Mittagsweiser hatten im Zeitraum des 19. Jahrhunderts eine reale technische Bedeutung.
Man hatte schon in der Antike Sonnenuhren gebaut, die den ganzen Tag in Stunden unterteilt haben und erhielt so (je nach Breitengrad) eine eigene Ortszeit. Der Mittagspunkt war (abgesehen von seiner Position in der Mitte des lichten Tages) nicht besonders herausragend. (Die Quelle, die #7 hier zitert, liegt da eher falsch: Die "Ganztages-Sonneruhr" ist nicht als Erweiterung eines Mittagsweisers entstanden.)
Mit der Einführung mechanischer Uhren und der Aufstellung von örtlichen Normaluhren (Kirchturm, Rathaus) wurde erlangte der Mittagspunkt besondere Bedeutung. Zum einen waren die Uhren zwar nicht genau genug, um völlig unabhängig von der Sonne zu laufen, mussten also regelmäßig gestellt werden.
Zum anderen fiel nun aber auf, dass der echte Südstand der Sonne auf einer gut gleichmäßigen Zeitskala jahreszeitlichen Schwankungen unterliegt: Die Sonne geht im Verlaufe der Jahreszeiten gegenüber einer gleichmäßigen Uhr vor oder nach.
Die Differenz ist nicht unerheblich, selbst für das 19. Jahrhundert nicht: Es geht um einen Zeitraum von ca. 1/2 Std, in dem der Südpunkt (=Meridiandurchgang) zwei mal jährlich hin und her schwankt.
Man hätte dieses Problem auf zwei Arten angeben können:
1. Die Uhr alle paar Tage neu stellen, so dass der 12 Uhr-Punkt der Uhr mit dem Meridianstand der Sonne übereinstimmt.
2. Die Uhr alle paar Tage anhand des Mittagsstandes (aber unter Einbeziehung der inzwischen genau errechneten Abweichung des Gangs der Sonne so) stellen, dass die Uhr die Zeit als eine Folge von stets gleich langen Stunden-Intervallen darstellt.
Man hat sich für 2. entschieden. Wohl einerseits eine Frage der Pragmatik (seltenere und kleinere Abweichungen), sicher aber auch eine Frage des Zeitgeistes. Wissenschaft und Technik waren "groß im kommen".
Man hätte einfach nur jeweils den Südstand der Sonne messen können, und jene Gleichlaufdifferenz zum Stellen der Uhr aus Tabellen entnehmen können. Solche Mittagsweiser gibt es durchaus:
http://en.wikipedia.org/wiki/Noon_mark#mediav... Die zugehörigen Tabellen (Zeitgleichung/equation of time) hat John Flamsteed um 1672–73 herum vorgelegt.
Die häufigere Lösung war es aber, diese Funktion nach außen sichtbar zu machen. Da die Sonne zu verschiedenen Jahreszeiten nicht nur vor- oder nachgeht, sondern auch höher oder tiefer an Himmel steht, beschreibt der 12-Uhr-Punkt der Sonne (gemessen in gleichmäßiger "mechanischer" Zeit) jene "8"-förmige Schleife, das Analemma. Beispiel für einen reinen Mittagsweiser:
http://de.wikipedia.org/wiki/Mittagsweiser#me... Beispiel für Sonnenuhr kombiniert mit Mittagsweiser:
https://de.wikipedia.org/wiki/Zeitgleichung#m...Viele derartige Uhren sind uns heute noch erhalten, manche Mittagsweiser (wie der oben gezeigte in Greenwich) werden sogar noch neu gebaut. Hübsche Schaustücke mit musealem Charakter.
Ihre technische Funktion, das Stellen von Uhren, haben die Mittagsweiser inzwischen längst verloren. Schon mit Aufkommen der Telegraphie wurden die Bahnhofsuhren zentral synchronisiert, später kam das Radio hinzu. Die Uhrzeit steht inzwischen unter zentraler Verwaltung und wird heute von einem exklusiven Klub von Betreibern von Atomuhren "gemacht".
Aber es gibt die Mittagsweiser noch als Schaustücke und als einen Bestandteil der Kulturgeschichte der Technik.
Die klassischen Wörterbücher und Enzyklopädien haben das offenbar weitgehend ignoriert, der sonst so eifrige OneLook.com stöbert gerade mal einen einzigen Treffer auf.
Hier noch einige Fundstücke:
http://books.google.de/books?id=MV6jUsGniJEC... (Seitenansicht bei Google-Books)
Longcase Clocks By Joanna Greenlaw, Page 6
"An interesting variation of the sundial, very popular in the 18th century, was the ´noon-mark´ ..."
Geometry at Work by Catherine A. Gorini, P. 15
"because of the difference between clock time and solar time, the noon mark will be either left or right of this line at other times of the year. This difference between clock time and solar time is called the equation of time."