur ein von den Menschen gern verbreitetes Märchen. Sie altern, aber nur sehr langsam. Seltsamerweise erreichen sie ein Alter, das dem von ursprünglichen Elfenvölkern gleicht, also auch dem von uns Blutelfen. Vielleicht hat die Sage, dass wir und unsere Todfeinde doch von ein und demselben alten Volk abstammen, einen wahren Kern. Von einer Erlösung eines umgewandelten Wesens zurück in sein vorheriges Leben ist nichts bekannt. Nur durch den Tod wird die verdammte Seele befreit. So wird man es jedenfalls überall zu hören bekommen oder gar lesen können. Ich hatte Einblick in die uralten, geheim gehaltenen Schriften unserer Priester und konnte wenigsten so viel davon verstehen, dass alles, was durch eine magische Wirkung verursacht wurde, auch mit Magie wieder aufgehoben werden kann – der Gegenzauber muss nur stärker sein. Leider habe ich keine beschriebenen Riten gefunden, welche solches im Falle eines Werwolfes ermöglichen würden, was aber nicht heißt, dass es das nicht geben könnte. Schließlich fand ich auch eine Beschreibung zur Reinigung einer Blutelfenseele, welche den Dämon des „Blut trinken müssen“ aus einem Blutelfen austreiben kann. Warum sollte dies dann nicht mit einem umgewandelten Werwolf möglich sein? Wahrscheinlich, weil dies niemand will – so wie unsere Ahnen es nicht wollten, dass wir uns vom Blutopfer befreiten.
    #220VerfasserJean-Louis03 Apr. 09, 20:40
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    Almeran fand Vieles darin bestätigt, was er selber schon von den Werwölfen vermutet hatte. Dies interessierte ihn aber jetzt nicht so sehr. Er spürte, wie ihm eine sehr große Last von der Seele fiel. Wieder stand da, dass man Telmy retten konnte, ihn davor bewahren konnte, ewig mit dem Blutelfenerbe herumzulaufen. Nach seiner Heilung würde der Blutdurst verschwunden sein – das war die schönste Erkenntnis, welche der alte Druide aus all seinen Aufzeichnungen und diesen gefundenen Schriften im Moment entnehmen konnte. Auf dem bequemen Ledersofa saßen derweil Halica und Telmy und kamen mit dem Lesen zum Ende der Schriftrolle. Sie mochte es kaum glauben, als sie mit ihrem Liebsten zusammen die letzte Seite der Aufzeichnung über das Volk der Tel’Runyara gelesen hatte. Einen Jauchzer der Freude gab sie von sich und fiel ihm um den Hals. Sie war überglücklich und weinte vor Freude, während Almeran lächelnd die Schrift über die Werwölfe zur Seite schob. Der letzte Absatz, aus dem herauszulesen war, dass man Telmy von dem unseligen Erbe würde befreien können, ließ eine sehr fröhliche Stimmung bei allen drei aufkommen, welche der Druide noch zu verstärken wusste. Er erklärte, dass er sich sehr sicher sei, auch die Zusammenfügung der Seelen in Telmy wäre trotz einer Heilung von seinem Drang nach Blut nicht ohne Sinn, da es letztlich immer die Seele sei, die ein Wesen als gut oder böse durch das Leben gehen lasse. Er meinte weiter, dass diese Besonderheit, welche die Hexe Auinaya bewusst herbeigeführt hatte, ihm sogar für sein ganzes Leben zum Vorteil gereichen würde, da er ja in gewissem Umfang die übermenschlichen Fähigkeiten der Blutelfen für sich und zum Guten nutzen könne. Für Almeran stand fest, dass sein Ziehsohn mit Halica an der Seite ein sehr schönes, erfolgreiches Leben führen werde und die Ehe unter einem guten, glücklichen Stern stünde, nur nicht hier in Grauenfels und damit im Nebelgrund.

    Danach gab es dass Abendessen. Der Mittagstisch war ausgefallen, aber niemand hatte sich daran gestört, weil es doch so abenteuerlich zugegangen war. Nachdem bei einigen Wortwechseln über all das lange Zurückliegende gesprochen worden und die Küche wieder aufgeräumt war, begaben sich alle in die Wohnstube und Almeran gab den beiden anschließend noch das Pergament mit den Erkenntnissen der Blutelfen über die Werwölfe. Er selber ließ sich von Halica sagen, wo denn diese Schatulle aus dem gefundenen Schatz in der alten Burg zu finden sei, nahm die letzte der drei Schriftrollen vom Tisch und ging in das große Zimmer, um sich die Schatulle zu holen. Es war still in der Wohnstube, als er nach oben in sein Studierzimmer ging und dort die Schrift und die Schatulle sicher verwahrte. Nur kurze Zeit später losch er die Öllampen und ging zu Bett.
    Halica und Telmy redeten dagegen die halbe Nacht und kamen von selbst darauf, dass sie die Burg der vor sehr langer Zeit sich abgetrennten Blutelfen gefunden hatten. Die Beschreibung der Symbole war eindeutig und Telmy konnte sie auf den Münzen, die er sich in der verfallenen Burg eingesteckt hatte, deutlich erkennen. Jetzt waren beide froh, dass sie von diesem großen Teil des Schatzes nichts genommen hatten, denn er gehörte den Blutelfen und war auch noch von diesem üblen Priester gestohlen worden. Beide überlegten dann, wer denn diese Fellträger gewesen sein mochten, welche die Burg überfallen hatten. Es war sehr wahrscheinlich, dass es Blutelfenjäger der Vorfahren waren, aus dem längst untergegangenen Volk, von dem auch die Tel’Runyara abstammten. Müde von dem vielen Nachdenken und Reden geworden, schlichen sie sich in ihr Zimmer und fielen nach einer „Katzenwäsche“ ins Bett. Diese Nacht war dann still und traumlos für beide.
    #221VerfasserJean-Louis05 Apr. 09, 16:20
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    Der nächste Morgen überraschte den Nebelgrund wiederum mit einem herrlichen Sonnenschein. Es schien Almeran, der ein paar Schritte aus dem Burghof hinaus gegangen war bis zu einer Felsnase gleich neben der Burg, von der man den schönsten Blick in das südliche Tal hatte, wenn kein Nebel herrschte, dass mit der Rückkehr seines Ziehsohnes und seiner Braut sich sogar das Wetter im Adlergebirge gebessert hatte und die Sonne selbst ihre Hand schützend über die beiden halten wollte. Als er von seinem Spaziergang zurückkam, hörte er es aus der Küche klappern und summen, ja sogar ein Liedchen wurde gesungen. Freudig ging er hinein und sah die Elfe, wie sie voller Freude und anscheinend sehr glücklich das Frühstück schon fast fertig hatte. Almeran half noch bei ein paar Handgriffen, als beide das Poltern über ihnen in dem großen Zimmer hörten – Telmy war also auch aufgestanden. Es dauerte auch nicht lange, da kam er ebenfalls in die Küche und beim Frühstück wurde beraten, was dieser schön werdende Tag den alles bringen könnte. Almeran meinte, beide sollen doch ins Tal hinunter gehen und das sehr schöne Wetter bei einem Ausflug genießen – er habe ja noch zu tun. So geschah es dann auch. Halica zog sich eine leichte, aber feste Kleidung an und verließ am Vormittag mit Telmy die Burg. Der alte Druide zog sich wieder in sein Studierzimmer zurück.

    Lachend und albernd schritten sie dann auf einem großen Umweg, zuerst der Straße zum Ostpass folgend, dort hinunter steigend und am größten See entlang gehend, in dem der Schleibach im Untergrund versickerte, zurück ins Dorf. Dort, in der kleinen Dorfschänke, erfrischten sich beide bei einem guten Glas Wein, ehe sie sich noch zu einer Erkundung des Dorfes und einer kleinen Wanderschaft durch den Nebelgrund aufmachten. Es war inzwischen ein warmer, sehr schöner und sonniger Nachmittag geworden und kaum etwas Nebel über dem Schleierbach zu sehen. Zuerst zeigte er ihr die Hammerschmiede, den Platz, an dem er sein Handwerk gelernt und so viele Jahrzehnte gearbeitet hatte. Auf dem Weg durch das Dorf trafen sie sogar auf die hübsche Tochter des Schneiders, die zwar nicht näher kam aber dennoch freundlich winkte. Am Ende der Häuserreihe schlug Telmy schließlich den Weg zum „Heißen Loch“ ein. Aufgeregt neckten sich die beiden gegenseitig und schließlich rannte die Elfe vor ihm davon, den Weg entlang und war beim heißen Loch verschwunden.

    Der Halbelfe ließ ihr absichtlich einen größeren Vorsprung und suchte nun mit rot angelaufenen Ohren nach seiner Liebsten. Zuerst fand er ihre Stiefel und dann den Spitzhut auf den Steinen liegen. Als er in den Felsen dem vorgegebenen Weg folgte, fand er in kurzen Abständen ihre gesamte Kleidung, darunter auch diese kleinen, feinen Seidenteile, die ihn seit dieser Nacht in dem Wagen, in der er sie zum ersten Mal an ihr sah, immer wieder beeindruckten. Als er mit pochendem Herzen vorsichtig über einen Felsen spähte, sah er seine zukünftige Frau genüsslich in einem Steinbecken sitzen, bis zum Hals in sehr warmem Wasser. Sie strich sich über die Arme und sang leise ein Lied. Nach einer ganzen Weile entdeckte sie ihren Liebsten und spritzte hoch vergnügt Wasser zu ihm hin, was ihn aus seiner träumerischen Starre löste. Schnell hatte er sich auch ausgezogen und kam zu ihr in das sehr versteckt liegende Becken. Sie genossen dann die Einsamkeit zu zweit und Telmy konnte endlich einmal die ganze Schönheit seiner Halica im strahlenden Sonnenlicht betrachten, welches das Badeversteck stundenlang ausleuchtete. Erst als es dunkel wurde, hatten beide genug von all den Dingen, die Liebende miteinander machen. Sie saßen doppelt aufgeheizt noch auf einem glatten Stein und kuschelten sich aneinander, bis sie halbwegs trocken waren und sich anziehen konnten. Zurück zur alten Burg gingen sie auf einem Waldpfad, etwas oberhalb am Dorf vorbei.
    #222VerfasserJean-Louis05 Apr. 09, 16:26
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    Almeran war froh gewesen, als er von einem Fenster aus die beiden hatte weggehen sehen. So konnte er sich nun in Ruhe dem wichtigsten Teil der geretteten Pergamente widmen. Die dritte Schriftrolle war nur ein einzelnes, zusammengerolltes Blatt. Er rollte es vorsichtig auseinander und beschwerte beide Enden, damit das Pergament offen gehalten wurde. Dann las er die doch überraschend wenigen Zeilen, die in einer sehr viel älteren Sprache geschrieben waren, als die zwei anderen Schriftrollen. Ohne das Studium ähnlich alter Schriften vor vielen Jahrhunderten bei den Elfen der Wehrburg hätte er diese Schrift nicht so ohne weiteres lesen können.

    Seelenreinigung mit dem Blutstein

    Wer die Geschichte unseres Volkes der Elfen kennt, weiß um die Herkunft desjenigen Teiles von uns, der dem Trinken von Elfenblut anheim gefallen ist. Dunkle, dem Wahnsinn gewissenloser Magier entsprungene Magie hat diesen Teil unseres großen Volkes verdammt und zur Plage für alle in ursprünglichem Frieden lebenden Volksteile werden lassen. Der weise Rat hatte aber schon sehr früh vorhergesehen, dass sich diese armen Wesen, die sich selbst „Blutelfen“ nennen, schnell vermehren werden und so zu einer immer größeren Bedrohung für Leib und Leben unserer Kinder werden würden, welche sie bevorzugt raubten, um sie als „reine Wesen“ zu opfern und ihr Blut trinken zu können. Da sie aber ein Teil von uns selbst sind, wollten wir sie nicht einfach vernichten, also unsere ohne eigenes Verschulden dieser finsteren Verdammnis unterjochten Brüder und Schwestern töten. Unsere fähigsten Magier entdeckten nach einigen Versuchen zu unserer Erleichterung eine wirksame Gegenmagie, welche den üblen Fluch des Bluttrinkens brechen kann. Es wurde festgestellt, dass die Erschaffer des dunklen Fluches ihre eigene Bösartigkeit und allen Hass gegen ihr eigenes Volk in den Zauber mit hinein gewirkt hatten. Allerdings konnte nicht mehr ausgeforscht werden, welchen Fokus diese Verbrecher in ihrem schändlichen Tun verwandten, um unschuldige Elfen mit diesem Fluch zu belegen und sie somit zu den Stammvätern der Blutelfen zu machen. Es wurde aber ein Edelstein gefunden, der in einer bestimmten Form und Reinheit dem Gegenzauber als Fokus dienen kann – der so genannte Blutstein.

    Als Blutstein eignet sich nur eine einzige Unterart des Edelsteines namens Granat: der Pyrop in blutroter Farbe. Dies allein reicht aber nicht. Er muss eine rohe Form haben, die es erlaubt, zwei aneinander liegende Herzen in voller Reinheit und Vollendung aus ihm zu schleifen. Sonst ist für die Wirkung als Fokus nichts weiter notwendig, denn die Fähigkeit zur Bündelung liegt in dem Stein selbst. Sehr viel wichtiger ist aber die Quelle der Kraft, welche durch den Fokus konzentriert und soweit verstärkt wird, dass sie das in den Blutstein sehende Auge eines Blutelfen durchdringen kann. Diese Kraft kommt aus dem bedingungslos liebenden Herzen eines Elfen oder einer Elfe. Soll ein Blutelfe geheilt werden, bedarf es eines geschlechtlichen Gegenstückes aus den Reihen der Elfen und dessen innerster Liebe zu dem verdammten Wesen. Ein Mann kann daher nur durch eine ihn aus ganzem Herzen liebende Frau, eine Frau nur durch einen sie ebenso liebenden Mann geheilt werden. Dies ist aber gar nicht so einfach, wie es sich darstellt, denn eine wahre, tiefe Liebe ist auch unter den Elfen nicht alltäglich und zwischen Elfen und Blutelfen noch weniger wahrscheinlich. Wer will schon ein blutrünstiges Wesen bedingungslos lieben? Die Liebe ist das Gegenteil des in der Magie der Blutelfen enthaltenen Hasses ihrer Schöpfer und neutralisiert so den auf ihnen liegenden Fluch. Der Blutstein nimmt die Kraft dieser Liebe in sich auf, konzentriert sie so, dass sie die Barriere des Fluches durchdringen kann, indem das zu erlösende Wesen aus den Reihen der Blutelfen nur einmal den in sich mit gefüllter Liebe glühenden Blutstein angestrengt betrachtet und so nach kurzer Zeit der Drang zum Bluttrinken aus ihm ausgetrieben ist.

    Wer immer also einen Blutelfen oder eine Blutelfe liebt, muss sich den Blutstein um den Hals legen. Ist die Liebe innig und tief genug, fängt der Fokus zu leuchten an. Nun muss das zu erlösende Blutelfenwesen einmal aufmerksam in den Stein schauen, damit die Wirkung zum Auflösen des Fluches beginnen kann. Dann muss gewartet und der Blutstein darf in diesem Zeitraum nicht abgenommen werden. Erst, wenn der Blutstein nicht mehr leuchtet, ist die dunkle Magie besiegt. Je stärker die Liebe, die als Quelle dient, desto eher ist die Reinigung vollzogen. Der nachfolgende Spruch, welcher jedem Blutstein, von denen es nur wenige gibt, beigegeben ist, soll noch einmal alle warnen, welche nicht bedingungslos lieben und dennoch glauben, damit einen Blutelfen erlösen zu können. Ist ihr Herz zu kalt, wird der Blutelfe bald ihr warmes Blut trinken.

    Der Stein des Blutes.
    Todbringend dem kalten Herzen.
    Erlösung für wahre Liebe.
    #223VerfasserJean-Louis07 Apr. 09, 13:22
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    Almeran zog die Augenbrauen hoch. Es bedurfte also außer der unzweifelhaft auf das Innigste vorhandenen Liebe von Halica zu ihrem Telmy noch eines magischen Fokus – eines Blutsteines. Er mochte sich jetzt gar nicht vorstellen, was geschehen könnte, wenn in der von den beiden gefundenen Schatulle kein solcher Blutstein enthalten sein sollte. Er schob das Pergament etwas zur Tischmitte und nahm diese Schatulle aus rötlich-schwarzem Holz in die Hand, welche aus der alten, maroden Burg der Blutelfen, in dem unheimlichen Wald gelegen, stammen konnte, öffnete sie und entnahm ein schwarzes Samttuch, das mit einer roten Schleife fest gebunden war. Erst dann las er den Spruch auf dem Deckel, während er das Samttuch aufwickelte. Es war derselbe, der auch in dem Pergament stand. Jetzt war es für ihn ohne jeden Zweifel, dass die Schatulle sehr wahrscheinlich einmal in Nen’Harum aufbewahrt wurde, also möglicherweise sogar von den Vorfahren der Blutelfen, die sich dann Tel’Runyara nannten, stammte. Aus dem schwarzen Tuch nahm er einen großen, blutroten Edelstein, der die beschriebene Form von zwei aneinander liegenden Herzen hatte und an einer sehr fein gearbeiteten Goldkette befestigt war. Das edel wirkende Schmuckstück war genauso beschaffen, wie es die Schrift beschrieb. Almeran tupfte sich den Schweiß von der Stirn und lehnte sich erleichtert in seinem Stuhl zurück. Der Reinigung und somit Erlösung von Telmy stand aus seiner Sicht nichts mehr im Wege.

    Es war längst nach Mittag, als er die Burg verließ und ins Dorf hinunter eilte. Er ging zu der kleinen Dorfschänke, genehmigte sich ein einfaches Essen und war danach schon wieder auf dem Weg zum Schneider. Dort bestellte er ein weißes Hochzeitskleid und einen Anzug nach seinen ungefähren Angaben und trug dem Schneider auf, alles über Nacht soweit fertig zu stellen, dass es nach einer Anprobe am nächsten, frühen Morgen bis zum Mittag fertig sein würde. Er ließ dafür noch einige weitere Goldmünzen zu dem vorhandenen Betrag in den Beutel fallen, den er dem Schneider dann überreichte, worauf sich dieser sogleich an die Arbeit machte und auch den Zeitpunkt sofort zusagte. Von dort aus besuchte er dann noch andere Männer und traf auch einige Vorbereitungen für den nächsten Tag. Der Sonnenuntergang kündigte sich schon an, als der alte Druide den Weg zur Wehrburg hinauf schritt. Er war zwar etwas müde, dafür aber glücklich über die Wendungen, die das Schicksal seinem Ziehsohn gebracht hatte. Gut gelaunt bereitete er das Abendessen und wartete dann, vor dem Zeughaus in den letzten Sonnenstrahlen sitzend und eine Pfeife rauchend, auf die Rückkehr der Brautleute. Es dauerte doch noch etwas und wurde schon dunkel, als die beiden endlich in den Burghof gegangen kamen. Almeran wollte gar nicht wissen, wie sie denn den Tag verbracht hatten, sondern bat sie nur, sich zu beeilen und zum Abendessen zu kommen. Jetzt wurden ihnen erst wieder bewusst, dass der Großvater tagsüber das letzte Pergament studiert und dazu noch die Schatulle aus dem Schatz untersucht hatte. Eine große Neugierde überkam beide und so waren sie in erstaunlich kurzer Zeit in der Küche und saßen mit dem alten Druiden beim Abendessen.
    #224VerfasserJean-Louis07 Apr. 09, 13:27
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    Alemran ließ sie absichtlich etwas zappeln, ehe er ihnen mitteilte, dass das Pergament in einer sehr alten Elfensprache geschrieben sei und sie es daher nicht lesen könnten. Er schmunzelte, als er die Blicke der beiden sah. Dann erzählte er ihnen aber, was darin geschrieben stand. Das wirre Durcheinanderreden danach unterbrach er schließlich und stimmte Halica zu, die sich sehr sicher ihrer Liebe zu Telmy war, dass bei ihr und ihm wohl alle Voraussetzungen zum Gelingen gegeben seinen und man dies noch heute Abend ausprobieren werde, aber erst, nachdem die Küche wieder ordentlich aufgeräumt sei. Das ließen sich die beiden nicht zweimal sagen und in Windeseile war die Küche blitzsauber. Anschließend gingen sie in die Stube, in der Almeran schon wartete. Auf dem Tisch lagen die Schrift zu den Blutsteinen und die Schatulle, welche der Druide öffnete. Er bat zuerst Telmy, Halica ihren Schmuck, den Bergkristall, der auch aus der alten Burg stammte, abzunehmen, öffnete dann die Schatulle, nahm den Blutstein aus dem schwarzen Samt und legt ihn der Elfe um den Hals. Der Stein schien wie für sie gemacht und begann sehr schnell von innen heraus zu leuchten, nahm zuerst ein kräftiges Rot an, später eher die Farbe von Halicas Lippen – ein helleres, aber doch sehr durchdringendes Rot. Telmy sah eine ganze Weile fest auf das Leuchten des Steines, wie es ihm der Großvater auftrug und musste sich dann hinsetzen – ihm war schwindelig geworden. Mehr fühlte er nicht. Da auch in der Schrift nichts zu den direkten Auswirkungen des Reinigungsvorganges stand, meinte Almeran, man müsse nun abwarten. Zuerst sollte der Stein aufhören zu leuchten und frühestens zum nächsten Vollmond würde man endgültige Gewissheit haben.

    Halica setzte sich neben Telmy auf das große Sofa und legte ihren Arm um ihn. Sie meinte, dass das Warten zwar schwer zu ertragen sein werde, aber die Heilung von ihm ihr jedes Opfer wert sei. Dann ergriff der Druide abermals das Wort. Er sagte den beiden, dass er die Vorbereitungen für ihre Hochzeit bereits getroffen habe und diese morgen stattfinden werde. Näheres werde er auf ein Pergament schreiben und dieses morgen früh in die Küche legen. Sie sollten sich dann aber an seine Weisungen halten. Des Weiteren erklärte er, dass er die heutige und die morgige Nacht im Gasthaus verbringen werde, damit das junge Brautpaar wenigstens diese beiden Nächte in Telmys Heimat allein haben sollte, bevor er sie dann übermorgen auf eine Reise ohne Wiederkehr schicken würde. Er sei sich sehr sicher, betonte er noch einmal, dass Telmy zum nächsten Vollmond keine furchtbare Veränderung mehr erleben werde und auch nie mehr sonst. Aber den Werwölfen würde er nicht über den Weg trauen und so wäre es in jedem Fall besser, Grauenfels unmittelbar nach der Trauung zu verlassen.

    Diese Worte beruhigten einerseits beide und als sie hörten, dass schon am nächsten Morgen in aller Frühe der Schneider mit den bestellten Kleidern zur Anprobe kommen würde, um diese bis Mittag fertig zu stellen, strahlten sie wie in dem Moment, als Halica ihrem Telmy sagte, dass man vielleicht eine Kind gezeugt hätte. Andererseits kam doch ein gewisser Schmerz über den dann folgenden Abschied auf. Der Druide wollte nun die beiden endlich allein lassen, verabschiedete sich nur kurz bis morgen früh, nahm seinen Mantel und eilte aus dem Zeughaus in die bereits begonnene Nacht. Ihm gingen noch viele andere Gedanken durch den Kopf auf dem Weg hinunter ins Dorf und er beschloss, wenn er im Frühling genügend mutige Männer zusammen bekommen würde, doch eine Expedition zu dem Tempel der Mitte und von dort aus weiter nach Nen'Harum durchzuführen. Auch war ihm klar geworden, dass übermorgen, wenn dann die Eheleute Eventhin abfahren würden, seine Pflichten gegenüber dem Ziehsohn endeten und er ihn höchstwahrscheinlich nie wieder sehen würde.
    #225VerfasserJean-Louis07 Apr. 09, 13:32
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    Telmy hatte hinter seinem Großvater abgeschlossen und war mit Halica hinauf in das große Zimmer gegangen. Sie redeten noch etwas über diesen Tag, wuschen sich und waren sich schnell einig, dass dieser Tag noch nicht vorbei sei. Die Liebenden alberten zuerst noch ausgiebig herum, schlüpften dann nackt unter die Bettdecke und wiederholten all die „Übungen“, die sie nun schon öfter ausprobiert hatten, um ja bald ein Kindlein zu bekommen. Noch mehrmals in dieser Nacht schwang das Bett im großen Zimmer länger in rhythmischen Bewegungen, bis auch hier Ruhe einkehrte. Halica erwachte dennoch recht früh und griff sogleich nach dem Blutstein. Er leuchtete noch, aber das Leuchten war schwächer geworden. Dies brachte ihr ein Lächeln auf die Lippen. Wohlig streckte sie sich im Bett und kuschelte sich noch mal an ihren Telmy. Sie strich dem noch schlafenden Halbelfen das Haar aus dem Gesicht und hauchte kleine Küsse auf seine Wangen. Sie war so glücklich. Bald würde der Schneider kommen und würde Maßnehmen, um die letzten Änderungen an ihrem Brautkleid und seinem Anzug vorzunehmen. Sie vergrub ihren Kopf an seinem Hals und lachte glücklich, dann begannen ihre Hände auf Wanderschaft zu gehen und als sie an seinem Bauch angelangt war, kitzelte sie ihn, bis sie merkte, dass er sich bewegte und vor sich hin murmelte.
    „Aufwachen Liebster, heute ist unser großer Tag. Komm, lass ihn uns gleich richtig beginnen.“

    Sie küsste ihn zärtlich auf den Mund und schlang die Arme um ihn. Als er aber immer noch keine Anstalten machte, wach zu werden, küsste sie ihn noch einmal, diesmal inniger.
    „Los, öffne deine Augen. Ein wunderschöner Tag hat schon begonnen und ein neues Leben wird für uns beide beginnen.“ Telmy tat absichtlich immer noch so, als würde er noch schlafen. Von Halicas Küssen konnte er gar nicht genug bekommen. Als sie ihn angesprochen hatte und erneut küsste, umschlang er sie mit den Armen und zog sie fest auf sich. Der Kuss wurde im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubend. Danach kitzelte er sie auch, wobei er aber nur einmal ihre Seiten „quälte“, weil sie das gar nicht aushalten konnte, wenn sie dort gekitzelt wurde. Sie lagen noch etwas eng aneinander gekuschelt und besprachen die kommenden Ereignisse, wobei er ununterbrochen Locken ihn ihr seidiges, goldblondes Haar drehte. Dann standen sie endlich auf und neckten sich sogleich wieder beim Waschen. Als sie schließlich in die Küche kamen, war dort alles fertig und ein Pergament lag auf dem Tisch.

    „Bitte beeilt euch! Ich bin bereits im Dorf und komme dann zurück mit den Trauzeugen und den Blumenmädchen. Wir gehen direkt zum Bethaus. Der Schneider wird nach der Anprobe das Kleid und den Anzug gleich in der Stube fertig nähen – er bringt alles mit. In der Zwischenzeit räumt ihr bitte die Küche und eure Stube auf. Ich lasse genau zur Mittagsstunde dreimal Läuten, dann tretet ihr zusammen aus dem Haus. Ich werde Halica von dort selber zur Kapelle führen, während du, lieber Telmy, mit dem Schneider, dem Schmied und dem neuen Mann der vormaligen Kesselschmiedewitwe bis zum Eingang der Kapelle vorausgehen und uns dann dort erwarten wirst. Die Blumenmädchen gehen uns voran und streuen die Blumen. Von der Eingangstür des Bethauses aus gehen wir alle zusammen vor den Betstock, dann halte ich die Zeremonie ab. Danach gehen wir alle zurück bis vor das Haus und Telmy trägt dich, liebe Tochter, über die Schwelle. Anschließend gehen wir mit den Männern und den Mädchen zusammen ins Dorf hinunter zum Mittagessen, verbringen den Nachmittag und den Abend bei Tanz und gemütlichem Zusammensein, bis ihr euch zurückziehen wollt. Geht dann zurück in die Wehrburg und verschließt das Zeughaus gut. Steht aber trotzdem morgen früh nicht zu spät auf, denn bald nach dem Frühstück werde ich mit Männern erscheinen, die euch den großen Wagen einräumen. Dann werdet ihr abfahren.
    Almeran“
    #226VerfasserJean-Louis07 Apr. 09, 13:37
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    Vor lauter Aufregung konnten beide kaum etwas essen und schon war der Schneider da. Telmy durfte nicht bei der Anprobe bei Halica dabei sein und umgekehrt auch nicht. In der Zwischenzeit gab es auch nicht viel aufzuräumen – die Küche war mit wenigen Handgriffen sauber und die Betten waren ja auch schon nach dem Aufstehen gemacht worden. Allerdings mussten sich beide doch noch beeilen, als der Schneider rief, er sei fertig, weil sie sich anziehen mussten und dabei wieder herum alberten. Dann kam der große Moment. Telmy kam aus der Küche in einem feinen, schwarzen Anzug und Halica „schwebte“ aus der Stube in einem Traum von Weiß, durch den ebenso traumhafte Unterwäsche gerade so hindurch schimmerte. Die Schönheit der Elfe war ins Unwirkliche gesteigert, auch weil sie so sehr strahlte, wie es Telmy vorher in dieser Deutlichkeit noch nie wahrgenommen hatte. Alles an ihr war perfekt. Nun schritten beide hinaus und nach dem dreimaligen Läuten der Glocken spielte sich die Hochzeitszeremonie genauso ab, wie es der Großvater geschrieben hatte. Nachdem sie sich lange und zärtlich geküsst hatten, was die Anwesenden mit Freude sahen, trug Telmy seine Frau über die Schwelle des Hauses. Daraufhin gingen sie ins Dorf und eine schöne, ausgiebige Feier rundete die Hochzeit zu jedermanns Zufriedenheit ab. Die Brautleute blieben bis in den Abend und waren doch bei ihrer Rückkehr etwas erschöpft, so sehr hatten sie dem Tanze zugesprochen. Die leichte Müdigkeit hielt aber nur bis zum Waschen an, denn da loderte in beiden schon wieder das Feuer der Leidenschaft auf und die schweren Betten mussten erneut viel aushalten. Wie sie eingeschlafen waren, wussten beide am nächsten Morgen nicht mehr, als sie die wiederum scheinende Sonne wach kitzelte. Es war doch schon spät und so beeilten sie sich mit dem Anziehen, um noch ausgiebig frühstücken zu können. Kaum waren sie fertig, hörten sie im Burghof ein Gepolter und Hantieren einsetzen. Es waren Männer gekommen, mit ihnen der Großvater, die den großen Wagen reisefertig machen sollten und schon ins Haus kamen, nachdem Telmy ihnen geöffnet hatte.

    Nach einer Weile war der große Wagen fast eingeräumt und alles, was die jungen Eheleute so brauchen konnten und noch Platz fand, darin verstaut. Nur die persönlichen Sachen befanden sich noch im Zimmer der beiden, welche sie selber zusammen packten und zuletzt in den Wagen schafften. Inzwischen war es fast Mittag geworden und man unterhielt sich noch in der Küche. Halica lauschte vergnügt all den amüsanten Geschichten, die Vater Almeran über Telmys Jugend zu berichten wusste. Dann saßen sie noch einmal alle drei zusammen am Mittagstisch. Aus dem Dorf wurde noch ein großes Paket mit Lebensmitteln gebracht und schließlich kam die Stunde des Abschiedes. Telmy wendete nach dem Anschirren der Pferde den Wagen, Halica stieg auf, sprang wieder ab und fiel dem Großvater noch einmal um den Hals. Dieser setzte die Elfe wieder auf den Wagen, gab beiden die Hand und sah dann noch bis zum Burgtor hinterher gehend zu, wie der Wagen im Waldstück vor der Burg verschwand. Oben auf dem Südpass hielt Telmy an und beide sahen zurück über den Nebelgrund, die Burg und das Dorf Grauenfels, hinüber zu den Rotfell-Spitzen und zu den Bergen vor der Schattenebene. Zu gern hätten sie die Ruinenstadt der Tel’Runyara und den Tempel der Mitte mit dem Großvater erkundet, doch mussten sie einsehen, dass dies viel zu gefährlich war und das Adlergebirge für ihre Familie kein Ort der Geborgenheit werden konnte.
    #227VerfasserJean-Louis08 Apr. 09, 11:21
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    Nach drei Tagen erlosch das Leuchten in dem Blutstein und sie waren lange unterwegs, ehe sie in Rosenburg Station machten. Beim nächsten Vollmond waren sie mehr als angespannt, doch nichts Beunruhigendes geschah – nicht einmal Albträume plagten Telmy. Jetzt wusste Halica, dass die Heilung gelungen war und sowohl Arwin als auch Großvater Almeran Recht behalten würden, denn das Finstere in ihrem Liebsten konnte nun keinen Schaden mehr anrichten, es war getilgt. Auch Telmy selber war mehr als froh darüber, die Jahrhunderte ihn in seinen Träumen plagenden Angstzustände überwunden zu haben und mit seiner Elfe nun zu jeder Zeit zukünftig glücklich leben zu können. Aber, da war nach einigen weiteren Wochen plötzlich etwas anderes. Halica bekam Appetit auf merkwürdige Dinge und sie flüsterte ihm schließlich ins Ohr, dass sie sicher sei, schwanger zu sein. An diesem Tag feierten beide mit allem was sie hatten ein Freudenfest auf einer einsamen Wiese in einem Wald.

    Nun ging die Reise eilends zurück nach Hohenerzberg und der Halbelfe sah zum ersten Mal Halicas kleine Bognerwerkstatt und ihre so hübsch und gemütlich eingerichtete Wohnung, die auch sie seit der Abreise mit Arwin nicht wieder betreten hatte. Ihren ersten Abend in der Hauptstadt feierten sie angemessen in einer kleinen, aber sehr schönen Taverne. Es war schon manchmal seltsam, wie sehr sich die täglichen Abläufe doch ähnelten. Halica kam es zeitweise so vor, als sei sie immer noch mit Arwin zusammen und würde ihr erstes Kind Maya erwarten. Immer wieder entdeckte sie Verhaltensweisen, die ihr bewusst werden ließen, dass zwei vereinte Seelen in Telmy steckten und Arwin in ihm weiter lebte.

    Die Zeit verging ihnen viel zu schnell. Nachdem der kleine Sohn geboren war, wurde es in der Wohnung zu eng. Mit Sack und Pack verließen die Eventhins Hohenerzberg, diesmal aber ohne Rückkehr. Der Kleine sprach mit als erste Worte „Hoh, Hoh“ und so zogen auf seine Rufe hin die schweren Kaltblutstuten Mia und Lia den vollen Wagen auf bekanntem Weg nach Eleanor. Dort lebten sie hauptsächlich von Telmys Arbeit als Huf- und Wagenschmied, während Halica weiter die Bognerei betrieb und auch der Sohn das Handwerk seines Vaters erlernte. Man sah sie aber auch oft auf der Jagd, wobei Halica immer etwas erfolgreicher war als ihre Männer, da diese ein gemeinsames Ungeschick teilten. Telmy war von der Schönheit seiner Halica nach wie vor so angetan, dass er über all die Jahre auf der Jagd immer wieder umherstolperte oder gar hinfiel, wenn er sie zu lange ansah. Sobald ihr Sohn in das Alter gekommen war, in dem er sich für das andere Geschlecht zu interessieren begann, entwickelte er die gleiche Ungeschicklichkeit, wenn ein ihm sehr gefallendes Mädchen in der Nähe war. Halica amüsierte sich darüber köstlich und hatte auch oft genug Gelegenheit dazu, weil es in Eleanor schon immer sehr schöne, junge Frauen gegeben hat, die ihrem Sohn manchmal sehr zusetzten.
    #228VerfasserJean-Louis08 Apr. 09, 11:41
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    Doch auch diese Jahre gingen vorüber und der Sohn verließ das Elternhaus. Es zog ihn nach Norden – wen sollte das wundern, spürte er doch, wo seine Vorfahren einst lebten. Halica nahm dies zum Anlass, endlich einen alten Traum umzusetzen. Sie erfuhr davon, dass im nahen, nördlich von Eleanor gelegenen Saling am Stadtrand eine Taverne zu pachten sei und nochmals zogen die Eventhins in eine andere Stadt. Dort fanden sie bald neue Freunde. Schließlich ergab sich auch eine nette Gemeinschaft mit anderen, ebenfalls aus der Fremde nach Saling gezogenen Paaren, die sich immer wieder in der Taverne trafen. Darunter war ein Ehepaar mit einer etwas scheuen, sehr schlanken Frau elfischer Herkunft. Irgendwie kam beiden diese kleine, hübsche Frau bekannt vor, doch wussten sie lange nicht, woher eigentlich, da diese Elfe erst viel später Näheres über ihre Vergangenheit erzählte. Sie erfuhren, dass die Frau im Mädchenalter von Zuhause verstoßen worden war und mit einem Wolf als Freund durch einen sehr großen, finster Wald gezogen war. Dort war sie Fremden in einer alten Burg begegnet, bei denen sie sich Essen nehmen musste, da sie dem Verhungern nahe war. Jetzt war den Eventhins klar, wer die Frau war – das kleine Mädchen, dem sie in der alten, maroden Burg der Blutelfen begegnet waren und das seine Freiheit einer Begegnung mit ihnen beiden vorgezogen hatte.

    Halica gefiel das Leben als Wirtin in der Taverne sehr und Telmy folgte sein schon in Eleanor erworbener, sehr guter Ruf als Hufschmied nach Saling, so dass selbst Pferde aus Eleranor zu ihm gebracht wurden. Dadurch trafen sie auch etliche alte Bekannte wieder. Besonders freute sich Telmy, den großen, einäugigen Krieger Baldur in Begleitung jener Schneiderin begrüßen zu dürfen, bei der er für seine liebe Frau in Eleanor sehr oft eingekauft hatte. Und so erinnerte er sich mit Halica, wie zwischen ihnen alles begann, im Felsenkeller, als er noch sehr jung mit einer geheimnisvollen Jägerin zu tun hatte, die mit ihm und dem einäugigen Krieger am Tisch saß und urplötzlich verschwand, ehe er sein über alles geliebtes Elflein fand. Von der Jägerin Daria hatte man nie wieder etwas gehört und von der Hexe Auinaya, die sich seinerzeit ebenfalls in der Taverne Felsenkeller aufhielt, erzählten beide lieber doch nichts – das war ihr Geheimnis. Damals, am nächsten Morgen nach diesem Abend in der Taverne, begegneten sich Telmy und Halica am Frühstückstisch zum allerersten Mal und danach fanden beide zu einem gemeinsamen, langen Leben voller Liebe und Glück.
    #229VerfasserJean-Louis08 Apr. 09, 11:55
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    #230VerfasserJean-Louis08 Apr. 09, 11:56
     
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