Die schon erwähnten, auch regional bedingten Unterschiede in der Rezeption müssen nicht immer an Dialekt gekoppelt sein.
Die Sprache hier im Ruhrgebiet z.B., die ja meines Wissen nach immer noch nicht als Dialekt anerkannt ist, tendiert generall dazu "härter" und "direkter" zu sein und dabei auch mehr Fluchwörter zu benutzen - und das schichtübergreifend - und zwar ohne dass dies unbedingt als "schlimm" betrachtet wird.
Neben den deutschlandweit verwendeten anal-fäkalen Begriffen verfügen wir darüberhinaus noch über ein fantasievolles Repertoire an regionsspezifischen Schimpfwörtern, die mir sehr ans Herz gewachsen sind und bei mir in einem gewissen Maße Heimatgefühle auslösen.
Eine hübsche Einteilung nach Beleidigungsgrad findet sich übrigens hier:
http://www.ruhrgebietssprache.de/beleidigunge...Natürlich ist auch hier, wie wohl überall auf der Welt, die Wertung eines Wortes situations- und betonungsabhängig.
Und auch im Ruhrgebiet gibt es generations-, bildungs-, schichtszugehörigkeits- und geschlechtsbedingte Unterschiede.
Ich kann mich nicht daran erinnern, meine geliebte Arbeitergroßmutter, pardon: Arbeiteromma, Jg. 1912, je bei einem Schimpfwort erwischt zu haben.
Die gab es bei meiner bürgerlichen Großmutter, der Frau Oberst a.D., zwar auch nicht, dafür gab es bei ihr, und überhaupt in diesem Zweig der Familie, ein ausgeprägtes Talent für feinsinnige, sprachlich hochkorrekte Bösartigkeiten und Gemeinheiten.
Da ziehe ich doch ein herzliches, direktes "Du Arsch!" dreimal vor.
Ein Gedanke, der mich in diesem Zusammenhang schon länger umtreibt, ist die Frage, inwiefern die Geschichte einer Region und der Menschen, die in ihr leben, Einfluss auf den Sprachgebrauch hat.
Der Kohlenpott verdankt seine Existenz, wie der Name schon sagt, dem Bergbau, später dann auch anderen Arten der Schwerindustrie. Unter Tage zu arbeiten ist auch heute noch mit einem gewissen Risiko verbunden, in früheren Zeiten war es ein Unterfangen, das häufig genug tödlich endete oder zumindest zu netten Dingen wie Staublungen oder ähnlichem führte.
Wer morgens einfuhr, konnte nie wissen, ob Schicht im Schacht an diesem Tag für ihn nicht mit den Beinen zuerst stattfinden würde. Die Frauen, deren Männer, Söhne, Brüder unter Tage arbeiten, wussten alle, dass ein gewisses Risiko bestand, dass sie ihren Mann, Sohn, Bruder an diesem Tag zum letzten Mal sahen.
Vor so einem Hintergrund bildet sich eine andere Mentalität und Umgangsweise mit dem Leben und wohl auch mit der Sprache aus als z.B. in bürgerlich-kaufmännischen Regionen wie Münster. Ohne ein "hart, aber herzlich"-Bild romantisieren zu wollen, so birgt es doch einen wahren Kern.
Das Ruhrgebiet heute ist nicht mehr das, was es war, die 70er Jahre haben tiefe Narben hinterlassen, aber ich bin alt genug, um mich an eine gewisse Mischung von herzlich-harter Direktheit und nachbarschaftlichem Zusammenhalt zu erinnern, wie sie in den Arbeiterkreisen meiner Großelterngeneration zu finden - auch sprachlich.