reverends Übersetzung find ich ganz gut (unabhängig davon, dass er meine "Gepflogenheiten" favorisiert 🙂)
Im angefragten Satz geht es darum, welche Faktoren mit in eine Bewertung einfließen müssen, und welche Faktoren eine Belästigungssituation begünstigen. Ist es für eine Frau wahrscheinlicher in einem Ingenieursfachbereich belästigt zu werden, als in einem juristischen Fachbereich? Können bestimmte Verfahrensweisen in den Disziplinen, wie z.B. die gegenseitige Korrektur des Sitzes von Laborschutzausrüstung eher als Belästigung missverstanden werden, oder ausgenutzt werden, um Belästigung zu verschleiern? Wo ist die Grenze zwischen einem "Mobbing des/r Neuen" und einer "sexuellen Belästigung", und ist dies von der Fachrichtung abhängig? Schickt man eine Azubi los, den Spannungsabfall einzusammeln und zur Recycling-Stelle zu bringen, ist das ein Scherz, den man mit einem Azubi genauso macht, und heißt nicht, dass man Frauen für dumm hält. Andererseits hat der Scherz, die Klamotten zu verstecken während der Neue in der Dekontaminationsdusche ist, bei einer Neuen eine ganz andere Bewertungsqualität.
Speziell ein "so könnt Ihr mit Kollegen umgehen, aber sicher nicht mit Kolleginnen" ist hier ebenso relevant wie ein "bei solchen Strukturen wird eine Frau immer nur als Objekt angesehen werden". "Umgangsformen" ist da einfach zu schwach, die "culture" beinhaltet auch typische Verhaltensweise und Verfahrenswege. Dennoch muss ich energisch weiterhin gegen "Kultur" wettern, der Begriff ist ein Modewort geworden, das genommen wird, weil es im Englischen so bezeichnet wird, aber selbst keine eigene Bedeutung mehr hat. Also zumindest so, wie er hier angewendet werden soll, nicht mehr.
Wenn "Gepflogenheiten" zu harmlos klingen... das klinischere "Interaktionsstrukturen" könnte noch gehen, speziell um es Infrastruktur entgegenzusetzen, damit hätten wir dann auch den "Strukturprinzipien"-Vorschlag mit eingearbeitet.
Übrigens vermute ich, dass Rominara das "disciplinary" im Originaltext nicht richtig verstanden hat, wenn den entsprechenden Kommentar in #12 lese. "Disziplinen" sind eine Gliederungsebene innerhalb der wissenschaftlichen Arbeit, ebenso wie es "Fachbereiche" an der Uni sind, und hat nichts mit zwischenmenschlichen Beziehungen zu tun, sondern mit der Abgrenzung bestimmter Themengebiete von anderen. Wer hier bei "Disziplinbezogen" an Zucht und Ordnung denkt, ignoriert schlicht und ergreifend den Kontext.