Comment | Naja, beim Wandel der Küche (und dessen, wovon sich Menschen im Alltag ernähren) hängt wohl von vielen Faktoren ab, dabei fällt mir ein ...
a) "Produktionsbedingungen" (Marx -> Gesellschaftsstruktur passt sich ihren Möglichkeiten zur Produktion von Gütern an -> heute industrialisierte Landwirtschaft mit Traktor-Fuhrpark, statt kleiner Bauernhöfe mit Knechten und Pferdewagen, dazu eine enorm erstarkte Lebensmittelindustrie)
b) Familienstruktur: Noch vor 150 Jahren war die Großfamilie üblich, mit drei Generationen unter einem Dach. Heute sind Singlehaushalte nicht selten; damals gab es noch "Bettgeher", die zu dritt ein Zimmer und ein Bett im Schichtbetrieb teilten, und wohl mitverpflegt wurden, jeder hatte acht Stunden zum Schlafen. In einem Zehnpersonenhaushalt wird IMO naturgemäß anders gekocht (oder auch mehr aufs Geld geschaut?) als in einer Zwei-Personen-plus-Hund-oder-Kind-Familie ...
c) Wohlstand: Früher kaufte man Mehl, Eier, Butter, Kartoffeln, die Grundstoffe also - und zahlte dafür einen weitaus größeren Anteil seines Einkommens, als wir heute für Essen ausgeben. Noch bei Kästner, wenn ich mich richtig erinnere, und in anderen älteren Büchern (nicht nur bei Militärgeschichten) wird das Kartoffelschälen "möglichst dünn" erwähnt, damals hatte eine einzelne Kartoffel IMO eben noch fühlbar höheren Geldwert. In Märchen ist es gar - wie im 19. Jahrhundert noch und davor üblich - Aufgabe der Kinder, etwa Körner auszusortieren und Essen zuzubereiten, während die Eltern wohl schuften.
d) Verzerrte historische Wahrnehmung: Wenn wir "alte Rezepte" oder "Mittelalterrezepte" usw. lesen, sind dies meist die Speisen der Leute, die wichtig genug waren, dass man über ihre Nahrung schrieb: Die überwürzten Braten, die exotischen Wildbraten von Schwan bis Biber, waren oft Bestandteil der Küche der Adeligen, der reichen Bürger, des Klerus, aber im einfachen Volk ... vermutlich eher selten. Eingeschränkt gilt das auch für die "traditonelle Küche" jedes Landes, die meist kaum älter als 150 Jahre ist und IMO eher die Küche des Bürgertums beschreibt, also einer (allerdings relevanten) Minderheit. Noch heute sagt man etwa in der bäuerlichen Südsteiermark "vierundzwanzig Mal Sterz, dann ist die Woche aus" (sechs Tage zu je vier Mahlzeiten Sterz, also Getreidebrei (Polenta, in der Steiermark meist mit Schweinegrieben, oder als Frühstück mit Sauermilch) - und dann ist wieder Sonntag, dann gibt's Fleisch. (Heute sind Bauern wohlhabend, da gibt's idR jeden Tag Fleisch, die Arbeit ist nicht mehr ganz so erschöpfend wie damals, die Folgen sieht man auch - man vergleiche Fotos heutiger Bauern mit solchen von vor 100 Jahren.) |
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