Bubb, ich kann Dich sehr gut verstehen. Die Frustration, der Unglaube, die Ernuechterung.
Ich bin 2006 nach UK gezogen und habe das ganze Schlamassel hier miterlebt. Natuerlich kann man den Ausgang des Brexit-Referendums nicht alleine auf "die englische Seele" oder Manipulation schieben. Ich mache eine Reihe von Umstaenden verantwortlich.
Ich war schockiert ueber das Niveau der taeglichen Nachrichten im Fernsehen, inklusive BBC: dermassen auf interne (Westminster) Geschehnisse fokussiert, dass ich den Eindruck hatte, vom Rest der Welt abgeschnitten zu sein. Ich lernte schnell, CNN, Al Jazeera und Euronews zu schauen.
Dabei ist die Berichterstattung selbst bei britischen Nachrichten nicht einmal gut. Kein kritischer Journalismus, ich moechte es manchmal schon fast Volksverdummung nennen.
Die Schulbildung scheint (soweit ich das von Kollegen und Freunden mitbekomme) nicht besonders gut zu sein (wenn man denn nicht in eine Eliteschule geht), Geschichte ist entweder langweilig oder glorreich.
Nachrichten, Medien, Fernsehen insbesondere, foerdern ein Gefuehl der britischen Ueberlegenheit. Sei es durch romantisch verklaerte Historiendramen, Kriegsfilme, Serien wie Dad's Army, Allo Allo, Dokumentationen ueber britische Errungenschaften oder Erfinder, Ingenieure (merkwuerdigerweise scheint es seit victorian times nicht mehr viel Neues zu geben)...
Man ist ausserdem hierzulande sehr stolz auf's heimische Militaer und Jahrestage oder besondere Ereignisse werden (gefuehlt mindestens monatlich) gefeiert und es wird ueber sie berichtet. Ich moechte nicht kritisieren, dass ein Volk seinen Veteranen Respekt zollt, die Opfer, die erbracht wurden, wuerdigt, dienende Soldaten unterstuetzt, aber es kann eben auch ganz schnell von Patriotismus in Nationalismus umkippen. Insbesondere, wenn es keine kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte gibt.
Dann fuege man 40 Jahre negative Berichterstattung ueber EU hinzu, eine perfide Luegenkampagne und Aengste-schueren vom Brexit-Team, die von den unkritischen Medien als gleichwertig zu den Remain-Argumenten dargestellt wurde.
Mein Empfinden in 2016 war, dass viele Menschen wahlmuede waren und Brexitgegner sich einfach nicht vorstellen konnten, dass diese offensichtlichen Luegner gewinnen koennten (und daher nicht waehlen gingen).
Die 52% Mehrheit war nicht knapp ueber die Haelfte der Bevoelkerung, sondern knapp ueber die Haelfte derer, die zur Wahl gingen, etwa 17 Mio. Keineswegs die Mehrheit der Bevoelkerung.
Und die meisten der Brexit-Befuerworter sind eher ihren Emotionen gefolgt. Genau, wie von der Brexit-Kampagne gewollt. Wenn ein Thema genuegend emotionell besetzt ist, ziehen rationale Argumente nicht mehr.
Hat doch auch in D gut funktioniert - mit der (evtl. zu schnellen?) Wiedervereinigung.
One-party-state und sleaze sind leider nur zu wahr. 🙁